Albertus Magnus

(Autor)

Buch
248 Seiten
2015
Aschendorff (Verlag)
978-3-402-15675-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Albertus Magnus - Hannes Möhle
16,90 inkl. MwSt
Albertus Magnus (ca. 1200–1280) wird zu Recht von der Nachwelt als doctor universalis, als Universalgelehrter, bezeichnet, weil er als Theologe und Philosoph im weitesten Sinne wie kaum ein anderer seiner Zeitgenossen alle im 13. Jh. diskutierten Wissensgebiete zum Gegenstand seiner Forschungen macht. Das Ergebnis dieser lebenslangen Studien ist ein nur schwer zu überschauendes Gesamtwerk von über 70 Schriften. Alberts Interesse gilt aber nicht den Wissenschaften und ihrer Vermittlung allein, sondern es erstreckt sich auch auf sein Wirken im Dominikanerorden und der Kirche. Nachhaltig wirksam ist zudem sein politisches Eingreifen insbesondere in der Stadt Köln, in der er trotz der vielen Reisen, die ihn bis ins hohe Alter in Anspruch nehmen, die meiste Zeit seines Lebens verbringt. Für das Verständnis des mittelalterlichen Denkens ist Albert ebenso unverzichtbar wie er für die geistesgeschichtliche Entwicklung, deren Erben wir sind, prägend ist.

1 Lebenswelt und Biographie1 Albert der Große, wie er seit der Mitte des 14. Jhs. genannt wird,2 oder Albert von Köln, wie ihn nicht nur Dante,3 sondern auch bereits seine Zeitgenossen nennen4 – und wie er sich selbst entsprechend seinem später verfassten Testament wohl verstanden haben mag –,5 wirkt in einer Lebenswelt, die für die Verhältnisse des Mittelalters außergewöhnlich groß, ereignis- und spannungsreich ist. Geographisch bewegt sich Albert in einem Raum, der vermutlich vom nordöstlichen Riga über Prag und Budapest bis Süditalien reicht und sich im Westen über Paris, Brügge und Utrecht erstreckt. In ökonomischer Hinsicht ist seine Lebenszeit einerseits von einem umfassenden wirtschaftlichen Aufschwung geprägt, der sich in allen Bereichen niederschlägt und auch kirchliche Ämter mit zum Teil erheblichen Einkünften versieht. Dies erzeugt andererseits aber auch verstärkt spirituelle Abkehrreaktionen, die zu umfassenden Buß- und Demutsbewegungen führen und als Hintergrund für die zunehmende Welle alternativer Lebens- und Glaubensformen zu begreifen sind, die von kirchlicher Seite als häretische Bedrohung verstanden werden. Nicht zuletzt die 1 Für die umfangreiche Unterstützung, die ich während der Fertigstellung des Buches erhalten haben, danke ich ganz herzlich Marc-Aeilko Aris, Maria Burger, Silvia Donati, Mechthild Dreyer, Monika Geyer, Manfred Groten, Jan Hilgers, Wolfgang Horak, Sven Lichtmann, Isabelle Mandrella, Ruth Meyer und Gert Schönfeld. 2 Der Namenszusatz „Magnus“ ist erstmals 1343 sicher belegt. Zu Lebenszeiten ist allerdings bereits die Bezeichnung als philosophus bzw. praedicator magnus bezeugt. Vgl. Grabmann, Der Einfluss Alberts, 336–337; Layer, Namen und Ehrennamen Alberts des Großen. 3 Dante, Divina Commedia, Paradiso X, 97–99, 796. 4 Die Bezeichnung Albertus Coloniensis verwendet Siger von Brabant in seinen Schriften zwischen 1271 und 1273. Vgl. Siger de Brabant, Impossibilia III, 82,5. 5 In Alberts Testament aus dem Jahr 1278 heißt es u.a.: „Weil nun die Brüder aus dem Kölner Haus, bei denen ich die meiste Zeit meines Lebens geblieben bin und gelehrt habe, sich um mich durch viele Wohltaten und Dienste verschiedener Art verdient gemacht haben, so dass ich gerechterweise ihre Zuneigung und ihre Pflichttreue gleichermaßen mit besonderem Dank und besonderer Gunst erwidern muss, wähle ich deshalb bei ihnen mein Begräbnis.“ Anzulewicz, Testatment, 172. Vgl. unten Kap. 10.1. 