Die Schlüpferakademie (eBook)
224 Seiten
DuMont Buchverlag
978-3-7558-1017-9 (ISBN)
DR. MED. SUSAN ZEUN ist Fachärztin für Klinische Pharmakologie mit Spezialisierung auf Phytotherapie. Sie ist seit über zwanzig Jahren in der Entwicklung von Medikamenten in der Frauenheilkunde tätig und betreibt nebenberuflich eine Privatpraxis in Berlin, in der sie individuelle Pflanzentherapie für Frauen anbietet. 2021 erschien ihr erstes Buch >Phytotherapie in der Frauenheilkunde<. www.susanzeun.com
BIOLOGIE
SEX, HYGIENE UND ERNÄHRUNG
Es gibt wohl kaum ein umfangreicheres Fach als Biologie. Die Kunde (lateinisch: logos) des Lebens (lateinisch: bios) umfasst per Definition alles, was lebt, und damit auch, wie es sich fortpflanzt und am Leben erhält.
In der Schlüpferakademie geht es im Fach Biologie um die Sexualkunde und den Einfluss auf die vulvo-vaginale Gesundheit. Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Hygiene – Grund genug also, näher auf die Dos and Don’ts der Intimhygiene allgemein, im Wandel der Zeiten, aber auch während der Menstruation einzugehen.
Nicht zuletzt spielt auch die Ernährung eine große Rolle. Solltest du bisher die Vorstellung gehabt haben, dass du mit deiner Ernährung nur für dich sorgst, so wird dieser Abschnitt wohl einige Überraschungen bereithalten. Denn auch für deine Mikrobiome ist es nicht ganz unerheblich, was du isst und trinkst oder einatmest.
Sexualkunde
Sex ist nicht nur die schönste Nebensache der Welt und dient primär der Fortpflanzung, für die Intimzone ist er auch ein ganz „schöner Akt“. Wobei die Doppeldeutigkeit dieser Aussage durchaus gewollt ist. Die Paarung von Säugetieren soll einerseits genussvoll sein, andererseits im besten Falle auch zu Nachkommenschaft führen. Es kommt zu intensivem Austausch von Körperflüssigkeiten, nicht nur Sperma. Hierbei gibt es zahlreiche Mechanismen, die sich in der Evolution als sehr sinnvoll erwiesen haben:
Wenn der Paarungsakt für Frauen genussvoll ist, kommt es zur Produktion von Vaginalsekret, damit verbessert sich die Gleitfähigkeit. Das gebildete Vaginalsekret hat dann einen höheren pH-Wert als das saure Milieu der Vagina. Es ist eher basisch. Das Vaginalsekret ist einerseits eine Schwimmhilfe für die Spermien, andererseits löst der hohe pH-Wert (basisch) die sogenannte Säurestarre der Spermien auf. Die Säurestarre verhinderte, dass die Energiereserven der Spermien zu früh für das Wettschwimmen zur Eizelle verbraucht werden. Aus den genannten Gründen ist bei Kinderwunsch ein erfüllter Sexualverkehr mit Orgasmus ein dicker Pluspunkt. Die Spermien erhalten Starthilfe durch das Vaginalsekret, und die ausgelösten Kontraktionen von Vagina und Gebärmutter beim Orgasmus unterstützen zusätzlich beim Schwimmen.
EXPERT:INNENWISSEN
Säurestarre
Dass Säure die Spermien stoppt, ist schon sehr lange bekannt. Unsere Ur(ur)-großmütter verwendeten deshalb Essigspülungen, um Schwangerschaften unwahrscheinlicher zu machen. Es gibt auch Überlieferungen, dass beispielsweise Zitronenhälften als Pessare genutzt wurden. Angeblich hat Casanova diese Methode „erfunden“. 6 Die Wirksamkeit könnte ungefähr den heute üblichen Spermiziden (das sind Substanzen, die Spermien abtöten) entsprochen haben, die bei etwa 70 % gesehen wird.
Mit der plötzlichen Änderung des pH-Wertes durch das Vaginalsekret beim Sexualverkehr verschiebt sich auch die Vulva- und Vaginalflora. Die Lactobazillen brauchen eine Weile, um die Verschiebung wieder aufzuholen und den pH-Wert auszugleichen.
