Der Creativity-Code (eBook)

Wie künstliche Intelligenz schreibt, malt und denkt

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
319 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-76580-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Creativity-Code - Marcus Sautoy
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Werden Computer schon bald Musik komponieren, Bücher schreiben, Bilder malen und mathematische Sätze beweisen? Und wenn ja, werden wir den Unterschied zu von Menschen gemachten Werken überhaupt bemerken? Der preisgekrönte Autor von 'Die Musik der Primzahlen' erforscht die Zukunft der Kreativität und untersucht, wie maschinelles Lernen unser Verständnis davon, was Menschen können, sprengen, bereichern und verändern wird.
'Der Creativity-Code' ist eine glänzend geschriebene Studie über Kreativität und zugleich ein wunderbarer Leitfaden durch den Dschungel von Algorithmen und den Regeln, die ihnen zugrunde liegen. Der Oxforder Mathematiker und begnadete Erzähler Marcus du Sautoy untersucht, wie Gefühl und Gehirn in unseren Reaktionsweisen auf Kunst zusammenspielen und was es genau bedeutet, in Mathematik, Kunst, Sprache und Musik kreativ zu sein. Er erklärt, wovon es abhängt, ob Maschinen wirklich etwas Neues hervorbringen, und ob ihre Funktion nicht darin bestehen könnte, uns Menschen kreativer zu machen. Das Ergebnis ist ein faszinierendes Buch über künstliche Intelligenz und zugleich darüber, was es bedeutet, ein Mensch zu sein.

Marcus du Sautoy ist Charles-Simonyi-Professor für Verständliche Wissenschaft und Professor für Mathematik an der Universität Oxford. Für seine Forschung und seine populärwissenschaftlichen Bücher erhielt der Autor mehrerer Bestseller u.a. den Berwick-Preis, die Zeeman-Medaille und den Michael-Faraday-Preis der Royal Society.

1

Der Lovelace-Test


Kunstwerke stellen Regeln auf;
Regeln erschaffen keine Kunstwerke.

Claude Debussy

Die Maschine war eine Schönheit: Sie bestand aus mehreren Türmen voller Zahnräder, die mit Ziffern an den Zähnen versehen waren und sich über eine Handkurbel bewegen ließen. Die siebzehnjährige Ada Byron drehte fasziniert an der Kurbel von Charles Babbages Apparatur und sah zu, wie sie Zahlen verarbeitete, Quadrat- und Kubikzahlen berechnete und sogar Quadratwurzeln zog. Maschinen hatten auf sie schon immer eine Faszination ausgeübt, die von den Tutoren, die ihre Mutter bereitwillig herbeibrachte, weiter angefacht wurde.

Jahre später studierte Ada, inzwischen mit dem Earl of Lovelace verheiratet, die Pläne für Babbages «Analytische Maschine», und dabei ahnte sie, dass die Maschine mehr war als ein Rechenschieber. Sie zeichnete ihre Vision der Fähigkeiten, über die diese Maschine womöglich verfügte, auf: «Die Analytische Maschine hat mit den reinen ‹Rechenmaschinen› nicht viel gemein. Sie ist eine Sache für sich, und die Überlegungen, zu denen sie einlädt, sind von äußerst interessanterer Natur.»

Ada Lovelace’ Aufzeichnungen gelten mittlerweile als die Anfänge der Entwicklung von Code, als Keimzelle der Revolution künstlicher Intelligenz, die heutzutage die Welt erfasst, befördert durch die Arbeiten von Pionieren wie Alan Turing, Marvin Minsky und Donald Michie. Doch die Leistungsfähigkeit von Maschinen generell schätzte Lovelace zurückhaltend ein: «Es ist wünschenswert, sich gegen die Möglichkeit überzogener Vorstellungen bezüglich der Fähigkeiten der Analytischen Maschine zu wappnen. Die Analytische Maschine gibt nicht vor, irgendetwas erschaffen zu können. Sie tut, was wir ihr befehlen.» Letztendlich, so glaubte sie, stieß die Maschine an Grenzen: Man bekam nie mehr aus ihr heraus, als man in sie hineingab.

