Habermas global (eBook)

Wirkungsgeschichte eines Werks
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2019 | 1., Originalausgabe
894 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-76178-6 (ISBN)

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Habermas global -
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Jürgen Habermas' Schriften haben weltweite Aufmerksamkeit gefunden, und zwar nicht nur innerhalb akademischer Kreise, sondern auch bei einer politisch interessierten Leserschaft. Die internationale Wirkungsgeschichte des herausragenden Philosophen und öffentlichen Intellektuellen wird hier von über 40 Autorinnen und Autoren aus mehr als 20 Sprach- und Wissenschaftskulturen beleuchtet. Somit gewährt dieser Band erstmals einen umfassenden Einblick in den globalen Wirkungszusammenhang und wirft zudem ein neues Licht auf das mit dem Begriff der kommunikativen Vernunft verbundene Lebenswerk.



<p>Luca Corchia ist Fellow am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Pisa.</p> <p>Stefan M&uuml;ller-Doohm ist emeritierter Professor f&uuml;r Soziologie an der Carl von Ossietzky Universit&auml;t Oldenburg.</p> William Outhwaite ist emeritierter Professor für Soziologie an der Universität Newcastle.

9Luca Corchia, Stefan Müller-Doohm und William Outhwaite

Vorwort


Jürgen Habermas gilt als Weltautor, der mit seinen in zahlreiche Sprachen übersetzten Schriften und seinen tagespolitischen Interventionen zum Mitinitiator einer grenzüberschreitenden Öffentlichkeit geworden ist. Sein in über 60 Buchveröffentlichungen umgesetzter Anspruch, die Grundlagen für eine kritische Gesellschaftstheorie zu entwickeln, die ihre eigenen Maßstäbe auszuweisen vermag, hat insbesondere im Umfeld der Geistes- und Sozialwissenschaften, aber auch über diese hinaus eine breite Diskussion ausgelöst. In diesen – oft hoch kontroversen – Debatten innerhalb der scientific community reflektiert sich die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte seiner Schriften, die die Idee kommunikativer Vernunft ausbuchstabieren. So berufen sich weltweit Philosophen und Theologen, Juristen und Politikwissenschaftler, Soziologen und Psychologen sowie eine Vielzahl weiterer Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlichster Einzelwissenschaften – oft in kritischer Abgrenzung – auf die Konzeptualisierung eines nachmetaphysisch begriffenen und im gesellschaftlichen Leben verankerten Vernunftbegriffs. Und es ist keine Überraschung, dass Jürgen Habermas zu den in den Geistes- und Sozialwissenschaften am häufigsten zitierten Autoren gehört. Soweit sie sich überhaupt vollständig erfassen lässt, besteht allein die weltweit erschienene Sekundärliteratur zu seinem Werk aus über 8000 Titeln. Die in diesem Band versammelten Beiträge von 40 Autorinnen und Autoren, die die Rezeptionskontexte aus mehr als 20 Ländern beleuchten, belegen diese eindrucksvolle globale Wirkungsgeschichte ebenso wie der abgedruckte Auszug aus René Görtzens mondialer Bibliographie, deren vollständige Fassung mehrere hundert Seiten umfasst.

Habermas' linksliberale, republikanisch inspirierte politische Philosophie, seine Kritik an neoliberalen Tendenzen, seine europakritischen Analysen und europapolitischen Vorschläge bis in die jüngste Zeit sind fester Bestandteil der Debatten innerhalb der bundesdeutschen Medienöffentlichkeit. Nicht zuletzt seine Verteidigung einer öffentlich bekundeten Kultur der Erinnerung an die deutsche Schuld 10war für die moralische Erneuerung und damit für die westdeutsche Nachkriegsgeneration im Ganzen mentalitätsprägend und ist es bis heute. Innerhalb des ostdeutschen Rezeptionszusammenhangs wurde Habermas von offizieller Seite als Reformist denunziert, obgleich sein Ansatz vor allem wegen seiner Kritik am westlichen Spätkapitalismus auch Gegenstand fachlicher Kontroversen war. Im informellen Rahmen wurde er nichtsdestotrotz intensiv diskutiert, und zwar schon bevor seine Schriften Ende der 1980er Jahre auch in demokratietheoretischer Hinsicht wirkten.

In der angelsächsischen Welt, insbesondere in den USA, hat gerade die von Thomas McCarthy besorgte englische Übersetzung des Hauptwerks Theorie des kommunikativen Handelns [Theory of Communicative Action] im Jahr 1984 eine regelrechte Rezeptionswelle ausgelöst, die sich aktuell vor allem auf Habermas' Demokratie- und Rechtstheorie erstreckt. Die führenden Vertreterinnen und Vertreter der nordamerikanischen Geistes- und Sozialwissenschaften wie etwa Charles Taylor, John Rawls, Hilary Putnam, Richard J. Bernstein, Richard Rorty, Ronald Dworkin, Thomas Nagel, John R. Searle, Robert B. Brandom, Charles Larmore, Seyla Benhabib, Eduardo Mendieta und Amy Allen haben immer wieder den Dialog mit Habermas gesucht.

