Die ewige Philosophie -  Aldous Huxley

Die ewige Philosophie (eBook)

Philosophia perennis
eBook Download: EPUB
2012 | 1. Auflage
428 Seiten
Hans-Nietsch-Verlag
978-3-86264-130-7 (ISBN)
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Eine Anthologie der 'philosophia perennis' Texte aus drei Jahrtausenden  Aldous Huxley beschäftigte sich in seiner zweiten Schaffensphase intensiv mit den alten Weisheitslehren: Er suchte in den transzendenten Wahrheiten der heiligen Schriften und den lebendigen Erfahrungen der Mystiker Europas und des Nahen und Fernen Ostens nach Erkenntnis der göttlichen Wirklichkeit hinter der vielschichtigen Welt der Dinge, des Lebens und des menschlichen Geistes. Die Früchte seiner Arbeit sind in diesem, erstmals 1944 (in Deutschland 1949) veröffentlichten Werk zu finden: In 'Die ewige Philosophie' stellt er religiöse und mystische Texte verschiedener Kulturkreise aus drei Jahrtausenden zu verschiedenen Themen zusammen und bettet sie in seinen eigenen Kommentar ein. Letzterer dient dazu, die Zitate zu verbinden, Gedankengänge zu entwickeln, zu veranschaulichen und zu erläutern. Quintessenz dieser Anthologie ist die verblüffende Ähnlichkeit, die Universalität dessen, was die großen Weisen aller Zeiten und Kontinente gelehrt haben - tatsächlich eine Philosophia perennis.  'Ist man selbst kein Weiser oder Heiliger, so ist es auf dem Gebiet der Metaphysik am besten, wenn man die Werke jener studiert, die es waren. Indem sie ihre bloß menschliche Wesensart verändert hatten, machten sie sich einer qualitativ und quantitativ mehr als bloß menschlichen Erkenntnis fähig.' Aldous Huxley

KAPITEL I

DAS BIST DU


Wenn wir die Philosophia perennis studieren, können wir entweder unten anfangen, mit Praxis und Moral, oder oben, mit einer Betrachtung metaphysischer Wahrheiten, oder in der Mitte, an dem Punkt, wo Geist und Materie, Handeln und Denken sich in der menschlichen Psychologie begegnen.

Der untere Zugang wird von den praktischen Lehrern vorgezogen – Männern, die wie Gautama Buddha für die Spekulation nichts übrig haben und deren erstes Anliegen ist, das verheerende Feuer der Habgier, Rachsucht und Verblendung in den Herzen der Menschen zu löschen. Den oberen Zugang benutzen diejenigen, die berufen sind zu denken und nachzusinnen – die geborenen Philosophen und Theologen. Der mittlere Zugang ist für die ungewöhnlichen Individuen, die sich der spirituellen Religion hingeben – die kontemplativen Praktizierenden des Hinduismus, die Sufis des Islam, die katholischen Mystiker des späten Mittelalters und in der protestantischen Tradition solche Männer wie Denck und Franck und Castellio, wie Everard und John Smith sowie die ersten Quäker und William Law.

Durch diesen mittleren Eingang, eben weil er zentral ist, nähern wir uns nun dem Inhalt dieses Buches. Die Psychologie der Philosophia perennis entspringt der Metaphysik und mündet logischerweise in eine charakteristische Lebenshaltung und ein ethisches System. Von diesem Kern der Lehre aus kann sich der Geist leicht in beide Richtungen bewegen.

In diesem ersten Kapitel werden wir unsere Aufmerksamkeit jedoch nur einem einzigen Kernpunkt dieser überlieferten Psychologie schenken. Dieser Aspekt, den alle Verfechter der Philosophia perennis mit größtem Nachdruck betonen, ist der wichtigste und hat – dürfen wir hinzufügen – am wenigsten mit Psychologie zu tun. Denn die Lehre, die in diesem Kapitel veranschaulicht werden soll, gehört nicht der Psychologie, sondern der Selbstkenntnis an – nicht der Wissenschaft des persönlichen Ich, sondern der Erkenntnis jenes ewigen Selbst in der Tiefe des individualisierten Wesens, das mit dem göttlichen Urgrund identisch oder wenigstens verwandt ist. Dieser Lehrsatz, der auf der unmittelbaren Erfahrung von Menschen beruht, die die notwendigen Voraussetzungen für solche Erkenntnis in sich geschaffen haben, wird am treffendsten in der Sanskritformel tat tvam asi (Das bist du) ausgedrückt. Der atman, das ewige, immanente Selbst, ist eins mit dem brahman, dem absoluten Ursprung des gesamten Daseins; und es ist die wahre Bestimmung jedes Menschen, diese Tatsache selbst zu entdecken – herauszufinden, wer er eigentlich ist.

