Begeisterung wecken. Anleitung zu transformativem Lehren und Lernen. Reclam Bildung und Unterricht (eBook)

Yacek, Douglas - 14410 - Originalausgabe
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
120 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-962174-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Begeisterung wecken. Anleitung zu transformativem Lehren und Lernen. Reclam Bildung und Unterricht -  Douglas Yacek
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Begeisterte Schülerinnen und Schüler im Klassenraum - eine Utopie? Keineswegs: Faszination für den Unterrichtsgegenstand kann gezielt gefördert werden. Transformatives Lernen, ein den eigenen Erfahrungshorizont betreffendes, eigene Werte berührendes und damit die Person veränderndes Lernen lässt sich systematisch anregen und durch geeignete Lehrmethoden dauerhaft erhalten. Viele konkrete Beispiele und die Erörterung von typischen Hürden unterstützen Lehrkräfte bei der praktischen Umsetzung.

Dr. Douglas Yacek ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft und Berufspädagogik an der TU Dortmund. Langjährige Lehrerfahrung in der universitären Lehrerbildung, 2021 mit dem Lehrpreis der TU Dormund ausgezeichnet.

Dr. Douglas Yacek ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft und Berufspädagogik an der TU Dortmund. Langjährige Lehrerfahrung in der universitären Lehrerbildung, 2021 mit dem Lehrpreis der TU Dormund ausgezeichnet.

1 Einleitung. Was kann Unterricht?
1.1 Ein Gedankenexperiment
1.2 Bildung als Ausstattung versus Bildung als Transformation
1.3 Fächer anders denken
1.4 Überblick über die Kapitel

2 Porträts transformativen Lernens
2.1 »Ihr könnt das wirklich mit dem Herzen begreifen« (Englisch, 12. Klasse)
2.2 »Okay, jetzt haben wir Religion, jetzt müssen wir uns anstrengen« (Religion, 10. Klasse)
2.3 »Vorher war Mathe notwendiges Übel« (Mathematik, 8. Klasse)
2.4 Das transformative Klassenzimmer

3 Transformatives Lernen anregen. Strategien prägender Lehrkräfte
3.1 Die Leidenschaft der Lehrkraft. Eine unabdingbare Voraussetzung transformativen Unterrichts
3.2 »Da war man ganz woanders gelandet«. Diskontinuität als Prinzip des Unterrichts
3.3 Das Irritieren wagen. Formen anregender Irritation
Irritation durch das Auftreten
Irritation durch Transparenz
Irritation durch Zuwendung
3.4 Von der Irritation zur Transformation

4 Unterricht neu denken. Ein praktischer Orientierungsrahmen für transformativen Unterricht
4.1 Die Irritation
4.2 Der Spannungsbogen
4.3 Der Perspektivenwechsel
4.4 Die Überantwortung

5 Transformativer Unterricht im Kontext. Hürden und Hindernisse des transformativen Lernens
5.1 Apathie, Langeweile und die Psychologie des Lernenden
5.2 Alltagshektik, Notenkult und das Ethos der Schule
5.3 Soziale Medien und die neue digitale Kultur

6 Ausblick
7 Literaturhinweise
Danksagung
Zum Autor

2.1 »Ihr könnt das wirklich mit dem Herzen begreifen« (Englisch, 12. Klasse)


