Der Gobelin des Königs / Teil 4 Gefahrvolle Reise ins Ungewisse (eBook)

Historischer Roman
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2016 | 1. Auflage
130 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43100-2 (ISBN)

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Der Gobelin des Königs / Teil 4 Gefahrvolle Reise ins Ungewisse -  Nancy Bilyeau
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Joanna zwischen Glauben, Macht und Liebe Im vierten Teil des Romans reist Joanna in Begleitung Geoffrey Scovills auf Geheiß des Königs nach Brüssel. Sie soll dort die Meisterwerkstätten der Teppichwebkunst besuchen und sich als Tapisseriemeisterin Heinrichs VIII. bei der Statthalterin der Niederlande vorstellen. Unter einem Vorwand reisen Joanna und Geoffrey danach weiter nach Deutschland, auf der Suche nach Edmund Sommerville. In der Pfalz werden sie von den Knechten eines Raubritters überfallen und in Heidelberg gefangen gehalten. Schließlich gelingt ihnen die Flucht, und die Suche nach Edmund geht weiter. Die Frage aber, wer Joanna nach dem Leben trachtet, ist noch nicht beantwortet ...  

Nancy Bilyeau studierte an der University of Michigan und hat als Redakteurin u. a. für >Rolling Stone< sowie >InStyle< gearbeitet. Ihre Drehbücher wurden für verschiedene Auszeichnungen nominiert. Sie lebt mit ihrer Familie in New York. 

Nancy Bilyeau studierte an der University of Michigan und hat als Redakteurin u. a. für ›Rolling Stone‹ sowie ›InStyle‹ gearbeitet. Ihre Drehbücher wurden für verschiedene Auszeichnungen nominiert. Sie lebt mit ihrer Familie in New York. 

Kapitel 29


Als Geoffrey und ich beschlossen, mit einem flämischen Schiff nach Antwerpen zu reisen, nahmen wir an, die anderen Passagiere wären Fremde. Doch dann beschloss ein Freund, mit uns zu reisen: Hans Holbein.

Er fasste diesen Entschluss nicht sofort. Als ich aus dem Nebenzimmer der Schenke trat, fand ich ihn tränenreich klagend und betrunken vor. Der besorgte Wirt lieh uns sein Fuhrwerk und seinen Kutscher aus, und so brachten wir Holbein in sein Haus bei der London Bridge. Es war inzwischen Abend geworden, und Holbein, der schon wieder etwas nüchterner geworden war, bat uns, bei ihm zu übernachten. Nach kurzem Überlegen stimmte Geoffrey zu, da wir andernfalls Dartford erst nach Einbruch der Dunkelheit erreicht hätten.

Aber ich fand keine Ruhe. Ein blutiger Albtraum voll gellender Schreie hielt mich gefangen. Ich kämpfte mich frei und setzte mich im Bett auf, keuchend und mit rasendem Herzklopfen. Ich hatte keine Ahnung, wo ich mich befand. Erst als ich mich daran erinnerte, dass ich in Holbeins Haus war, schlug mein Herz wieder ruhiger.

Ich wusste nicht, wie spät es war, nur dass draußen schwärzeste Dunkelheit herrschte. Von unbezwingbarer Ruhelosigkeit getrieben, tappte ich zur Tür und öffnete sie einen Spalt. Mein Zimmer lag am Ende des langen, schmalen Korridors. Am anderen Ende brannte neben der Tür zur Treppe eine Kerze. Und dort saß Geoffrey, reglos und gespannt. Das flackernde Licht der Kerze fiel auf den schimmernden Stahl eines Messers in seiner Hand. Er verzichtete auf seine Nachtruhe, um über mein Leben zu wachen.

Am liebsten wäre ich zu ihm gelaufen wie ich war, nur in dem dünnen Hemd, das ich trug. Diese wenigen Worte, die Geoffrey in der Rose Tavern gesagt hatte – sie hatten in mir unerwünschte Gefühle wachgerufen. Aber dann fiel mir wieder ein, was Surrey gesagt hatte, Der Constable, der Euch überall folgt – so wollte ich ihn nicht beschrieben sehen. Ich wollte Geoffrey nicht länger zur Last fallen. Es war falsch, gemeinsam mit ihm zu reisen. Es musste eine andere Möglichkeit geben, Edmund ausfindig zu machen, ohne dass meine Sicherheit gefährdet wurde. Ich schloss leise die Tür und schlich wieder in mein Bett. Ich würde das morgen zur Sprache bringen, nahm ich mir vor.

