Lebendige Seelsorge 1/2023 (eBook)

Sport & Spiritualität
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
76 Seiten
Echter Verlag
978-3-429-06613-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Lebendige Seelsorge 1/2023 -  Verlag Echter
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800: Karl der Große, 1492: Eroberung Amerikas, 1789: Französische Revolution, 1933: Machtergreifung Hitlers, 1962: Zweites Vatikanum, 1973: mein Geburtsjahr, 1989: Fall der Mauer, 2005: unsere Hochzeit - jeder Schlag auf der Rudermaschine erinnert an ein Ereignis. Ein meditativer sportlicher Durchflug durch Welt- und Lebenszeit. Und dann Gewichte stemmen: 'Schwerkraft und Gnade' (Simone Weil). Alltag unterbrechen und den Kopf frei bekommen. Sich selbst und das Leben wieder spüren. Im Körper sein und die eigenen Grenzen Stück für Stück hinausschieben: McFit als Ort der Menschwerdung. Vom Fitnessstudio auf die Laufstrecke. Laufen ist für mich pure Freiheit: Laufschuhe anziehen und los geht's! So wie auch meine Radtour nach Marokko 1996 ein Sommer der Freiheit war. Laufen (oder Radfahren) heißt in den Flow kommen. Die Gedanken ziehen lassen und dabei auch immer wieder ins Gebet hinübergleiten. Beten mit den Füßen. Ein Artikel über Jogging-Exerzitien (Inspiration durch Transpiration; LS 1/2008) war denn auch mein erster Beitrag in der Lebendigen Seelsorge. Von der Laufstrecke auf den Gebetsteppich. Er liegt in einer Ecke meines Arbeitszimmers. Dazu gibt es einen Taizé-Schemel, eine Bibel und eine Kerze. Auch hier inkarnierte Spiritualität. Tiefe Verneigungen bis zur Körpermitte, das habe ich bei den französischen Dominikanern kennengelernt - hier praktiziere ich sie wie unsere muslimischen Geschwister: Gloire au Père tout puissant (aufrecht sitzend, Blick nach vorne), à son fils Jésus Christ le Seigneur (Verneigung bis zum Boden, den tiefsten Punkt der Inkarnation berührend), à l'Esprit qui habite en nos coeurs (sich aufrichtend, mit erhobenem Haupt). Exerzitien und exercises gehören für mich zusammen. Denn beides sind schließlich Übungen: geistliche und sportliche. Spirituelle Lockerungsübungen für alltägliche Verkrampfungszustände, Intensivierungen des eigenen Lebens. In meinem persönlichen Reliquienschrein befindet sich daher auch der Plastikpull von meinem ersten eigenen Fallschirmsprung: freier Fall ins Glück, Spiritualität des ganzen Körpers. Inkarnatorische Frömmigkeit als Training gegen die Schwerkraft des Alltags. Diese Ausgabe der Lebendigen Seelsorge lädt zu einer spirituellen Trainingseinheit ein, bei der geistlich wache Zeitgenoss:innen die sportlichen Ressourcen ihrer je eigenen, christlich geprägten Spiritualität teilen - jesuanisch inspiriert und daher dann auch befreit zum Einsatz für eine bessere Welt. Ganz locker, ohne jeden Wiederholungszwang, aber mit einer erfrischenden Inspirationsgarantie.

Ute Leimgruber, Dr. theol., Professorin für Pastoraltheologie und Homiletik an der Universität Regensburg.

Ute Leimgruber, Dr. theol., Professorin für Pastoraltheologie und Homiletik an der Universität Regensburg.

THEMA


„Ich habe das Gefühl, ich verlöre Jahre meines Lebens, wenn ich nicht radle“ (Ricarda Huch)


„Vorgestern habe ich wieder angefangen, und von dem Augenblick an hat sich meiner ein Anflug von Seligkeit bemächtigt, dessen ich nicht wieder verlustig gehen möchte. Es ist zu schön“ (Huch 1998, 612). So schreibt Ricarda Huch (1864–1947) an ihren Schwager. Sie gehört zu den Pionierinnen des Radfahrens im 19. Jahrhundert. Gunda Werner

In die Geschichte der Emanzipation gehört der Kampf um das Radfahren für die Frauen hinein. Denn im 19. Jahrhundert schlugen der radfahrenden Frau viele Widerstände entgegen. Vor allem waren es jene Kleiderordnungen und Geschlechterbilder, die es Frauen beinahe unmöglich machten, am Radfahren teilzunehmen. Außerdem war bis in die 1880er Jahre das Hochrad das übliche Modell. Zudem kamen die Ständeunterschiede, denn ein solches Modell hätten sich nur Frauen der oberen Schichten leisten können. Das dem heutigen Rad sehr nahekommende ‚Niederrad‘ wurde 1885 erfunden, die Luftbereifung drei Jahre später. Seitdem erobern sich Frauen den Radraum. Am Ende des 19. Jahrhunderts gab es in den USA einen regelrechten Boom von Radlerinnen und Susan B. Anthony, eine der US-amerikanischen Frauenrechtlerinnen, sagte zum Radfahren: „Ich denke, das Fahrrad hat mehr dazu beigetragen, Frauen zu emanzipieren, als irgendetwas auf der Welt. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich eine Frau auf einem Fahrrad vorbeifahren sehe. Es gibt ihr ein Gefühl der Selbständigkeit und Unabhängigkeit in dem Moment, in dem sie dies tut“ (Anthony im Gespräch mit Bly 1896).