Dieser Grundsatz galt in der Informatik viele Jahre lang als Mantra. Er bewahrt uns vor der Angst, wir könnten etwas in Gang setzen, das wir nicht kontrollieren können. Manche glaubten, man müsse zunächst die menschliche Intelligenz verstehen, bevor man eine Maschine auf künstliche Intelligenz programmieren könne.

Was in unseren Köpfen vor sich geht, ist immer noch ein Mysterium, aber seit ein paar Jahren hat sich die Einstellung gegenüber Code zunehmend geändert: weg von einer Top-Down-Einstellung bei der Programmierung und hin zu einem Bottom-Up-Ansatz, durch den der Computer dazu gebracht werden soll, sich seinen eigenen Weg zu suchen. Wie sich herausstellte, muss man das Problem der Intelligenz nicht vorher lösen. Man kann die Algorithmen einfach die digitale Landschaft durchstreifen und wie ein Kind lernen lassen. Inzwischen führt der Code, der durch maschinelles Lernen erzeugt wird, zu überraschend aufschlussreichen Erkenntnissen, er entdeckt bisher nicht erkannte Muster in medizinischen Aufnahmen und handelt geschickt an der Börse. Die gegenwärtige Generation der Programmierer glaubt, Ada Lovelace endlich widerlegt zu haben: Man kann mehr herausbekommen, als man einprogrammiert.

Dennoch gibt es immer noch einen Bereich menschlicher Aktivität, von dem wir glauben, dass er für Maschinen unzugänglich ist, und das ist die Kreativität. Wir verfügen über diese außergewöhnliche Fähigkeit, uns etwas vorzustellen, Neues zu erfinden und Kunstwerke zu erschaffen, die die Bedeutung des Menschseins erheben, erweitern und verwandeln. Das sind die Emanationen einer Quelle, die ich als menschlichen Code bezeichne.

Wir glauben, dass man für diesen Code Mensch sein muss, weil er genau ein Spiegelbild dessen ist, was es bedeutet, Mensch zu sein. Mozarts Requiem lässt uns über unsere eigene Sterblichkeit nachdenken. Der Besuch einer Aufführung von Othello gibt uns die Gelegenheit, die Gefühlslandschaft zwischen Liebe und Eifersucht zu erkunden. Ein Porträt von Rembrandt scheint so viel mehr auszudrücken als das reine Antlitz des Modells. Wie kann eine Maschine jemals Mozart, Shakespeare oder Rembrandt ersetzen oder auch nur mit ihnen konkurrieren?

Gleich zu Beginn sei darauf hingewiesen, dass unter meinen Referenzen die künstlerischen Erzeugnisse der westlichen Welt überwiegen. Das ist die Kunst, die ich kenne, die Musik, mit der ich aufgewachsen bin, die Literatur, die meine Leseerfahrung prägt. Es wäre faszinierend zu wissen, ob sich die Kunst aus anderen Kulturkreisen besser für eine maschinelle Erfassung eignet, aber ich vermute, dass es sich hierbei um eine universelle Herausforderung handelt, die kulturelle Grenzen überschreitet. Und obwohl ich mich für meine westlich geprägte Sicht entschuldige, denke ich doch, dass die westliche Kunst einen geeigneten Maßstab für die Kreativität unserer digitalen Rivalen abgibt.

Natürlich gibt es auch jenseits der Kunst menschliche Kreativität: die Molekularküche des Sternekochs Heston Blumenthal; die Fußballkunststücke des niederländischen Stürmers Johan Cruyff; die kurvenreichen Bauten von Zaha Hadid; die Erfindung des Zauberwürfels durch den Ungarn Ernő Rubik. Sogar die Entwicklung von Code für ein Spiel wie Minecraft sollte zu den Großtaten der menschlichen Kreativität gezählt werden.

