Im Labyrinth der Nerven (eBook)

Ein spannender Streifzug durch die Neurologie und Psychiatrie
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2022 | 1. Auflage
272 Seiten
Eden Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
978-3-95910-368-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Im Labyrinth der Nerven -  Nicole Knobloch,  Christian Knobloch
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Die Faszination für die Tiefen der menschlichen Seele begleitet uns seit Jahrhunderten: Wenn Mediziner*innen Fallgeschichten aus ihrer Praxis erzählen, dann hört man ihnen zu. Das Ärzteehepaar Nicole und Christian Knobloch behandelt in seiner Praxis seit über zwanzig Jahren Menschen mit psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen. In zahlreichen Fallgeschichten berichten sie nun erstmals aus dem breiten Spektrum der Neurologie und Psychiatrie. So begegnet ihnen eine junge Mutter, deren ALS-Diagnose bereits ihr Leben überschattet - doch ihr Schlafzimmerblick bringt die Ärzte auf eine rettende Spur. Ein gehirn-chirurgischer Eingriff befreit einen 14-Jährigen von seinen verheerenden epileptischen Anfällen, woraufhin er plötzlich ein geniales musikalisches Talent zeigt. Ein unerwarteter, erneuter Anfall im Erwachsenenalter gefährdet die Opernkarriere des Autisten. Das breite Spektrum der wahren Geschichten aus der neurologischen und psychiatrischen Praxis lässt erahnen, wie kompliziert, faszinierend, aber auch wie fragil und vulnerabel unser Gehirn - und damit auch unsere Seele - ist. In der Erforschung und Therapie der Erkrankungen des Nervensystems hat die Medizin in den letzten Jahren riesige Fortschritte gemacht: Wo früher Ärzt*innen hilf- und ratlos waren, kann heute vielen Patient*innen entscheidend geholfen werden.

Dr. Nicole Knobloch (1962) ist Ärztin und konnte 2002 nach der Geburt ihrer vier Töchter ihre berufliche Tätigkeit wieder aufnehmen. In der Praxis ihres Ehemannes befasste sie sich mit neurophysiologischer und neuropsychologischer Diagnostik (Schwerpunkte: Autismus, ADHS und Demenz). Parallel dazu war sie als Bio- und Neurofeedback-Therapeutin tätig. Während dieser Zeit absolvierte sie auch einige Jahre lang eine ärztliche Weiterbildung in den Bereichen Neurologie und Psychiatrie. Zusammen mit ihrem Mann Dr. Christian Knobloch lebt sie am Rande des Ruhrgebiets.

Dr. Nicole Knobloch (1962) ist Ärztin und konnte 2002 nach der Geburt ihrer vier Töchter ihre berufliche Tätigkeit wieder aufnehmen. In der Praxis ihres Ehemannes befasste sie sich mit neurophysiologischer und neuropsychologischer Diagnostik (Schwerpunkte: Autismus, ADHS und Demenz). Parallel dazu war sie als Bio- und Neurofeedback-Therapeutin tätig. Während dieser Zeit absolvierte sie auch einige Jahre lang eine ärztliche Weiterbildung in den Bereichen Neurologie und Psychiatrie. Zusammen mit ihrem Mann Dr. Christian Knobloch lebt sie am Rande des Ruhrgebiets. Dr. Christian Knobloch (1957) ist Facharzt für Neurologie und Psychiatrie. Er war fast dreißig Jahre lang in eigener Praxis tätig. Seine Schwerpunkte waren die klinische Neurophysiologie und Neuropsychologie sowie innovative Behandlungsverfahren wie Bio- und Neurofeedback. Besondere Fürsorge galt Patient*innen mit geistiger Behinderung, dementiellen Syndromen, schweren psychiatrischen Erkrankungen und Menschen mit tiefgreifenden Entwicklungsstörungen wie Autismus. Zusammen mit seiner Frau Dr. Nicole Knobloch lebt er am Rande des Ruhrgebiets.