RADFAHREN UND EMANZIPATION


Auch wenn diese These diskutiert wird, ist es kaum übersehbar, wie sehr das Radfahren die faktische Situation von Frauen verändert hat, einfach indem sie im ‚Doing cycling‘ die gesellschaftlichen Normen, unhinterfragte Kleidungsvorschriften oder Bewegungsräume veränderten. Es wurde die sogenannte Reformbekleidung entwickelt, die im weitesten Sinne eine Pumphose war (vgl. Ross 2022, 51–54). Frauen liefen somit Gefahr, sich allein durch die Kleidung in Männer zu verwandeln. „Im 19. Jahrhundert hatten nur Männer das Recht, Hosen anzuhaben, sowohl im übertragenen als auch im wörtlichen Sinne […]“ (ebd., 52). Allerdings, so Hannah Ross in ihrem höchst informativen Buch, sprang die Radindustrie recht schnell auf diese Auseinandersetzung auf und warb mit eigener Kleidung für Frauen. Jede Widerstandsbewegung bewegt sich im bestehenden System und stabilisiert dieses, manchmal in ungeahnten Bereichen. Die neue Form der Hose wurde übrigens nach ihrer Erfinderin, Amelia Jenks Bloomer, die diese Mitte des 19. Jahrhunderts entworfen hatte, eben ‚Bloomer‘ genannt (vgl. ebd., 56), wenngleich sie einen weiteren Namen hatte: der „freedom dress“, so wie das Rad mit „Freiheitsmaschine“ (ebd.) betitelt wurde. Zudem wurde das Fahrrad beim Kampf um das Wahlrecht zum Symbol der Emanzipation. Es war immer „auch zugleich ein politischer Akt, wenn Frauen ihre Körper auf diese Weise zeigten. Es ist kein Zufall, dass die Suffragetten, die für die Gleichberechtigung der Frau kämpften, begeisterte Radfahrerinnen waren; für sie waren Fahrräder feministische Freiheitsmaschinen“ (ebd., 11). Wie lange sich am Radsport die Frage des ‚Doing Gender‘ ablesen lässt, zeigt die späte Entscheidung des Deutschen Radfahrer-Bundes, erst 1967 das seit 1900 bestehende Verbot von Frauenradrennen in der Bundesrepublik aufzuheben. In den olympischen Disziplinen gibt es Frauenradsport seit 1984 und bei den olympischen Sommerspielen 2012 bestritten Frauen und Männer im Radsport erstmals die gleiche Anzahl von Wettbewerben (vgl. Schwermer 2018).

Gunda Werner

Dr.in theol. habil., Prof.in für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum und Vorsitzende von AGENDA – Forum katholischer Theologinnen e. V.

REISERADFAHREN ALS AUSZEIT


Zeitsprung in den Sommer 2022: Ich fahre Fahrrad, weil es mein Fortbewegungsmittel ist. Ein Auto habe ich nicht. Ich fahre auch Reiserad, mit dem ich gerne länger unterwegs bin – so auch im Sommer 2022 für viereinhalb Wochen vor allem durch die Schweiz und durch Frankreich, mit Zelt und Kocher. In diesem Sommer bin ich in Frankreich durchgängig als Mann gelesen worden. Wurde ich (auf den zweiten Blick) als Frau gelesen, konnte ich mit einer Reaktion rechnen: das Erstaunen darüber, dass ich als Frau allein mit dem Rad unterwegs bin. Ob ich denn keine Angst hätte. Ob es gefährlich sei. Frauen auf dem Rad im Jahr 2022 – es ist nicht so selbstverständlich, wie man denkt. Dies ist auch daran zu sehen, dass es kaum Frauen allein auf einem Reiserad gibt – abseits der üblichen Rad(fluss)wege erst recht nicht.

Für mich sind dies Exerzitien, wenn man so will Sportexerzitien.

