Brücken zwischen Psychotherapie und Spiritualität (eBook)

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2021 | 1. Auflage
396 Seiten
Schattauer (Verlag)
978-3-608-11694-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Brücken zwischen Psychotherapie und Spiritualität -  Harald Walach
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Spiritualität als Ressource für uns Menschen - Tabu-Mauer durchbrechen: Differenzierte, wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Historie, Konzepten und Praxis der Spiritualität - Für TherapeutInnen: Meditationen und spirituelle Übungen z.B. gegen Burnout - Für PatientInnen: Sinnfindung und Einordnung von Schicksalsschlägen ermöglichen Spiritualität ist die menschliche Erfahrung von Einheit und Verbundenheit und somit eine wichtige Stütze für die psychische Gesundheit. Harald Walach beschreibt psychische Probleme gar als die Unfähigkeit und Unmöglichkeit, diese ursprüngliche Verbundenheit im Leben zu erfahren und zu realisieren. Spätestens dann, wenn PatientInnen von sich aus darauf zu sprechen kommen, wird es Zeit, sich in der Psychotherapie darum zu kümmern. Wie mit den spirituellen Ressourcen gearbeitet werden kann und welches konzeptuelle Wissen hierfür nötig ist - all das erfahren Sie in diesem Buch. Positiv und offen gibt Walach Ihnen als PraktikerInnen den nötigen Hintergrund, um individuelle Wege zu finden, wie Sie Spiritualität in Ihr Leben und Ihre therapeutische Arbeit integrieren können. Lernen Sie z.B. Imaginationen, Helfergestalten und unterstützende Denkweisen kennen und erfahren Sie, wie Sie Ihre PatientInnen auf dem spirituellen Pfad begleiten können. Aber auch die umgekehrte Seite ist wichtig: Wie erkennen Sie, ob durch Spiritualität ein tieferliegender Konflikt verdeckt wird? Dieses Buch richtet sich an: PsychotherapeutInnen (ärztliche wie psychologische), Coaches, BeraterInnen, PatientInnen

Harald Walach, Professor an der Medizinischen Universität Poznan, Polen und Gastprofessor an der Universität Witten- Herdecke (Philosophische Grundlagen der Psychologie). Gründer und Leiter des 'Change Health Science Instituts'. Freier Berater, Wissenschaftler, Autor und Coach. Bis 2016 Professor für Forschungsmethodik an der Europa-Universität Viadrina. 30-jährige Laufbahn in der Evaluation komplementärmedizinischer Verfahren. Sein spezielles Interesse gilt der Frage, welche Rolle Bewusstsein im Bereich der Medizin, aber auch ansonsten in unserer Kultur spielt.

Harald Walach, Professor an der Medizinischen Universität Poznan, Polen und Gastprofessor an der Universität Witten- Herdecke (Philosophische Grundlagen der Psychologie). Gründer und Leiter des "Change Health Science Instituts". Freier Berater, Wissenschaftler, Autor und Coach. Bis 2016 Professor für Forschungsmethodik an der Europa-Universität Viadrina. 30-jährige Laufbahn in der Evaluation komplementärmedizinischer Verfahren. Sein spezielles Interesse gilt der Frage, welche Rolle Bewusstsein im Bereich der Medizin, aber auch ansonsten in unserer Kultur spielt.

