Der Komet (eBook)

Roman

(Autor)

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2013 | 1. Auflage
272 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30677-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Komet -  Hannes Stein
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»I bin doch ned deppat, i fohr wieder z'haus.« Der Erste Weltkrieg hat nicht stattgefunden, Amerika ist Kontinent der Hinterwäldler: In diesem Roman gibt es keine Anglizismen, keine amerikanischen Erfindungen und keinen Krieg. Dafür ein Europa voller Juden, den Mond als deutsche Kolonie und Wien als Zentrum der Welt. »I bin doch ned deppat, i fohr wieder z'haus« lautet der Schlüsselsatz dieses Buches - denn damit fällt in Hannes Steins Roman Der Komet der Erste Weltkrieg aus. Gesprochen wird der Satz vom österreichischen Thronfolger am 28. Juni 1914 in Sarajewo, wo gerade jemand versucht hat, eine Bombe auf Franz Ferdinand zu werfen.Das hat natürlich Folgen: denn ohne den Ersten Weltkrieg gibt es auch keinen Zweiten und keinen Kalten Krieg, keine Entkolonialisierung und keine Kollision mit dem Islam. Die europäischen Staaten versuchen ihre komplizierte Machtbalance zu erhalten - augusteischer Frieden herrscht auf der Welt.Amerika ist ein zurückgebliebener Kontinent voller Cowboys, Goldgräber und Hinterwäldler; Europa bleibt das vorherrschend von Monarchen regierte Maß aller Dinge.Vor allem: Das liebenswerte, etwas bräsige k.u.k.-Reich mit seiner Hauptstadt Wien ist und bleibt der Nabel der Welt.Hier, in der Hauptstadt des Vielvölkerreichs, dieser Stadt voller Juden, Psychoanalytiker und Wiener Schmäh, spielt Hannes Steins erster Roman. In dieser Szenerie lässt er seinen jungen und etwas tumben Protagonisten eine Liaison mit einer Gesellschaftsdame eingehen, deren Mann gerade auf dem Mond weilt (eine deutsche Kolonie, wo der Österreicher in seiner Eigenschaft als k.u.k.-Hofastronom aber arbeiten darf ). Die Nachrichten allerdings, die er von dort sendet, sind dramatisch. Ein Komet rast auf Kollisionskurs auf die Erde zu und soll in wenigen Monaten dort einschlagen.

Hannes Stein, geboren 1965 in München, aufgewachsen in Salzburg, lebt jetzt als Korrespondent für die Welt in New York. Er schrieb für die FAZ und den Spiegel. Im Sommer 2007 ist er nach Amerika ausgewandert. Bei Galiani Berlin erschienen von ihm die Romane »Der Komet« (2013), »Nach uns die Pinguine« (2017) und »Der Weltreporter«. Hannes Stein bloggt bei den Salonkolumnisten und ist Mitglied des amerikanischen PEN-Clubs.

Hannes Stein, geboren 1965 in München, aufgewachsen in Salzburg, lebt jetzt als Korrespondent für die Welt in New York. Er schrieb für die FAZ und den Spiegel. Im Sommer 2007 ist er nach Amerika ausgewandert. Bei Galiani Berlin erschienen von ihm die Romane »Der Komet« (2013), »Nach uns die Pinguine« (2017) und »Der Weltreporter«. Hannes Stein bloggt bei den Salonkolumnisten und ist Mitglied des amerikanischen PEN-Clubs.

Inhaltsverzeichnis

II. Dudus Mondfahrt


David Gottlieb, den seine Freunde gern zärtlich »Dudu« riefen, platzte vor Vorfreude schier aus den Nähten und fühlte sich deswegen schuldig. Warum er sich schuldig fühlte? Weil seine Vorfreude wenigstens durch einen Tropfen der Trauer hätte getrübt sein müssen: noch war ja gar nicht abzusehen, ob er seine Gattin und ihre beiden Töchter binnen Wochen oder erst in Monaten wiedersehen würde. Dudu Gottlieb war aber überhaupt nicht traurig. Ihm fiel vielmehr ein Stein vom Herzen, als ihn das Telegramm mit der kryptischen Nachricht – seine Anwesenheit auf dem Mond sei »dringend stopp sehr dringend erforderlich« – aus dem Kreise seiner Lieben zu Hause fortriss. Nicht zu leugnen: Seine Ehe war im vergangenen Jahr mit sanft - bösem Knirschen auf eine Sandbank gelaufen. Man konnte nicht sagen, dass er häufig mit Barbara stritt; vielleicht stritten sie sogar zu wenig miteinander. Aber der Nebel der Gewöhnung hatte sich grau auf seinen Alltag und klamm um sein Herz gelegt. Womöglich war ja auch, so suchte er sich zu beruhigen, das Alter schuld: Er hatte die 50 gerade eben überschritten. Jedenfalls hatte er Barbara nun schon lange nicht mehr (im biblischen Sinn dieses Wortes) erkannt. Es lag nicht daran, dass Dudu ihre Schönheit nicht mehr wahrgenommen hätte; im Grunde fand er seine Gattin sogar attraktiver denn je. Aber ihre Schönheit reizte ihn eben leider überhaupt nicht mehr.