Vielleicht noch überraschender, Kreativität ist auch in meinem eigenen Fachbereich, der Mathematik, ein wichtiger Bestandteil. Der Reiz, etwas Neues zu schaffen, lässt mich Stunden an meinem Schreibtisch verbringen, um Gleichungen hervorzuzaubern und Beweise aufzustellen. Auf meinem kreativen Höhepunkt, an den ich immer wieder zurückdenke, entdeckte ich ein neues symmetrisches Objekt. Niemand wusste, dass dieses Objekt überhaupt möglich war. Aber nach Jahren harter Arbeit und einem Inspirationsblitz skizzierte ich auf meinen gelben Notizblock die Blaupause für diese neue Figur. Diese Aufregung macht den Reiz der Kreativität aus.

Aber was meinen wir eigentlich mit diesem gestaltwandelnden Begriff? Die bisherigen Definitionsversuche konzentrieren sich in der Regel auf drei Punkte: Kreativität ist der Antrieb, etwas Neues und Überraschendes zu entwickeln, das Wert hat.

Offenbar ist es ganz einfach, etwas Neues zu erschaffen. Ich kann meinen Computer dazu bringen, endlose Vorschläge für neue symmetrische Objekte zu liefern. Etwas Überraschendes und Wertvolles hervorzubringen, ist jedoch weitaus schwieriger zu erreichen. Im Falle meiner symmetrischen Schöpfung war ich zu Recht erstaunt über das, was ich mir ausgedacht hatte, wie andere Mathematiker auch. Niemand hatte diese seltsame neue Verbindung erwartet, die ich zwischen dem symmetrischen Objekt und dem gänzlich verschiedenen Bereich der Zahlentheorie entdeckte. Seinen Wert erhielt dieses Objekt durch den Umstand, dass es auf einen neuen Zugang zu einem mathematischen Feld hindeutete, das voller ungelöster Probleme steckt.

Wir alle werden in Denkmuster hineingezogen. Wir glauben zu erkennen, wie sich die Geschichte entwickeln wird, und dann werden wir plötzlich in eine neue Richtung geführt. Dieses Überraschungsmoment lässt uns aufmerken. Wahrscheinlich empfinden wir es deswegen als so aufregend, wenn wir auf einen kreativen Akt treffen, entweder unseren eigenen oder den eines anderen.

Aber was verleiht einer Sache Wert? Ist es nur eine Frage des Preises? Muss es von anderen anerkannt werden? Ich mag ein Gedicht oder ein Gemälde wertschätzen, das ich geschaffen habe, aber meine Vorstellung von seinem Wert werden wahrscheinlich nur wenige Menschen teilen. Ein Roman, dessen Handlung viele überraschende Wendungen nimmt, ist womöglich von relativ geringem Wert. Aber ein neuer und überraschender Ansatz, Geschichten zu erzählen, oder in der Architektur oder Musik, der von anderen nach und nach übernommen wird und der verändert, wie wir Dinge sehen oder erleben, wird allgemein als wertvoll anerkannt werden. Genau das bezeichnete Kant als «exemplarische Originalität» – eine originäre Handlung, die zur Inspiration für andere wird. Diese Form der Kreativität gilt seit Langem als einzigartig menschlich.

Und doch sind alle diese Ausdrucksformen der Kreativität letztendlich die Produkte neurochemischer Aktivität. Das ist der menschliche Code, den viele Millionen Jahre Evolution in unserem Gehirn immer weiter verfeinert haben. Wenn man anfängt, die Struktur der kreativen Schöpfungen der menschlichen Spezies aufzudröseln, dann entdeckt man Regeln, die den kreativen Prozessen immanent sind. Könnte unsere Kreativität algorithmischer und regelbasierter sein, als wir möglicherweise wahrhaben wollen?

Dieses Buch stellt sich der Herausforderung, die Grenzen der neuen KI auszuloten, um zu sehen, ob sie sich mit den Wunderwerken unseres...

Erscheint lt. Verlag 18.3.2021
Übersetzer Sigrid Schmid
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturwissenschaft
Technik
Schlagworte Algorithmen • Bilder malen • Bücher schreiben • Computer • Denken • Komponieren • Kreativität • Kunst • Künstliche Intelligenz • Literatur • Malen • Maschinelles Lernen • Mathematik • Musik • Schreiben
ISBN-10 3-406-76580-7 / 3406765807
ISBN-13 978-3-406-76580-3 / 9783406765803
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