Körper und Anerkennung (eBook)

Der Leib in der Dynamik des Sozialen

Edgar Hirschmann (Herausgeber)

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2024 | 1. Auflage
223 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45091-9 (ISBN)

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Körper und Anerkennung -
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Unsere Körper sind in die intersubjektiven Strukturen der Anerkennung und die Kämpfe um gesellschaftliche Anerkennung auf vielschichtige Weise verstrickt. Der vorliegende Band adressiert durch den Fokus auf Körperlichkeit neue Fragen an Theorien der Anerkennung. In einer erhellenden Verbindung der französischen sozialphilosophischen Theorietradition, des US-amerikanischen Diskurses und deutschsprachiger Philosophie eröffnen die Beiträge den vielschichtigen Blick auf die insbesondere von Axel Honneth formulierte Theorie der Anerkennung.

Edgar Hirschmann ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Lehrstühlen für Politische Theorie der RWTH-Aachen und der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.

Edgar Hirschmann ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Lehrstühlen für Politische Theorie der RWTH-Aachen und der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.

Leiblichkeit und Anerkennung im Anschluss an Merleau-Ponty: Eine Ergänzung zu Axel Honneths Ideengeschichte der Anerkennung


Michel Dormal

IDie französische Tradition


In seinem Buch Anerkennung. Eine europäische Ideengeschichte unterscheidet Axel Honneth drei markante Traditionen, die das europäische Nachdenken über Anerkennung prägen. Während in Frankreich Anerkennung eher einseitig negativ thematisiert werde, nämlich als Risiko des Selbstverlusts oder als Machttechnik, betone die britische Tradition die nützliche moralische Selbstkontrolle der Bürger angesichts der »Erfahrung einer drohenden Kommerzialisierung der Gesellschaft« (Honneth 2018: 81). In der idealistischen Tradition Deutschlands schließlich werde Anerkennung konstitutiv mit Vernunft und Freiheit assoziiert: »die Anerkennung, die sich die Individuen aus Gründen der Bezeugung ihrer vernünftigen Subjektivität wechselseitig zollen, ermöglicht ihnen, ihre Freiheit in einer von der sozialen Gemeinschaft gebilligten Weise auszuüben« (Ebd.: 190).

Im Folgenden möchte ich mich auf die erste, nämlich die französische Tradition konzentrieren. Was ist damit gemeint, dass Anerkennung hier einseitig als Machtfrage und als Gefahr des Selbstverlusts gesehen wird? Sehr deutlich zeigt Honneth diese Auslegung an Jean-Jacques Rousseau auf, der scharf trennte zwischen den authentischen Bedürfnissen und natürlichen Intuitionen der Individuen einerseits und andererseits den falschen, korrumpierenden Bedürfnissen und Maßstäben, die erst durch die Gesellschaft in uns eingepflanzt würden (Rousseau 1998). Insbesondere kritisierte Rousseau dabei den sozial erzeugten Wunsch, in den Augen der anderen Menschen vorteilhaft zu erscheinen. Dies führe nicht nur zu schädlichen sozialen Affekten wie Neid, Eitelkeit und Verschlagenheit, sondern letztlich zur Gefahr, sich selbst zu verlieren – so dass »man am Ende nicht mehr weiß, worin der Kern der eigenen Persönlichkeit tatsächlich besteht« (Honneth 2018: 45). Oder in den Worten Rousseaus: »Der Wilde lebt in sich selbst, der gesellschaftliche Mensch […] weiß nur in der Meinung der anderen zu leben; und er bezieht sozusagen allein aus ihrem Urteil das Gefühl seiner eigenen Existenz« (Rousseau 1998: 112).

Historisch lässt sich diese Problematik plausibel auf die omnipräsenten Statuskämpfe in der höfischen Gesellschaft Frankreichs beziehen (Honneth 2018: 33-36). Eine ähnliche Grundstruktur hat sich, wie Honneth herausarbeitet, aber auch im späteren französischen Denken erhalten. Sie findet sich beispielsweise, wenn auch mit ganzer anderer theoretischer Rahmung, in Sartres ontologischer Beschreibung des Dualismus zwischen dem freien, zur Selbstüberschreitung fähigen Bewusstsein und seiner stets drohenden verdinglichenden, fixierenden Objektivierung in der Beziehung zum Anderen. Der Blick oder die Rede eines anderen freien Menschen machen mich demnach zum Objekt seiner Freiheit – und umgekehrt. Alle Intersubjektivität finde unweigerlich in diesem Konflikt statt und alle Anerkennung zwischen Subjekten bedeute daher zugleich ein Stück weit, dass diese sich wechselseitig immer schon ihr »Sein gestohlen« haben (Sartre 2014: 638; Honneth 2018: 69) Damit einher gehe stets das Risiko, dass das Sein als Freiheit nicht mehr zurückgewonnen wird, das Subjekt sich selbst und damit seine Transzendenz verliere, nur noch für andere und nur noch als das, was diese in ihm anzuerkennen bereit sind, existiere.

