Indische Hintergründe (eBook)

Ein Versuch zur Vermittlung von mehr Verständnis für Indien

(Autor)

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2023 | 2. Auflage
580 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7578-9798-7 (ISBN)

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Indische Hintergründe -  Hermann Jung
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Geschichtsschreibung und Schulunterricht in Indien sind immer noch stark beeinflusst durch während der Kolonialzeit entwickelte Theorien, die die Gegensätze zwischen indischen Religions-, Sprach- und Volksgruppen erhalten und vertiefen sollten. Letztere betonen den Mangel an politischer Einheit des Landes, berücksichtigen zu wenig die sich stark auf die sozialen Verhältnisse auswirkenden Folgen der etwa seit dem Jahr 1000 andauernden moslemischen Eroberungen und Gewaltherrschaften sowie die Auswirkungen der wohldurchdachten und zumindest gebietsweise noch gelehrten Geschichtstheorien der westlichen Kolonialherren. Nach Erlangung der indischen Unabhängigkeit entwarfen die westlich erzogenen Führungskräfte der meisten indischen politischen Gruppierungen ihre Programme mehr oder weniger stark nach obigen Theorien und versuchen diese weiterhin umzusetzen mit Methoden, die immer stärker in Gewalt oder gar Morde an politischen Gegnern ausarten. Die Folgen sind politisch-religiöse Unruhen, Zerstörung von Eigentum und Behinderung von Fortschritt und Modernisierung. Dieses Buch zeigt die Schwächen obiger Theorien auf und schildert das Verhalten bestimmter indischer Gruppierungen und ihre Auswirkungen, ist also gedacht als Beitrag zum besseren Verständnis und dadurch zum Abbau der in Südasien noch stark nachwirkenden Hinterlassenschaften des Kolonialismus. Dies wäre gleichzeitig eine Hilfe zum Abbau von Spannungen und zur Beruhigung der politisch-religiösen Verhältnisse in diesem Teil der Erde.

Hermann Jung, Jahrgang 1935, beschäftigt sich seit den 1960er Jahren intensiv mit indischer Geschichte, Sprachen und Kultur. Durch langjährigen Austausch mit indischen Brieffreunden, vor allem mit Publizisten und Mitgliedern dortiger Reformbewegungen, erhielt er umfassende Einblicke, vertieft durch sieben Indien-Reisen zwischen 1969 und 2010. Er ist daher mit den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen in Indien bestens vertraut.

1. BRAHMANEN (siehe auch unter 3. KASTEN)


1.1 Wie weit stimmt das westliche Bild des Brahmanen?


1.1.1 Kleine Beispiele der Folgen eines verzerrten Brahmanenbildes im Westen


Das Thema „Brahmanen“ sollte eigentlich unter dem Hauptabschnitt KASTEN mit behandelt werden. Da sich aber bei Vorträgen immer wieder herausstellte, dass das während der Kolonialzeit aufgebaute Bild des Brahmanen – das mit der Wirklichkeit kaum etwas zu tun hat – auch bei uns weiter lebendig ist, hielt ich es für notwendig, diese Bevölkerungsgruppe getrennt zu behandeln.

Das Brahmanenbild des Durchschnittseuropäers kann man mit einem Satz umreißen: Diese Kaste besitzt praktisch alle Macht und unterdrückt alle anderen. Nach einem meiner Vorträge zu diesem Thema behauptete ein deutscher Indienreisender – natürlich ohne Einzelheiten anzugeben - man könne in Indien erleben, dass die Macht der Brahmanen und überhaupt die alte Kastenordnung ungebrochen seien.

Ich fragte ihn, ob er sich vergewissert habe, dass diejenigen Inder, die er als einflussreich, tonangebend und wohlhabend erlebte, tatsächlich Brahmanen gewesen seien. Er gab zu, dass er das einfach vorausgesetzt hatte.

Nach einem weiteren Vortrag zum Thema „Kasten“ erzählte mir ein deutscher Zuhörer empört, hier in Deutschland sei ihm eine Gruppe junger Brahmanen in der Stadt entgegen gekommen und habe die ganze Breite des Bürgersteigs eingenommen, so dass er auf die Fahrbahn ausweichen musste.

Auf meine Frage, woran er habe sehen können, dass es Brahmanen gewesen seien, wechselte er das Thema, schimpfte aber weiter recht grob über Inder und ihr angebliches Verhalten, obwohl nicht weit von ihm etwa 15 Inder unter den Zuhörern saßen, (von denen kein Einziger dem Deutschen etwas entgegnete).

