Physiotherapie in der Orthopädie (eBook)

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2015 | 3. Auflage
784 Seiten
Georg Thieme Verlag KG
978-3-13-151023-5 (ISBN)

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Physiotherapie in der Orthopädie -
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Lesen Sie sich fit! - Die gesamte Physiotherapie in der Orthopädie mit Schwerpunkt 'konservative' Orthopädie. - Alle Untersuchungs- und Behandlungstechniken mit vielen Fallbeispielen und allen relevanten Behandlungsmethoden (Manuelle, PNF, FBL, Brügger). - Exakte Befundanalysen typischer Symptome werden vorgestellt.

Mechthild Dölken, Antje Hüter-Becker: Physiotherapie in der Orthopädie 1
Innentitel 4
Impressum 5
Vorwort 6
Inhaltsverzeichnis 7
1 Charakteristika der Physiotherapie in der Orthopädie 15
Einleitung 15
Patientenedukation 17
SMART-Regel 18
Wirkorte 18
Leitsymptome 18
2 Leitsymptome in der Orthopädie 23
Leitsymptom Schmerz 23
Definitionen 23
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit dem Leitsymptom Schmerz 35
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit dem Leitsymptom Schmerz 62
Leitsymptom veränderte Bewegungen – verminderte Beweglichkeit 82
Überblick 82
Ursachen 84
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit dem Leitsymptom verminderte Beweglichkeit 97
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit dem Leitsymptom verminderte Beweglichkeit 114
Leitsymptom veränderte Bewegungen – vermehrte Beweglichkeit – mangelnde Bewegungskontrolle 130
Systeme die Bewegungskontrolle gewährleisten 131
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit dem Leitsymptom vermehrte Beweglichkeit – mangelnde Bewegungskontrolle 135
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit dem Leitsymptom vermehrte Beweglichkeit 151
Leitsymptom verändertes Bewegungsverhalten 163
Einflüsse auf das Bewegungsverhalten 166
3 Überwiegend statisch bedingte Syndrome und Funktionskrankheiten 191
Überblick: Statische Syndrome und Funktionskrankheiten 191
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit statischen Syndromen und Funktionskrankheiten 191
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit statischen Syndromen und Funktionskrankheiten 194
Haltungsabweichungen 195
Definition 195
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Haltungsabweichungen 197
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit Haltungsabweichungen 200
Wirbelsäulensyndrome 206
Definition 206
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Wirbelsäulensyndromen 209
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit Wirbelsäulensyndromen 229
Tendopathien (Tendinitis, Insertionstendopathie) 244
Übersicht 244
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Tendopathien 247
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit Tendopathien 249
Tendopathien im Bereich der Schulter 250
Bewegungsmuster im Bereich der Schulter 250
Tendopathie des M. supraspinatus 252
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Tendopathie des M. supraspinatus 252
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit Tendopathie des M. supraspinatus 254
Tendopathie der Handextensoren (Tennisellenbogen) 259
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Tendopathie der Handextensoren 259
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit Tendopathie der Handextensoren 261
Tendopathie des M. triceps surae (Achillessehne) 262
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Tendopathie des M. triceps surae 262
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit Tendopathie des M. triceps surae 265
Kompressionssyndrome und Neuropathien 267
Überblick 267
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Kompressionssyndromen und Neuropathien 271
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit Kompressionssyndromen und Neuropathien 286
Kompressionssyndrome und Neuropathien der oberen Extremität 289
Kompressionssyndrome der oberen Thoraxapertur (Thoracic outlet syndrome) 290
Kompressionssyndrome an Unterarm und Hand 293
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Kompressionssyndromen und Neuropathien der oberen Extremität 298
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit Kompressionssyndromen und Neuropathien der oberen Extremität 300
Kompressionssyndrome und Neuropathien der unteren Extremität 303
Beispiele 303
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Kompressionssyndromen und Neuropathien der unteren Extremität 308
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit Kompressionssyndromen und Neuropathien der unteren Extremität 311
Statisch bedingte Schmerzsyndrome im Bereich der Kniescheibe 312
Ursachen 312
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit statisch bedingten Schmerzsyndromen der Kniescheibe 318
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit statisch bedingten Schmerzsyndromen der Kniescheibe 321
Veränderungen der Fußstatik 324
Ursachen 324
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Veränderungen der Fußstatik 333
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit Veränderungen der Fußstatik 335
4 Strukturelle Fehlstellungen 343
Überblick: Strukturelle Fehlstellungen 343
Allgemeines 343
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit strukturellen Fehlstellungen 345
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit strukturellen Fehlstellungen 346
Spondylolyse und Spondylolisthesis 348
Allgemeines 348
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Spondylolyse und Spondylolisthesis 351
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit Spondylolyse und Spondylolisthesis 356
Strukturelle Fehlstellungen im Hüftgelenk 360
Allgemeines 360
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit strukturellen Fehlstellungen im Hüftgelenk 369
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit strukturellen Fehlstellungen im Hüftgelenk 374
Femoroazetabulares Impingement (FAI) 377
Allgemeines 377
Physiotherapeutische Untersuchung 380
Physiotherapeutische Behandlung von Patienten mit femoroazetabularen Impingement 384
Strukturelle Fehlstellungen des Kniegelenks 385
Allgemeines 385
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit strukturellen Fehlstellungen des Kniegelenks 388
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit strukturellen Fehlstellungen des Kniegelenks 391
Skoliose 393
Allgemeines 393
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Skoliose 398
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit Skoliose 405
Strukturelle Fehlstellungen des Fußes 415
Formen 415
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit strukturellen Fehlstellungen des Fußes 419
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit strukturellen Fehlstellungen des Fußes 421
5 Arthrose 425
Überblick Arthrose 425
Allgemeines 425
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Arthrose 428
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit Arthrose 432
Spondylarthrose 434
Allgemeines 434
