Dantons Tod (eBook)
132 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-960174-8 (ISBN)
Georg Büchner (17.10.1813 Goddelau bei Darmstadt - 19.2.1837 Zürich) beschäftigte sich bereits während seines Studiums der Medizin mit Geschichte und Philosophie und fand zum politischen Engagement, das u. a. zur Gründung von Sektionen der geheimen Gesellschaft für Menschenrechte führte. Ein Jahr später zwang ihn die von ihm verfasste Flugschrift 'Der Hessische Landbote', in der Büchner die Landbevölkerung zur Auflehnung gegen die Oberschicht aufrief, zur Flucht. Zu seinen bekanntesten Werken zählen 'Dantons Tod', das das Thema der Französischen Revolution aufnimmt, sowie das Lustspiel 'Leonce und Lena' und das unvollendete Drama 'Woyzeck'.
Georg Büchner (17.10.1813 Goddelau bei Darmstadt – 19.2.1837 Zürich) beschäftigte sich bereits während seines Studiums der Medizin mit Geschichte und Philosophie und fand zum politischen Engagement, das u. a. zur Gründung von Sektionen der geheimen Gesellschaft für Menschenrechte führte. Ein Jahr später zwang ihn die von ihm verfasste Flugschrift "Der Hessische Landbote", in der Büchner die Landbevölkerung zur Auflehnung gegen die Oberschicht aufrief, zur Flucht. Zu seinen bekanntesten Werken zählen "Dantons Tod", das das Thema der Französischen Revolution aufnimmt, sowie das Lustspiel "Leonce und Lena" und das unvollendete Drama "Woyzeck".
Dantons Tod. Ein Drama
Anhang
1. Zur Textgestalt
2. Anmerkungen
3. Die Französische Revolution: eine Zusammenfassung
3.1 Der Weg vom Absolutismus bis zur konstitutionellen Monarchie (1789-1791)
3.2 Die Herrschaft von Jakobinern und Girondisten
3.3 Der Terror (1793-1794) und das Ende der Revolution (1794-1799)
3.4 Revolutionäre Gruppen und Klubs
4. Materialien für die Interpretation
4.1 Einleitung
4.2 Büchners Leben
4.3 Dantons Tod - (k)eine Aussage zur Revolution? Stimmen der Forschung
4.3.1 Viëtor
4.3.2 Franzos
4.3.3 Lukács
4.4 Politische Aussagen von Georg Büchner
4.4.1 Aus einem Brief an die Familie, Straßburg, den 5. April 1833
4.4.2 Georg Büchner und Friedrich Ludwig Weidig, Der Hessische Landbote
4.4.3 Der Fatalismus der Geschichte: ein Brief an die Braut
4.4.4 Ein Brief an Karl Gutzkow
4.5 Büchners Verhältnis zu den Idealen der deutschen Klassik
4.5.1 "Die sogenannte Unsittlichkeit meines Buches": zwei Briefe Büchners an die Familie
4.5.2 Friedrich Schiller, "Über das Pathetische"
4.5.3 "Edles" und "Gemeines" im Widerstreit: Auszug aus Schillers Wilhelm Tell
4.6 Büchners Nutzung der historischen Quellen
4.6.1 Dantons Tod und Passagen aus der Zeitschrift Unsere Zeit
4.6.2 Dichterische Freiheit? Die Frauengestalten zwischen Geschichte und Dichtung
4.7 Warum inszeniert man Dantons Tod im 21. Jahrhundert? Kommentar zu den leitenden Ideen einer neueren Inszenierung
5. Literaturhinweise
5.1 Einführendes zu Büchner und zu Dantons Tod
5.2 Einführendes zur Französischen Revolution
Fünfte Szene
Ein Zimmer
DANTON. MARION.
MARION.
Nein, lass mich! So zu deinen Füßen. Ich will dir erzählen.
DANTON.
Du könntest deine Lippen besser gebrauchen.
MARION.
