Morduntersuchungskommission: Der Fall Daniela Nitschke (eBook)

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
368 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01162-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Morduntersuchungskommission: Der Fall Daniela Nitschke -  Max Annas
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Berlin, Hauptstadt der DDR, 1987. Die Stadt ist von einer Unruhe erfasst, die sich kaum noch kontrollieren lässt. Da werden an einem Tag zwei Leichen gefunden, und nur die tote Frau war Republikbürgerin. Oberleutnant Otto Castorp bekommt es daher gleich mit den Kollegen von der Staatssicherheit zu tun. Der Tod des Westbesuchers verweist auf politische Hintergründe. Und auf fremde Geheimdienste. Die Spur führt nach Südafrika. Und dann ist da noch Erika Fichte. Ihr Chef, verantwortlich für die Unterstützung des ANC durch die DDR: spurlos verschwunden. Erika macht sich auf die Suche. In diesem Roman geht es um Verrat, um das Ende der Systeme - den Ostblock, den Westen, die Apartheid - und um Freiheit. Wobei Freiheit für jeden etwas anderes bedeutet.

Max Annas, geboren 1963, arbeitete lange als Journalist, lebte in Südafrika und wurde für seine Romane Die Farm (2014), Die Mauer (2016), Finsterwalde (2018) und Morduntersuchungskommission (2019) sowie zuletzt Morduntersuchungskommission: Der Fall Melchior Nikoleit (2020) fünfmal mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet. Bei Rowohlt erschienen außerdem Illegal (2017), Der Hochsitz (2021) und Morduntersuchungskommission: Der Fall Daniela Nitschke (2022)

Max Annas, geboren 1963, arbeitete lange als Journalist, lebte in Südafrika und wurde für seine Romane Die Farm (2014), Die Mauer (2016), Finsterwalde (2018) und Morduntersuchungskommission (2019) sowie zuletzt Morduntersuchungskommission: Der Fall Melchior Nikoleit (2020) fünfmal mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet. Bei Rowohlt erschienen außerdem Illegal (2017), Der Hochsitz (2021) und Morduntersuchungskommission: Der Fall Daniela Nitschke (2022)

3


Der Witz war unterwegs, ein wichtiges Treffen am späten Nachmittag. «Dieser Gorbatschow reißt in ein paar Monaten mit dem Arsch ein, was Generationen vor ihm aufgebaut haben», sagte er, als er sein Büro verließ.

Sie wusste nicht, worum es tatsächlich ging bei der Versammlung oder gar, wer dabei war. Sie hatte den Termin nicht im Kalender, was bedeutete, dass er besonders wichtig war. Aber die Beschwerde über Gorbatschow war eine durchaus übliche Einlassung in diesen Tagen. Formuliert auf dem Flur, wenn man sich flüchtig begegnete. Oder auf dem Parkplatz. Alle redeten immer und überall über den Generalsekretär der KPdSU. Stets ging es um die Veränderungen, die er angestoßen hatte, seit er an der Macht war. Vor wenigen Tagen war sie Gisela begegnet, einer Sekretärin, die ein paar Türen weiter arbeitete und die ihr die Tür zur Toilette aufgehalten hatte. Sie hatten kurz zwischen den Kabinen über den Mann geredet.

Nichts von alldem war für die Öffentlichkeit bestimmt. Natürlich nicht. Aber sie waren ja auch nicht die Öffentlichkeit. Eher im Gegenteil.

Sie selbst war hin- und hergerissen. Manchmal wollte sie Gorbatschow am nächsten Baum hängen sehen für die Ruchlosigkeit, mit der er die Dinge anging, für den mangelnden Respekt vor der Geschichte, und natürlich wegen der schwindenden Unterstützung für alles, was ihr wichtig war, wofür sie arbeitete. Es gab so viel zu tun auf der Welt, und die Sowjetunion war doch fast immer auf der richtigen Seite gewesen, auf der richtigen Seite der Geschichte. Aber Erika erkannte natürlich all die Schwächen des Apparats. Sie erreichten die Jungen nicht mehr. Gewiss konnte man nie alle überzeugen, aber sie wusste, dass zu viele die DDR verlassen hatten, die die BRD nicht als das bessere System betrachteten. Sie waren gegangen, weil sie das Gefühl hatten, nicht gehört zu werden. Gerade in den letzten Jahren. Wie mochte das erst in der riesigen Sowjetunion sein?

