Den Geist Europas wecken -  Dr. Christoph Quarch

Den Geist Europas wecken (eBook)

Zehn Vorschläge
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
240 Seiten
Europa Verlag GmbH & Co. KG
978-3-95890-590-0 (ISBN)
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Die von Jacques Delors für die Europäische Union ausgegebene Parole 'Europa eine Seele geben' ist heute aktueller denn je. Zwar wurden mittlerweile die EU-Osterweiterung und der Ausbau des europäischen Wirtschafts- und Rechtsraums erreicht, aber dabei ist die Entwicklung der EU zu einer politischen Wertegemeinschaft auf der Strecke geblieben. Ob Währungskrise, Flüchtlingskrise, ökologische Krisen, Brexit, COVID-19-Pandemie, das Aufkeimen europafeindlicher populistischer Bewegungen in verschiedenen europäischen Ländern und zuletzt der russische Überfall auf die Ukraine: Der innere Zusammenhalt der EU ist gefährdet, solange ihr ein tragfähiges geistiges Fundament und eine klar konturierte europäische Identität fehlen. In 'Den Geist Europas wecken' entwirft Christoph Quarch ein geistiges Gravitationszentrum für das moderne Europa, das in der griechischen Antike gründet. Er und seine Gastautoren bringen den genuinen Geist Europas in seiner ungebrochenen Schönheit und Kraft zur Sprache und unterbreiten zehn konkrete Vorschläge, wie er im Bewusstsein der Bürger*innen so verankert werden kann, dass sie sich dauerhaft für Europa begeistern.

Dr. Christoph Quarch, geb. 1964, ist Philosoph, Bestsellerautor und Denkbegleiter. Er berät Unternehmen, unterrichtet an verschiedenen Hochschulen und veranstaltet gemeinsam mit ZEIT-Reisen philosophische Reisen. Mit seinen Podcasts, Artikeln und zahlreichen Büchern erreicht er ein breites Publikum im gesamten deutschsprachigen Raum. Dabei schöpft er aus den Quellen der europäischen Philosophie, um tragfähige Antworten auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu finden. 2019 gründete er die Neue Platonische Akademie (www.akademie-3.org) zur Entwicklung eines geistigen Paradigmas für das digitale Zeitalter. www.christophquarch.de

EINHEIT UND VIELFALT:


DIE VISION

»Frei leben wir miteinander in der Polis.«

Perikles4

Als der Geist Europas in der griechischen Antike erstmals in Erscheinung trat, begeisterte er die von ihm ergriffenen Menschen zu einer neuen Sicht auf die Welt. Sie erschien ihnen als Kósmos – als eine schöne, in sich stimmige Ordnung, in der alles miteinander zusammenspielte, um sich in wechselseitiger Interaktion zur vollen Blüte der Lebendigkeit zu entfalten. Freiheit der Einzelnen und Verbundenheit im Ganzen fügten sich im Lichte dieses Geistes zu einer dynamischen und spannungsvollen, dabei aber zutiefst lebendigen und schöpferischen Harmonie, die von den frühen griechischen Denkern als Grundprinzip des Kósmos bzw. der lebendigen Natur, der Phýsis, geltend gemacht wurde. Dieses Prinzip auf die persönlichen und politischen Angelegenheiten der Menschen anzuwenden und die dynamische Harmonie der Natur zum Maß eines gelingenden Lebens zu erheben war die Vision, die ausgehend vom Orakelheiligtum zu Delphi im ganzen hellenischen Kulturraum verbreitet wurde. Bewegt vom europäischen Geist, wurden Recht und Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit, Individualität und Zusammengehörigkeit zu den zentralen Werten einer Kultur, die in einer glücklichen Stunde des Schicksals die politischen Formationen des Rechtsstaates und der Demokratie erfand.