In der zuletzt genannten Situation lebt Simone de Beauvoir zufolge etwa die Frau in der männlich dominierten Gesellschaft: »sie soll zum Objekt erstarren und zur Immanenz verurteilt sein« (de Beauvoir 2021: 25 f.). Honneth selbst geht auf de Beauvoir in seiner Ideengeschichte nicht ein, sie bildet aber eine naheliegende Brücke zur dritten von ihm besprochenen Variante französischer Anerkennungskritik. Diese findet sich im (post-)strukturalistischen Denken, das Honneth insbesondere am Beispiel von Althusser und Lacan diskutiert. Wie schon de Beauvoir argumentieren auch diese Denker, dass bestimmte Strukturen (wie beispielsweise Geschlechterverhältnisse) systematische Machtungleichheiten in Beziehungen einschreiben. Allerdings radikalisiert und entgrenzt der Strukturalismus diesen Gedanken dahingehend, dass er nun auch keinerlei »autonome Freiheit« (Ebd.: 25) als potenziellen Gegenpol mehr annimmt. Vielmehr werde noch das ›freie‹ Subjekt selbst immer schon durch machtvolle anonyme Strukturen überhaupt erst als solches hervorgebracht. Die Problematik der Anerkennung verweist aus solcher Sicht vor allem auf die Anrufung durch und performative Unterwerfung unter jene vorgängige Herrschaftsordnung, die mir erlaube oder verweigere, mich als legitimes Subjekt zu konstituieren und am Diskurs teilzunehmen. Damit steht, so Honneth, Anerkennung hier für »kaum mehr als ein aktiver, an wiederholte Aufführung gebundener Modus der Zuschreibung von sozialen Eigenschaften, Charakteristika oder Merkmalen, die der Aufrechterhaltung der gegebenen Ordnung dienen« (Honneth 2018: 78).

Grundsätzlich halte ich sowohl Honneths Charakterisierung der französischen Tradition als einem Denken, das in der Anerkennung stets »eher ein Problem denn eine Chance« sieht (Ebd.), wie auch seine immer wieder angedeutete Kritik an dieser Einseitigkeit für treffend. Allerdings bietet das französische Denken auch noch andere, auf den ersten Blick zugegebenermaßen ideengeschichtlich für das Nachdenken über Anerkennung weniger einflussreich gewordene Perspektiven. Honneth selbst weist in einer Fußnote unter anderem darauf hin, dass sich eine kritische Auseinandersetzung mit Sartre bereits bei dessen Zeitgenossen Maurice Merleau-Ponty findet (Ebd.: 70). Diese Kritik möchte ich im Folgenden aufgreifen und zeigen, dass sie in der Tat dieselben Schwachstellen problematisiert, die auch Honneth identifiziert (Abschnitt 2). Eine auch gegenüber Honneth durchaus originelle Rolle kommt dabei dem Aspekt der Leiblichkeit zu (Abschnitt 3).4 Wie genau diese Rolle zu verstehen ist und welche Potenziale diese Perspektive, die nicht ohne Schwierigkeiten ist, bietet, versuche ich abschließend näher zu bestimmen (Abschnitt 4).

IIEine andere Sichtweise: Merleau-Ponty


Im Paris der Nachkriegszeit war Maurice Merleau-Ponty zunächst Freund und Weggefährte von Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir. Zusammen mit diesen gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Zeitschrift Les Temps Modernes. Doch bereits Anfang der 1950er Jahre bahnte sich, nicht zuletzt nach Uneinigkeiten innerhalb der Zeitschrift, der inhaltliche Bruch an. Unmittelbarer Anlass war ein Streit um das Verhältnis linker Intellektueller zur Sowjetunion und zur Kommunistischen Partei, von denen Merleau-Ponty sich zunehmend distanzierte (ausführlich Goyard-Fabre 1980). In seinem 1955 erschienenen Buch Die Abenteuer der Dialektik greift Merleau-Ponty in diesem Zusammenhang Sartre dann offen an. Dreißig Jahre nach dem Ende des Kalten Kriegs sind derartige Kontroversen uns auf den ersten Blick fremd geworden. Die tagespolitischen Streitpunkte – die Einschätzung dieses oder jenes Bündnisses, dieser oder jener Strategie – können denn auch getrost hier ausgeklammert werden. Doch verbirgt sich dahinter ein viel grundlegenderer philosophischer Disput, wie auch Myriam Revault dAllonnes festhält: »Wenn die Philosophie Sartres eine Philosophie des cogito […] bleibt, so kann jene Merleau-Pontys […] nicht anders, als den Dualismus von an-sich und für-sich abzulehnen« (Revault dAllonnes 2001: 74 f., eigene Übersetzung).

An Sartre kritisiert Merleau-Ponty im Kern genau jene Engführung, die auch Axel Honneth moniert. Die zentrale Passage lautet meines Erachtens: »bei Sartre gibt es eine Subjektsmannigfaltigkeit [sic], doch keine Intersubjektivität« – »der Andere« könne so dem »Ich […] nur als dessen reine Negation gegenwärtig sein« (Merleau-Ponty 2008: 247). Das ergebe sich, so Merleau-Ponty weiter, nicht zuletzt aus der problematischen Reduktion des Freiheitsbegriffs ...

Erscheint lt. Verlag 17.7.2024
Co-Autor Michel Dormal, Marcus Döller, Leon Heim, Tanja Kaufmann, Hannah Klein, Esther Neuhann, Regina Schidel, Tom Vörkel
Vorwort Alex Honneth
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Philosophie der Neuzeit
Schlagworte Ästhetik • Axel Honneth • Intersubjektivität • Körper • Kritische Theorie • Politischer Protest • Sozialphilosophie • Verletzbarkeit • Wertschätzung
ISBN-10 3-593-45091-7 / 3593450917
ISBN-13 978-3-593-45091-9 / 9783593450919
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