Wie sich unser Fühlen verändert hat (eBook)

Emotionsdiskurse in der »BRAVO«
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
365 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45589-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wie sich unser Fühlen verändert hat -  Manuela Beyer
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Wie sieht ein »richtiger«, »normaler« oder »gesunder« Umgang mit Emotionen aus? Abhängig vom sozio-historischen Kontext fallen die Antworten auf diese Frage ganz unterschiedlich aus. Manuela Beyer zeichnet nach, wie sich Vorstellungen von Gefühlen und Emotionsmanagement seit den 1960er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland verändert haben. Anhand einer Diskursanalyse der Ratgeberseiten der Jugendzeitschrift BRAVO zeigt die Studie, wie sich gesellschaftliche Ansprüche an das Management von Emotionen gewandelt haben. Jenseits von Thesen einer zunehmenden Befreiung oder aber Unterdrückung von Gefühlen wird deutlich, welche neuen emotionalen Praktiken sich entwickelt haben.

Manuela Beyer ist Postdoc in der BMBF-Nachwuchsgruppe REKLIMA - Rechtsextremismus versus Klimaschutz? Nationalistische Opposition in einem transnationalen Politikfeld am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden.

Manuela Beyer ist Postdoc in der BMBF-Nachwuchsgruppe REKLIMA – Rechtsextremismus versus Klimaschutz? Nationalistische Opposition in einem transnationalen Politikfeld am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden.

2Die Untersuchung sozialen Wandels anhand von Emotionsdiskursen


Untersuchung und Erklärung von sozialem Wandel gehören zu den Hauptaufgaben einer sich als empirisch forschend verstehenden Soziologie. Diese Dissertation untersucht Prozesse sozialen Wandels aus einem emotionssoziologischen Blickwinkel, bei dem soziale Dynamiken als durch und durch emotionale Dynamiken begriffen werden. Im ersten Unterkapitel lege ich dar, welches soziologische Konzept von Emotion dieser Arbeit zugrunde liegt, und gehe speziell auf Emotionsdiskurse als Untersuchungsgegenstand ein. Im zweiten Unterkapitel zeige ich auf, inwiefern soziale Transformationen mit einem Wandel in Emotionsdiskursen zusammenhängen, und spezifiziere meine Fragestellung in Hinblick auf den historischen Verlauf von Emotionsdiskursen in der BRD.

2.1Theoretisches Konzept: Emotionen als leibliche, diskursive und praktische Phänomene


Die Frage, wie Emotionen als Phänomen zu definieren sind, wird sowohl innerhalb als auch zwischen unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen kontrovers diskutiert, wobei sich die Argumentation in einem Spannungsfeld zwischen zwei inhaltlichen Polen bewegt (vgl. Lutz & White 1986; Plamper 2012). Auf dem einen Pol finden sich vor allem einige Ansätze aus Psychologie, Neurowissenschaften oder Biologie, die Emotionen als unveränderlich, universal, biologisch und physiologisch betrachten, weswegen hier auch von ›Universalismus‹ gesprochen wird (u.a. Lutz & White 1986; Plamper 2012: 15 f). Aus diesem Blickwinkel wandeln sich nicht Emotionen, sondern lediglich menschliche Vorstellungen und Konzepte »von« Emotionen (Plamper 2012: 32). Die Emotionen selbst, die als allein auf körperlicher Ebene angesiedelt betrachtet werden, werden als raumzeitlich konstant angenommen. Das hieße beispielsweise, dass das Gefühl des ›Verliebtseins‹ vor hundert Jahren in Iowa die gleiche Emotion sein müsste wie heute auf den Philippinen. Wenn ich mich diesem Blickwinkel anschlösse, so betriebe ich in dieser Arbeit eine Form von Ideengeschichte, die den Wandel von Emotionsvorstellungen nachzeichnete. Emotionen im eigentlichen Sinne und ihr Wandel wären der Analyse nicht zugänglich, sondern lediglich das Sprechen über diese. Auch eine solche Fragestellung hat ihre Berechtigung und einen Erkenntniswert, ist jedoch nicht das Ziel dieser Arbeit.

Die in dieser Arbeit verfolgte Fragestellung basiert auf einem Emotionsbegriff, der Emotionen nicht als universal und unveränderlich begreift, sondern stattdessen als grundsätzlich wandlungsfähig und kontingent. Ein solches Emotionsverständnis ist deutlich näher am zweiten Pol der Emotionsdefinitionen, die Emotionen aus sozialkonstruktivistischer Perspektive konzipieren (vgl. Plamper 2012: 16 ff). Diese Ansätze unterstreichen vor allem »kognitive Interpretations- und Deutungsleistungen bei der Entstehung und Regulation von Emotion« (von Scheve 2009: 41). Emotionen werden dabei als sozial konstruiert, also kulturkontingent und normativ reguliert, begriffen, wobei Sprache und Diskurs oftmals in den Mittelpunkt des Emotionsverständnisses rücken (u.a. Katriel 2015; Beiträge in Lutz & Abu-Lughod 1990b). Dabei orientiert sich die vorliegende Arbeit an Ansätzen, die die Körperlichkeit von Emotionen nicht negieren, sondern ein Bild von Emotionen entwerfen, das sowohl Körper als auch soziale Konstruktion mit einschließt (z.B. Eitler & Scheer 2009; Plamper 2012; Scheer 2012; von Scheve 2009).