Nein lass mich einmal so. Meine Mutter war eine kluge Frau, sie sagte mir immer die Keuschheit sei eine schöne Tugend, wenn Leute ins Haus kamen und von manchen Dingen zu sprechen anfingen, hieß sie mich aus dem Zimmer gehn; frug ich was die Leute gewollt hätten so sagte sie mir ich solle mich schämen; gab sie mir ein Buch zu lesen so musst ich fast immer einige Seiten überschlagen. Aber die Bibel las ich nach Belieben, da war alles heilig, aber es war etwas darin, was ich nicht begriff, ich mochte auch niemand fragen; ich brütete über mir selbst. Da kam der Frühling, es ging überall etwas um mich vor, woran ich keinen Teil hatte. Ich geriet in eine eigne Atmosphäre, sie erstickte mich fast, ich betrachtete meine Glieder, es war mir manchmal, als wäre ich doppelt und verschmölze dann wieder in eins. Ein junger Mensch kam zu der Zeit ins Haus, er war hübsch und sprach oft tolles Zeug, ich wusste nicht recht, was er wollte, aber ich musste lachen. Meine Mutter hieß ihn öfters kommen, das war uns beiden recht. Endlich sahen wir nicht ein, warum wir nicht ebenso gut zwischen zwei Betttüchern beieinander liegen, als auf zwei Stühlen nebeneinander sitzen durften. Ich fand dabei mehr Vergnügen, als bei seiner Unterhaltung und sah nicht ab, warum man mir das geringere gewähren und das größere [20]entziehen wollte. Wir taten’s heimlich. Das ging so fort. Aber ich wurde wie ein Meer, was alles verschlang und sich tiefer und tiefer wühlte. Es war für mich nur ein Gegensatz da, alle Männer verschmolzen in einen Leib. Meine Natur war einmal so, wer kann da drüber hinaus? Endlich merkt er’s. Er kam eines Morgens und küsste mich, als wollte er mich ersticken, seine Arme schnürten sich um meinen Hals, ich war in unsäglicher Angst. Da ließ er mich los und lachte und sagte: er hätte fast einen dummen Streich gemacht, ich solle mein Kleid nur behalten und es brauchen, es würde sich schon von selbst abtragen, er wolle mir den Spaß nicht vor der Zeit verderben, es wär doch das Einzige, was ich hätte. Dann ging er, ich wusste wieder nicht was er wollte. Den Abend saß ich am Fenster, ich bin sehr reizbar und hänge mit allem um mich nur durch eine Empfindung zusammen, ich versank in die Wellen der Abendröte. Da kam ein Haufe die Straße herab, die Kinder liefen voraus, die Weiber sahen aus den Fenstern. Ich sah hinunter sie trugen ihn in einem Korb vorbei, der Mond schien auf seine bleiche Stirn, seine Locken waren feucht, er hatte sich ersäuft. Ich musste weinen. Das war der einzige Bruch in meinem Wesen. Die andern Leute haben Sonn- und Werktage, sie arbeiten sechs Tage und beten am siebenten, sie sind jedes Jahr auf ihren Geburtstag einmal gerührt und denken jedes Jahr auf Neujahr einmal nach. Ich begreife nichts davon. Ich kenne keinen Absatz, keine Veränderung. Ich bin immer nur eins. Ein ununterbrochnes Sehnen und Fassen, eine Glut, ein Strom. Meine Mutter ist vor Gram gestorben, die Leute weisen mit Fingern auf mich. Das ist dumm. Es läuft auf eins hinaus, an was man seine Freude hat, an Leibern, Christusbildern, Blumen oder Kinderspielsachen, es ist das nämliche Gefühl, wer am meisten genießt, betet am meisten.
DANTON.
Warum kann ich deine Schönheit nicht ganz in mich fassen, sie nicht ganz umschließen?
MARION.
Danton, deine Lippen haben Augen.
[21]DANTON.
Ich möchte ein Teil des Äthers sein, um dich in meiner Flut zu baden, um mich auf jeder Welle deines schönen Leibes zu brechen.
LACROIX, ADELAIDE, ROSALIE, treten ein.
LACROIX
(bleibt in der Tür stehn). Ich muss lachen, ich muss lachen.
DANTON
(unwillig). Nun?
LACROIX.
Die Gasse fällt mir ein …
DANTON.
Und?
LACROIX.
Auf der Gasse waren Hunde, eine Dogge und ein Bologneser Schoßhündlein, die quälten sich.
DANTON.
Was soll das?
LACROIX.
Das fiel mir nun grade so ein und da musst ich lachen. Es sah erbaulich aus! Die Mädel guckten aus den Fenstern, man sollte vorsichtig sein und sie nicht einmal in die Sonne sitzen lassen, die Mücken treiben’s ihnen sonst auf den Händen, das macht Gedanken.
Legendre und ich sind fast durch alle Zellen gelaufen, die Nönnlein von der Offenbarung durch das Fleisch hingen uns an den Rockschößen und wollten den Segen. Legendre gibt einer die Disziplin, aber er wird einen Monat dafür zu fasten bekommen. Da bringe ich zwei von den Priesterinnen mit dem Leib.
MARION.
Guten Tag, Demoiselle Adelaide, guten Tag, Demoiselle Rosalie.
ROSALIE.
Wir hatten schon lange nicht das Vergnügen.
MARION.
Es war mir recht leid.
ADELAIDE.
Ach Gott, wir sind Tag und Nacht beschäftigt.
DANTON
(zu Rosalie). Ei Kleine, du hast ja geschmeidige Hüften bekommen …
ROSALIE.
Ach ja, man vervollkommnet sich täglich.
LACROIX.
Was ist der Unterschied zwischen dem antiken und einem modernen Adonis?
DANTON.