Magdalena war nie eine »Lern-Schülerin«, wie sie sich selbst im Interview charakterisierte. Obwohl sie sich [32]immer wieder für die Inhalte des Unterrichts interessierte, schien ihr Engagement wieder zügig zu schwinden, sobald die Glocke zum Unterrichtsende läutete. Magdalena nahm zwar gewissenhaft am Unterricht teil und fand öfters Gefallen am Unterricht – nur konnte sie sich nicht regelmäßig aufraffen, ihre Hausaufgaben zu machen, für Prüfungen zu lernen oder sich überhaupt auf den Unterricht vorzubereiten. Magdalena war im Großen und Ganzen zufrieden mit ihrem Schulleben sowie mit ihrem Notenspiegel, der sich durchschnittlich im schlechteren Zweierbereich befand. Doch wünschte sich Magdalena manchmal, dass ihre Leistung doch ein kleines bisschen besser wäre. Gelegentlich verwandelte sich dieser Wunsch sogar in eine gewisse Frustration: zum einen gegenüber sich selbst, da sie sich von ihrer »Lernfaulheit« zurückgehalten fühlte, und zum anderen gegenüber ihren Lehrerinnen und Lehrern, da sie ihr dabei nicht besonders viel halfen.

Doch das alles begann sich zu ändern, als Magdalena Herrn Müller kennenlernte. Ihre erste Begegnung mit Herrn Müller fand in der 10. Klasse im Rahmen der AG »Englisches Theater« an ihrer Schule statt. Obwohl sie keine formellen Unterrichtsstunden hatten, bemerkte Magdalena bald, dass Herr Müller einen ganz anderen Umgang mit der englischen Sprache pflegte, als sie es aus ihren bisherigen Englischkursen kannte. Englisch »ging irgendwie immer um Vokabeln lernen und Vokabeltests schreiben«, und ihre Lehrer zeigten dabei keine große Leidenschaft für den Unterricht. Herr Müller hingegen liebte diese Sprache, er bestand darauf, dass seine Schauspielerinnen und Schauspieler nicht nur die englische Aussprache sprachgetreu wiedergeben. Er legte Wert auf jede Nuance des Ausdrucks, [33]die die Charaktere der Theaterstücke beleben könnte. Diese Beziehung zur englischen Sprache war für Magdalena anscheinend ziemlich ansteckend. Plötzlich ist Englisch »lebendig geworden«, erzählte Magdalena, so dass sie anfing, »in meinem Tagebuch auf Englisch zu schreiben, also total schreckliches Englisch, aber immerhin«. Als sie endlich in die 12. Klasse kam, brauchte sie überhaupt nicht darüber nachzudenken, ob sie Herrn Müllers Englisch-Leistungskurs belegen würde. Sie meldete sich direkt dafür an.

Erst in diesem Kontext kam es dazu, dass Magdalenas eigene Beziehung zur englischen Sprache aufblühte. Herrn Müllers Unterricht war zwar von der gleichen Begeisterung und Leidenschaft für die englische Sprache geprägt, die er im Englischen Theater vor- und auslebte, aber hier erreichten sie eine ganz andere Ebene. Im Interview erzählte Magdalena von einer Unterrichtsstunde, die dies auf besonders prägende Weise zeigte. Herr Müller hatte eine besondere Vorliebe für Shakespeares Sonett Nr. 18 – es war sein absolutes Lieblingsgedicht. Eines Tages kündigte er zu Beginn der Stunde an, dass es ihm wichtig sei, dass seine Schülerinnen und Schüler dieses Gedicht auswendig lernen. Seine Ankündigung stieß – was nicht überraschend ist – erstmal auf Jammern und Stöhnen. Doch Herr Müller war auf diesen Unmut vorbereitet. Denn er machte die Klasse auf eine sehr prägnante Einsicht aufmerksam, der im englischsprachigen Verständnis des »Auswendiglernens« gegenüber dem Deutschen zur Geltung kommt: Der Begriff »Auswendiglernen« heiße, so trug es Herr Müller mit Pathos vor, auf Englisch learning by heart. Man möge sich fragen, wie man denn mit dem Herzen lernen soll. Dies herauszufinden sei Sinn und Zweck der Beschäftigung mit dem Sonett Nr. 18. [34]Es gehe eben nicht darum, seine Inhalte blindlings zu repetieren und gedankenlos wieder abzuspulen – was mit dem deutschen Begriff des »Auswendiglernens« nahegelegt werde. Vielmehr sollten die Schülerinnen und Schüler die Bilder und Rhythmen, die Lektionen und Lebensweisheiten dieses wunderschönen Gedichts ins Herz schließen.