10 Infragestellung christlicher Ideale durch den zunehmenden Wohlstand des Klerus trägt so zu einer um sich greifenden Armutsbewegung bei. Politisch und institutionell ist die Welt Alberts durch die Entstehung der Städte und das Aufblühen der damit verbundenen Lebensformen, durch die Gründung der Bettelorden mit deren die Armut betonenden Selbstverständnis sowie durch die sich neu etablierenden Universitäten und die Professionalisierung anderer Bildungsstätten bestimmt. Geistesgeschichtlich markant ist für diese Lebenswelt in besonderer Weise das Aufeinandertreffen des Christentums mit einer sich neu formierenden Wissenskultur. Anders als der byzantinische Osten, der auf eine gewisse Kontinuität mit der Antike zurückblicken kann, erlebt der lateinische Westen eine sich schrittweise vollziehende Wiederentdeckung von antiken Kulturgütern, die über Jahrhunderte nur bruchstückhaft bekannt waren. Viele von den Texten, die man entweder jetzt erst in lateinischer Übersetzung kennenlernt oder deren Rezeption zumindest jetzt erst beginnt, lassen sich nicht ohne Weiteres dem bisherigen Wissen zuschlagen und den tradierten Überzeugungen einverleiben. Will man das Neue nicht einfach ignorieren, ist eine tiefgreifende Auseinandersetzung notwendig, die auch eine Neujustierung bisher nicht-hinterfragter Überzeugungen einschließt. Die aus dieser Konstellation resultierende Verschiebung des Wissenshorizontes zeichnet sich sowohl durch den enormen Zuwachs der Inhalte als auch durch die sich vielfältig differenzierenden Erkenntnismethoden und die sich daraus ergebenden Geltungsansprüche aus. Diese neue Form des Wissens speist sich aus arabisch-islamischen und jüdischen Quellen und erfährt über die bereits vorhandenen platonisch-neuplatonischen Prägungen hinaus ihre größte Herausforderung durch eine aufgrund der neuen Quellenlage möglich gewordenen Auseinandersetzung mit dem Werk des heidnischen Philosophen Aristoteles. Albert ist nicht nur Teil dieser Lebenswelt, er beobachtet und beschreibt sie, reflektiert viele ihrer Besonderheiten und gestaltet sie schließlich selbst in vielerlei Hinsicht mit.6 Anders als es bei den meisten Gelehrten des Mittelalters der Fall ist, sind wir über Alberts 6 Einen in der Kürze sehr guten Überblick über Alberts Leben und Wirken sowie den geistesgeschichtlichen Hintergrund gibt Aris, Albertus Magnus; immer noch lesenswert Geyer, Albertus Magnus. 11 Leben durch Aussagen in seinen eigenen Schriften, durch Urkunden, die er selbst verfasst hat oder in denen andere von ihm berichten, gut orientiert. Berichte über Erfahrungen, die er selbst gesammelt hat, aber auch sehr subjektive Andeutungen, in denen er seine Lebenserfahrungen zusammenfasst und diese zur Begründung seiner zum Teil äußerst rigorosen Urteile anführt, lassen einige Züge seiner Persönlichkeit erkennen.7 Ein selbst verfasstes Testament8 sowie eigenhändig niedergeschriebene Werke geben uns ebenso Einblicke in sein Arbeiten und sein Denken, wie die Dokumente seines Ordens, der Kurie oder aus dem universitären Umfeld von seinem Wirken berichten. Alte Werkkataloge, die zum Teil bis ins 13. Jh. zurückreichen, geben einen Überblick über die ihm zugesprochenen Schriften.9 Vieles können wir zeitnah entstandenen Chroniken oder später verfassten Lebensbeschreibungen entnehmen. Allerdings sind die Ende des 15. Jhs. entstandenen und ein umfassendes Bild zeichnenden Viten durch ihre vordergründige Absicht geprägt, Albert vom Vorwurf zu befreien, verbotene Künste ausgeübt und sich so der Häresie genähert zu haben. Darüber hinaus sind diese Berichte in der Perspektive der auf Erneuerung ausgerichteten