1 | Eine Schwäche


Nicole, Januar

»Man hat schon alles Mögliche mit mir veranstaltet, Frau Doktor. Aber dieses Schwächegefühl in den Armen geht einfach nicht weg. Ich kann nicht mal eine leichte Einkaufstasche hochheben, geschweige denn meine kleine Tochter.«

Die hübsche Frau mit dem blonden Pferdeschwanz, die sich heute zum ersten Mal bei mir vorstellt, sieht mich entnervt an. Sie wirkt erschöpft und ratlos. »Letztens wollte ich Mia zum Anziehen auf die Kommode heben, da ist sie mir fast aus den Armen gerutscht.«

»Und Ihr Hausarzt hatte Sie wegen der Schwäche und der Schmerzen im Arm schon in eine Klinik überwiesen?«

Sie zuckt mit den Schultern. »Eigentlich hatte ich nur diese Schwäche in den Armen. Eher keine Schmerzen. Im Krankenhaus hat man mich im November neurologisch komplett durchuntersucht. Mit Nadeln in die Muskeln gestochen, Strom auf die Nerven gegeben und dieses MRT der Halswirbelsäule gemacht. Das war alles schon belastend genug. Aber es kam ja noch viel schlimmer: Die Neurochirurgen im Haus haben eine Verengung in meinem Wirbelkanal in der Halswirbelsäule gesehen und wollten mich sofort operieren.«

»Ah, ja, ich sehe es hier im Arztbrief. Spinalkanalstenose.«

»Ja, genau. Natürlich musste ich das zuerst mit meinem Mann besprechen, der ja dann die ganze Zeit auf Mia aufzupassen hatte. Wissen Sie, er baut sich gerade ein eigenes Unternehmen auf und kann sich keine Ausfallzeit erlauben. Na ja, auf jeden Fall hat man uns gesagt, es müsse dringend operiert werden, die neurologischen Untersuchungen hätten das auch nahegelegt. Dann habe ich mich halt schweren Herzens für die OP entschieden. Das war eine schreckliche Woche da im Krankenhaus! Ich hatte nach der OP starke Schmerzen und konnte mich kaum bewegen. Nach der anschließenden vierwöchigen ambulanten Reha bin ich jetzt seit zwei Wochen wieder zu Hause und merke, dass die Beschwerden überhaupt nicht besser geworden sind, eher sind meine Arme noch schwächer geworden. Können Sie sich vorstellen, wie Weihnachten bei uns war? Mein Mann musste mir sogar das Gemüse auf dem Teller zerteilen, so wenig Kraft hatte ich.« Sie schaut mich verzweifelt an.

»Ach, Sie Ärmste, das klingt aber wirklich nach einer schlimmen Tortur, die Sie da hinter sich haben. Vor allem weil es letztlich überhaupt nicht besser geworden ist. Ich kann gut verstehen, dass Sie sich jetzt Sorgen machen und wissen möchten, was mit Ihnen eigentlich los ist. Dafür muss ich Sie leider noch mal gründlich neurologisch untersuchen, Frau Kilian. Dann sehen wir weiter. Und keine Sorge: Es wird nicht so unangenehm wie in der Klinik.«

Bei der Untersuchung stelle ich eine ausgeprägte Schwäche der Schulter- und Oberarmmuskulatur auf beiden Seiten fest. War die Spinalkanalstenose wirklich die Ursache für diese Schwäche? Ich bezweifle es inzwischen. Außerdem fällt mir seit der ersten Begrüßung auf, dass die Stimme der jungen Frau merkwürdig kraftlos klingt. Steckt vielleicht etwas ganz anderes hinter den Symptomen? Ist sie am Ende völlig umsonst operiert worden?

»Sagen Sie, Frau Kilian, hat Ihre Stimme sich in letzter Zeit verändert? Haben Sie da etwas bemerkt?«

Sie sieht mich verwundert an. »Mein Mann hat auch schon gesagt, dass ich so belegt spreche. Ich dachte, vielleicht hatte ich eine leichte Halsentzündung … Oder kommt das von der Intubation bei der Operation? Dabei wird man doch beatmet, oder?«

Ich schüttle den Kopf. »Nein, davon ist es bestimmt nicht. Sie klingen so heiser. Das kommt bei manchen Muskelerkrankungen vor. Hatten Sie schon mal Probleme beim Schlucken?«

»Nein, das habe ich noch nicht bemerkt.«

»Wissen Sie was? Ich werde jetzt nicht auch noch in Ihren Muskeln herumpieksen, sondern schicke Sie am besten gleich einmal in eine neurologische Klinik zur weiteren Abklärung.«