Der Witz war schon vor einer ganzen Weile an ihr vorbeigegangen, als das Telefon klingelte. Sie meldete sich, hörte aber am anderen Ende der Leitung nichts außer einem grauen Rauschen. «Hallo», sagt sie erneut, wie schon Sekunden zuvor. Holberg versuchte manchmal, sie hier zu erreichen. Von öffentlichen Telefonen aus. Sie stellte sich vor, dass er dann an einer sonnigen Kreuzung stand, in einer Telefonzelle, und sich niemand um ihn herum befand, der mithören konnte.

Holberg würde es erneut probieren, das wusste sie. Also legte sie auf. Sie spürte das Begehren in sich. Wollte, dass Holberg bei ihr war.

Als sie die Akte vor sich betrachtete, schaffte sich ein Gedanke in ihrem Kopf Raum. Sie empfand leisen Schwindel. Was, wenn das am Telefon Wolle gewesen war? Wolle in Gefahr. Wolle auf der Suche nach Hilfe.

Nach einigen Sekunden verjagte sie den Gedanken wieder. Sie hatte im Westfernsehen einen unrealistischen Agentenfilm gesehen, das war gar nicht lange her. Da waren selbst Sekretärinnen wie sie ständig von Doppelagenten und Verrätern umzingelt, die Welt eine Schlangengrube.

Nun, dachte Erika, vielleicht war die Welt eine Schlangengrube. Aber warum würde Wolle ausgerechnet sie anrufen? Er wusste doch gar nicht, dass sie den Auftrag hatte, nach ihm zu forschen.

Sie blickte erneut auf die Akten. Viele der Dokumente in diesen Ordnern hatte sie schon gesehen. Blätter, die sie zum Zeichnen weitergegeben hatte, kopiert oder gestempelt, einfach weggeheftet, vor allem aber nicht beachtet.

Nicht wirklich.

Natürlich nahm sie stets wahr, um welche Belange es ging, mitunter sogar, um welche Vorgänge, sie erkannte beim Prüfen Namen und Orte, Zusammenhänge und Verbindungen. Aber das diente nur zum besseren Verständnis ihrer eigenen Arbeit. Sie musste Ordnung in die Unterlagen bringen. Und zum richtigen Lesen hatte sie auch gar keine Zeit.

Außerdem war es nicht ihre Aufgabe. Die war, Papiere zeichnen zu lassen und nach Kennungen einzuordnen. Wolle selbst hinterließ Sachen in den gleichen Ordnern wie sie. Und schon die Frage, warum er mit Unterlagen zu tun hatte, die sie nur sah, wenn sie jene Blätter einheftete, mit denen sie befasst war, befand sich außerhalb ihres Kompetenzbereichs.

Sie war Sekretärin. Ende.

Und jetzt lagen und standen in ihrem Büro, das sonst immer akkurat aufgeräumt war, all diese Ordner herum.

Unter normalen Umständen sah es hier so aus wie überall im Haus, jedenfalls so weit sie das beurteilen konnte. Ein Schreibtisch für sie. Ein Regal für Akten, die reinkamen und rausgingen, sauber getrennt natürlich. Zwei Stühle für Leute, die darauf warteten, Diewitz zu sehen. Kamen drei, musste einer stehen.

Jetzt hatte sie einen Stapel mit Akten vor sich liegen, aus Pappe, die konnte man aufeinanderlegen. Drum herum standen die Ringordner, die nicht übereinanderpassten. Weil sie wegrutschten. Weil sie die Schrägen hatten. Weil der Rücken entweder breiter war als der Raum zwischen den Kantenenden oder schmaler, je nachdem, ob der Ordner sehr voll war mit Material oder eben nicht.

Ein wenig hatte Erika vorsortiert. Vor ihr lagen die Unterlagen, in denen es um Waffen ging. Oder von denen sie bei der ersten Einsicht annahm, dass dort Lieferungen von solchem Material dokumentiert wurden. Da war sie schon auf das erste Problem gestoßen. Natürlich wusste sie, womit Wolle beschäftigt war. Er half dem ANC. Vorsicht! Hier wird es schon ungenau, dachte sie. Wolle unterstützte die progressiven Kräfte im ANC, denn eigentlich musste man schon ein wenig unterscheiden zwischen jenen, die bürgerliche Ideen im Kopf hatten, und den richtigen Verbündeten, die etwas weiter waren in ihrer Analyse. Denn eigentlich unterstützte Wolle im Namen der Deutschen Demokratischen Republik die Kommunisten und den bewaffneten Arm der Bewegung, Umkhonto we Sizwe, den Speer der Nation, wie sie sich nannten. Doch schon hier war sie sich gar nicht mehr so sicher, wer angesprochen wurde, wer eingeladen und wer mit Material und Rat versorgt. In jedem Fall war es so, dass sie vor sich nun jene Ordner liegen hatte, in denen es mehr oder weniger offen um militärisches Gerät ging. Erika nahm jenen Ringordner zur Hand, der die jüngsten Dokumente enthielt, und öffnete ihn in der Mitte mit dem Zeigefinger. Vielleicht war es das Klügste, hier anzusetzen.