Und Adelaide ist sittsam interessant geworden! eine pikante Abwechslung. Ihr Gesicht sieht aus wie ein Feigenblatt, das sie sich vor den ganzen Leib hält. So ein [22]Feigenbaum an einer so gangbaren Straße gibt einen erquicklichen Schatten.
ADELAIDE.
Ich wäre ein Herdweg, wenn Monsieur …
DANTON.
Ich verstehe, nur nicht böse mein Fräulein.
LACROIX.
So höre doch, ein moderner Adonis wird nicht von einem Eber, sondern von Säuen zerrissen, er bekommt seine Wunde nicht am Schenkel sondern in den Leisten und aus seinem Blut sprießen nicht Rosen hervor sondern schießen Quecksilberblüten an.
DANTON.
Fräulein Rosalie ist ein restaurierter Torso, woran nur die Hüften und Füße antik sind. Sie ist eine Magnetnadel, was der Pol Kopf abstößt, zieht der Pol Fuß an, die Mitte ist ein Äquator, wo jeder eine Sublimattaufe nötig hat, der zum ersten Mal die Linie passiert.
LACROIX.
Zwei barmherzige Schwestern, jede dient in einem Spital d. h. in ihrem eignen Körper.
ROSALIE.
Schämen Sie sich, unsere Ohren rot zu machen!
ADELAIDE.
Sie sollten mehr Lebensart haben.
(Adelaide und Rosalie, ab.)
DANTON.
Gute Nacht, ihr hübschen Kinder!
LACROIX.
Gute Nacht, ihr Quecksilbergruben!
DANTON.
Sie dauern mich, sie kommen um ihr Nachtessen.
LACROIX.
Höre Danton, ich komme von den Jakobinern.
DANTON.
Nichts weiter?
LACROIX.
Die Lyoner verlasen eine Proklamation, sie meinten es bliebe ihnen nichts übrig, als sich in die Toga zu wickeln. Jeder machte ein Gesicht, als wollte er zu seinem Nachbar sagen: Paetus es schmerzt nicht! Legendre schrie man wolle Chaliers und Marats Büsten zerschlagen; ich glaube er will sich das Gesicht wieder rot machen, er ist ganz aus der Terreur herausgekommen, die Kinder zupfen ihn auf der Gasse am Rock.
DANTON.
Und Robespierre?
LACROIX.
Fingerte auf der Tribüne und sagte: die Tugend muss durch den Schrecken herrschen. Die Phrase machte mir Halsweh.
DANTON.
Sie hobelt Bretter für die Guillotine.
[23]LACROIX.
Und Collot schrie wie besessen, man müsse die Masken abreißen.
DANTON.
Da werden die Gesichter mitgehen.
PARIS, tritt ein.
LACROIX.
Was gibt’s Fabricius?
PARIS.
Von den Jakobinern weg, ging ich zu Robespierre. Ich verlangte eine Erklärung. Er suchte eine Miene zu machen, wie Brutus, der seine Söhne opfert. Er sprach im Allgemeinen von den Pflichten, sagte der Freiheit gegenüber kenne er keine Rücksicht, er würde alles opfern, sich, seinen Bruder, seine Freunde.
DANTON.
Das war deutlich, man braucht nur die Skala herumzukehren, so steht er unten und hält seinen Freunden die Leiter. Wir sind Legendre Dank schuldig, er hat sie sprechen gemacht.
LACROIX.
Die Hébertisten sind noch nicht tot, das Volk ist materiell elend, das ist ein furchtbarer Hebel. Die Schale des Blutes darf nicht steigen, wenn sie dem Wohlfahrtsausschuss nicht zur Laterne werden soll, er hat Ballast nötig, er braucht einen schweren Kopf.
DANTON.
Ich weiß wohl, – die Revolution ist wie Saturn, sie frisst ihre eignen Kinder. (Nach einigem Besinnen.) Doch, sie werden’s nicht wagen.
LACROIX.
Danton, du bist ein toter Heiliger, aber die Revolution kennt keine Reliquien, sie hat die Gebeine aller Könige auf die Gasse und alle Bildsäulen von den Kirchen geworfen. Glaubst du man würde dich als Monument stehen...
Erscheint lt. Verlag | 15.2.2013 |
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Reihe/Serie | Reclam XL – Text und Kontext |
Verlagsort | Ditzingen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur |
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Schlagworte | 19. Jahrhundert • Deutschunterricht • Drama • Junges Deutschland • Literatur Epoche Junges Deutschland • Literatur Epoche Vormärz • Literaturunterricht • Reclam XL • Schule • Schullektüre • Sekundarstufe • Text und Kommentar • Text und Kontext • Text und Kontext; Text und Kommentar; Reclam XL; Vormärz; Drama; Schullektüre; Schule; Literaturunterricht; Deutschunterricht; Unterricht • Unterricht • Vormärz |
ISBN-10 | 3-15-960174-9 / 3159601749 |
ISBN-13 | 978-3-15-960174-8 / 9783159601748 |
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