Spirituelle Reisen, Bilder und Archetypen (eBook)

Von Reisen, Gelehrten und kreativer Kraft der Archetypen
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2021 | 1. Auflage
64 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7534-0093-8 (ISBN)

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Spirituelle Reisen, Bilder und Archetypen -  Sangharakshita
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Das Buch enthält 2 Vorträge des Autors, die er 1984 anlässlich eines 3-monatigen Ordinationsretreats vor Mitgliedern der Triratna-Gemeinschaft (damals: FWBO) zur Aufnahme in den buddhistischen Orden Triratna (damals WBO) hielt. Das Retreat fand im ehemaligen christlichen Kloster Il Convento di Santa Croce in der Toskana statt. In beiden Vorträgen verdeutlicht Sangharakshita zum einen, dass Sinnbilder und Symbole, auch persönlich erlebte, eine große Bedeutung für das spirituelle Leben haben können, weil sie etwas Archetypisches verkörpern. Er zieht dazu nicht nur buddhistische Sinnbilder heran, sondern auch christliche Darstellungen wie die des heiligen Hieronymus, die er analysiert, deutet und mit Bildern aus buddhistisch geprägten Kulturen vergleicht. Zum anderen zeigt er, dass das Vorstellungsvermögen oder die Vorstellungskraft ein wichtiges spirituelles Vermögen ist, die Fähigkeit des Einzelnen, in Bildern mehr zu sehen als das, was diese auf den ersten Blick zeigen. Die Vorträge wurden vor Personen gehalten, die sich vorgenommen hatten, den Schwerpunkt ihres Lebens künftig in die spirituelle buddhistische Gemeinschaft Triratna zu verlegen. Über diesen Hörerkreis hinaus dürften die Vorträge allerdings auch für all jene interessant sein, die die kreative Kraft von Sinnbildern entdecken möchten. Sinnbilder, Symbole und Mythen verkörpern Archetypen wie den Archetyp "Reise", den Archetyp "Alchemist" oder den "Übersetzer". Dabei können verschiedene Bilder kulturspezifische Verkörperungen ein und desselben Archetyps sein. Die Reise nach Osten ins Heilige Land des Mittelalters und die Reise nach Il Convento in moderner Zeit sind zwar unterschiedliche Sinnbilder, doch sind beides spirituelle Reisen, Pilgerfahrten. Wer zur Ordination in die Toskana fährt, verlässt potenziell die Welt sinnlichen Begehrens und wenn man die Welt der Sinnbilder durchquert hat, kann man an der Schwelle zum Transzendenten ankommen. Sangharakshita zeigt, dass die Welt des Nicht-Rationalen nicht im Gegensatz zum Rationalen stehen muss, sondern eine Welt eröffnen kann, die das menschliche Leben bereichert und einen auf dem spirituellen Weg voran bringt. Man kann sich über das Alltägliche hinaus in neue Dimensionen des Bewusstseins und letztendlich in die Realität selbst erheben.

Urgyen Sangharakshita - bürgerlich Dennis Lingwood - wurde 1925 in London geboren und verstarb 2018 in Adhistana in Herefordshire, Großbritannien (siehe www.adhistana.org). Als junger Mann lebte er in Indien, wo er über zwanzig Jahre den Buddhismus unter Lehrern verschiedener Traditionen (Theravada, Mahayana und Vajrayana) übte und studierte. 1967 kehrte er nach England zurück und gründete die Freunde des Westlichen Buddhistischen Ordens (FWBO). Inzwischen entstand daraus eine internationale Bewegung mit Zentren in der ganzen Welt. 2010 wurde die Gemeinschaft umbenannt und heißt heute Buddhistische Gemeinschaft Triratna. Heute zählt Sangharakshita zu den wichtigsten Lehrern des Buddhismus im Westen und ist als Autor zahlreicher Bücher bekannt. Er versteht sich vor allem als "Übersetzer" - zwischen Ost und West, zwischen Tradition und Moderne, zwischen Prinzipien und Methoden. Seine Bücher wurden bisher in 30 Sprachen übersetzt.

DIE REISE NACH IL CONVENTO

Wir alle sind hierher nach Il Convento1 gereist. Die meisten von euch haben diese Reise zum ersten Mal gemacht, einige zum dritten oder sogar vierten Mal. Die meisten, die diese Reise erstmals unternommen haben, hoffen während der drei Monate, die wir zusammen hier sein wollen, ordiniert2 zu werden. Meine Bemerkungen richten sich vor allem an sie, obwohl das, was ich zu sagen habe, auch für jene gilt, die nicht nach Il Convento gereist sind, um ordiniert zu werden – da sie schon ordiniert sind –, sondern um anderen zu helfen, sich auf ihre Ordination vorzubereiten.