1.1.2. Die Kaste mit den härtesten Pflichten


Brahmanen waren verpflichtet, für ihre Lehrer- und Priesterdienste keine Vergütung zu verlangen, sondern nur Geschenke anzunehmen.

Da man schon in der frühesten Zeit den Bildungsstand in der Bevölkerung erhalten und verbessern wollte, sollte es die Todesstrafe für Brahmanen nicht geben. Dieses Gebot soll auch selten missachtet worden sein.

Bei vielen übrigen Strafen waren die Brahmanen weit schlechter dran als andere Kasten: Ein Brahmane erhielt für das gleiche Vergehen die volle dafür vorgesehene Strafe, ein Kshatriya (Militär, Politiker) drei Viertel, ein Vaishya (Landwirt, Unternehmer) die Hälfte und ein Shúdra (Arbeiter, Diener, Ungelernter) ein Viertel der vollen Strafe (Abhisheki, „Religion“, 106; Ausführlicheres zu den Kasten unter 3.1.).

Von Brahmanen wurde erwartet, dass sie ein anspruchsloses Leben führten, nie ihre Fassung verloren, nie Gewalt mit Gewalt vergalten und mindestens einen der vier Vedas und eine Anzahl weiterer Schriften auswendig lernten (Abhisheki, „Religion“, 260).

Ihnen war das Halten von Kühen erlaubt, jedoch nicht der Verkauf ihrer Milch und andere Geschäfte, die Geld einbrachten. Taten sie dies trotzdem, so konnten sie auf Anweisung des zuständigen Fürsten als Shúdras behandelt werden. Der reine Priesterberuf wurde nur von einem kleinen Teil der Brahmanen ausgeübt; der größte Teil waren Lehrer und Gelehrte, und bei ihnen standen die Priester oft nicht in hohem Ansehen.

Normalerweise waren Brahmanen „aghnyá“ (untötbar), doch war z. B. die im Epos Rámáyanam berichtete Tötung des verbrecherischen Brahmanenfürsten Rávana in Sri Lanka eine Ausnahme. Prinz Ráma, dessen Gattin Sítá von Rávana geraubt worden war, veranstaltete als Sühne für die Tötung Rávanas anschließend ein großes Opferritual.

1.1.3. Brahmanenverfolgung während der moslemischen Eroberungen


Vor allem Brahmanen wurden seit dem 8. Jahrhundert in Indien immer wieder - hauptsächlich durch Eroberer – unterdrückt, verfolgt, versklavt und ermordet. Sie sind die Gruppierung unter den Hindus, die durch die moslemischen Eroberer eine besonders grausame Behandlung erfuhr und oft sofort getötet wurde; in ihnen sah man zu Recht den Widerstand gegen fremde Ideologien verkörpert. (Siehe: Goel, „Hindu Temples“, II, 398 f.).

„Was die Brahmanen als Beschützer ihrer Kultur in jenen Tagen (d. h. den ersten Jahrhunderten der moslemischen Eroberungen) vollbrachten, wurde nie ... aufgezeichnet, wahrscheinlich weil eine beträchtliche Anzahl Menschen dieser Klasse abgeschlachtet worden waren. Wenn in der Hölle der ersten Jahrhunderte die Hindu-Kultur erfolgreich bewahrt werden konnte, dann ist dies zweifellos der Verdienst der Brahmanen“ (Elst, „Indigenous Indians“. 301, zitiert aus: Pochhammer, Prof. W. von, „Indiens Weg zur Nation“).

Die Chroniken der moslemischen Eroberer des Mittelalters beschreiben, wie man Brahmanen demütigte, quälte und schließlich umbrachte. Wurde Frieden geschlossen und ein Gebiet blieb unter Moslemherrschaft, dann waren Brahmanen weiterhin Freiwild. Eine der wenigen erhalten gebliebenen indischen (nichtmoslemischen) Quellen, das Chaitanya Mangala von 1484, berichtet – und bestätigt damit moslemische Quellen - : „Der König bemächtigt sich der Brahmanen, beleidigt ihre Kaste und nimmt ihnen sogar das Leben. Bemerkt man, dass in einem Haus eine religiöse Handlung abgehalten wird, verliert der Eigentümer seinen Besitz, seine Kaste und gar sein Leben. Der König lässt die Häuser all jener plündern, die die Schnur über der Schulter und Zeichen auf der Stirn tragen, und lässt sie binden. Er lässt Tempel zerstören und Tulsi-Pflanzen (Heilkräuter) ausreißen ... Baden im Ganges ist verboten, und Hunderte von Ashvattha- und anderen medizinisch genutzten Bäumen wurden abgehauen“ (Goel, „Story“, 98).