Er hat gesagt: »Ihr erfasst das mit dem Herzen, ihr könnt das wirklich mit dem Herzen begreifen und aufnehmen. Es ist ein ganz großer Unterschied, ob ich etwas ablese, oder ob ich etwas ins Herz schließe. Dann geht es durch den ganzen Körper. Körper und Geist lernen gemeinsam. In meinem Klassenzimmer lernen wir Sonett 18 nicht auswendig, sondern mit dem Herzen.«

Man könnte vielleicht meinen, dieser Ansatz sei bloß eine poetische Strategie, um eine banale Lernaufgabe – ja, vielleicht die banalste Lernaufgabe schlechthin – in ausgeklügelter Weise zu rechtfertigen. Herr Müller machte jedoch deutlich, dass er mit dieser besonderen Rahmung der Aufgabe ein wesentliches pädagogisches Ziel verfolgte. Er wollte nämlich vermitteln, dass das »Lernen mit dem Herzen« als eine Art »Alternativmodus« des Sprachenlernens fungieren könnte. Sollte sich das volle Potenzial der englischen Sprache entfalten, so schien Herrn Müllers Botschaft zu lauten, müsste es nicht nur »durch den Kopf gehen«, sondern auch ins Herz aufgenommen werden.14

[35]Magdalena war gepackt. Bald bemerkte sie, dass sie nicht nur gelegentlich auf Englisch in ihr Tagebuch schrieb, sondern sich darüber hinaus mit Themen und Aufgaben auseinandersetzte, die für einen Teenager nicht ungewöhnlicher hätten sein können: Sie fing an, freiwillig weitere Shakespeare’sche Sonette zu lesen. Sie ließ sich zunehmend von den verschiedenen Methoden literarischer Analyse faszinieren und beschäftigte sich in ihrer Freizeit immer ausführlicher mit der englischen Kultur – von Beatles-Musik bis hin zum Prunk der britischen Monarchie:

Was ich bis dahin durch das Englische Theater hatte, war vielleicht so, dass mein Zugang zur Sprache spielerischer und leichter geworden ist. Ich konnte das Englische alltäglicher betrachten. Was sich aber in dem Leistungskurs nochmal total geändert hat, war dann wie so ein, ich kann das schwer sagen: das war so ein Eintauchen in die Sprache. Plus die ganze englische Kultur. Und dann ging es so weit, dass ich dachte, ich will diese Sprachanalysen auch verstehen, Shakespeare lesen können und durchdringen und gucken, was da sprachlich passiert – was sind da für Neologismen? […] Und davon wurde ich nochmal ganz stark verändert und geprägt.

Der Perspektivenwechsel, den Magdalena gerade erlebt, ist von so besonderem Charakter, dass wir kurz bei seinen charakteristischen Merkmalen verweilen sollten. Magdalena ist – so lässt sich festhalten – mit dem intrinsischem Wert der englischen Sprache in Berührung gekommen. Wie im letzten Kapitel dargelegt, verweisen die »Quellen intrinsischen Wertes« auf die lebensweltlichen, [36]zwischenmenschlichen, ethischen und ästhetischen Dimensionen fachlicher Inhalte, die von Lernenden als »an und für sich wertvoll« erlebt werden. Charakteristisch an dieser Art von Beziehung zum Lerngegenstand ist, dass Lernende ihr Leben und Handeln gemäß den Implikationen dieses Wertes verändern wollen – und nicht andersherum. Das heißt, wenn man Kontakt mit dem intrinsischen statt einem bloß extrinsischen Wert eines Lerngegenstandes herstellt, erkennt man nicht (nur) dessen Nutzen zur Optimierung der bisherigen Lebensbiografie – etwa zur Steigerung der eigenen Marktfähigkeit, der Berufsmöglichkeiten oder der Bildungschancen. Man stellt fest, dass der Lerngegenstand zur Gestaltung eines anderen, besseren, reicheren Lebens verhelfen kann. Man wird angespornt, anders zu werden.