Observanten-Bewegung verfasst, die Albert als Musterbeispiel einer möglichst strengen dominikanischen Lebensweise darstellen und damit bereits auf eine Heiligsprechung abzielen, die allerdings erst viele Jahrhunderte später, nämlich 1931, tatsächlich erfolgt.10 So bleibt die Zuverlässigkeit vieler Quellen, zumal der sagenhaften Berichte, die eher als Stoff zu einem Roman11 7 Ein markantes und wenig schmeichelhaftes Beispiel ist Alberts Urteil über die moralischer Verwerflichkeit der Frauen, das er außer auf physiologische Argumente ausdrücklich auf seine vielen persönlichen Erfahrungen gründet, die ihn in dieser Angelegenheit zum „erfahrenen Lehrer“ machen, dem man glauben solle, wenn man nicht von den Frauen getäuscht werden wolle. Vgl. Quaest. de animal. XV q. 11, 265, 77–78. 8 Vgl. unten Kap. 10.1. 9 Vgl. Geyer, Der alte Katalog der Werke. 10 Eine aktuelle Darstellung zur Entstehungsgeschichte und den verschiedenen Phasen der biographischen Tätigkeit bietet Collins, Albertus Magnus or Magus. 11 Wilhelm Schmidtbonn macht 1948 Alberts Leben zur Grundlage eines Romans mit dem Titel Albertus Magnus. Pilger des Herzens. Zur Legendenbildung vgl. auch Scheeben, 200–230. 12 denn als historisches Zeugnis dienen, umstritten, da die umfangreich einsetzende biographische Tätigkeit, die in apologetischer oder auch verherrlichender Absicht von seinen Ordensbrüdern betrieben wird, nicht immer als zuverlässig angesehen werden kann, zeichnet sie doch oft ein im Interesse des Ordens stehendes Bild Alberts. Etliche Details seines Wirkens müssen deshalb trotz der vielen Quellen als nur lückenhaft rekonstruierbar gelten. 1.1 Herkunft und Jugend Ist der Geburts- oder zumindest die familiäre Abstammungsort Alberts, nämlich Lauingen in der Diözese Augsburg, unumstritten, da er sich selbst zunächst12 „Bruder des Predigerordens, Albert aus Lauingen“ nennt,13 so lässt sich sein Geburtsdatum nur ungefähr mit „um 1200“ bzw. „kurz vor 1200“ angeben. Die mitunter gemachten Angaben 1206/7 und 1193 gehen auf seine nur bedingt zuverlässigen Biografen Heinrich von Herford und Ludwig von Valladolid zurück, von 12 Nachdem Albert 1248 das Studium Generale in Köln leitet, scheint - abgesehen von seiner Bischofszeit in Regensburg - die Bezeichnung „Albert Lesemeister in Köln“ die übliche geworden zu sein. Albert selbst berichtet davon, dass er so genannt wird, wenn es in einer Urkunde aus dem März des Jahres 1252 heißt: „Ich Bruder Albert aus dem Orden der Prediger, Lesemeister in Köln genannt“ (Ego frater Albertus ordinis fratrum predicatorum dictus lector in Colonia. Ennen, Quellen Bd. 2, Nr. 304, 309). Unmittelbar in zeitlicher Nähe zum Bischofsamt findet sich dann der Hinweis darauf, dass Albert Lesemeister genannt wurde (bischof Albreht, de du ce kolne der predechere brudere Lesemeister hies, 25. August 1263), ebd., Nr. 460, 483. Mit etwas zeitlichem Abstand wird dann die ursprüngliche Nennung wieder aktuell, wenn in einer anderen Kölner Urkunde vom 8. März 1265 von Albert als dem ehemaligen Bischof von Regensburg gesprochen wird, der jetzt aber wieder Lesemeister von Köln ist (… prout in litteris pronunciationis fratris Alberti, quondam episcopi Ratisponensis, tunc vero lectoris Coloniensis.), ebd., Nr. 475, 519. 13 Hierfür spricht Alberts Eigennennung in einer Urkunde und die Inschrift des Siegels, das er benutzt hat, bevor er Bischof wurde, und wo es heißt: Sigillum fratris Alberti de Laugi(n)g Ordinis Praedicatorum. Vgl. von Loe, De vita et scriptis II, 276. Das Siegel ist abgebildet in Ennen, Quellen, Bd. 2, Anhang, Nr. 15. 