Wir treffen uns in der Mitte der Welt -  Menerva Hammad

Wir treffen uns in der Mitte der Welt (eBook)

Von fehlender Akzeptanz in der Gesellschaft und starken Frauen
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
288 Seiten
Braumüller Verlag
978-3-99100-288-8 (ISBN)
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Menerva Hammads Interesse gilt den Menschen auf der ganzen Welt - deren Sichtweisen, deren kulturellen Hintergründen, deren Leben. Sie hat Frauen weltweit zu ihrem Leben interviewt und erzählt deren Geschichten. Und bricht damit viele Stereotype. Sie berichtet von einer Genitalverstümmlerin, die später zur Sexualberaterin wird, von einer jungen Dame, die wie durch ein Wunder aus ihrer Zwangsehe entkommen konnte, von einem Jungen, der sich im falschen Körper gefangen fühlt, und von unzähligen weiteren Frauen, deren Stimmen gehört werden müssen. Mit Wiener Schmäh, ägyptischem Temperament und endloser Hingabe zwischen den Zeilen werden Türen und Fenster zu Menschen und deren Leben geöffnet.

Menerva Hammad ist seit zehn Jahren freie Journalistin in Österreich und Deutschland. Die Wienerin mit ägyptischen Wurzeln bereiste mit Kind, Notizbuch und kompasslos einige Ecken dieser Welt. Den Beruf ihres Mannes, der mit vielen Reisen verbunden ist, machte sie sich zur Berufung, um die Geschichten unterschiedlichster Frauen zu dokumentieren und längst eingewöhnte Stereotype zu vernichten. Auf ihrem Blog schreibt sie über Multikulti-Lifestyle, weibliche Sexualität, Reisen mit Kind & Bad Hijabdays: www. blog-hotelmama.com

Menerva Hammad ist seit zehn Jahren freie Journalistin in Österreich und Deutschland. Die Wienerin mit ägyptischen Wurzeln bereiste mit Kind, Notizbuch und kompasslos einige Ecken dieser Welt. Den Beruf ihres Mannes, der mit vielen Reisen verbunden ist, machte sie sich zur Berufung, um die Geschichten unterschiedlichster Frauen zu dokumentieren und längst eingewöhnte Stereotype zu vernichten. Auf ihrem Blog schreibt sie über Multikulti-Lifestyle, weibliche Sexualität, Reisen mit Kind & Bad Hijabdays: www. blog-hotelmama.com

Reise zu mir


Die Erzählerin lernte ich während einer Zugfahrt kennen, als ich gerade meine Tochter stillte. Sie sprach mich an, da sie noch nie zuvor gesehen hatte, dass eine kopftuchtragende Frau mit entblößter Brust in der Öffentlichkeit saß. Sie erzählte, dass auch sie Kinder habe, und schnell entwickelte sich das Gespräch weiter zu Berufen und zu den jeweiligen Leben, so verging nicht nur die Fahrt schneller als sonst, sondern sie war auch voller Spannung, denn ich hörte ihre Geschichte.

Wenn es passiert, dann plötzlich. Unerwartet. Schmerzhaft und schockierend. Keiner kann einen darauf vorbereiten, dass die Person, die man liebt, plötzlich zuschlägt – mitten ins Gesicht, mehrmals, ohne dabei mit der Wimper zu zucken und ohne Reue zu zeigen.

Wir hatten einen Streit – wieder einmal –, weil er zu selten zu Hause war. Das übliche Schema passte nicht auf uns, er war kein ungebildeter Trinker, er ist heute ein anerkannter Universitätsprofessor. Und wissen Sie, was er unterrichtet? Psychologie! Dass ich nicht lache! Da hat man fast Mitleid mit ihm, und das hatte ich leider auch. Ich verzieh ihm, immer wieder. Als er mich das erste Mal schlug, erstarrte ich in der Sekunde und rührte mich nicht, ich fragte mich, was ich in meinem Leben getan hatte, um das zu verdienen, und wie es überhaupt sein konnte, dass die Hände, die mich so oft streichelten, nun blutig schlugen. Man verzeiht, weil man weiß, dass der eigene Partner so etwas eigentlich nicht tun kann. Es muss ein Ausrutscher gewesen sein, ein Einzelfall, der sich nicht wiederholen würde. Dann vergeht Zeit. Und nach einigen Wochen, man hat fast vergessen, dass man geschlagen worden ist, passiert es wieder und wieder und wieder, bis man es schon erwartet, und wenn es geschieht, ist man so abgestumpft, dass man es gar nicht mehr spürt und nicht vor Schock erstarrt, sondern vor Hilflosigkeit. Aber das war nicht der Anfang, so fing unsere Geschichte nicht an …

