Die Hütte - Shelter -  Roman Rybiczka

Die Hütte - Shelter (eBook)

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2022 | 1. Auflage
100 Seiten
Buchschmiede von Dataform Media GmbH (Verlag)
978-3-99139-181-4 (ISBN)
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Als einsames Einzelkind verbringt Roman seine Jugend mit seiner Oma in einer Gartenhütte am noch ländlichen Stadtrand von Wien. Es ist die Zeit des Wiederaufbaus nach 1955. Durch die Erfüllung des Wunsches seiner Großmutter und Mutter nach einem eigenen Stück Boden erlebt er Hoffnungen, Illusionen und Pannen bei den Grundstücksbesitzern und unerfahrenen Häuslbauern ebenso mit, wie das Scheitern der Ehe seiner Eltern. Erst nach der zweiten Vermählung seiner Mutter wird das Haus fertiggestellt und zum Hauptwohnsitz der ganzen Familie. Das erweckt in ihm einen immer größer werdenden Drang, als Erwachsener ebenfalls ein eigenes Haus mit Garten zu besitzen. Das unbewältigte Trauma seiner eigenen Scheidung lässt Roman sein bisheriges Leben in Frage stellen. Er begibt sich auf die Suche nach Schutz, Geborgenheit und Heilung. Mit dem Bau seiner Hütte findet seine Seele wieder einen Zufluchtsort = shelter.

1949 in Wien geboren, hat 40 Jahre als Augenarzt gearbeitet. Die Hütte = Shelter ist sein Erstlingswerk.

Mein Vater

Czernowitz wurde 1774 dem Habsburgerreich einverleibt und gehörte bis Ende des Ersten Weltkriegs (1918) zur Monarchie. Es wurde auch „Klein Wien“ oder „Jerusalem an der Pruth“, nach dem Fluss, der durch Czernowitz floss, genannt. Das kam daher, dass mehr als die Hälfte der überwiegend deutschsprachigen Bewohner jüdischen Bekenntnisses waren. Der Rest der Bevölkerung bildete eine Symbiose aus Rumänen (Moldauern), Polen, Ukrainern (Ruthenen) und Roma. Diese Gemeinde als Grenzstadt hatte eine sehr bewegte Geschichte.

Schon während des Ersten Weltkriegs, zwischen August 1914 und August 1917, war Czernowitz dreimal kürzere Zeit von den Russen besetzt gewesen. Ab 1919 gehörte die Stadt Rumänien, 1940 Russland und von 1941 bis 1944 Deutschland an. Nach dem Zweiten Weltkrieg fiel sie endgültig Russland anheim.

Mein Großvater Rudolf, ein Beamter im höheren Dienst, wurde irgendwann an die Außengrenze der Monarchie versetzt. Er war im Stadtrat von Czernowitz und gelangte so zu einem gewissen Ansehen und Wohlstand. Er gehörte zur gesellschaftlichen „Oberschicht“. Der Kaiser hatte ihm sogar „das silberne Verdienstkreuz mit der Krone am Bande der Tapferkeitsmedaille“ verliehen. Reichlich spät, am 11.4.1918, denn am 11.11.1918 war der Krieg zu Ende, aber wenn alles den Bach runterging, war man mit Orden besonders großzügig.

Nach dem Zerfall der Monarchie traf mein Großvater väterlicherseits die weise Entscheidung, nicht wie Tausende andere Beamte ins kleine Restösterreich zurückzukehren, um dort arbeitslos ihr Dasein zu fristen. Er hatte sich doch ein kleines Anwesen geschaffen, stand mit der Bevölkerung auf gutem Fuß und war weiterhin in der Stadtverwaltung tätig. Außerdem lebte sein Bruder Leo mit seiner Familie in der Stadt und die beiden Familien der Rybiczkas waren ein Clan von vierzehn Leuten.