13 denen der erste Mitte des 14. Jhs. von einem Eintritt des 16 jährigen Albert in den Dominikanerorden im Jahre 1223 berichtet, während der andere im ersten Viertel des 15. Jhs. das Lebensalter Alberts bei seinem Tod mit „ungefähr 87“ Jahren angibt.14 Nach heutigem Wissensstand scheint das Geburtsjahr des gebürtigen Schwaben Albert am ehesten durch die zeitgenössische Quelle des Tolomeo von Lucca bzw. durch einen möglicherweise diesem entnommenen Hinweis des französischen Dominikaners Bernard Gui festgehalten worden zu sein. In seiner Historia ecclesiastica berichtet Tolomeo, und ebenso Bernard in einem Verzeichnis der Pariser Theologiemagister Anfang des 14. Jhs., Albert sei bei seinem Tod am 15. November 1280 etwas mehr als 80 Jahre alt gewesen (plus quam octogenarius, octogenarius et amplius).15 Bei Tolomeo heißt es: „Schließlich beschließt er seligen Endes im Jahr des Herrn 1280 sein Leben, als er mehr als achtzigjährig war.“16 Über die familiäre Herkunft Alberts gibt es nur vage Angaben. Der durch Heinrich von Herford überlieferte Hinweis, Albert stamme ex militaribus, ist ebenso schwach belegt wie mehrdeutig. Der Begriff miles, von dem sich diese Herkunftsbezeichnung ableitet, kann zu der in Frage kommenden Zeit sowohl den adligen Ritter als auch den Beamten bezeichnen, der im Dienst eines anderen steht.17 Immerhin muss Alberts Familie über ausreichende Geldmittel verfügen, die es erlauben, dass er bereits in jungen Jahren nach Norditalien reisen kann. Für eine vermögendere Herkunft spricht auch die von Albert berichtete Ausübung der Falkenjagd, die eine privilegierte Stellung vermuten lässt.18 Von seinen Beobachtungen, die er in der Lombardei, in Padua und Venedig als Jugendlicher (cum essem iuvenis) macht, berichtet uns Albert an verschiedenen Stellen seiner Werke. Wie lang dieser Aufenthalt währt und ob es sich möglicherweise um mehrere Reisen handelt, ist nicht auszumachen. Fest steht aber immerhin, dass sich Albert im Dezember 1222 oder im Januar 1223 in der Lombardei aufhält, denn er überliefert uns seinen eigenen Erlebnisbericht von einem durch andere 14 Vgl. Weisheipl, Leben und Werk, 12f.; Lohrum, Überlegungen zum Geburtsjahr. 15 Vgl. Stehkämper, Albertus Magnus, Nr. 14, 37–38. 16 Tandem anno Domini MCCLXXX et ipse plus quam octogenarius beato fine quievit. Tholomeus von Lucca, Historia, 561, 4–5. 17 Vgl. Scheeben, Chronologie des Lebens, 5; Freed, St. Albert’s Brother, 64–65. 18 Vgl. De animalibus VIII t. 2 c. 4 n. 110, 617–618. 14 Quellen exakt datierbaren Erdbeben, das sich zur genannten Zeit im Norden Italiens zuträgt: „In der Lombardei haben wir ein sehr starkes und lang anhaltendes Erdbeben wahrgenommen, als die Sonne im Zeichen des Steinbocks stand. Es trat in mehreren Städten jener Region auf und kam häufig mitten in der Nacht und beruhigte sich später.“ 19 In seinen wissenschaftlichen Schriften teilt Albert später verschiedene Erlebnisberichte mit, die einen klaren Bezug zu Vorkommnissen in Norditalien haben. Wie Albert ausdrücklich feststellt, handelt es sich hierbei um Jugenderlebnisse, die lange Zeit vor seinen Aufenthalt in Paris, also weit vor ca. 1242, zu datieren sind.20 Auffallend ist in diesem Zusammenhang, dass Albert, der sich selbst während eines Aufenthaltes in Venedig als jungen Mann (iuvenis)21 bezeichnet, trotz seines Alters von den anderen Anwesenden um Rat bei der Erklärung komplizierter naturwissenschaftlicher Phänomene gefragt wird, etwa wenn es darum geht, die Ursachen für die Zeichnung von Marmorplatten zu erklären.22 Offensichtlich besitzt er zu diesem Zeitpunkt bereits ein fundiertes Wissen, insbesondere im Hinblick auf