Nach den Vorschriften des Talmud war Dudu Gottlieb die Pflicht auferlegt, seine Frau entweder erotisch zufriedenzustellen oder ihr materiellen Ersatz zu leisten; so hatte er Barbara mit Halsketten und Ohrringen, mit Gold und Brillanten wortlos um Verzeihung gebeten … lieber hätte er seinen Ehekontrakt (einst hatte er ihn an einem sonnig - kalten Frühlingstag besiegelt, indem er ein Glas unter der Ferse zermalmte) auf die traditionelle Art erfüllt. Aber stand es denn in seiner Macht?

Nun musste Dudu Gottlieb also auf den Mond, und die Vorfreude wirkte auf ihn wie ein Gas, das sanfte Rauschzustände hervorruft. Barbara hatte ihm am Vorabend geholfen, seine Koffer zu packen; genauer gesagt war es so gewesen: sie hatte die Koffer systematisch mit allerhand Nützlichem gefüllt, er hatte immer mal wieder versucht, ein Buch unter die Kleidungsstücke zu schmuggeln, und Barbara hatte ihm die Bücher – »du kannst nicht deine halbe Bibliothek mitnehmen, Dudu« – einzeln wieder ausgeredet. Er hatte sich den Wecker auf halb sechs gestellt und war neben ihr tief in traumlosen Schlaf gefallen (Reisefieber kannte Dudu Gottlieb zum Glück nicht); morgens war er aus dem Bett gerollt, hatte seine Frau, die sich schlaftrunken räkelte, kurz auf den Mund geküsst, Gebetsriemen angelegt und eine halbe Stunde lang Schách’riss, das Morgengebet, verrichtet. Nach einer kräftigen Dusche (halb heiß, halb eiskalt) hatte er sich angekleidet wie jeden Tag – schwarz gestreifter Anzug, rote Seidenkrawatte, Samtkappe; an den Seiten seiner Hose hingen die Schaufäden des kleinen Gebetmantels herunter, den er als Unterhemd trug. Dudu Gottlieb musterte sich kritisch im Spiegel (demselben Spiegel, in den ein paar Tage zuvor Alexej von Repin geblickt hatte). Er sah sein blasses Gesicht, sah verschwiemelte Züge, seinen kurz geschorenen Bart, der an den Ecken schon grau wurde, hellbraune Augen.

Viele fragten sich, wie es einem Mann wie ihm wohl gelungen sein mochte, Barbaras Herz zu erobern. Als Antwort auf diese Frage hatte er seinem Spiegelbild kurz die Zungenspitze gezeigt, das ihm die kleine Ungezogenheit umgehend heimzahlte; anschließend hatte er allein in der Küche gefrühstückt (tiefschwarzen ungesüßten Kaffee, in den er ein trockenes Kipferl tauchte). Der Sekundenzeiger der alten Uhr auf der Bauernkredenz, in der sie die milchigen Teller verwahrten, hatte die Zeit mit »Tack« und »Tack« und wieder »Tack« in dünne Scheiben zersäbelt. Eine kleine Viertelstunde später klingelte es schon an der Tür, sein Taxi wartete unten. Seine Frau war gähnend und im Morgenmantel an der Tür erschienen; sie hatte ihn zum Abschied sanft in den Arm genommen, er hatte ihr ins Ohr geraunt, sie solle brav sein und die Kinder von ihm grüßen.

Dudu Gottliebs Taxifahrer war ein Rumäne aus Siebenbürgen, der einen gewaltigen Schnurrbart unter der Nase trug; noch gewaltiger war das R, das er gemütlich vor sich her rollte. Ob ihm Wien denn gefalle, wollte Dudu wissen, ob es hier besser sei als in seiner Heimatstadt. »Temeschoar – nicht schlecht. Bukarest – noch besser. Aber Wien ist grrrrreeeßte Stadt von Welt«, urteilte der Taxifahrer aus Siebenbürgen. Und nachdem er seinen Schmerbauch hinter dem Lenkrad verstaut hatte, fügte er im Brustton der Naivität hinzu: »Wien ist centru von Kosmos!« Als sie langsam am Prater vorbeifuhren, erkundigte der Rumäne sich, wohin die Reise denn gehe; ach so, auf den Mond, da schau her. »Geschäft oder Vergniegen?«, wollte er wissen – und Dudu, den die jubelnde Vorfreude längst unter den Haarwurzeln kitzelte, antwortete schnell und leise, es handle sich um eine Geschäftsreise, was im Grunde ja auch stimmte. »Ich spare für Mondflug«, informierte ihn sein Chauffeur. »Aber nie genug Geld auf Bank, la naiba!« Anschließend war er – während sie auf die Autobahn einbogen, die nach Transleithanien[3] hinüberführte – in das allgemeine Taxifahrerlamento ausgebrochen: hohe Steuern, korrupte Politiker, blöde Erzherzöge usw., und er hielt sein Lamento ungebremst durch, bis sie bei Schwechat die Abfahrt zum Flughafen nahmen. Eigentlich war Dudu der Mann am Ende ein wenig auf die Nerven gegangen; am liebsten hätte er das Trinkgeld gespart, aber es gab, weiß Gott, schon genug Antisemitismus, und er wollte nicht – wie seine Großmutter seligen Andenkens gesagt hätte – extra Risches[4] machen. Also streckte Dudu dem Rumänen mit mildem Seufzen ein goldenes Hundertkronenstück hin: »Vierzig, bitte«, sagte er, und der Taxifahrer gab ihm drei rote Zwanzigerscheine heraus.