Im Gegensatz zur restlichen Monarchie war in Czernowitz Antisemitismus kein Thema. Zu bunt war das Völkergemisch, kamen sich doch alle als Minderheit am Rande des Kaiserreiches vor. Georg Heinzen beschrieb es treffend:

„Czernowitz, das war ein Vergnügungsdampfer, der mit ukrainischer Mannschaft, deutschen Offizieren und jüdischen Passagieren unter österreichischer Flagge zwischen West und Ost kreuzte.“

In seinem Elternhaus wurde selbstverständlich Deutsch gesprochen, man war ja k. u. k. Österreicher. Die Kronländer hatten sich der Amtssprache anzupassen oder einen Übersetzer mitzubringen. Aus diesem Grund war es ebenso selbstverständlich, dass mein Vater das „Deutsche Gymnasium“ besuchen musste. Es war die Eliteschule. Die andere Hälfte der Mitschüler und Spielkameraden, der Elite, sprachen untereinander jiddisch und so eignete sich mein Vater die Sprache beim Spielen mit ihnen ganz nebenbei an.

Das strenge Gymnasium und das Lernen waren nicht unbedingt seine Sache und nach der „kleinen Matura“, Schulabschluss mit 16 Jahren, der ihn nicht berechtigte, eine Universität zu besuchen, begann er die Ausbildung zum Radioingenieur. Heute ein völlig ausgestorbener Lehrberuf. 1924 kamen die ersten Röhrenradios auf den Markt, also suchte man Leute, die mit diesen Dingern umgehen, sie löten und reparieren konnten.

Mit 18 Jahren, 1937, verließ er seinen Geburtsort. Die wirtschaftliche und politische Lage in Rumänien war schlecht. Hohe Arbeitslosigkeit und politische Unruhen kennzeichneten das Land. Es zog ihn nach Berlin. Die glamouröse Hauptstadt Deutschlands wirkte damals wie ein Magnet auf die jungen Leute. Berlin war die fünftgrößte Stadt der Welt nach New York, London, Tokio und Paris. Die goldenen Zwanzigerjahre schufen neben dem Nachtleben auch ein kulturelles Zentrum mit Albert Einstein, Bertolt Brecht, Kurt Tucholsky, Max Reinhardt, Marlene Dietrich und vielen mehr. Die Olympiade 1936 machte die Stadt endgültig zum Zentrum Europas.

Ich weiß nicht, wie das Verhältnis meines Vaters, er hieß Oskar, zu seinem Vater war. Er erzählte nie davon. Besonders innig dürfte es nicht gewesen sein. Möglicherweise war deshalb sein Familiensinn schwach ausgeprägt und trug zu seinem Zugvogelcharakter bei. Er hatte Glück und fand aufgrund seiner Ausbildung als Tonassistent bei der UFA (Universum Film AG) eine Anstellung.

Die UFA hatte unter den Nationalsozialisten ihre Hochblüte erreicht. Man benötigte jede Menge Personal. Die Propagandafilme, Dokumentationen, Wochenschauen und Filmkomödien, die das Volk in glückselige Stimmung versetzen sollten, boomten.

Mein Vater wurde dadurch nicht eingezogen. Er erhielt einen Ausweis „ZBV“ (zur besonderen Verwendung), durfte Zivilkleidung tragen und war vom Militärdienst ausgegliedert. Er war glücklich.

Die ganze Filmatmosphäre, die Nähe zu den Stars Hans Albers, Zarah Leander, Emil Jannings und wie sie alle hießen, faszinierten ihn. Auch als die Lebensmittelversorgungslage in den Kriegsjahren zunehmend schlechter wurde, gab es beim Film Essen und Trinken in Hülle und Fülle. So entging er bei Kriegsende als Zivilist einer Kriegsgefangenschaft.

Nach dem Krieg, Czernowitz wurde bereits 1944 von der Sowjetunion besetzt, kehrte er nicht mehr in seine Geburtsstadt zurück. Er besann sich seiner altösterreichischen Wurzeln und zog nach Wien. Der Großteil des zum deutschen Militärdienst eingezogenen Rybiczka-Clans strandete ebenfalls in Wien, sprachen sie doch alle Deutsch und keiner wollte in das diktatorische stalinistische Regime. Man war zum Teil wieder vereint.