Mit dem Reiserad allein unterwegs zu sein, bedeutet für mich, dass ich Zeit habe und das Alleinsein aushalten muss. Es bedeutet auch, Abstand von der beruflichen Rolle zu gewinnen und das eigene berufliche Tun in eine Relation zur Natur und Bewegung, zu Lebensthemen und einfach zum Genießen zu bekommen. Für mich sind dies Exerzitien, wenn man so will Sportexerzitien. Denn diese Zeit gibt mir die Aufgabe auf, nichts weiter zu tun als zu fahren, aufmerksam zu sein, den Weg und einen Zeltplatz zu finden, die Ordnung in den Radtaschen aufrechtzuerhalten und das Material zu pflegen. Auf den Körper und die Psyche zu hören, Einsamkeit und Alleinsein auszuhalten, die Natur wahrzunehmen, inneren Themen und Gefühlen zu begegnen. Mit Autos und Motorrädern (und zunehmend E-Bikes) klarzukommen, die den Raum einnehmen wollen, als gäbe es nur sie. Langsam zu sein, vielleicht nicht alles zu schaffen. Keine Mails zu lesen und keine ‚klugen‘ Dinge von mir zu geben. Menschen um Rat und den Weg zu fragen, um Wasser und wo ein Bäcker ist. Schnarchen im Zelt nebenan auszuhalten. Es ist aber auch eine intensive Möglichkeit, etwas über Menschen und Länder zu erfahren. Mit dem Reiserad unterwegs zu sein, bedeutet also auch, sehr nah an den Menschen dran zu sein.

Sobald ich auf dem Reiserad sitze, ist es so, als hätte ich zwei Empfänger in mir: einen nach außen und einen nach innen.

REISERADFAHREN IN DER WÜSTE


Ein weiterer Zeitsprung: Von August 2010 bis Oktober 2011 war ich über ein Jahr mit dem Rad unterwegs, davon ein Jahr in Asien. Dort reiste ich nicht allein und doch ist Radfahren eine Form des Fortbewegens, die viel Zeit allein bedeutet. Ist man in Zentralasien unterwegs, besteht die Begegnung mit der Natur vor allem aus der Wüste und ursprünglicher Wüste oder durch Wassermisswirtschaft entstandene Wüste. Abgeerntete Monokultur kommt einer Wüste gleich. Monate durch die Wüste zu fahren, ist eine zutiefst spirituelle Erfahrung. Sie ist auch überraschend, denn die Wüste habe ich mir immer romantisch ‚aufgeräumt‘ vorgestellt. Faktisch ist es aber so, dass jede Spur bleibt, jeder Sandhaufen, der bewegt wurde. Die Wüste kann unendlich unaufgeräumt sein. Diese unaufgeräumte Wüste korrespondiert mit der inneren Erfahrung, die sich wie in Exerzitien in Phasen und Wellen darstellt. Die Wüste ist still, auch die unaufgeräumte, wäre da nicht der ständige Autoverkehr. Wenn dieser nicht ist, ist nichts. Die innere Wüste ist dies ja keineswegs. Die Wüste macht demütig, sie macht geduldig. Sie öffnet für die inneren Bewegungen und Prozesse. Sie ist in einem so hohen Maße eintönig, dass der Blick für die kleinen Dinge geschärft wird. Nach einigen Tagen entdecke ich immer wieder einmal kleine Blumen, besondere Steine, Tiere oder Tierspuren. In der Wüste laufen die Flüsse aus. Sonst endet ein Fluss immer irgendwo: im See, im Meer, in einem anderen Fluss. In der Wüste laufen sie aus. Sie sind zu sehen als Rillen, wie ein Priel im Watt. Sie sind voller Salz und hinterlassen Salz. Selbst wo Wasser ist, ist kein Leben, dafür ist der Salzgehalt zu hoch. Wir kommen durch Sandstürme und an uralten Karawansereien vorbei. Durch die Wüste fahren heißt: im Hier und Jetzt fahren, eintönig werden. Die narrative Existenz in und außerhalb der Häuser, beim Tee am Straßenrand oder auf dem Tapçan, dem Tagesbett, auf dem man sitzt und isst, wechselt mit der inneren Narrativität, mit einer Art gedachtem Tagebuch, unausgesprochener Bewunderung für die Schönheit dieser Einöde. Jedes Leben ist ein Geschenk, jede Kurve eine weitere Weite. Die Wüste im zarten Grün des Frühlings ist der wohl schönste Anblick. In der Wüste wird das Innen zum Außen, das Außen zum Innen, es wird alles Geschichte, alles Bild-Wort und Bild-Welt. Erzählen ist Leben. Es ist irrelevant, ob diese Erzählung im Innen oder im Außen...

Erscheint lt. Verlag 3.3.2023
Reihe/Serie Lebendige Seelsorge
Verlagsort Würzburg
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
Schlagworte Pastoral • Seelsorge • Spiritualität • Sport
ISBN-10 3-429-06613-1 / 3429066131
ISBN-13 978-3-429-06613-0 / 9783429066130
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