Ein Schreiben aus Suhl, kaum einen Monat alt, vom VEB Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk. Adressiert an Wolle. Es ging um einen Container, der von Suhl nach Rostock auf die Schiene gesetzt worden war. Um welche Waffen es sich handelte, ging aus dem Schreiben nicht hervor. Unter dem Schreiben war eine Unterschrift zu sehen sowie eine Kombination aus Buchstaben und Zahlen. Die Unterschrift konnte Erika mit etwas Mühe identifizieren. Schmahl hieß der Mann. Es gab keinen Vornamen, aber sie war sicher, dass es die Signatur eines Mannes war. Nicht wegen der Unterschrift selbst, relativ saubere Buchstaben eher klar erkennbar, sondern weil das die Art Geschäft war, die von Männern abgewickelt wurde. Die Buchstaben und Zahlen darunter waren handschriftlich hinzugefügt worden und lasen sich wie ein Code. Aber wirkt nicht alles wie ein Code, was man selbst nicht sofort versteht? Sieben Zeichen, die was genau zu bedeuten hatten? Für Wolle? Für jemanden anders? Hatte Wolle selbst sie dort angefügt?

Sie blätterte weiter. Nach vorn, nach hinten. Und entdeckte ähnliche Schreiben, von unterschiedlichen Adressen, aus verschiedenen Monaten und Jahren. Auf manchen war eine ähnliche Zeichenfolge zu sehen wie auf dem Brief aus Suhl. Auf den meisten nicht. Da musste sie noch ein deutlich tieferes Verständnis für entwickeln, für das, was sie hier überhaupt betrachtete.

Erika schloss den Ordner wieder. Vielleicht war dieser Schmahl ein Kandidat für das erste Gespräch. Irgendwo musste sie ja beginnen. Würde sie ihn anrufen? Nach Suhl fahren? Nur einer konnte diese Frage beantworten.

Zwischen Regal und der Ecke zur Wand mit dem Fenster zum Innenhof lagen und standen die Ordner, in denen es um Teterow ging. Das waren noch viel mehr als die, die auf dem Tisch auf sie warteten. Das Ausbildungszentrum in Teterow war der Vorbereitung auf den bewaffneten Kampf vorbehalten. Wer dorthin fuhr, kam mit ordentlicher militärischer Erfahrung zurück. Und Wolle war dafür verantwortlich, wer dorthin durfte und wer nicht. Natürlich in Absprache mit der Leitungsebene vom Speer der Nation.

Neben der Tür zum Büro von Diewitz hatte sie einen dritten Haufen errichtet. Mehr Papp- als Ringordner. Viele eingerissen und vergilbt, und beim ersten Durchblättern hatte sie noch gar nicht verstanden, dass Wolle hier aktiv war. Es ging um das internationale Magazin des ANC, Sechaba, das in Neubrandenburg gedruckt wurde. Von dort wurde es in alle Welt ausgeliefert. Sie hatte es hier und dort ausliegen sehen, aber nur selten durchgeblättert. Ihr Englisch war eigentlich ganz gut, aber sie las es viel langsamer, als sie es sprechen konnte. Wenigstens hatte sie eine Vorstellung davon, worum es darin ging. Die Aufdeckung von Verbrechen der Apartheid-Regierung, Porträts von Kämpfern, Nachrufe, internationale Solidarisierung.

Es gab auch einen Bereich, um den sich Wolle kümmerte, von dem sie nichts in den Regalen gefunden hatte. Einladungen der DDR an wichtige Personen aus Südafrika. Da war einer zu Besuch gewesen vor ein paar Monaten, sie hatte den Namen vergessen, der war fast wie ein Staatsgast empfangen worden, und Wolle hatte den auch nach Teterow gefahren,...

Erscheint lt. Verlag 19.7.2022
Reihe/Serie Die Morduntersuchungskommission-Krimireihe
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 80er Jahre • Achtziger Jahre • Afrika • ANC • Apartheid • Berlin • Berlin Krimi • DDR • DDR Krimi Buch • DDR Kriminalfälle • DDR Krimis • Deutscher Thriller • Geheimdienst • Justizthriller • Krimi aus Deutschland • Kriminalroman • Krimis • Ostberlin • Politischer Krimi • Politthriller • Polizeitruf • Spannung • Stasi • Südafrika • Tatort • Thriller • Westberlin
ISBN-10 3-644-01162-1 / 3644011621
ISBN-13 978-3-644-01162-5 / 9783644011625
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