Physiotherapeutische Untersuchung von Patienten mit Spondylarthrose 436
Physiotherapeutische Behandlung von Patienten mit Spondylarthrose 439
Bandscheibenprotrusion/-prolaps 454
Definitionen 454
Physiotherapeutische Untersuchung von Patienten mit Bandscheibenprotrusion und -vorfällen 465
Physiotherapeutische Behandlung von Patienten mit Bandscheibenprotrusion und -vorfällen 472
Gonarthrose 488
Allgemeines 488
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Gonarthrose 490
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit Gonarthrose 493
Koxarthrose 500
Allgemeines 500
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Koxarthrose 503
Physiotherapeutische Behandlung von Patienten mit Koxarthrose 509
Arthrose im Bereich der Schultergelenke 521
Allgemeines 521
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Arthrose im Bereich der Schultergelenke 525
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit Arthrose im Bereich der Schultergelenke 531
6 Erkrankungen, die zu verminderter Belastbarkeit der Strukturen des Bewegungssystems führen 543
Überblick 543
Definition 543
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Erkrankungen, die zu verminderter Belastbarkeit der Strukturen des Bewegungssystems führen 545
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit Erkrankungen, die zu verminderter Belastbarkeit der Strukturen des Bewegungssystems führen 548
Aseptische Osteochondronekrosen 553
Allgemeines 553
Morbus Scheuermann 553
Allgemeines 553
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Morbus Scheuermann 555
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit Morbus Scheuermann 558
Morbus Perthes (juvenile Hüftkopfnekrose) 563
Allgemeines 563
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Morbus Perthes 568
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit Morbus Perthes 571
Osteoporose 574
Allgemeines 574
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Osteoporose 584
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit Osteoporose 590
7 Entzündliche rheumatische Erkrankungen 595
Überblick 595
Allgemeines 595
Spondylitis ankylosans oder Spondylarthritis ankylopoetica (Morbus Bechterew) 595
Allgemeines 595
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Spondylitis ankylosans oder Spondylarthritis ankylopoetica (Morbus Bechterew) 600
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit Spondylitis ankylosans oder Spondylarthritis ankylopoetica (Morbus Bechterew) 603
8 Charakteristika der Physiotherapie in der operativen Orthopädie 609
Überblick 609
Veränderungen in den Körperstrukturen 613
9 Gelenkerhaltende Operationen 627
Untere Extremität: Gelenkerhaltende und pfannenverbessernde Operationen am Hüftgelenk 627
Allgemeines 627
Operationen bei Femoroazetabularem Impingement (FAI) 631
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit gelenkerhaltenden und pfannenverbessernden Operationen am Hüftgelenk 633
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit gelenkerhaltenden und pfannenverbessernden Operationen am Hüftgelenk 636
Untere Extremität: Gelenkerhaltende Operationen am Kniegelenk: Korrekturosteotomien bei Genu valgum und Genu varum 642
Formen 642
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Korrekturosteotomien bei Genu valgum und Genu varum 643
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit Korrekturosteotomien bei Genu valgum und Genu varum 644
Untere Extremität: Eingriffe bei habitueller Patellaluxation 647
Formen 647
Rekonstruktion des medialen patellofemoralen Ligaments (MPFL) 648
Physiotherapeutische Untersuchung und Behandlung bei Patienten mit Eingriffen bei habitueller Patellaluxation 650
Untere Extremität: Synovektomien 651
Überblick 651
Physiotherapeutische Untersuchung und Behandlung bei Patienten mit Synovektomien 652
Untere Extremität: Korrekturen von Fuß- und Zehenfehlstellungen 654
Formen 654
Physiotherapeutische Untersuchung und Behandlung bei Patienten mit Korrekturen von Fuß- und Zehenfehlstellungen 656
Obere Extremität: Operative Eingriffe bei rezidivierender Schulterluxation 657
Formen der Schulterluxation 657
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit operativen Eingriffen bei rezidivierender Schulterluxation 659
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit operativen Eingriffen bei rezidivierender Schulterluxation 665
Obere Extremität: Operationen nach Ruptur der Rotatorenmanschette 671
Allgemeines 671
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Operationen nach Ruptur der Rotatorenmanschette 674
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit Operationen nach Ruptur der Rotatorenmanschette 677
Dekompression bei Impingement-Syndrom (subakromiale Enge) 677
Allgemeines 677
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Dekompression bei Impingement-Syndrom 679
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit Dekompression bei Impingement-Syndrom 682
Operation nach Hohmann bei Epicondylitis radialis humeri 683
Überblick 683
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Operation nach Hohmann bei Epicondylitis radialis humeri 683
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit Operation nach Hohmann bei Epicondylitis radialis humeri 684
10 Gelenkersetzende Operationen 687
Überblick 687
Allgemeines zur Implantation künstlicher Gelenke 687
Totalendoprothese des Hüftgelenks (TEP) 690
Allgemeines 690
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Totalendoprothese des Hüftgelenks (TEP) 694
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit Totalendoprothese des Hüftgelenks (TEP) 698
Uni- und bikondylärer Kniegelenkersatz 709
Überblick 709
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit uni- und bikondylärem Kniegelenkersatz 716
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit uni- und bikondylärem Kniegelenkersatz 719
Schulterendoprothesen 725
Überblick 725
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Schulterendoprothesen 729
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit Schulterendoprothesen 731
11 Gelenkversteifende Operationen 737
Allgemeines 737
Spondylodesen 738
Oswestry Disability Questionnaire (ODQ) 738
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Spondylodesen 743
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit Spondylodesen 744
Arthrodese des Hüftgelenks 751
Überblick 751
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Arthrodese des Hüftgelenks 752
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit Arthrodese des Hüftgelenks 753
Arthrodese der Sprunggelenke 754
Überblick 754
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Arthrodese der Sprunggelenke 755
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit Arthrodese der Sprunggelenke 756
12 Gelenkresezierende Operationen 759
Girdlestone-Operation am Hüftgelenk 759
Überblick 759
Physiotherapeutische Untersuchung bei Patienten mit Girdlestone-Operation am Hüftgelenk 760
Physiotherapeutische Behandlung bei Patienten mit Girdlestone-Operation am Hüftgelenk 761
Literatur 764
Sachverzeichnis 774