1.1.4. Brahmanen in der britischen Zeit


Bis zur britischen Zeit gab es keine von Unterkasten ausgehenden und gegen Brahmanen gerichteten sozialen Unruhen. Doch während dieser Zeit wurde u. A. die Unwahrheit verbreitet, dass Gautama Buddha, der Begründer des Buddhismus (5.-6. Jahrhundert v. Chr.) die Kasten abschaffen wollte und dass später große Teile der unteren Kasten zum Islam übertraten, um der „Tyrannei der Brahmanen“ zu entkommen. Dies, zusammen mit der „Arischen Invasionstheorie“ (siehe weiter unten und unter 4.7.) sorgte vor allem in Südindien für schwere Brahmanenverfolgungen und allgemeine soziale Unruhen.

Andererseits: Wenn es eine Kaste gibt, die für sich beanspruchen kann, den Verbleib für die Briten als Herrscher in Indien unerträglich gemacht zu haben, dann sind dies die Brahmanen: 70 % der indischen Rebellen, die durch britische Kugeln ums Leben kamen, gehörten dieser Kaste an (siehe: Elst, „Indigenous Indians“, 305-318).

Bewusst oder unbewusst förderten die Briten mit den während der letzten Jahrzehnte ihrer Herrschaft in zehnjährigen Abständen stattfindenden Volkszählungen, bei denen die Kastenzugehörigkeit angegeben wurde, auch das Kastenbewusstsein, was zu Spannungen und Gewalt führte (M. Jain, „The Plight of Brahmins“. In: INDIAN EXPRESS, 18.9.1990).

1.1.5. Verfolgung und Verleumdung seit mindestens 1200 Jahren


Während der letzten etwa 1200 Jahre wurden Brahmanen immer wieder und von verschiedenen Seiten verfolgt, verleumdet und umgebracht: Seit dem 8. Jahrhundert besorgten dies die in immer neuen Wellen nach Indien eindringenden Moslems, seit Beginn der westlichen Kolonialherrschaft waren die Portugiesen die Täter (siehe unter 4.14.) und seitdem verrichten Teile der durch die Kolonialmächte aufgehetzten Unterkasten und weiterhin die Islamisten diese Arbeit.

Eine der verwegensten Behauptungen über die Brahmanen ist, dass ihre Vorfahren den Hauptbestandteil der ab etwa 1500 v. Chr. von Mittelasien nach Nordwest-Indien eingedrungenen „Arier“ bildeten, die dann angeblich die dunkelhäutigeren Inder ermordeten und durch das von ihnen eingerichtete Kastensystem versklavten (siehe unter 4.7.)

Auch scheinen sich moderne Historiker nicht daran zu stören, dass in alten Schriften oft von armen Brahmanen berichtet wird, die von Almosen und Geschenken lebten, während in modernen Geschichtsbüchern vor allem von reichen Brahmanen als Ausbeuter und Unterdrücker zu lesen ist.

Ein bedeutender Teil des heutigen Kastendenkens äußert sich also in gefährlicher Weise als Antibrahmanismus und wurde während der Kolonialzeit in die Welt gesetzt.

Trifft man heute einen arroganten Brahmanen, so zeigt er diese Haltung nicht wegen seiner Kaste, sondern wegen seiner modernen, westlichen Bildung.

1.1.6. Gewalt gegen, und Unterdrückung von, Brahmanen im selbständigen Indien


Die in der Neuzeit häufigen Ausschreitungen gegen „Unberührbare“ (auch Kastenlose, Parias und neuerdings „Dalits“ genannt; diesen Ausdruck benutze ich hier durchgehend, hj) wurden bis auf sehr wenige Fälle...

Erscheint lt. Verlag 24.4.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Hinduismus • Indien • Kolonialherrschaft • Medien-Berichterstattung • Südasien
ISBN-10 3-7578-9798-6 / 3757897986
ISBN-13 978-3-7578-9798-7 / 9783757897987
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