Dass Magdalena mit dem intrinsischen Wert der englischen Sprache in Kontakt getreten ist, zeigt sich in einigen Aspekten ihrer Erfahrung. Sie interessiert sich nicht nur für den alltäglichen Nutzen der englischen Sprache, sondern in erster Linie für die neuen Ausdrucksmöglichkeiten, die sie bietet; die Kultur, die dahintersteht, sowie die Schönheit, die in ihrer Literatur zu finden ist. Sie ertappt sich dabei, wie sie neue Musikrichtungen erkunden möchte, obwohl sie von der Jugendkultur der damaligen Zeit sehr weit entfernt ist, sowie neue politische Interessen verfolgen möchte, obwohl sie ihrem aktuellen Selbstverständnis etwas entgegenstehen.

Herrn Müllers »Methoden«, solche Veränderungen in seinen Schülerinnen und Schülern auszulösen, scheinen auf den ersten Blick ziemlich simpel. Er trug zum Beispiel jeden Tag – ohne Ausnahme – eine extravagant-gemusterte Fliege und einen dazu passenden Anzug zum Unterricht. [37]Er bestand darauf, nicht »Herr Müller«, sondern tatsächlich »Sir Müller« genannt zu werden. Und er sprach regelmäßig im Unterricht über seine eigenen Erfahrungen mit der englischen Sprache. Er erzählte seinen Schülerinnen und Schülern von seinen Reisen durch England, z. B. wie aufregend es für ihn war, zum ersten Mal einem Theaterabend im Londoner Globe Theatre beizuwohnen. Er erzählte ihnen von seinen modebewussten englischsprachigen Freunden, insbesondere von ihrem schrulligen, staubtrockenen Sinn für Humor, den er zugegebenermaßen nur zur Hälfte verstand. Und er erzählte ihnen von seinen peinlichsten Momenten, als er beispielsweise versuchte, junge Engländerinnen mit seinem Schulenglisch anzusprechen. Durch solche persönlichen Geschichten konnte Herr Müller am Beispiel seines eigenen Lebens zeigen, dass man durch den Englischunterricht nicht nur eine weitere Sprache, sondern auch eine reichhaltige neue »Kultur,...

Erscheint lt. Verlag 8.9.2023
Reihe/Serie Reclam Bildung und Unterricht
Reclam Bildung und Unterricht
Verlagsort Ditzingen
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Unterrichtsvorbereitung Sekundarstufe II
Sozialwissenschaften Pädagogik
Schlagworte Alltagshektik • Ansätze • Apathie • Begeisterung wecken • Bildung • Bildung als Transformation • Classroom management • Desinteresse • Didaktik • Digitale Kultur • gelb • gelbe bücher • Grundlagen • Hilfe • interessant • Interesse • Interesse wecken • Irritation Unterricht • Klassenraum • Langeweile • Lehramt Studium • Lehren • Lehrmethoden • Lektüre • Lernen • Literatur • Medien • Medienkompetenz • Motivation • Noten • Notengebung • Notenkult • Pädagogik • Praxisbeispiele • Psychologie • Ratgeber • Reclam Hefte • Reclams Universal Bibliothek • Referendariat • Schule • Schüler • Schullektüre • Schulpsychologie • Soziale Medien Schule • spannend • Strategien • Studenten • Studentinnen • Studierende • Transformatives Lernen • Unterricht • Unterrichten • Unterricht gestalten • Unterricht leiten • Unterrichtsführung
ISBN-10 3-15-962174-X / 315962174X
ISBN-13 978-3-15-962174-6 / 9783159621746
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