Wenn ich mich also nun an jene unter euch wende, die in der Hoffnung, ordiniert zu werden, erstmals die Reise nach Il Convento zurückgelegt haben, frage ich mich, inwieweit euch die Bedeutung und der wahre Charakter dieser Reise für eure Ordination hier bewusst ist. Zunächst einmal: Als ihr die Einladung zu diesem Vorbereitungskurs erhalten habt, mag es euch so vorgekommen sein, als sei die Reise nach Il Convento vor allem ein Mittel zum Zweck – und der Zweck ist natürlich, hoffentlich ordiniert zu werden. Vielleicht dachtet ihr, die Anreise wäre eher bedeutungslos. Sie war vielleicht etwas, was man so schnell und so billig wie möglich hinter sich bringen muss, um mit möglichst geringem Aufwand von London, Glasgow oder sonst woher nach Il Convento zu kommen. Andererseits mochte es euch auch so vorgekommen sein, als böte die Reise nach Il Convento die Gelegenheit, etwas zu genießen, was ihr vielleicht schon lange nicht mehr genießen konntet, zumal wenn ihr in einer FWBO-Kooperative3 gearbeitet habt: Urlaub, vielleicht zusammen mit dem einen oder anderen spirituellen Freund, oder auch, weniger achtsam, in anderer Gesellschaft. Doch selbst wenn es euch nur darum ging anzureisen oder unterwegs noch einen Kurzurlaub einzulegen, wird euch früher oder später klar geworden sein, dass die Reise nach Il Convento mehr als ein bloßes Mittel zum Zweck ist, mehr als ein erfreuliches Zwischenspiel, sondern dass sie an sich bedeutsam ist, und zwar auf eine nicht leicht zu fassende Weise. In der Tat mag es einigen von euch so vorgekommen sein, dass der Ausdruck „Reise nach Il Convento“ geheimnisvolle, ja sogar archetypische Obertöne angenommen hat, je häufiger ihr die magischen Worte Il Convento, Batignano und Grosseto gehört habt und je leichter sie euch wie Mantras über die Lippe gehen.

Das ist eigentlich nicht überraschend. Bei mehr als einer Gelegenheit habe ich schon darüber gesprochen, dass wir in unserem Leben etwas ausagieren, was ich den „persönlichen Mythos“ nenne. Die verschiedenen Reisen, die wir machen, bilden oft einen wichtigen Teil dieses Mythos. Tatsächlich ist die Reise sozusagen ein eigenständiger Mythos oder genauer ein Archetyp, der in vielen Mythen und Symbolen, in vielen Sagen und Geschichten zum Ausdruck kommt, ohne von ihnen je ganz ausgeschöpft zu werden oder mit einer anderen oder gar allen identisch zu sein. Da gibt es die Argonautenfahrt des Iason mit der Suche nach dem Goldenen Vlies und die zehn Jahre dauernde Irrfahrt des Odysseus von den „widerhallenden Ebenen des windigen Troja“ zurück in seine Heimat auf dem felsigen Ithaka; wir haben den noch längeren Auszug des erwählten Volkes aus Ägypten ins Gelobte Land; die Reise des Affenkönigs nach Westen, das heißt nach Indien, von wo aus er und seine Gefährten mit den falschen Schriften nach China zurückkehrten;4 die Nachtfahrt des Propheten Mohammed von Mekka nach Jerusalem und von Jerusalem in die Himmel; Dantes Weg durch Hölle, Fegefeuer und Paradies; die Reise von Christian aus der „Stadt der Zerstörung“ in die himmlische Stadt Jerusalem5; Bashos Reise aus dem hohen Norden6 … und viele weitere Reisen über Land und auf See, durch die Luft, durch Welten und sogar Universen. Allen diesen Reisen kommt, manchen deutlicher als anderen, eine Bedeutung zu, die sich nicht in ihrem wörtlichen, oberflächlichen Sinn erschöpft. Von einer so wichtigen Reise wie der nach Il Convento, das heißt der Reise zum Ort der Ordination mit allem, was eine Ordination mit sich bringt, kann man erwarten, dass sie von ganz besonderer Bedeutung erfüllt ist, auch dann, wenn sich diese Bedeutung nicht unmittelbar erschließt.

Zunächst einmal ist die Reise nach Il Convento eine Reise von Westen nach Osten. Die meisten von euch haben die Reise in England angetreten. Auch diejenigen, die jetzt nicht von dort aus angereist sind, haben einige Zeit in England gelebt, bevor sie sich auf den Weg nach Il Convento gemacht haben. Der Osten ist natürlich Ursprung des Lichts, denn dort geht die Sonne auf. Seit undenklichen Zeiten war eine Reise nach Osten eine Reise zum Licht oder eine spirituelle Reise. Im mittelalterlichen Iran gab es sogar eine Schule mystischer Philosophen, die man Illuminationisten oder Orientalisten (ishrāqīya) nannte. Damit waren jene gemeint, die sich zum „Orient“, zur Welt übersinnlicher Wirklichkeiten hinwandten, sich dorthin „orientierten“ und dahin reisten und die vom Eintritt in jene Welt als Ankunft bei einer „orientalischen“ Erkenntnis (´ilm ishrāqi) sprachen. In jüngerer Zeit schrieb Hermann Hesse eine Erzählung über eine geheimnisvolle „Morgenlandfahrt“, die nicht nur von einer, sondern von mehreren Personen unternommen wird.