Aber als wir beim Frühstück zusammentrafen, erklärte Holbein, er werde sich uns anschließen. »Ich bin meiner Frau und meinen Freunden in Augsburg viel zu lange fern geblieben«, sagte er. »Ich werde das Porträt von Königin Catherine in den nächsten zwei Wochen fertigstellen – rechtzeitig, um reisen zu können.«

Welch ein Schlag – »Königin Catherine«.

Geoffrey nahm Holbeins Entschluss mit Enthusiasmus auf. Ich vermutete, dass er, genau wie ich, froh war über die Gesellschaft einer dritten Person, über die Holbeins zumal, da dieser ihm auf der Reise durch Deutschland so manches erleichtern würde.

Obwohl sich in der vergangenen Nacht nichts Ungewöhnliches ereignet hatte, meinte Geoffrey beim Aufbruch, wir dürften kein Risiko eingehen. Er schlug vor, Pferde zu mieten und einen Umweg durch das Herz Londons zu nehmen und dann einen Bogen in Richtung Dartford zu schlagen. Ich stimmte müde zu.

Der Ritt durch London verlief wie geplant, bis wir in eine schmale, schattige Straße gelangten, die weiter vorn in eine weit breitere mündete, wo sich Scharen von Menschen versammelt hatten. Sie standen so dicht geschlossen, dass es für uns kein Durchkommen gab.

»Wir können umdrehen oder warten, bis die Menge sich zerstreut und dann auf diesem Weg weiterreiten«, sagte Geoffrey.

»Warten wir«, entschied ich. »Dann können gleich die Pferde hier im Schatten eine Weile rasten.«

Wir saßen ab und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Es dauerte nicht lang, da vernahmen wir erste Rufe, die sich schnell zu grölendem Hohn und Spott und Beifallsgeschrei steigerten. Mir wurde immer unbehaglicher. Die Stimmung erinnerte mich an den Tag in Smithfield, als die Soldaten Margaret zum Scheiterhaufen geschleppt hatten.

»Ich finde, wir sollten hier verschwinden«, sagte ich zu Geoffrey, und er ging nickend, unsere Pferde loszubinden.

Wir saßen wieder auf, und ich bedauerte es sofort. Von dieser Höhe aus konnte ich über die Köpfe der Menge hinweg bis zur Mitte der Straße blicken und sah schaudernd ein Pferdegespann, das eine Schleife, ein aus Stangen zusammengeschnürtes schlittenähnliches Holzgestell, zog. Meine Ahnung war richtig gewesen – hier wurden zum Tode Verurteilte zum Richtplatz gebracht, und diese Leute hatten sich eingefunden, um sich an dem Schauspiel zu ergötzen. Doch nicht nur eine Person war auf die Schleife gefesselt, nein, es waren zwei Männer, die, in Lumpen gehüllt, Seite an Seite aneinandergekettet waren. Der eine rief mit lauter Stimme irgendetwas, aber seine Worte gingen im Johlen der Menge unter. Der andere, ein wesentlich älterer Mann, hatte die Augen geschlossen, seine Lippen bewegten sich.

Ich saß wie erstarrt auf meinem Pferd, während Geoffrey einen dunkelhaarigen Mann in der Nähe ansprach.

»Geoffrey!«, rief ich, doch er hörte mich nicht in diesem ohrenbetäubenden Lärm. Seine Aufmerksamkeit war ganz auf das Gespräch mit dem dunkelhaarigen Mann gerichtet.

Noch lauter wurde jetzt das allgemeine Gegröle. Ich verstand das nicht – die Gefangenen waren doch schon an den Leuten vorbei. Was gab es jetzt noch zu applaudieren? Doch da sah ich es schon: Ein zweites Pferdegespann zog eine Schleife mit wiederum zwei aneinandergeketteten Männern heran, und dahinter folgte ein drittes.

Von Entsetzen gepackt, schlug ich meinem Pferd die Hacken in die Seiten, um davonzureiten. Ich musste weg von hier, weit, weit weg von dieser grauenvollen Parade.

Als ich das andere Ende der Straße erreicht hatte, holte Geoffrey mich ein. Er machte mir keinen Vorwurf. Er sah selbst bis ins Innerste erschüttert aus.

»Was ist das, Geoffrey?«, fragte ich. »Was geschieht mit diesen Gefangenen?«

»Sie werden nach Smithfield gebracht.«

»Ich wusste es«, sagte ich niedergeschlagen. »Es war die gleiche Stimmung wie bei Margarets Verbrennung. Ihr wart doch dabei, Geoffrey. Ihr erinnert Euch. Sollen diese Männer auch verbrannt werden?«

Geoffrey zögerte. »Die einen werden verbrannt, die anderen gehängt, ausgeweidet und gevierteilt.«

Ich starrte ihn verständnislos an.