Durch die Reibung bei vaginalem Verkehr sind eventuell kleine Verletzungen entstanden. Kam noch Oralverkehr hinzu, sind zahlreiche bakterielle Neuzugänge im Intimzonenmilieu zu beobachten, denn das Mikrobiom der Mundhöhle hat Mitbewohner, die üblicherweise nicht im Mikrobiom der Intimzone heimisch sind.
Diese Gemengelage hat eine leichte Entzündungsreaktion in der Intimzone zur Folge. Das Immunsystem ist im Alarmzustand, um die natürliche Ordnung im vaginalen Mikrobiom wiederherzustellen.
Spätestens nach mehrfacher Wiederholung des Aktes können Reibung, Anhebung des pH-Wertes und Aktivierung der Immunzellen für ein leichtes Brennen sorgen, zumindest aber für ein unangenehmes Gefühl. Dieses mindert die Lust auf weiteren Geschlechtsverkehr und ist unter Umständen verantwortlich für eine vermehrte Frequenz des Urinierens.
Dieser Vorgang ist ein natürlicher Lustkiller, der sich in der Evolution bewährt hat. Mit jedem vaginalen Geschlechtsakt steigt das Risiko einer Infektion. Infektionen können einer eingetretenen Schwangerschaft schaden. Also war es evolutionär betrachtet von Vorteil, die Frau mit Pinkeln zu beschäftigen und damit das Bedürfnis auf weitere Begattungen zu senken. Und du dachtest die sogenannte Honeymoon-Zystitis (S. 137) sei nur dein Problem?
Hygiene
Infektionen in der Intimzone haben selten etwas mit mangelnder Hygiene zu tun (siehe „Religion“, S. 80). Durchforstet man das Internet, wird regelmäßig vor Vaginalspülungen gewarnt. Wahrscheinlich hast du noch nie selbst eine vollständige Vaginalspülung durchgeführt. Saure Vaginalspülungen mit Essig waren eine der Haupthygienemaßnahmen unserer Ur(ur)großmütter und sind es in vielen Teilen der Welt noch immer.
AUSFLUG
Die Mutterspritze
Früher sollte mehr Sauberkeit sein: „Keine Frau wird sich einbilden, sie könne ihre Zähne nur durch Abwaschen des Mundes, ohne Gebrauch einer Zahnbürste reinigen; dennoch sind die Zähne von dem äußeren Lippenrande kaum 2 Centimeter entfernt, während die inneren Geburtstheile von dem Ausgang bis 20 Centimeter entfernt im Körper liegen. Und auf diese weite Strecke soll äußeres Abwaschen helfen, soll sogar dieses gerade zur nothwendigsten Zeit [damit ist die Menstruation gemeint] unterlassen werden, soll der Gebrauch der Spritze und des Sitzbades nicht nöthig sein zur Reinlichkeit?“7
Die sogenannte Mutterspritze ist tatsächlich eine Art große Spritze mit einer gebogenen Spitze, wie dies in der Abbildung zu erkennen ist. Befüllt wurde die Mutterspritze mit sauren Lösungen, z. B. Essigwasser. Sie wurde in die Vagina eingeführt, und es wurde munter drauflosgespült. Auch das Bidet wurde ursprünglich als Vaginaldusche entwickelt. Die üblichen Spülungen sorgten nicht nur für Sauberkeit, sondern sie sollten auch Schwangerschaften verhindern.
„Frauenduschen“ waren keine Seltenheit, ihr Gebrauch war so üblich wie Zähneputzen. Noch 1928 erhielt die Glockenbrause „Sahanoris“ – ein Frauenspülapparat – ein Ehrendiplom bei einer Wiesbadener Ausstellung von Medizinprodukten. Heute warnen nahezu alle Mediziner:innen vor Spülungen, die gerade bei Vaginalpilzen die Flora der Vagina zerstören würden. (Anmerkung: Diese ist bereits zerstört, wenn es zu einem Vaginalpilz gekommen ist.)