Die junge Frau schaut entsetzt hoch. »Noch mal in die Klinik? Oh nein! Das ist ja … damit hab’ ich nicht gerechnet. Wie soll ich das machen? Ich habe keine Eltern und Schwiegereltern hier, die auf Mia aufpassen könnten. Und mein Mann kann unmöglich noch einmal so lange ausfallen. Was denken Sie, wie lange es dauern wird?«

»Das kann ich Ihnen leider nicht genau sagen. Aber ich lasse da jetzt anrufen und frage, ob man Sie schnellstmöglich aufnehmen kann.«

Ich bitte Anja, unsere junge medizinische Fachangestellte, eine Verbindung zur Klinik herzustellen.

»Und was die Betreuung Ihrer Kleinen betrifft: Haben Sie nicht eine Freundin oder Nachbarin, die Ihre Mia in der Zeit tagsüber nehmen könnte?«

Sie denkt nach, während sie sich langsam und mit viel Mühe die Hose wieder hochzieht.

»Mmh, tja, vielleicht die nette ältere Dame aus unserem Haus. Die freut sich immer so, wenn sie Mia sieht. Ich glaube, die war früher Erzieherin. Ich muss sie mal fragen, ob sie sich das vorstellen könnte. Zum Schlafen kann Mia dann in ihr eigenes Bettchen gehen. Das schafft mein Mann dann schon.«

Das interne Telefon klingelt. »Frau Doktor, die Klinik für Sie, ich lege auf«, sagt Anja am anderen Ende.

»Danke, Anja, ich übernehme.«

Frau Kilian ist so mit ihren Gedanken beschäftigt, dass sie nicht wirklich mitbekommt, wie ich dem Neurologen am Telefon meine Verdachtsdiagnose mitteile. »Ja, hallo, Herr Kollege«, sage ich mit gesenkter Stimme. »Ich habe hier eine junge Patientin mit einer generalisierten Muskelschwäche und einer leichten Sprechstörung. Ich denke zwar am ehesten an eine Muskelerkrankung, aber natürlich ist auch eine ALS nicht sicher auszuschließen … Ja, klar, das überlasse ich natürlich Ihnen.«

Die Kollegen in der Klinik haben es nicht so gern, wenn man sich zu einem Vorverdacht aufschwingt. Sollen sie halt alle Register der Diagnostik ziehen. Wichtig ist, dass der Frau schnell geholfen wird. Nach der Klärung einiger organisatorischer Fragen lege ich auf. Frau Kilian kann schon am nächsten Tag aufgenommen werden.

»Ich glaube, die Idee mit der Nachbarin ist sehr gut, Frau Kilian. Ihrer Tochter wird es gefallen, sie ist ja auch schon ein Kindergartenkind, nicht? Da wird sie ein paar Stunden am Tag mit der Nachbarin gut auskommen, zumal wenn die früher Erzieherin war. Und Ihr Mann kriegt das bestimmt auch gut hin. Ich schreibe Ihnen jetzt die Einweisung in die Klinik und hoffe, dass wir uns dann bald wiedersehen, um den Befund zu besprechen. Sagen wir in zwei Wochen?«

Sie schlurft zur Tür. »Ja, gut, vielen Dank, Frau Doktor. Und drücken Sie mir die Daumen.«

Ich winke ihr noch nach und lächle sie dabei aufmunternd an. »Mache ich, Frau Kilian, alles Gute.«

Aber als ich mich umdrehe und in mein Sprechzimmer zurückgehe, ist das Lächeln auf meinem Gesicht schlagartig weg.

So ein Mist! Hoffentlich steckt nicht wirklich eine jugendliche Form der ALS dahinter! Die amyotrophe Lateralsklerose ist eine der schlimmsten und gemeinsten neurodegenerativen Erkrankungen, die man sich vorstellen kann. Auch der berühmte Physiker Stephen Hawking litt darunter. Bei ALS werden durch bisher noch nicht eindeutig geklärte Mechanismen nach und nach diejenigen Nervenzellen zerstört, die normalerweise das gesamte Muskelsystem mit Input versorgen. Durch die fehlende Stimulation der Nerven verkümmert die Muskulatur des gesamten Körpers. Dies führt über kurz oder lang zu einem Schwund der Muskeln in den Armen und Beinen, im Kopf- und Halsbereich und dann schließlich zu einer Lähmung der Atemmuskulatur.