Der Emotionsbegriff, an dem diese Dissertation orientiert ist, umfasst drei Dimensionen, die im Zusammenspiel ›Emotion‹ als Phänomen konstituieren: (i) eine leibliche Dimension (Kap. 3.1.1), (ii) eine diskursive Dimension (Kap. 3.1.2) und (iii) eine praktische Dimension (Kap. 3.1.3). Was diese verschiedenen Dimensionen ausmacht und wie sie ineinandergreifen, wird auf den folgenden Seiten dargelegt.

2.1.1Die leibliche Dimension von Emotionen


Zu einer Emotion gehört eine leibliche, affektive Komponente: ein subjektives Empfinden eines Gefühls. Dies lässt sich schon an Alltagsbeispielen hervorragend nachvollziehen: Wir sitzen mit schweißnassen Händen und klopfendem Herzen in der mündlichen Prüfung; spüren einen sprichwörtlichen kleinen ›Stich ins Herz‹, wenn wir die Ex-Partnerin mit jemand Neuem an ihrer Seite sehen, oder haben ein flaues Gefühl der Scham im Magen, wenn uns die Chefin während der Arbeitszeit beim Surfen auf YouTube erwischt. Psychologische Studien messen Emotionen daher häufig – nicht ganz unbegründet – anhand physiologischer Parameter wie Schwitzen oder Herzschlag. Physiologisch messbare Veränderungen sind zwar keine notwendige Voraussetzung für das Empfinden von Emotionen, das leibliche Empfinden eines körperlichen oder seelischen Prozesses jedoch schon (vgl. von Scheve 2009: 75 ff, unter Bezug auf psychologische Studien).

Diese leibliche Komponente als notwendigen Teil von Emotionen anzuerkennen, mag auf einen flüchtigen Blick zunächst so wirken, als würde damit einem biologistischen Verständnis von Emotionen als unveränderbaren Gegebenheiten des menschlichen Organismus Vorschub geleistet. Dies ist jedoch keineswegs der Fall. Denn Körper, Leiblichkeit und Körperwahrnehmung (inklusive des Spürens von Gefühlen) stellen keine biologischen Konstanten dar, sondern sind ebenso kontingente Phänomene. Ein Körper ist ein »wahrnehmendes, erfahrendes, aber auch zutiefst sozialisiertes Subjekt […], dessen Wissen bei der Erfahrungskonstitution mitspricht« (Eitler & Scheer 2009: 287).

Dass Körper nicht einfach biologisch gegeben, sondern durch und durch sozial sind, lässt sich sehr gut unter Rückgriff auf Arbeiten Bourdieus (1993a, 2015) zum ›Habitus‹ und zur ›Hexis‹ zeigen. Er beschreibt vor allem mittels dieser Konzepte, wie Körper sich in Anlehnung an die soziale Position ihrer Träger:innen formen, so dass sich der soziale Hintergrund in tiefste, unreflexive Ebenen des Körpers einschreibt. Besonders tiefsitzende Dispositionen des Habitus sind die typischen Arten und »Weise[n], mit dem Körper umzugehen, ihn zu pflegen und zu ernähren« (Bourdieu 1993a: 307). In Die männliche Herrschaft schildert Bourdieu (2010) beispielsweise sehr anschaulich, wie bewusste, aktive Körperlichkeit vor allem Männern aufgrund ihrer übergeordneten sozialen Position vorbehalten ist, wohingegen der weibliche Körper in der Praxis konstruiert als ein Objekt wird, dessen Zweck nicht das Benutzen, sondern das Haben bzw. Gehabt-Werden ist. Diese vergeschlechtlichten Unterschiede wirken sich auf das Nutzen, Wahrnehmen und Spüren des eigenen Körpers aus, der abhängig vom Geschlecht unterschiedlich empfunden wird.

Äußerlich wird das erkennbar an der Hexis, einem »Ensemble dauerhaft erworbener Körperhaltungen und -bewegungen« (Fröhlich 1999: 1). Ersichtlich wird die Hexis über die Jahre beispielsweise in aufrechten oder gebeugten Körperhaltungen, Lachfältchen oder Stirnfurchen. Doch Hexis zeigt sich nicht erst in fortgeschrittenem Alter. Beispielsweise nehmen Frauen tendenziell – wie es scheint, intuitiv – im sozialen Raum mit ihrem Körper weniger Platz ein als Männer, welche wiederum eher raumgreifende Posen einnehmen (im extremen Fall als ›manspreading‹ bezeichnet). Hexis, wie das weibliche Übereinanderschlagen der Beine, signalisiert nicht nur die soziale Position eines Menschen in interaktiven Kontexten, sondern schreibt sich in den Körper ein und wirkt sich auch auf Körperempfindungen aus: »[B]estimmte Haltungen oder Stellungen annehmen bedeutet, wie wir seit Pascal wissen, die Empfindungen oder Gefühle, die sie zum Ausdruck bringen, zu indizieren oder zu verstärken« (Bourdieu 1992: 206 f, Hervorhebung M.B.). So könnte man – um bei dem bereits erwähnten Geschlechterbeispiel zu bleiben – davon ausgehen, dass eine eher eingeengte, zusammengekrümmte, typisch weibliche Körperhexis auch eher beengende Gefühle wie Angst oder Scham hervorruft oder verstärkt. Auf bestimmte Arten und Weisen mit dem Körper umzugehen, ihn zu bewegen ...

Erscheint lt. Verlag 13.9.2023
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Angst • Delegitimierung von Angst • Dr. Sommer • Emotionsdiskurse • Emotionsmanagement • Gender • Gesellschaftsanalyse • Historische Diskursanalyse • modernisierte Gesellschaft • Ratgeber • Sexualität • Sozialer Wandel • Sozialwissenschaften
ISBN-10 3-593-45589-7 / 3593455897
ISBN-13 978-3-593-45589-1 / 9783593455891
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