Als wir einander kennenlernten, waren wir noch Maturanten. Er war in der Parallelklasse gewesen und an einem Abend, an dem eine größere Gruppe fortging, kamen wir uns näher. Vielleicht etwas zu nah, denn ich wurde in jener Nacht schwanger. Zu meiner Überraschung stand er zu mir und vor allem auch zu dem Kind. Ich hatte erwartet, dass er eine Abtreibung verlangen oder sich einfach wortlos aus dem Staub machen würde, aber er blieb bei mir, bei uns. Wir heirateten nicht, aber bezogen nach der Matura gemeinsam eine Wohnung. Seine Mutter mochte mich nicht, und meine mochte ihn nicht. Wir hatten deshalb wenig Kontakt zu unseren Familien, was ich sehr schade fand, denn ich hätte wirklich Hilfe brauchen können. Als das Kind kam, war ich böse auf das neugeborene Wesen. Ich mochte das Muttersein überhaupt nicht. Ich mochte mein Kind nicht. Ich liebte es, ja, aber ich mochte es nicht, wenn ich an all das dachte, was ich verpasste. Ich wollte keine Windeln wechseln, sondern studieren. Ich wollte nicht stillen, sondern feiern, leben, reisen, mich weiterbilden, so wie er es auch tat. Sein Leben wurde durch das Kind praktisch nicht beeinträchtigt, er lebte eigentlich normal weiter, ihn hinderte das Kind an nichts, mich hinderte es an allem. Ich muss zugeben, er hatte neben dem Studium zwei Jobs und sorgte finanziell gut für uns, aber ich war mit dem Kind in dieser Wohnung isoliert und von der Außenwelt fast schon abgeschottet. Ich hatte das Gefühl, ich würde verdummen, während er immer gebildeter wurde.

Sobald unser Kind – ein Mädchen – alt genug für den Kindergarten war, wollte auch ich mich weiterbilden. Als ich ihm davon berichtete, lachte er, er dachte, es sei ein Scherz. Und zum ersten Mal merkte ich, dass er mich für wenig intellektuell einschätzte. Ich war schließlich diejenige, die zu dumm gewesen war, um die Pille zu nehmen, und jetzt Babykotze von ihrer Kleidung wischte. Er hingegen war Student, der neben schlauen und vor allem wunderschönen Studentinnen in einem Hörsaal saß, die nicht nach Babyscheiße rochen, sondern nach Parfüm und noch das ganze Leben vor sich hatten. Alles, was es draußen gab, war viel verlockender als seine Freundin, die ihm ein ungeplantes Kind geschenkt hatte, das weder er noch sie haben wollten. Ich mutierte also zur stillen Hausfrau, glaubte ihm, dass ich nicht aus seinem Schatten hinauswachsen konnte, und kümmerte mich um unsere Tochter, weil ich sonst nichts im Leben und vor allem niemanden hatte, der mich brauchte.

Irgendwann wurden ihm das Studium und die beiden Jobs zu viel. Um seinen Magister zu schaffen, musste er sich viel mehr auf das Studium konzentrieren. Wenn er etwas – mit seinen Worten „für uns“ – erreichen wollte, damit „wir“ ein besseres Leben haben konnten, musste ich dringend auch arbeiten gehen. Wir träumten davon, eines Tages ein Haus zu besitzen, er würde Professor sein und ich die Frau des Professors. Dafür müssten wir allerdings jetzt gemeinsam Geld verdienen, verzichten und uns eine gemeinsame Zukunft bauen. Die Kleine war nun in der Volksschule, und ich jobbte als Leiharbeiterin und Kassiererin, um ihm finanziell unter die Arme zu greifen. Immer wenn ich eine junge Frau sah, die ein Buch in der Hand hielt, verachtete ich mein Leben umso mehr, denn ich wäre gerne die Frau gewesen, die so unbeschwert Bücher lesen konnte und vielleicht auch irgendwann welche schreiben würde, die einer Tätigkeit nachging, die sie sich ausgesucht hatte, aber das Leben hatte etwas anderes für mich vorgesehen. Ich war nur die Frau des angehenden Professors, der nichts anderes in mir sah und dachte, dass ich mich damit glücklich schätzen sollte.