solche im weitesten Sinne geologischen Fragen. Anders wird man nicht erklären können, weshalb man gerade den jungen Albert bei diesen spezifischen Fragen um Rat bittet, zumal seine Berichte selbst bereits eine ausgeprägte Beobachtungsgabe und ein dieser zugrunde liegendes Interesse voraussetzen. Was der Grund für Alberts Italienaufenthalt in diesen Jahren ist, lässt sich durch diese Hinweise natürlich nicht exakt bestimmen. Fest steht aber, dass damit die Möglichkeit verbunden ist, ob in gewerblicher oder wissenschaftlicher Absicht, mit Leuten zu verkehren, die seine Expertise kennen und suchen. Als Indiz für einen gewerblichen Zweck seines Italienaufenthalts mag man immerhin den Hinweis in Alberts Bericht werten, dass die erwähnten Marmorplatten mit Hilfe von Sägen hergestellt werden, um so zum Schmuck von Kirchenwänden zu dienen. 19 Meteora III t. 2 c. 9, 139, 17–20. Vgl. Stehkämper, Albertus Magnus, Nr. 19, 40. 20 Post hoc autem longo tempore cum essem Parisiis […]. Mineralia II t. 3 c. 1, 49a. 21 Für Isidor von Sevilla etwa galt als jung (iuvenis), wer sich in einem Alter von 28–50 Jahren befand, Vgl. Isidor von Sevilla, Etymologiae XI, 2 (Ed. Lindsay Bd. 2), 21. 22 Vgl. Mineralia II t. 3 c. 1, 48b–49a. 15 Vor dem Hintergrund eines eher gewerblichen oder auch wissenschaftlichen Interesses erscheint das für Alberts Leben zweifelsohne einschneidende Erlebnis, das ihm aller Wahrscheinlichkeit nach in Italien widerfährt, zunächst nicht unmittelbar absehbar gewesen zu sein. Gemeint ist das Zusammentreffen mit Jordan von Sachsen, der als Ordensmeister der Dominikaner bzw. des Predigerordens (Ordo Praedicatorum), wie der von Dominikus gegründete Orden offiziell heißt, in Norditalien erfolgreich für den Orden um Nachwuchs wirbt. 1.2 Albert und die Dominikaner Im Umfeld der Bekämpfung der Katharer bzw. der vor allem im Südfrankreich verbreiteten Untergruppe der Albigenser in der geistigen Missionierung häretisch gesinnter Christen engagiert, bildet sich um den 1170 in Kastilien geborenen Dominikus als Keimzelle des späteren Ordens ein Zusammenschluss von Gleichgesinnten. Von Anfang an ist die Ausrichtung dieser Gruppe und des späteren Ordens durch die Begegnung mit den einerseits hochgebildeten und andererseits in Armut lebenden Albigensern geprägt, denen man nach Überzeugung des Dominikus nur dann erfolgreich entgegentreten kann, wenn man ebenso wissend und tugendhaft in der Lebensführung ist wie diese selbst. Diese Gruppe unter der Leitung des Dominikus, deren spezifische Aufgabe die Predigt ist, lebt zunächst unter der Augustinerregel. Im Jahr 1215 nimmt sie eine rechtsverbindliche Form an und erhält noch im gleichen Jahr durch den Bischof Fulko von Toulouse und wenig später durch Papst Innozenz III. die kirchliche Anerkennung. Auf seiner ersten Generalversammlung 1216 in Bologna werden die Regeln des Ordens dahingehend geändert, dass durch eine Verschärfung des Armutsprinzips die fortan gültige Verfassung eines Bettelordens entsteht. Weitere Bestätigungsbullen ergehen durch Papst Honorius III. im Dezember 1216 und im Januar 1217. Die mit dem Armutsprinzip verbundene Notwendigkeit, den Lebensunterhalt aus den Gaben zu bestreiten, die die Ordensbrüder aus der Bevölkerung erhalten, geht mit der Zielsetzung des Ordens einher, durch die Predigt möglichst große Teile der Bevölkerung in seelsorgerischer Absicht zu erreichen. Das Wirkungsfeld der Predigerbrüder ist also nicht das abgeschlossene Kloster fernab der sonstigen Bevölkerung, sondern es sind die 16 Orte, an denen sie durch ihre Predigten Seelsorge betreiben und ihren eigenen Lebensunterhalt