1 Charakteristika der Physiotherapie in der Orthopädie


1.1 Einleitung


In der Orthopädie sind viele Erkrankungen chronisch und haben häufig einen langsam zunehmenden, stetigen Verlauf. Den Schwerpunkt der physiotherapeutischen Untersuchung und Behandlung bietet der Wirkort Bewegungssystem. Die dabei untersuchten und behandelten einzelnen Körperstrukturen bestehen zum größten Teil aus Bindegewebe (z. B. Kapsel, Ligamente, Muskulatur, Neuralstrukturen, Faszien).

Alle Lebewesen sind der Erdanziehungskraft ausgesetzt. Sie gibt einem Körper erst sein Gewicht, das ihn unweigerlich zu Boden zieht, wenn ihn nicht andere Kräfte davon abhalten. Damit der Mensch seine aufrechte Haltung beibehalten kann, muss er ständig (außer im Liegen) Kräfte gegen die Erdanziehung mobilisieren. Auch bei nahezu allen Arten von Bewegung, die der Mensch gegen die Anziehung der Masse zum Boden durchführt, werden Kräfte mobilisiert. Durch diese Kräfte erhalten die Körperstrukturen Reize, wie z. B. Druck- und Zugbelastungen. Diese Reize sind für Ernährung und Organisation der Bindegewebe unbedingt erforderlich.