Einleitung


»Spiritualität« ist ein schwammiger Begriff; jeder verwendet ihn anders. Ursprünglich stammt der Begriff aus der mystisch-aszetischen Mönchstradition und meint ein Leben, das durch den »Geist« – »spiritus« – geprägt ist. Damit ist ein Leben gemeint, das von innen her – durch das Wirken des Heiligen Geistes oder in anderen religiösen Traditionen durch vergleichbare Kräfte – gestaltet wird. Genauer gesagt sind wir dann spirituelle Menschen, wenn wir unser Leben durch solche Kräfte gestalten lassen. Das setzt natürlich voraus, dass es solche Kräfte überhaupt gibt. Während es zu Zeiten, als der Begriff »Spiritualität« geprägt wurde, völlig selbstverständlich war, ja selbstverständlicher als das Vorhandensein der materiellen Welt, dass es göttliche Kräfte gibt, ist es in unserer Zeit genau andersherum (Taylor 2007). Niemand zweifelt am Vorhandensein der äußeren, materiellen Realität und wenn dies jemand tut, kommt er oder sie rasch in die Psychiatrie. Aber viele zweifeln am Vorhandensein einer Wirklichkeit, die über das Sicht-, Fühl- und Messbare hinausgeht. Daher wird es ein Teil dieser Arbeit sein, gewissermaßen Begriffs- und Seelenarchäologie zu betreiben. Freud hat ja bekanntlich die psychotherapeutische Arbeit mit Archäologie verglichen: Man muss graben, stützen und sichern, vorsichtig, um die verborgenen Schichten des Unbewussten ans Tageslicht zu holen. Ich erweitere dieses Bild auf die Realität der Transzendenz, also einer Wirklichkeit im Inneren oder Jenseits des Sichtbaren, Greifbaren und Messbaren. Witte (2010) verwendet hierfür den schönen Begriff der »Ciszendenz«, weil diese Wirklichkeit »immer schon« von sich aus in unser Leben und unsere Wirklichkeit hineinreicht. Wir müssen graben, um diese verdeckten Schichten freizulegen: unser Innen, das Innen der Welt, die Realität, die mit dem Begriff »Spiritualität« gemeint ist.

Es wird also im Folgenden darum gehen, diese Frage je neu aufzuwerfen: Gibt es jenseits, »hinter«, »innerhalb« oder in der Tiefe der uns erscheinenden materiellen Wirklichkeit noch eine andere, »transzendente«, »cis-zendente«, die uns das Recht gibt, von Spiritualität in dem Sinne zu sprechen, dass damit das Wirken dieser Wirklichkeit gemeint ist? Ich bin selbstverständlich der Ansicht, dass diese Frage zu bejahen ist, sonst würde ich mir kaum die Mühe machen, dieses Buch überhaupt zu schreiben. Aber lässt sich diese Ansicht in unserer Zeit begründen? Muss man, wenn man sie teilt, einen Teil der wissenschaftlichen Ausbildung verraten? Ich glaube: Nein, muss man nicht und werde dafür auch Argumente und Belege liefern. Warum sind dann die akademische Psychologie im Besonderen und die Naturwissenschaft im Allgemeinen diesem Themenbereich abhold? Warum liegt gleichsam ein Tabu auf ihm? Auch dazu werde ich Klärungshilfen anbieten. Die kurze Antwort auf diese Frage, die ich schon einmal vorwegnehmen kann, lautet: Es gibt kein einziges gedankliches System in der Welt und kann es aus prinzipiellen Gründen nicht geben, das die Begründung für seine Fundamente und Voraussetzungen aus sich selbst hat. Immer muss es auf Annahmen oder Voraussetzungen zurückgreifen, die außerhalb seiner selbst liegen und nicht mehr mit den Mitteln des Systems belegt oder bewiesen werden können.

Das bedeutet: Die Naturwissenschaft muss unterschieden werden in das Projekt der Erforschung der Natur mit Methoden, die über die Jahrhunderte gewachsen sind, und in eine Weltanschauung, die viele daraus ableiten. Die Erkenntnisse der Wissenschaft sind, im Rahmen der menschlichen Begrenztheit, meistens zuverlässig – lose Dachziegel fallen eben vom Dach nach unten und nicht in den Himmel, Züge fahren auf ihren Schienen und nicht daneben und mit einem Anästhetikum kann man relativ zuverlässig das Bewusstsein ausschalten, wenn man weiß, wie. Aus dieser Tatsache leiten viele Zeitgenossen ab, dass das, was die Naturwissenschaft untersucht und herausgefunden hat, das Einzige ist, was für uns und unser Leben Belang hat. Diese Haltung hat mit Wissenschaft selbst nichts mehr zu tun, sondern ist eine Weltanschauung, die unterschiedlich benannt wird. Manche sagen dazu »naturwissenschaftliche Weltanschauung«, korrekterweise ist dies eher als »Szientismus« zu bezeichnen, also als die Anschauung, dass die Wissenschaft, die Naturwissenschaft zumal, ausreichend ist, um alle Probleme der Welt und von uns Menschen zu lösen. Häufig nennen sich die Vertreter solcher Haltungen auch »Naturalisten«. Dahinter steckt die Idee, dass die materielle Natur in ihrer derzeit verstandenen Form und Entwicklung, also inklusive der Evolution, die sie hervorgebracht hat, und der Naturwissenschaft, die sie beforscht, ausreichend ist, um die Welt zu erklären und unser Leben zu informieren. Der Philosoph Bas van Fraassen nennt Menschen, die so innerhalb des Horizonts der gegenwärtigen Naturwissenschaft verwurzelt sind, dass sie sich gar nichts anderes mehr vorstellen können, »naturalistic natives« (van Fraassen 2016). Indigene Völker, beispielsweise im Amazonasgebiet, haben ihre Weltanschauung, in der Götter und Dämonen vorkommen und die Seelen in einen jenseitigen Bereich wandern und von dort wiederkommen (s. z. B. Garve 2012). Dies lehrt ihr Schöpfungsmythos und anders kann es in ihren Augen gar nicht sein. So ähnlich sind die meisten Menschen, vor allem in der jüngeren Generation, im Rahmen unseres naturwissenschaftlichen Weltbildes aufgewachsen, dass sie selten darüber reflektieren, welche Begrenzungen eine solche Sicht hat. Daher könnte man »naturalistic natives« als »Eingeborene der naturalistischen Weltanschauung« übersetzen. Oft nennen sich solche Menschen auch »new atheists – neue Atheisten« und meinen damit, dass sie anders als die alten Atheisten bessere Argumente haben, warum ihre Haltung nicht nur möglich, sondern richtig sei. Fast immer ist diese Haltung auch gekoppelt mit dem Glauben, dass die äußere materielle Wirklichkeit die Einzige sei, die es gibt und die relevant ist.