Mit der Zeit kam er immer öfter später nach Hause. Und irgendwann fing er an, auswärts zu übernachten und war dann auch telefonisch nicht erreichbar. Als er nach Hause kam, gab es immer Streit, und da schlug er mich zum ersten Mal, weil ich ihm vom Geruch der anderen Frauen erzählte, den ich nicht mehr an ihm riechen konnte. Er sollte wissen, dass ich wusste, dass er mich betrog. Aber das interessierte ihn nicht. Es war ihm egal. Ich denke, er war sogar erleichtert, dass es nun ausgesprochen war und er nicht mehr verheimlichen musste, dass er mit anderen Frauen schlief. Ich musste immer dann meinen wöchentlichen „ehelichen Pflichten“ nachkommen, wenn er wollte – ohne meine Einwilligung abzuwarten und ohne Ring am Finger; da „es meine Aufgabe sei“ und „es mir sowieso gefiel“, war ich tatsächlich überzeugt davon, es sei sein Recht. Er hatte mich damals als Schwangere nicht verlassen, deswegen war ich ihm dankbar und ließ ihn alles mit mir machen, was er wollte. „Du bist nichts ohne mich.“ Diesen Satz sagte er fast täglich zu mir. Und ich glaubte ihm, weil ich sonst nichts hatte. Ich fühlte mich ohne ihn auch wie nichts. Ohne ihn hätte ich nur das Kind am Hals, aber was wäre ich? Darauf hatte ich keine Antwort.

Ich weiß nicht, was mehr wehtat, der Schlag ins Gesicht oder jener in mein Leben. Er verschwand danach für einige Tage und als er zurückkehrte, entschuldigte er sich aufrichtig bei mir. Ich verzieh ihm, und es war vergessen, bis es wieder geschah und bald zum Alltag gehörte.

Eines Tages wollte unsere Tochter unbedingt das Klettern lernen. In der Kletterhalle traf ich eine Bekannte wieder, die ich vom Abholen der Kinder von der Schule her kannte. Bei einem ungeplanten Gespräch öffnete sie mir die Augen. Sie hatte eine körperliche Behinderung und schilderte mir, wie dankbar sie für ihren Ehemann war, der sie als vollkommene Frau sehen und behandeln würde. Ich erzählte ihr meine Geschichte, so, als sei sie die einer Freundin, die um Rat bat. Ich werde ihre Worte nie vergessen: „Sag ihr, sie soll abhauen. Männer, die schlagen, schlagen immer. Es hört nie auf, er wird immer wieder zuschlagen. Und eines Tages wird er auch ihre Tochter schlagen.“

Mein Vater schlug meine Mutter. Ich dachte, es sei normal. Ich dachte, es passiere eben mal, so wie bei meinen Eltern und bei mir. Ich dachte, es käme vor, wenn Frauen zu laut werden, provozieren und zu weit gehen. Ich dachte, ich sei zu weit gegangen. Ich dachte, es sei meine Schuld. Ich fing an, mich mit mehreren Frauen aus der Kletterhallengruppe zu unterhalten und ihnen meine Situation auch so zu schildern, als sei sie die einer Freundin. Ich schämte mich für mein Leben. In diesen Gesprächen realisierte ich, dass meine Lage nicht normal war, und ich traf eine Entscheidung. Ich musste sie nur noch umsetzen. Ich weiß nicht mehr, wie viele Nächte ich wach gelegen bin, weinend und am Boden zerstört. Aber es war noch nicht mein Ende, das spürte ich. Da war noch ein wenig verstaubtes Potenzial, das die Jahre und die Zweifel meines Mannes an mir vergraben hatten. Ich durfte nicht zulassen, dass ich unsichtbar wurde. Ich musste handeln.

Ich wollte dieses Leben nicht. Ich wollte mich weiterbilden, arbeiten, in der Straßenbahn lesen. Ich wollte ein anderes Leben, eines, worin ich Platz hatte, aber nicht irgendeinen Platz, sondern die Hauptrolle. Ich sagte ihm, dass ich mich trennen wollte. Er lachte: „Geh doch, wenn du denkst, dass du es schaffen wirst. Du bist nichts ohne mich, aber bitte, die Türen stehen dir offen, und nimm das Kind mit,...

Erscheint lt. Verlag 28.1.2020
Verlagsort Wien
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Ägypten • Akzeptanz • Deutschlad • Frau • Frauen • Genitalverstümmelung • Geschichten • Islam • Kulturen • Österreich • Stereotyp • Verständnis • Weiblichkeit
ISBN-10 3-99100-288-4 / 3991002884
ISBN-13 978-3-99100-288-8 / 9783991002888
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