Gott ist in allen Dingen. Je mehr Er in den Dingen ist, desto mehr ist Er außerhalb von ihnen; je mehr Er im Inneren ist, desto mehr ist Er draußen.

Meister Eckhart

Nur das Transzendente, das völlig andere, kann immanent sein, ohne vom Werden dessen verändert zu werden, dem es innewohnt. Die Philosophia perennis lehrt, es sei wünschenswert und sogar notwendig, den spirituellen Urgrund der Dinge zu erkennen, und zwar nicht nur im Inneren des Menschen, sondern auch draußen in der Welt und jenseits der Welt und des Inneren des Menschen in seinem transzendenten Anderssein – »im Himmel«.

Obwohl Gott überall gegenwärtig ist, so ist Er dir nur im deinem tiefsten, innersten Kern gegenwärtig. Die natürlichen Sinne können Gott nicht besitzen, und sie können dich auch nicht mit Ihm vereinigen. Deine innere Fähigkeit, zu verstehen, zu wollen und dich zu erinnern, kann Gott nur suchen, nicht aber Sein Aufenthaltsort in dir sein. Es gibt jedoch eine Wurzel oder Tiefe in dir, aus der alle diese Fähigkeiten wie Linien aus einem Mittelpunkt oder Äste aus dem Stamm eines Baumes entspringen. Diese Tiefe wird die Mitte oder der Grund und Boden deines Inneren genannt. Diese Tiefe ist die Einheit, die Ewigkeit – ich hätte fast gesagt, die Unendlichkeit – deines Inneren. Denn sie ist so unendlich, dass nichts ihr Befriedigung oder Ruhe geben kann außer der Unendlichkeit Gottes.

William Law

Dieser Auszug scheint dem zu widersprechen, was oben gesagt wurde, aber es ist kein wirklicher Widerspruch. Gott innen und Gott außen – das sind zwei begriffliche Vorstellungen, die der Verstand sich schafft und die sich in Worten ausdrücken lassen. Aber die Tatsachen, auf die sich die beiden Vorstellungen beziehen, können nur im »tiefsten innersten Kern des Menschen« erkannt und erfahren werden. Und das gilt nicht weniger von Gott innen als von Gott außen. Aber obwohl die beiden abstrakten Vorstellungen (um eine räumliche Metapher zu gebrauchen) am gleichen Ort erkannt werden müssen, unterscheidet sich die wet entliche Erkenntnis von Gott innen qualitativ von derjenigen von Gott außen, und jede für sich ist verschieden von der Erkenntnis des Urgrunds als gleichzeitig innen und außen – als das Selbst des Wahrnehmenden und gleichzeitig (wie die Bhagavadgita es ausdrückt,) als »Das, was diese ganze Welt durchdringt«.

Als Svetaketu zwölf Jahre alt wurde, sandte man ihn zu einem Lehrer, bei dem er studierte, bis er vierundzwanzig Jahre alt war. Nachdem er alle Veden gelernt hatte, kehrte er tadelsüchtig und hochmütig nach Hause zurück, denn er war überzeugt, eine ausgezeichnete Bildung genossen zu haben.

Sein Vater sprach zu ihm: »Svetaketu, mein Kind, du bist so voll von Gelehrsamkeit und Tadel. Hast du denn auch das Wissen gesucht, durch das wir das Unhörbare hören, das Unwahrnehmbare wahrnehmen und das Unerkennbare erkennen?«

»Worin besteht dieses Wissen, Vater?«, fragte Svetaketu.

Sein Vater antwortete: »Wenn du einen Klumpen Ton kennst, kennst du alles, was aus Ton gemacht ist. Der Unterschied liegt bloß im Namen, aber die Wahrheit ist, dass alles aus Ton besteht. Von solcher Art, mein Kind, ist das Wissen, das uns befähigt, alles zu wissen.«

»Aber meine ehrwürdigen Lehrer besitzen dieses Wissen offenbar nicht, denn sonst hätten sie es mir mitgeteilt. Deshalb gib du mir dieses Wissen, Vater.«