»Der Mann auf der ersten Schleife, der so laut gerufen hat, war Doktor Robert Barnes, ein Anhänger Luthers und ein Verbündeter Cromwells. Er wird heute wegen Ketzerei auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Der Mann, der mit geschlossen Augen neben ihm lag, ist Richard Featherston. Er war der Kaplan Katharinas von Aragón und Lehrer ihrer Tochter, Lady Maria. Er wird wegen Hochverrats gehängt, ausgeweidet und gevierteilt, weil er den Papst in Rom über seinen König stellte. Die drei Lutheraner werden verbrannt, die drei Katholiken werden erst gehängt, dann in Stücke gerissen.«

Das zeigte das wahre Gesicht König Heinrichs VIII. Er stand weder auf der Seite der Katholiken noch auf der der Lutheraner. Es war unmöglich, ihn zu verstehen, in seinem Königreich in Sicherheit zu leben. Er war durch Cromwells Entmachtung kein besserer Mensch geworden. Wie töricht von Bischof Gardiner und den Howards zu glauben, sie könnten vorhersagen, wie der König sich verhalten würde – oder sein Handeln bestimmen.

»Wir müssen so schnell wie möglich nach Dartford«, sagte ich. »Und wir müssen England verlassen, Geoffrey. Ich weiß nicht, ob ich je wieder zurückkommen möchte.«

Die Worte waren in Verzweiflung gesprochen, aber in den folgenden Wochen, die unserer Abreise vorausgingen, änderte sich nichts an meinem Gefühl. Alles, was ich erlebt hatte, seit ich im April nach Whitehall aufgebrochen war, schürte in mir einen tiefen Widerwillen gegen den König, an dessen Hof ich nunmehr ein offizielles Amt als Tapisseriemeisterin innehatte. Die abschließenden Vereinbarungen wurden mit dem Obergewandkämmerer getroffen. Nach einem sechsmonatigen Aufenthalt in Brüssel würde ich meine Pflichten bei Hof aufnehmen müssen. In der Woche vor unserer Abreise traf ein königlicher Kurier mit einer wohlgefüllten Börse ein – zur Deckung meiner Reisekosten und meines Lohns für die kommenden Monate. Ich fühlte mich unrein, als ich mit der Börse in der Hand in meinem Salon stand.

Ich werde dieses Geld für die Suche nach Edmund verwenden, gelobte ich mir.

Ich wusste nicht, was ich Catherine schreiben sollte, der Kindfrau, die mit einem Ungeheuer verheiratet war. Am Ende wurde es nur ein kurzes, steifes Glückwunschschreiben. Ich bekam keine Antwort darauf; zweifellos war sie zu sehr in Anspruch genommen von ihrem neuen Leben, um meine Zurückhaltung zu bemerken.

Es war recht mühsam, doch es gelang mir schließlich, die Schwestern aus Kloster Dartford zu überreden, eine Bezahlung für ihre Hilfe beim Weben meines Bildteppichs Der Gram der Niobe anzunehmen. Sir Andrew Windsor hatte vorgeschlagen, dass die Weber der Gewandkämmerei während meiner Abwesenheit die Arbeit an dem Teppich weiterführen sollten, aber ich wusste nichts über die Fertigkeit dieser Männer. In die Frauen aus dem Kloster hingegen hatte ich höchstes Vertrauen. Sie hatten die Arbeit mit mir zusammen begonnen, sie sollten sie auch fortsetzen. Ich ließ deshalb den Webstuhl und alles Material auf ihren Bauernhof bringen. Eines Tages würde ich selbst das Werk vollenden und das Gesicht der Niobe nach Holbeins Kreidezeichnung von Catherine Howard bilden. Es fiel mir allerdings schwer, mir vorzustellen, dass ich je zurückkehren...

Erscheint lt. Verlag 26.8.2016
Reihe/Serie Joanna-Stafford-Reihe (Tudorzeit)
Übersetzer Mechtild Sandberg-Ciletti
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte 16. Jahrhundert • England • Englischer Hof • Frauenunterhaltung • Heinrich VIII. • Historischer Roman • Historischer Thriller • Intrigen • Joanna Stafford • Liebe • London • Machtspiele • Starke Frauen • Tapisseriemeisterin • Tudor-Zeit • Verschwörung
ISBN-10 3-423-43100-8 / 3423431008
ISBN-13 978-3-423-43100-2 / 9783423431002
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