Bei angeborenen anatomischen Fehlstellungen des Bewegungssystems (z. B. Fehlstellungen im Bereich des Hüftgelenks – Hüftdysplasie) wirken die Kräfte anders als an einem gesunden Gelenk. Der Körper besitzt viele Kompensationsstrategien, um mit der veränderten Belastung zurechtzukommen und toleriert sie oft sehr lange ohne Symptome. Auf Dauer kann die veränderte Belastung jedoch zur Überlastung der Körperstrukturen führen. Viele Schmerzsyndrome in der Orthopädie sind Folgen einer veränderten Belastung von Körperstrukturen. Überlastung durch Veränderung der biomechanischen Verhältnisse kann Schmerzen auslösen.

Aber auch eine zu geringe Belastung von Körperstrukturen über einen langen Zeitraum kann auf Dauer Schmerzsyndrome zur Folge haben. Da dem Bindegewebe der Körperstrukturen die Bildungsreize fehlen, die durch Bewegung im Schwerefeld der Erde auf sie einwirken, degenerieren sie. Dadurch reduziert sich die Belastbarkeit noch mehr, und ein Circulus vitiosus (Teufelskreis) beginnt.

Physiotherapeuten in der Orthopädie benötigen genaue Kenntnisse zu Anatomie, Funktion, Biomechanik, Aufbau und Ernährung verschiedener Körperstrukturen, um Kompensationsmechanismen des Körpers auf veränderte Bewegung und Belastung erkennen und entscheiden zu können, ob sie sinnvoll sind oder nicht.

Sehr häufig haben Physiotherapeuten die Aufgabe, Bewegungsverhalten des Patienten zu beurteilen und gegebenenfalls eine ökonomische Belastung der Körperstrukturen mit den Patienten zu erarbeiten. Bei den gut gemeinten Ratschlägen muss die Therapeutin aber immer daran denken, dass der Körper zum Leben Belastung durch Bewegung benötigt. Das Bewegungsverhalten des Patienten in der Art zu verändern, dass er zukünftig möglichst konsequent an einer vermeintlich wenig belastenden Position festhält, bedeutet eine massive Einschränkung der Leistungs- und Ausdrucksmöglichkeiten des Patienten. Im Allgemeinen sind diese auf Dauer kontraproduktiv.

Beispiel Ein Patient mit einer Bandscheibenoperation in der LWS erlernt in der Physiotherapie „rückengerechtes“ Bücken mit dem Auftrag, sich lebenslang so zu bücken. Er ist von Beruf Automechaniker und möchte in 3 Wochen wieder zu arbeiten beginnen. Ihm gehen alle Arbeitssituationen in seinem Betrieb durch den Kopf, bei denen er sich bücken muss. Dabei stellt er fest, dass es in den wenigsten Situationen möglich sein wird, sich wie verlangt zu bücken. Außerdem stellt er sich seine Kollegen vor, die ihn dann vermutlich belächeln werden. Die Therapeutin bemerkt die zunehmende Lustlosigkeit des Patienten bei den „rückengerechten“ Übungen und denkt, er ist von seiner Compliance her unmotiviert.

An diesem Beispiel wird deutlich, dass bei der Untersuchung und Behandlung neben dem Bewegungssystem noch andere Wirkorte eine wesentliche Rolle spielen. Das Verhalten und Erleben von Patient und Therapeutin prägen wesentlich die Behandlungssituation: In diesem Fall hat die Therapeutin nur schematisch an die verletzte Bandscheibe gedacht und versucht, dem Patienten ein Bewegungsverhalten überzustülpen, mit dem dieser sich nicht identifizieren konnte.