Um den Begriff der »Spiritualität« zu erklären und um zu verstehen, warum er heute erklärungsbedürftig ist, müssen wir auch die Voraussetzungen dieser naturwissenschaftlichen Weltanschauung etwas analysieren. Dazu jedoch später. Fürs Erste so viel: Wissenschaft als Methode (in meiner Terminologie »Wissenschaft 1«) ist von naturwissenschaftlicher Weltanschauung (»Wissenschaft 2«) zu unterscheiden. Diese naturwissenschaftliche Weltanschauung ist selbst keine Wissenschaft, sondern eine moderne Religion. Auch das werde ich noch etwas begründen. Diese meine Meinung hängt eben damit zusammen, dass sich selbst Naturwissenschaft auf Voraussetzungen verlassen und sie »gläubig« annehmen muss, wenn sie funktionieren will. Und dieses gläubige Akzeptieren der Voraussetzungen ist der Struktur nach nicht sehr verschieden vom Glauben eines religiösen Menschen. Genauer und argumentativ stringent habe ich das in meinem Galileo-Report ausgeführt (Walach 2019a) und werde hier auf diese Gedanken zurückgreifen.

Mein Kollege Steve Taylor hat diesen Sachverhalt in einem unschlagbar guten Bonmot in einem Gespräch mir gegenüber einmal zusammengefasst: »A Catholic knows he is a Catholic. A Muslim knows he is a Muslim. A Jew knows he is a Jew, and a Hindu knows he is a Hindu. Only a materialist doesn’t know he is a materialist. He thinks he is a scientist.«

Wir werden also in den ersten theoretischen Kapiteln diese Fragen klären müssen, um intellektuell aufrichtig und der menschlichen Erfahrung gemäß über Spiritualität im Allgemeinen und dann vor allem im Kontext der Psychotherapie sprechen zu können. Meine Haltung hierzu ist, dass es keinen systematischen, sondern nur einen historisch-kontingenten Grund dafür gibt, warum dieser Themenbereich aus dem Wissenschaftskontext bis heute ausgegliedert blieb. Ich glaube, es wäre gut, wenn sich das ändern würde, und zwar deswegen, weil dann das menschliche Erfahrungsspektrum breiter abgebildet wird und wir damit möglicherweise auch eine Ressource neu entdecken, die uns helfen kann, etwa bei der Lösung psychischer Probleme, aber auch im...

Erscheint lt. Verlag 21.8.2021
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften
Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Psychiatrie / Psychotherapie
Schlagworte achtsame Therapeuten • Achtsamkeit • Buddhismus • Buddhismus und Psychotherapie • Heilmeditationen • Imaginationsübungen • Meditation • Religion • Religion und Psychotherapie • Spiritualität • Spiritualität in der Psychotherapie • Spirituelle Erfahrungen • spirituelle Ressourcen • Tonglen • Zen
ISBN-10 3-608-11694-X / 360811694X
ISBN-13 978-3-608-11694-6 / 9783608116946
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