Macht, Schuld, Schuldfähigkeit und Freiheit (eBook)

Eine individualpsychologische Studie. E-BOOK
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2009 | 1. Auflage
132 Seiten
Vandenhoeck & Ruprecht Unipress (Verlag)
978-3-89971-605-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Macht, Schuld, Schuldfähigkeit und Freiheit -  Rainer Schmidt
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Thema dieses Buches ist der innerpsychische Zusammenhang von Macht, Schuld, Schuldfähigkeit und Freiheit. Angestoßen durch Erfahrungen, die der Autor als junger Erwachsener mit dem Ausmaß der nationalsozialistischen Katastrophe machte, fragt er: Wie schuldig wurden wir Mitmenschen? Wie frei ist der Mensch, sein Handeln zu bestimmen und es zu verantworten? In der Befragung von Philosophen und Dichtern findet er sowohl Antworten als auch neue Fragen. Die Suche führt ihn in die Tiefenpsychologie, zu Freud, der den Weg in das Unbewusste weist, und zu dessen Schülern. Einer von ihnen, Adler, betrachtet besonders das menschliche Streben nach Macht als Überwindungsbewegung einer tief empfundenen Ohnmacht und das Gemeinschaftsgefühl als ein eingeborenes Gefühl der Mitlebigkeit. Schuld ist so gesehen eine Entfremdung des Menschen von sich selbst. Freiheit - als innere Freiheit - wäre Selbstannahme, die Fähigkeit, eigene Schuld einzugestehen und damit die Stärkung des Gefühls verantworteter Mitlebigkeit.

Dr. med. Rainer Schmidt ist als Facharzt für Psychotherapeutische Medizin und Psychoanalyse und als Lehranalytiker tätig. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen, u.a. »Träume und Tagträume« (2005).

Dr. med. Rainer Schmidt ist als Facharzt für Psychotherapeutische Medizin und Psychoanalyse und als Lehranalytiker tätig. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen, u.a. »Träume und Tagträume« (2005).

Inhalt 7
Vorwort 9
1. Begegnung mit Vergangenheit in einem Passfoto Entfremdung vom Selbst und von der Welt, Schicksal oder Schuld? 13
2. Die Freiheit des Menschen zur Tat und das Schuldigwerden durch die Tat Begegnungen mit Gedanken von Dietrich Bonhoeffer und Jean Paul Sartre 19
3. Schuld und »Der Begriff der Angst« oder die Begegnung mit der Gedankenwelt Sören Kierkegaards 29
4. Freuds »Unbehagen in der Kultur« oder die Wende im Nachdenken über den Menschen durch den Blick auf das Unbewusste. 39
5. Die »Einheit der Person«, der »Lebensstil« und die » Schöpferische Kraft « im Denken Alfred Adlers 51
6. Finalität und das Streben zu Macht bei Nietzsche und Adler 59
7. Das Gemeinschaftsgefühl bei Alfred Adler als Antithese zum Willen der Macht 71
8. Das Problem von Freiheit, Schuld und Sühne bei Dostojewski und sein Einfluss auf die Individualpsychologie Adlers 85
9. Das Schuldgefühl als wichtiger Reifungsschritt des Kindes und die Entwicklung des Selbst bei Winnicott, das Problem der Schuldfähigkeit 99
10. Scham und Trauer sind Voraussetzungen der Schuldverarbeitung Alexander und Margarete Mitscherlichs Klage über die Unfähigkeit zu trauern und Manés Sperbers Analyse der Tyrannis 111
11. Schlussbetrachtung 125
Literatur 131

"8. Das Problem von Freiheit, Schuld und Sühne bei Dostojewski und sein Einfluss auf die Individualpsychologie Adlers (S. 83-84)

Am 16. August 1839 schrieb der damals achtzehnjährige Fjodor Michailowitsch Dostojewski an seinen Bruder Michail:

»Der Mensch ist ein Geheimnis, man muss es enträtseln, und wenn Du ein ganzes Leben lang enträtseln wirst, so sage nicht, Du hättest die Zeit verloren. Ich beschäftige mich mit diesem Geheimnis, denn ich will ein Mensch sein.« (Dostojewski 1986, S. 24).

Dieser an den älteren Bruder gerichtete Satz erscheint wie ein Motto, dem er tatsächlich sein ganzes Leben hindurch folgen wird. »Ich will ein Mensch sein,« das klingt wie ein Schrei nach Erlösung. Wie sieht der Dichter Dostojewski den Menschen? Oft beschreibt er ihn als gottverlassen, als einen, in dessen Vernunft Gott keinen Platz mehr hat. Der Mensch sehnt sich nach Gott und kann doch an ihn nicht glauben. Diesen inneren Konflikt reduziert sein Mörderheld Raskolnikow in dem Roman »Schuld und Sühne« auf die Frage: »Bin ich eine Laus wie alle oder ein Mensch?«, wobei dieses Menschsein ohne Gott bedeutet »Übermensch« zu sein, das heißt an kein Gesetz und keine Moral mehr gebunden zu sein.

Aus der Logik dieser Antwort heraus müssen Dostojewskis Helden so oft die Grenzen hergebrachten Rechts und überlieferter Moral überschreiten, werden sie zu Spielern, Dieben, Ausbeutern und Mördern. So wird Raskolnikow zum Mörder an der alten Pfandleiherin und ihrer freundlichen, halbirren Schwester ohne ein anderes Motiv, nur um sich zu beweisen, dass er mehr ist als eine Laus, nämlich ein Mensch, ein Ausnahmemensch, nicht ein an von Menschen gesetzter Moralgesetze gebundener, also fast genau jener Mensch, welchen Nietzsche Jahrzehnte später als den Übermenschen beschreibt.

Aber dieser Selbstbeweis seiner Übermenschlichkeit gelingt Raskolnikow nicht. Er fühlt sich nach seiner Tat nicht befreit. Die rationale Seite in ihm sagt: »Wenn Gott tot ist, dann ist alles erlaubt.« Aber aus der Tiefe seines Unbewussten meldet sich eine andere Stimme. Er fühlt sich isoliert von allen Menschen, ausgeschlossen und ruhelos. Nicht der Tat klagt er sich an, sondern der Tatsache, dass er zu seiner Tat nicht frei und vorbehaltlos stehen kann. Ein Bewusstsein seiner Schuld lässt er nicht zu.

Er klagt sich der Schwäche an, nicht gewissenlos genug zu sein. Aus seiner inneren Vereinsamung sucht er Zuflucht bei der sanftmütigen Prostituierten Sonja. Sie verkörpert bei Dostojewski eine andere Seite der menschlichen Seele, die Demut und die Nächstenliebe, jene Seite, die Raskolnikow in sich verleugnen will."

Erscheint lt. Verlag 29.4.2009
Verlagsort Göttingen
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Erkenntnistheorie / Wissenschaftstheorie
Geisteswissenschaften Psychologie Allgemeines / Lexika
Geisteswissenschaften Psychologie Persönlichkeitsstörungen
Schlagworte Individualpsychologie • Macht • Psychologie • Schuld • Schuldfähigkeit
ISBN-10 3-89971-605-1 / 3899716051
ISBN-13 978-3-89971-605-4 / 9783899716054
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