»Gern«, sagte der Vater. »Bring mir eine Frucht des Nyagrodha-Baums.«

»Hier ist eine, Vater.«

»Brich sie auf.«

»Sie ist aufgebrochen.«

»Was siehst du darin?«

» Samen, Vater. Außerordentlich kleine.«

»Brich einen auf.«

»Er ist aufgebrochen, Vater.«

»Was siehst du darin?«

»Gar nichts.«

Dann sagte der Vater: »Mein Sohn, jene feine Essenz, die du dort nicht wahrnehmen kannst – in der ist der ganze riesige Nyagrodha-Baum enthalten. In dieser feinen Essenz hat alles, was existiert, sein Selbst. Das ist das Wahre, das Selbst; und du, Svetaketu, bist Das.«

»Sag mir bitte mehr darüber, Vater«, sagte der Sohn. »Gewiss, mein Kind«, erwiderte der Vater. »Streu dieses Salz ins Wasser und komm morgen früh zu mir.«

Der Sohn tat, wie ihm befohlen wurde. Am nächsten Morgen sagte der Vater: »Bring mir das Salz, das du ins Wasser gestreut hast.«

Der Sohn suchte das Salz, konnte es aber nicht finden, denn es hatte sich natürlich aufgelöst.

Der Vater sagte: »Nimm etwas Wasser von der Oberfläche und koste

es. Wie schmeckt es?«

»Salzig.«

»Koste etwas aus der Mitte. Wie schmeckt es?« »Salzig.«

»Koste etwas von unten. Wie schmeckt es?«

»Salzig.«

Der Vater sagte: »Gieß das Wasser aus und komm dann zu mir zurück.«

Der Sohn tat es, aber das Salz war nicht verschwunden, denn Salz besteht ewig.

Dann sagte der Vater: »Auch hier in deinem Körper, mein Sohn, erkennst du das Wahre nicht. Aber es ist trotzdem da. In der feinen Essenz hat alles, was existiert, sein Selbst. Das ist das Wahre, das Selbst, und du, Svetaketu, bist Das.«

Chandogya-Upanishad

Wenn du »Das«, was »du« bist, erkennen willst, gibt es drei Möglichkeiten: Du kannst damit anfangen, dass du nach innen in dein eigenes Du schaust. Es ist ein Prozess, in dem »dein persönliches Selbst stirbt« – das Selbst in deinem Denken, Wollen und Fühlen. Und am Ende kommst du zur Erkenntnis des Wahren Selbst, zum Königreich Gottes in dir. Oder du kannst mit den Dus anfangen, die außerhalb von dir existieren, und kannst zu erkennen versuchen, dass sie in ihrem Wesen eins mit Gott sind und dadurch auch miteinander und mit dir. Oder du kannst versuchen (und das ist zweifellos am besten), dich der absoluten Wirklichkeit sowohl von innen als auch von außen zu nähern, sodass du schließlich in deinem Experiment erkennst, dass Gott das Prinzip sowohl deines Du als auch des Du aller anderen Wesen und Dinge ist. Der vollständig erleuchtete Mensch weiß wie William Law, dass Gott »in seinem tiefsten Inneren gegenwärtig ist«. Aber gleichzeitig ist er auch einer von denen, die, wie Plotin sagt,

alle Dinge sehen, und zwar nicht in ihrem Werden, sondern in ihrem Sein, und die sich im anderen sehen. Jedes Wesen enthält in sich die ganze erkennbare Welt. Deshalb ist Alles überall. Jeder ist als Alles da, und Alles ist jeder. Der heutige Mensch hat aufgehört, dieses Alles zu sein. Aber wenn er aufhört, ein Individuum zu sein, richtet er sich wieder auf und durchdringt die ganze Welt.

Die mehr oder weniger klare intuitive Erkenntnis der einen Wirklichkeit, die der Urgrund und Ursprung aller Vielfalt ist, ist die Quelle sowohl aller Philosophie als auch der Naturwissenschaft. Jede Wissenschaft, wie Meyerson sagt, führt jede Vielfalt auf Identität zurück. Indem wir im Vielen und hinter ihm das Eine ahnen, scheint uns jede Erklärung des Verschiedenen aufgrund eines einzigen Ursprungs glaubwürdig.

Die Philosophie der Upanischaden taucht später in entwickelter und bereicherter Form in der Bhagavadgita auf und wird im 9. Jahrhundert von Shankara...

Erscheint lt. Verlag 21.3.2012
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften
ISBN-10 3-86264-130-9 / 3862641309
ISBN-13 978-3-86264-130-7 / 9783862641307
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