Europa ist ein Kontinent der Vielfalt. Auf vergleichsweise engem Raum ist er seit alters von einer Vielzahl unterschiedlicher Ethnien besiedelt, die über Jahrtausende der rekonstruierbaren Geschichte zuweilen friedlich zusammenlebten, sich häufig aber auch bekämpften. Tatsächlich liest sich die Geschichte Europas wie eine Chronik ständig aufeinanderfolgender Kriege und Kämpfe – sei es infolge innerer Zwistigkeiten, sei es durch von außen eindringende Invasoren wie Hunnen, Mauren oder Osmanen. Zeiten dauerhaften Friedens, wie in der Spätzeit der Regentschaft des römischen Kaisers Augustus (63 v. Chr.–14 n. Chr.) oder unter Antoninus Pius (86–161) im 2. Jahrhundert, scheinen eher die Ausnahme als die Regel gewesen zu sein. Europa, so könnte man meinen, ist ein Kontinent des Blutvergießens.

Dabei übersieht man jedoch leicht, dass die Geschichtsbücher dazu tendieren, eher von den Ausnahmen als vom Alltag der Menschen zu berichten. Weist die europäische Geschichte auch ein Unmaß an garstigen, grausamen Flecken auf, so gäbe es sie nicht ohne immer wieder neu getroffene Arrangements der Mächtigen. Mehr oder weniger stabile politische Bündnisse wurden geschmiedet, freie Städte gründeten Handelsnetzwerke wie die Hanse in Nordeuropa. So zerstritten und hostil Europa schon immer war, so lernte man dort auch – gewiss meist gegen starke Widerstände und für einen hohen Preis –, sich miteinander zu verständigen. Denn bei aller inneren Zerrissenheit strebte der Kontinent doch immer auch nach Frieden; und zwar nach einem Frieden ohne imperiale Hegemonie, der die Unterschiede der einzelnen Völker, Kulturen oder Nationen respektiert und wahrt.

Eines, das muss unterstrichen werden, gab es in Europa nie: ein den ganzen Kontinent beherrschendes Imperium mit einer einheitlichen, uniformen Kultur. Weder das Römische noch das karolingische Reich umfasste den gesamten europäischen Kulturraum – und beide ließen in ihrem Herrschaftsbereich den Raum für kulturelle Unterschiede. Die einzige politische Formation, der eine einheitliche politische Organisation Europas annähernd gelungen ist, ist die Europäische Union der Gegenwart. Doch wie die jüngste Vergangenheit lehrt, ist auch sie gefährdet – und so wird es bleiben, solange Europa sich nicht als geistige Einheit neu entdeckt.

Denn eine geistige Einheit Europas ist notwendig, um den politischen Zusammenhalt in einem künftigen Vereinten Europa zu stiften. Eine gemeinsame Währung allein trägt nicht, ein gemeinsamer Wirtschafts- und Rechtsraum allein trägt nicht, nicht einmal gemeinsame politische und juristische Institutionen alleine tragen, solange ihnen ein geistiges Band der Verbundenheit und Verbindlichkeit fehlt. Es braucht ein klares und kulturell manifestiertes Bewusstsein der Zusammengehörigkeit und gemeinsamen Identität, das regionale Besonderheiten und europäische Gemeinsamkeiten gleichermaßen würdigt. Es braucht die Rückbindung an einen Geist, der die Bürgerinnen und Bürger für ein Vereintes Europa begeistert. Dieser Geist kann nur einer sein, dem ein scheinbares Paradox gelingt: für die Diversität und Individualität der unterschiedlichen Menschen und Kulturen der europäischen Völker ebenso zu begeistern wie für ihre Zusammengehörigkeit in einem umfassenden europäischen Kultur- und Rechtsraum, der von einem politischen Bündnis getragen wird.

Die Geschichte politischer Bündnisse beginnt im antiken Griechenland. Ihre Urform ist die Amphiktyonie, zu der sich mehrere selbstständige Stadtstaaten verbanden, um ein von ihnen gemeinsam genutztes Heiligtum zu schützen. Diesen Ursprung verrät das Wort: Amphiktyonie ist zusammengesetzt aus dem griechischen Präfix ἀμφί (amphi = um … herum) und dem Verbum κτίζω (ktízō = gründen, bauen, wohnen) und meint den Kreis derer, die um etwas herum siedeln.