So lernte meine Mutter Hilde nach dem Krieg, 1947, diesen Oskar Rybiczka kennen. Man traf sich im Café Kummer, in der Mariahilfer Straße. Aus Anstandsgründen, wie damals üblich, musste Elisabeth, ihre ältere Schwester, Hilde bei den diversen Rendezvous begleiten. Drei sind in Herzensangelegenheiten eine ungünstige Zahl. Daher nahm Oskar seinen Cousin Ludwig Rybiczka, ihre Väter waren Brüder, mit, damit Else auch einen Gesprächspartner hatte und nicht wie ein Luchs dem Geturtel der beiden inquisitorisch zuhörte.

Meine Mutter verliebte sich auf der Stelle in den eloquenten Charmeur. Aber nicht genug. Die „Anstandsdame“, ihre Schwester, die wegen des guten Rufs dabei sein musste, und der „Anstandscousin“ meines Vaters, Ludwig, lernten einander auch näher kennen. Und so kam es, wie es kommen musste, Else und Lu, so sein Spitzname, heirateten ein paar Jahre später. Ihre Ehe blieb kinderlos.

Oma war über die Wahl von Hilde unglücklich. Sie hing an ihren Töchtern. Noch dazu war dieser Oskar in ihren Augen ein Immigrant. Obwohl sie in die Zeit der k. u. k. Monarchie mit all den Kronländern geboren worden war, war alles, was mehr als 100 km von Edlitz entfernt war, bedrohlich fremd. Und dieser Mann war in der Bukowina, in Czernowitz/Rumänien geboren. „Ein Zuag’raster!“ – der wunde Punkt meines Vaters, sah er sich doch als Altösterreicher. Er empörte sich jedes Mal, wenn man ihn als Rumäne bezeichnete. Dass er erst 1919 geboren wurde, tat seiner Anschauung keinen Abbruch.

Zwei Jahre nach der Hochzeit meiner Eltern kam ich am Sonntag, dem 6.3.1949, um 8:00 Uhr auf die Welt. Schon bei der Geburt übergewichtig – 4,10 kg! Dieses Schicksal begleitete mich mein ganzes Leben.

Meine Geburt stand aber unter dem günstigen Zeichen: Gibt der Herr einen Haserl, gibt er auch ein Graserl. Mein Vater erhielt nach meiner Geburt seine Anstellung bei der Wagons-Lits.

Es ging finanziell mit der Familie bald bergauf. Nur seine Geschäftstüchtigkeit war es, die Oma mit seiner Herkunft ein wenig versöhnte. Sie war gezwungen, auf die pekuniäre Sicherheit ihrer Kinder bedacht zu sein. Sie bezog nur eine minimale Kriegshinterbliebenenpension, damit mussten 3 Personen durchkommen.

„Zum Verhungern zu viel, zum Leben zu wenig“, war ihre Beschreibung dafür.

Außerdem gab es bis 1950 noch Lebensmittelkarten. Das waren Bezugsscheine für die rationierten Nahrungsmittel.

Ich wurde natürlich auch so sozialisiert: Ein Mann sei nur dann ein guter Mann, wenn er für die Familie Wohlstand schaffe und es mit ihr bergauf gehe.

Das Ehepaar bezog eine Wohnung im fünften Bezirk, Franzensgasse, nahe dem Naschmarkt. Es war ein ehemaliges Kloster mit riesigen Räumen, dicken Wänden und Schönbrunn ähnlichen großen Flügeltüren. Das WC befand sich am Gang, im Winter unbeheizt, was die Benützungszeiten drastisch verringerte. Wir mussten es uns mit den Nachbarn teilen, was ich auch extrem unlustig fand. Mein Vater ließ sehr früh zwecks Verbesserung der Wohnqualität ein Bad in die Wohnung einbauen. Die anderen Mieter des Hauses holten sich ihr Wasser von der Bassena, ein in jedem Stockwerk am Gang vorhandenes gemeinsames Waschbecken.

Papa brachte von seinen Dienstreisen aus Italien wunderschöne bläuliche Glaskacheln mit. Italien war das Ursprungsland der Fliesenherstellung. In Österreich waren sie weder zu sehen noch erhältlich. Er...

Erscheint lt. Verlag 7.9.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
ISBN-10 3-99139-181-3 / 3991391813
ISBN-13 978-3-99139-181-4 / 9783991391814
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