Habermas' philosophische und politische Schriften werden in ganz Europa an den Universitäten und im zeitpolitischen Diskurs rezipiert. Bedeutende Intellektuelle haben sich – zum Teil äußerst kritisch – mit seinem Ansatz auseinandergesetzt, darunter Michel Foucault, Jacques Derrida, Pierre Bourdieu, Umberto Eco, Gianni Vattimo und Anthony Giddens. Berühmt geworden ist sein Dialog über Fragen der Religion und des Glaubens mit Kardinal Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI., und auch so mancher Politiker lässt sich von Habermas' Vorschlägen öffentlich inspirieren.

Die Anerkennung, die Habermas in Japan genießt, hat die Auszeichnung mit dem renommierten Kyoto-Preis der Weltöffentlichkeit deutlich vor Augen geführt. In Spanien und Lateinamerika stoßen seine Zeitdiagnosen sowie seine theoretischen Deutungen von Rechtsstaat und Demokratie auf große Beachtung. Auch in Südkorea, in Indien und in China haben seine Öffentlichkeits- und Demokratietheorie, sein Beharren auf der Nichthintergehbarkeit von Menschenrechten und seine Thesen zum Völkerrecht Aufsehen erregt, nicht selten zum Unmut der politischen Eliten.

11Der vorliegende Band stellt zwei Aspekte in den Vordergrund, die in der Masse an biographischen Zugängen, Einführungen und Werkexegesen bislang bestenfalls am Rande Berücksichtigung gefunden haben. Zum einen beleuchtet er die wechselvollen, mitunter stürmischen Rezeptionsprozesse innerhalb unterschiedlicher Sprachkulturen, die die Publikationen von Jürgen Habermas dort in ihrer ganzen Breite ausgelöst haben. Zum anderen widmet er sich dezidiert den Kontroversen, den Kritiken und Gegenkritiken, die Habermas' wissenschaftliche und politische Veröffentlichungen über die Jahrzehnte ausgelöst haben. In diesem Sinne versteht sich dieses Buch als ein Beitrag – oder besser: Anstoß – zu einer Rezeptionsforschung über die Grenzen der Länder und Kontinente hinweg.

Wir haben uns als Herausgeber dazu entschieden, den Autorinnen und Autoren mehr oder weniger freie Hand bei der methodischen Anlage ihrer Rezeptionsanalyse zu lassen. Dennoch gibt es eine Gemeinsamkeit, die darin besteht, dass der Akzent auf längerfristigen Rezeptionsprozessen liegt, die sich dialogisch, das heißt als wechselseitige Bezugnahme vollzogen haben. Eine solche Perspektive, die bestimmbare Transformationsprozesse im Akt aktiver semantischer Aneignung in den Blick nimmt, hebt sich von den kausalanalytischen Modellen ab, bei denen passive Wirkungs- und Einflusseffekte im Vordergrund stehen.

Vor allem aus Platzgründen musste eine Reihe von Themen unberücksichtigt bleiben und konnte nicht für jedes Land die Rezeption von Habermas' Denkwegen dargestellt werden. Eindeutig im Vordergrund steht in den Beiträgen dieses Bandes Habermas' Hauptwerk Theorie des kommunikativen Handelns, was nicht heißt, dass die anderen Schwerpunkte seines Denkens – von der Erkenntnistheorie bis hin zur Diskurstheorie des Rechts – keine Rolle spielen. In geographischer Hinsicht bleibt die Darstellung der Rezeption von Habermas' Sozialtheorie in Osteuropa sowie in den Ländern des Mittleren Ostens ebenso ein Desiderat, wie der afrikanische Kontinent in dieser Hinsicht als terra incognita gelten muss.

12Dank

Der Dank der Herausgeber geht zuerst an alle Autorinnen und Autoren dieses Bandes, die mit Engagement und Kompetenz zu dessen Zustandekommen beigetragen haben. Wir danken auch René Görtzen, dass er uns seine umfangreiche internationale Bibliographie, die er nach jahrelangen Recherchen zusammengestellt hat, in generöser Weise zur Verfügung gestellt und einen Teilabdruck gestattet hat. Die Übersetzung von zahlreichen Beiträgen aus dem Englischen ins Deutsche lag in den Händen von Daniel Steuer, einem hervorragenden Kenner der Materie. Ein ganz großer Dank geht an Roman Yos, der den Band redaktionell betreut hat, und dies mit großer Sorgfalt und Akribie, sowie an Gesa Steinbrink, die das Gesamtmanuskript geduldig und kompetent lektoriert hat. Auch bei Eva Gilmer, die uns als kompetente Ansprechpartnerin im Verlag mit ihren zielgenauen Hinweisen und Ratschlägen bei der Umsetzung dieses Projekts unterstützt hat, möchten wir uns an dieser Stelle bedanken. Für ihre Unterstützung beim Kollationieren danken wir Yentl Henken und Ansgar Baumgart. Ohne die finanzielle Förderung durch das Institut für Philosophie der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg hätte sich das Projekt nicht realisieren lassen.

Zum Schluss möchten wir Jürgen Habermas danken – für die von ihm stimulierten Lernprozesse.

Pisa/Oldenburg/Oxford im Frühjahr 2019

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Erscheint lt. Verlag 27.10.2019
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Philosophie der Neuzeit
Schlagworte Geistesgeschichte • Ideengeschichte • Philosophie • Philosophiegeschichte • STW 2279 • STW2279 • suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2279
ISBN-10 3-518-76178-1 / 3518761781
ISBN-13 978-3-518-76178-6 / 9783518761786
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