Amphiktyonien gab es in unterschiedlichen Regionen des hellenischen Kulturraums – teilweise auch in Etrurien – spätestens seit dem 7. Jahrhundert v. Chr. Einer der Gründe für ihr Entstehen dürfte sein, dass sich im antiken Griechenland, anders als in fast allen zeitgleichen Hochkulturen wie Ägypten, Assyrien, Babylonien oder Persien, keine zentral verwalteten imperialen Strukturen ausbildeten, sondern eine Vielzahl höchst heterogener Stämme ihre eigenen Territorien besiedelten und beherrschten. Was sie verband, war im Wesentlichen dreierlei: eine annähernd gemeinsame Sprache und, wichtiger noch, eine gemeinsame Mythologie bzw. Religion sowie ein daraus resultierendes Gefühl der Zusammengehörigkeit und Zugehörigkeit zu einer verbindenden Kultur. Deren eindrucksvollstes Dokument sind zweifellos die homerischen Epen des 8. Jahrhunderts v. Chr., die überall in diesem höchst diversen und polyfonen Kulturraum bekannt waren. Eine gemeinsame Religion und Kultur bedeuteten gemeinsame Heiligtümer und Kulte. Deshalb gab es die Amphiktyonien. Neben einem kultischen Bündnis mehrerer Städte an der Ostküste der Ägäis (in der heutigen Türkei) war deren bekannteste diejenige, die bald schon zu der Amphiktyonie werden sollte. Sie bildete sich zum Schutz des Zentralheiligtums des gesamten hellenischen Sprach- und Kulturraums im antiken Delphi am Südhang des Parnass-Gebirges in Zentralgriechenland.

Die delphische Amphiktyonie ist seit dem 7. Jahrhundert v. Chr. bezeugt.5 Sie war der Zusammenschluss von zwölf mittel- und nordgriechischen Staaten und Stämmen, die sich verpflichteten, gemeinsam den heiligen Ort mit seinem weithin berühmten Orakel zu schützen, den freien Zugang der Pilger sicherzustellen und die Durchführung der Pythischen Spiele zu gewährleisten, die ebenfalls seit dem 7. Jahrhundert v. Chr. regelmäßig alle vier Jahre stattfanden. Es waren dies musische Spiele zu Ehren des in Delphi verehrten Gottes Apollon, die an Bedeutung den athletischen Spielen zu Olympia, die dem Hauptgott Zeus geweiht waren, in keiner Weise nachstanden. In beiden Fällen handelte es sich um sogenannte panhellenische Spiele, deren Teilnehmer und Zuschauer aus dem gesamten hellenisch besiedelten Mittelmeerraum und von den Küsten des Schwarzen Meeres anreisten. Neben Delphi und Olympia gab es solche Festspiele nur in Nemea und Isthmia, beide unweit von Korinth.

Ein Schutzbündnis des delphischen Heiligtums war vor allem deshalb nötig, weil es als Kultstätte des Apollon unbefestigt war. Waffen oder Militär waren dort nicht zugelassen, sodass sich die Einwohner und die Priesterschaft der Stadt im Falle eines Übergriffes nicht selbst hätten verteidigen können. Damit war aber jederzeit zu rechnen, glich Delphi doch über viele Jahrhunderte einer Schatzkammer oder einem Museum, das vor kostbaren Weihgaben, Devotionalien und Dankgeschenken für hilfreiche oder wegweisende Orakelsprüche nachgerade überquoll. Der Ort war mithin reich und als gleichzeitig unbewehrte Stadt eine reizvolle Beute nicht nur für nordische Stämme, die zuweilen in Zentralgriechenland einfielen, sondern auch für die unmittelbaren Anrainer des Heiligtums. Es ging den Mitgliedsstädten der Amphiktyonie deshalb nicht nur darum, Delphi vor Angriffen von außen zu schützen, sondern es war auch ihr Anliegen, sich gegenseitig von möglichen Übergriffen abzuhalten und durch ein stabiles Gleichgewicht der Kräfte den Schutz des Kostbaren, ja Heiligen sicherzustellen. Deshalb hatten sich die Mitglieder nicht nur eidlich darauf verpflichtet, Delphi zu...

Erscheint lt. Verlag 16.2.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-95890-590-0 / 3958905900
ISBN-13 978-3-95890-590-0 / 9783958905900
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