Die Reise nach Il Convento ist also zunächst einmal insofern bedeutsam, dass es eine Reise gen Osten ist und zugleich eine spirituelle Reise, eine Pilgerfahrt. Natürlich könnte man einwenden, Il Convento sei nicht gerade weit östlich von England gelegen und eine echte Reise ins Morgenland würde einen nicht nur nach Italien, sondern nach Indien, nicht nach Batignano, sondern nach Bhaja führen. In gewissem Sinn stimmt das auch, und vielleicht spricht einiges dafür, diese Vorbereitungskurse weiter entfernt von England abzuhalten als bisher. Dann wäre es nicht bloß eine Reise nach Il Convento oder auch nach Bhaja, sondern eine Reise nach Sārnāth oder nach Bodhgayā. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass die Reise ins Morgenland eigentlich nicht an irgendeinem bestimmten Punkt endet, ob man diesen nun wörtlich oder metaphysisch versteht. Alles, was wir für unsere Reise, sei sie kurz oder lang, wesentlich ist, ist die Richtung, dass sie gen Osten geht, und zwar im wahren Sinn des Begriffs einer Reise ins Morgenland. Ob die Reise nach Il Convento oder nach Bodhgayā führt oder sogar nach Padmaloka,7 ist völlig zweitrangig.

Mag die Reise nach Il Convento auch eine Reise von West nach Ost sein, so ist sie doch auch eine Reise von Nord nach Süd. Sie ist eine Reise aus dem protestantischen Norden in den katholischen Süden, in gewissem Grad sogar in den heidnischen Süden. Sie ist eine Reise aus der Kälte in die Wärme, aus der Dunkelheit an die Sonne, von heller Haut und blondem Haar zu dunkler Haut und schwarzem Haar, von Nadelwäldern zu Olivenhainen, von Gerstenfeldern zu Weingärten, von grimmigen Gestalten wie Thor und Wotan zu gefälligeren wie Ceres und Bacchus (Dionysos). Sie ist eine Reise von Himmeln und Meeren, die fast immer grau sind, zu solchen, die selten anders sind als blau. In einem anderen Sinn ist es eine Reise von der Oberfläche der Dinge in ihre Tiefen, vom bewussten zum unbewussten Geist, von Gehirnzellen zum Blutstrom (wie der Schriftsteller D. H. Lawrence vielleicht sagen würde), vom Modernen zum Archaischen, aus der Gegenwart in die Vergangenheit, vom Rationalem ins Irrationale. Um vorangehen zu können, müssen wir zurückgehen, oder eher: Wir müssen zugleich vorwärts und rückwärts gehen. Um uns ostwärts zu bewegen, müssen wir uns gen Süden begeben. Um zu Licht und Leben zu reisen, müssen wir Finsternis und Tod durchqueren.

Abgesehen davon, dass die Reise nach Il Convento von West nach Ost und von Nord nach Süd führt, verläuft sie auch nicht geradlinig, sondern eher in Kurven oder im Zickzack. Die meisten von euch sind nicht auf direktem Weg hierhergekommen. Ihr habt alle möglichen Abstecher gemacht, sodass eure Reiserouten, würde man sie in eine Europakarte eintragen, nicht einen einzigen Pfad, sondern ein kompliziertes Geflecht von Linien bilden würden, die schließlich alle bei Il Convento enden. Sehen wir einmal von denjenigen ab, die auf dem schnellsten und kürzesten Weg hierhergekommen sind – und vielleicht auch von jenen, die sich auf dem Weg noch einen Urlaub gegönnt haben. Der Grund für eure Abstecher ist wohl der, dass ihr die Reise nach Il Convento genutzt habt, um einige Sehenswürdigkeiten zu besuchen und dass ihr deshalb, wenn auch vielleicht mit Überschneidungen, an verschiedenen Orten gewesen seid. Warum aber habt ihr euch entschieden, etwas von Rom und Neapel zu sehen (ich gebe hier ganz hypothetische Beispiele, denn ich weiß nicht genau, wo jeder von euch gewesen ist), statt etwas von Venedig und Ravenna? Was genau war es, was euch zur rot gerippten, scheinbar über einem Meer roter Dächer schwimmenden Kuppel von Santa Maria del Fiore in Florenz hinzog? Warum wart ihr so sehr darauf...

Erscheint lt. Verlag 21.6.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Buddhismus
Schlagworte Archetypen • Buddhismus • Vorstellungskraft
ISBN-10 3-7534-0093-9 / 3753400939
ISBN-13 978-3-7534-0093-8 / 9783753400938
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