Neben dem Spülen wurde gedampft. Vielleicht hast du schon mal Jan Vermeers Dienstmagd mit Milchkrug gesehen? Vermeer, ein berühmter niederländischer Maler des Barock, hat eine junge Frau mit weißer Haube und blauer Schürze in Öl festgehalten – mit toller Lichtstimmung, denn sie steht am Fenster und gießt Milch aus einer Kanne in eine Schale. Nun wusste Vermeer nicht so recht, was er mit dem Hintergrund anfangen sollte. Mehrmals übermalte er ihn. In seiner Endfassung steht dort ein Holzkästchen mit Löchern an der Oberseite, darin befindet sich eine große Tasse. Was du da siehst, ist ein Dampfhocker. Mit diesem haben unsere Vorfahrinnen regelmäßig gedampft. Sie gaben heißes Wasser mit Kräutern in die Tasse, lüfteten die Rockschöße und hockten sich über den wohltuenden Dampf. Durch diesen stieg nicht nur angenehme Wärme in Richtung Intimzone, die gelösten ätherischen Öle aus den Kräutern sorgten für Abhilfe bei Unterleibsbeschwerden wie Menstruationskrämpfen oder auch bei Entzündungen. Frauen wussten schon immer sehr genau, was ihnen guttut. Bis heute gehört der Steam in vielen Ländern zur normalen Körperpflege.
In mitteleuropäischen Gefilden wird wahrscheinlich hauptsächlich geduscht und für die Reinigung der Genitalien hoffentlich keine Seife (die ist alkalisch) verwendet, sondern ein seifenfreies Produkt. Problematisch wird es bei Vollbädern, vor allem jenen mit viel Schaum. Diese seifigen Zusätze machen dem Säureschutz der Vulva und Vagina ziemlich zu schaffen, die feuchte Wärme ist bei Vaginalpilzen ziemlich beliebt.
Sowohl übertriebene als auch nachlässige Genitalhygiene zerstört die physiologische (= normale) Vaginalflora und leistet Genital- und Harnwegsinfektionen Vorschub. Um Schmierinfektionen zu vermeiden, IMMER von vorn (Harnröhre) nach hinten (Anus) reinigen. Das kann eigentlich nicht oft genug wiederholt werden.
Konservierungsmittel und Duftstoffe, wie sie in einigen feuchten Toilettentüchern, Feuchttüchern für Babys und Intimsprays enthalten sind, können die Haut irritieren und für allergische Reaktionen sorgen. Auch Reibung reizt die Haut. Eng anliegende Kleidung, Unterwäsche aus Kunstfasern, Slipeinlagen mit Kunststofffolie sowie Nylonstrumpfhosen sorgen für einen Wärme- und Feuchtigkeitsstau im Genitalmilieu. Trag lieber Naturfasern, die man bei 60 °C waschen kann.
EXPERT:INNENWISSEN
Yoni-Steaming
Von zahlreichen Urvölkern ist bekannt, dass es Dampf- oder Räucheranwendungen für die Intimzone gab. Diese waren Bestandteil der normalen Körperhygiene oder wurden in rituelle Handlungen integriert. Auch im medizinischen Kontext sind Dampfbäder keinesfalls eine neue Erfindung: Zahlreiche Anwendungen des Leibstuhls sind bei Sebastian Kneipp beschrieben.
Der Begriff Yoni stammt aus dem Sanskrit und bedeutet „Ursprung“, in der tantrischen Tradition meint er die Gesamtheit der weiblichen Geschlechtsorgane, das Frausein im Allgemeinen. Es werden Bedampfungen der Intim-zone beschrieben, die in das Konzept der...
Erscheint lt. Verlag | 13.3.2024 |
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Illustrationen | Katja Spitzer |
Zusatzinfo | 30 schw.-w. Abb. |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Esoterik / Spiritualität | |
Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Naturwissenschaft | |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Gynäkologie / Geburtshilfe | |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Urologie | |
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Technik | |
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ISBN-10 | 3-7558-1017-4 / 3755810174 |
ISBN-13 | 978-3-7558-1017-9 / 9783755810179 |
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