Sie hat den Patienten nicht nach seinen Bedürfnissen gefragt und das Bewegungsverhalten nicht an dessen individuelle Arbeitssituationen angepasst. Da der Patient keine Informationen zu den Wundheilungsphasen des verletzten Bindegewebes erhalten hatte, war ihm nicht klar, dass er sich nicht lebenslang so bücken muss, sondern nur so lange die verletzten Strukturen eine reduzierte Belastbarkeit aufweisen. Danach müssen die erforderlichen alltagsspezifischen Bewegungsabläufe mit Bewegung der Wirbelsäule erarbeitet werden. Das normale motorische Bewegungsmuster des Körpers benötigt eine bewegte und keine starre, steife Wirbelsäule. Der Wirkort Bewegungsentwicklung und Bewegungskontrolle steuert jeden Bewegungsablauf, weshalb er bei der Untersuchung und Behandlung des Bewegungssystems nicht wegzudenken ist.

Der Patient hat von sich aus seine Bedenken nicht geäußert, weil er dachte, das müsse jetzt so sein. Durch die leicht autoritäre Art der Physiotherapeutin wurde er zusätzlich eingeschüchtert.

Das Verhältnis zwischen Therapeutin und Patient ist sehr entscheidend für die Motivation des Patienten und den Erfolg der Behandlungssequenz. Im therapeutischen Prozess ist das Konzept der Compliance relevant. Dieser Begriff wird definiert als „das Maß, worin das Verhalten einer Person mit den Empfehlungen der behandelnden Kliniker übereinstimmt“ (▶ [169]). Allerdings birgt er manchmal die Gefahr, dass dahinter wie im Fallbeispiel ein eindimensionales autoritäres Patient-Therapeutin-Verhältnis steckt (▶ [216]). Die Therapiesituation soll aber durch eine aktive Partnerrolle zwischen Patient und Therapeutin geprägt sein.

Zur Optimierung der Compliance müssen Therapeuten bewusste Informationsstrategien entwickeln und zusammen mit dem Patienten neben einem Behandlungs- auch einen Informationsplan aufstellen. Die Informationen vermitteln Verständnis über die pathomechanischen Prozesse, die eine Veränderung der Belastung und des Bewegungsverhaltens erfordern. Nur dadurch lässt sich eine dauerhafte Verhaltensänderung beim Patienten erzielen.

Patienten erwarten auch während der aktiven Interventionen einer physiotherapeutischen Behandlung die Vermittlung von Selbsthilfestrategien (z. B. zum Beeinflussen von Schmerzen), wodurch sie ihr eigenes Wohlbefinden kontrollieren können. In einer qualitativen Studie gaben die Teilnehmer an, dass die Vermittlung von Strategien zum Selbstmanagement die Zufriedenheit mit dem therapeutischen Prozess erhöht (▶ [269]).

Vor allem Patienten mit chronischen Erkrankungen und somit anhaltender Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit neigen dazu, sich zunehmend aus dem alltäglichen sozialen Leben zurückzuziehen und immer weniger zu belasten. Häufig fühlen sie sich minderwertig, was schließlich zu Depressionen führen kann (Ich kann gar nichts mehr, seitdem mich mein Kniegelenk so plagt.).

Selbst die Belastungsmöglichkeiten bis zur Grenze werden nicht mehr ausgeschöpft, was natürlich nicht nur den Trainingszustand, sondern auch die Belastbarkeit und das Schmerzempfinden negativ beeinflusst. Die Belastungsgrenze sinkt stetig weiter ab. Das körperliche Problem rückt in den Mittelpunkt des gedanklichen Tuns und Handelns. Daher muss der Patient in der Therapie das Gefühl vermittelt bekommen, dass er trotz des körperlichen Schwachpunkts durchaus noch leistungsfähig ist. Außerdem erlernt er, seine eigene Belastbarkeit einzuschätzen und zu erhalten bzw. zu verbessern.

Beispiel Eine adipöse Patientin mit einer...

Erscheint lt. Verlag 14.1.2015
Reihe/Serie Physiolehrbuch
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Gesundheitsfachberufe
Schlagworte Achillessehne • Arthrose • Bandscheiben • Beweglichkeit • Bewegungen • Fehlstellungen • Fuß • Gelenkversteifung • Haltung • Hand • Hüftgelenk • Kniegelenk • Kniescheibe • Kompressionssyndrome • Konservative Orthoipädie • Leitsymptom • Morbus Scheuermann • Neruopathien • Orthopädie • Osteochondronerosen • Osteoporosw • Physiotherapie • Schmerz • Schulter • Sehnen • Skoliose • Statische Syndrome • Totalendoprothesen • Wirbel • WIRBELSÄU LE
ISBN-10 3-13-151023-4 / 3131510234
ISBN-13 978-3-13-151023-5 / 9783131510235
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