durch die Bitte um Almosen bestreiten können. Die außergewöhnlich gute Ausbildung, die die Ordensbrüder zur Vorbereitung auf ihre seelsorgerischen Aufgaben erhalten, verbunden mit der für die Zeitgenossen hoch angesehenen, weil auf eigenen Besitz verzichtenden Lebensweise, trägt zur Ausbreitung des Ordens und zum Erfolg seines Wirkens wesentlich bei. Existieren beim Tod des Dominikus im Jahr 1221 erst 15 Konvente, gibt es 1277 bereits 404 Niederlassungen. Um die Ausbildung der Brüder für ihre Predigertätigkeit verbessern zu können, sucht Dominikus bereits sehr früh die Anbindung einzelner Konvente an die jungen Universitäten, vor allem in Bologna und Paris. Neben der Einrichtung von Lehrstühlen an den Universitäten führt der mit der Predigt verbundene Ausbildungsbedarf zur Einrichtung der vom Orden getragenen Ausbildungsstätten. Zunächst handelt es sich um Konventsschulen, denen dann auf Provinzebene weitere Studienhäuser an die Seite gestellt werden. In Anlehnung an die Universität Paris wird im Jahr 1227 das erste Generalstudium gegründet, dem dann bis zu Beginn des 14. Jhs. vierzehn weitere Schulen dieser Art folgen. Auch diese Form des Lehrbetriebs führt die Dominikaner in die Bevölkerungszentren, also in die in der Entstehung und im Wachstum begriffenen Städte. Welche Bedeutung dem Ausbildungswesen im Orden der Predigerbrüder von den Anfängen an zukommt, geht aus den so genannten „Ältesten Konstitutionen“, also den ursprünglichen Regeln des Ordens hervor. Die in diesem Text enthaltenen Festlegungen und Anweisungen regeln in einem ersten Teil sowohl die Organisation innerhalb eines einzelnen Konvents als auch in einem zweiten die Angelegenheiten, die den einzelnen Konventen übergeordnet und in diesem Sinne von grundlegender Bedeutung für das Ordensleben sind. Innerhalb dieses zweiten Teils finden sich dann auch die Ausführungen, die den Studienbetrieb betreffen, und die man deshalb für notwendig hält, weil den Studenten gegenüber „eine liebende Fürsorge zu üben ist“, für die eigens der Studienmeister (magister studentium) zu sorgen hat.23 23 Vgl. Constitutiones antique, dist. II c. 28, 361. In deutscher Übersetzung findet sich der Tex in: Jordan von Sachsen, Anfänge des Predigerordens, 244–296. 17 Der Orden bietet die Gelegenheit für ein anspruchsvolles theologisches Studium, das nur von Lehrern, so genannten Lektoren bzw. Lesemeistern, die ihrerseits bereits vier Jahre Theologie studiert haben und die nur aufgrund dieser Ausbildung auch außerhalb der Klöster öffentlich unterrichten dürfen,24 durchgeführt werden kann. Zudem sind bereits in den frühen Konstitutionen Privilegien vorgesehen, die den Studierenden je nach Leistungsstand und Eifer zukommen. Demnach sind die Studenten sogar vom Chorgebet und von anderen Verpflichtungen zu entbinden, wenn es eine Ablenkung vom Studium zu vermeiden gilt. Außerdem sind ihnen entsprechende Lokalitäten zur Verfügung zu stellen, wo sie ungestört die im Unterricht offen gebliebenen Fragen diskutieren können. Ein besonderes Privileg genehmigt der Lehrmeister denen, die er zur weiteren Ausbildung für besonders geeignet hält, indem er ihnen Zellen zuweist, in denen sie studieren, beten und schlafen, aber eben auch außerhalb der sonst üblichen Vorschriften nachts bei Licht wachen können, um sich ihrem Studium intensiv zu widmen. Neben den gemeinsam genutzten Schlafräumen, wie sie wohl der Normalfall im Orden sind, bietet sich hier zum Zweck der Ausbildung die Möglichkeit einer gewissen privaten Studienatmosphäre. Offensichtlich unterliegen diese Privilegien aber einer ständigen Leistungskontrolle, denn