Das Kind nicht mehr auf den Arm nehmen zu können, nicht mehr laufen zu können und im Rollstuhl sitzen zu müssen! Nicht mehr richtig sprechen und schlucken zu können und die Gesichtsmuskeln nicht mehr zu einem Lächeln bewegen zu können. Zum Schluss möglicherweise beatmet werden zu müssen. Genau das hieße diese Diagnose für die junge Mutter. Falls sie die Krankheit hätte, würde sie innerhalb weniger Jahre sterben.

Die Befunde aus dem Krankenhaus, die mir Frau Gerber, unsere langjährige erste Kraft, nach einer Woche auf den Schreibtisch legt, sind niederschmetternd.

In der Mittagspause beim Italiener erzähle ich Christian von dem Befund und zitiere aus dem Bericht der Klinik: »Die Summe der Ergebnisse aller bisher erfolgten Untersuchungen legt die Diagnose ALS nahe.«

»Oh nein! Die arme Frau! Ist denn jegliche andere Erkrankung, die mit einer Muskelschwäche einhergeht, ausgeschlossen worden?« Christian ist auch betroffen.

»Ich muss mich da jetzt erst mal auf die Einschätzung der Klinik verlassen. Heute Nachmittag habe ich die unangenehme Pflicht, die Patientin darüber aufzuklären.« Ich schaue auf die Uhr. »Ich hasse das! Noch zwei Stunden, dann kommt sie.«

Frau Kilian schleicht in mein Sprechzimmer. Gequält schaut sie aus dem Stuhl zu mir hoch. »Nicht, Frau Doktor, ich habe was ganz Schlimmes, oder?«

Ich schlucke. »Frau Kilian, die Ergebnisse der Untersuchungen haben leider gezeigt, dass Sie eine Erkrankung haben, bei der die Nervenzellen zerstört werden, die Ihre Muskeln versorgen. Durch deren Ausfall kommt es nach und nach zu einem Muskelschwund am ganzen Körper. ALS heißt die Krankheit. Amyotrophe Lateralsklerose. Obwohl sehr viel geforscht wird, gibt es bis heute leider noch keine befriedigende Therapie. Aber ein Medikament, das den Krankheitsverlauf verlangsamt, ist schon verfügbar. Das werde ich Ihnen auf jeden Fall verordnen.«

Frau Kilian bricht in ein Schluchzen aus. Sie schlägt die Hände vors Gesicht, und für einige Minuten hocke ich neben ihr, den Arm um ihre Schultern gelegt. Ich spüre, wie das Schluchzen und die Verzweiflung ihren zarten Körper schütteln, und kann...

Erscheint lt. Verlag 4.3.2022
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturwissenschaft
Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Neurologie
Schlagworte Ableismus • ADHS • ADS • ALS • Alzheimer • Ameisenrennen • Amyotrophe Lateralsklerose • Aneurysma • Angiografie • Asperger • ASPERGER-Autismus • Asperger-Syndrom • Aura • Autismus • Bipolare Störung • Clusterkopfschmerz • Covid-19 • Demenz • Depression • Diabetes • Dissoziative Störung • Dopamin • Eden Books • Epilepsie • Fallgeschichten • Forschung • Gedächtnis • Geistige Behinderung • Halluzinationen • Hirntumor • Hirnverletzung • Kopfschmerzen • Kopfweh • Labor • Long-Covid-Syndrom • mentale Gesundheit • Mental Health • Migräne • Multiple Sklerose • Neurologie • Paranoia • Parkinson • Persönlichkeitsentwicklung • Posttraumatische Belastungsstörung • Psychose • Psychotherapie • PTBS • PTSD • Restless Legs • Ritalin • Sachbuch • Schizophrenie • Schlafstörungen • Schlaganfall • TAP-Test • Therapie • Tourette • Tremor • Wahnvorstellungen • Wasserkopf
ISBN-10 3-95910-368-9 / 3959103689
ISBN-13 978-3-95910-368-8 / 9783959103688
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