Vor dem Flughafengebäude stand er dann allein mit seinen zwei Rollkoffern in der Hand, ein Herr mittleren Alters im teuren Anzug mit Samtkappe. Um Dudu herum brandete ein wildes Sprachengewirr: Er hörte das Ukrainische der Ruthenen, jiddische Brocken flogen an sein Ohr, eine tschechische Familie bahnte sich lautstark ihren Weg, sogar Englisch war hier und da zu vernehmen. Dudu Gottlieb aber steuerte mit seinem schweren Gepäck quer durch die geräumige Abflughalle schnurstracks dem Schild entgegen, das den Weg zum Mondflieger wies. Die erste Formalität des Tages bestand darin, dass er sich mitsamt seinen Koffern wiegen ließ. Dudu liebte diese Prozedur nicht, leider war sie unumgänglich: Touristen zum Mond lösen alle denselben Grundpreis von circa 6000 Kronen – eine erschwingliche Summe auch für Angehörige der Mittelschicht. Auf diesen Grundpreis ist dann aber jeweils ein Aufschlag zu entrichten, der sich nach dem Körpergewicht und der Schwere des mitgebrachten Gepäcks bemisst; denn jedes Kilo, das von der Erde zum Mond geschossen wird, macht zusätzlichen Raketentreibstoff erforderlich, und dafür haben die Passagiere aufzukommen.

Die finanzielle Seite der Angelegenheit bekümmerte Dudu wenig, schließlich wurden die Kosten vom Hofe getragen. Allerdings empfand er es als unangenehm, beinahe schon entwürdigend, dass er vor aller Augen mitsamt seinen Koffern auf einer riesigen Waage Aufstellung nehmen musste. Wenn man ihm den Ausdruck aushändigte, auf dem die Gewichtsdifferenz exakt in Krone und Heller umgerechnet stand, wurmte ihn das jedes Mal tief in den Eingeweiden. Er liebte Mehlspeisen nun einmal, neigte daher zur Dicklichkeit, und diese Rechnung kam ihm wie eine öffentliche Rüge vor. Zu begleichen war die Differenz an Bord (die Kunststoffkarte der k. k. Creditanstalt[5] ruhte sicher in der Dunkelheit seines Portemonnaies).

Noch eine zweite Hürde war auf dem Weg zum Mond zu bewältigen – die Grenzkontrolle. Ja, es war ein wenig verrückt. Dudu Gottlieb konnte nach Triest reisen, nach Budapest, nach Prag, nach Czernowitz, nach Sarajevo oder in sein heimatliches Lemberg, ohne dass er unterwegs je hätte seinen Reisepass vorweisen müssen; aber der Mond war nun einmal deutsch, da war nichts zu machen. Unsichtbar erstreckte sich eine politische Grenze durchs stille kalte All, eine seltsame Vorstellung. Auf ganz unerwartete Weise, dachte Dudu, während er sich in die nächste Menschenschlange einreihte, war eine Prophezeiung von Heinrich Heine aus dem 19. Jahrhundert wahr geworden. Heine, der die Deutschen mit ingrimmigem Spott geliebt hatte, dichtete in seinem Poem »Deutschland. Ein Wintermärchen«:

Franzosen und Russen gehört das Land,

Das Meer gehört den Briten.

Wir aber besitzen im Luftreich des Traums

Die Herrschaft unbestritten.

Diese Verse hatten sich also erfüllt – viel weniger metaphorisch, viel buchstäblicher, als Heine es hatte wissen können. Ganz ohne alle Ironie! Seit dem Jahr 1940 hatten die Deutschen mit überlegener Ingenieurskunst – das musste der österreichisch - ungarische Neid ihnen lassen – die Herrschaft im Luftreiche der Utopie erstritten. Der Rüstungswettlauf mit den Briten war da schon endgültig verloren gewesen: Auch der letzte Trottel hatte begriffen, wie sinnlos es war, immer neue Kriegsschiffe vom Stapel laufen zu lassen, die dann doch wieder nutzlos im Kieler Hafen herumdümpelten – in der Raketentechnik lag die Zukunft! Die...

Erscheint lt. Verlag 14.2.2013
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Ablauf • Alternative • alternative Geschichtsentwicklung • alternativer Ablauf • Alternative Welt • Entwicklung • Erde • Geschichte • Geschichtsentwicklung • Hannes Stein • Komet • Kultur • Mond • Tschüss Deutschland • Welt • Welt-Entwicklung • Wien
ISBN-10 3-462-30677-4 / 3462306774
ISBN-13 978-3-462-30677-4 / 9783462306774
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