es steht dem Magister jeweils frei, dem einen das Privileg der eigenen Zelle zu entziehen und es einem andern zu gewähren, sobald sich der Student in seinen Leistungen als unfruchtbar (infructuosus) erweist.25 In moderner Terminologie kann man von einer gezielten Begabtenförderung einschließlich einer entsprechenden Leistungskontrolle innerhalb des frühen Dominikanerordens sprechen. Alberts Bekanntschaft mit dem Dominikanerorden geht wohl entscheidend auf eine Begegnung mit Jordan von Sachsen zurück. Jordan wird nach Abschluss seines Theologiestudiums in Paris und nach seinem Eintritt in den Orden (1220) im Jahr 1222 zum Ordensgeneral und damit zum unmittelbaren Nachfolger des Ordensgründers Dominikus gewählt. Er ist ein herausragender Prediger und eine einnehmende Persönlichkeit, so dass der Orden durch sein 24 Vgl. Constitutiones antique, d. II c. 30, 363. 25 Vgl. Constitutiones antique, d. II c. 29, 362. 18 Werben in kurzer Zeit in erheblichem Umfang wächst. Den Nachwuchs, der den hohen akademischen Anforderungen des Predigerordens gerecht werden kann, findet Jordan vor allem im Umfeld der Universitäten. Bei der missionarischen Ausrichtung des Ordens und den damit verbundenen Studienanforderungen an die jungen Ordensbrüder ist es nahliegend, dass das Werben um neue Ordensmitglieder vor allem dort stattfindet, wo bereits Studieneinrichtungen wie die gerade in der Entstehung begriffenen Universitäten vorhanden sind. Neben den französischen Universitätsstädten kommen aufgrund der dortigen Universitätsgründungen zu Beginn des 13. Jhs. vor allem die Städte Norditaliens für die Nachwuchswerbung in Frage. Was den Eintritt Alberts in den Orden betrifft, gibt es sowohl hinsichtlich des Ortes als auch des Zeitpunktes in den verschiedenen Quellen unterschiedliche Hinweise. Als Eintrittsdatum kommen entweder 1223 oder 1229 in Frage, wobei Albert diesen Schritt entweder in Padua oder, so er sich denn erst 1229 zum Eintritt entschieden haben sollte, auch in Köln unternimmt. Für einen späteren Beitritt in Köln spricht ein von Johann Meyer (1422–1485) in Anlehnung an frühere, aber wohl verlorene Quellen formulierter Bericht, wonach Albert in Köln dem Orden beitritt.26 Diese Annahme wird gestützt durch eine von Vincentius Justinianus zitierte, im Original aber verlorene Aussage des Johannes Molitor, wonach Albert „unter Leo, dem zweiten Prior des Kölner Klosters, in den Orden eingetreten ist.“27 Da Leo erst ab Ende 1229 Prior in Köln ist, kommt für den Eintritt nach dieser Quelle nur ein Zeitpunkt ab 1229 in Frage.28 Neben dieser Tradition gibt es einen anders lautenden Bericht über Alberts Eintritt in den Orden, der in einer ersten Version schon zu Lebzeiten Alberts verfasst und dann nach 1280 um die ausdrückliche Nennung von Alberts Namen ergänzt wurde. Demnach tritt Albert in jungen Jahren während seines Studiums in Padua in den Orden ein, nachdem er mehrere Predigten Jordans von Sachsen gehört und seine anfänglichen Zweifel überwunden hat: 26 Vgl. Meyer, Materialsammlung, vor allem Nr. 2, 156. 27 Vincentius Justinianus, Compendiosa vitae descriptio, 40–41. 28 Vgl. Scheeben, Chronologie des Lebens, 11–12. 19

Erscheint lt. Verlag 3.7.2015
Reihe/Serie Zugänge zum Denken des Mittelalters ; 7
Sprache deutsch
Maße 125 x 187 mm
Gewicht 255 g
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Philosophie des Mittelalters
Schlagworte Albertus Magnus • Mittelalter • Mittelalter; Biografien • Philosophie
ISBN-10 3-402-15675-X / 340215675X
ISBN-13 978-3-402-15675-9 / 9783402156759
Zustand Neuware
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