In tiefer Sorge (eBook)

Was jetzt zu tun ist, um die Welt zu retten. Ein Appell - Mit Beiträgen von Franz Alt, Thilo Bode, Bärbel Höhn, Hannes Jaenicke, Dirk Roßmann, Christof Schenck, Klaus Töpfer, Christine von Weizsäcker, Ernst Ulrich von Weizsäcker u.a.

Kerstin Lücker (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2022
304 Seiten
Ludwig Buchverlag
978-3-641-29580-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

In tiefer Sorge -
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Zum ersten Mal erheben einige der wichtigsten Vordenker:innen für Klima, Umwelt und Natur gemeinsam ihre Stimmen. Zeit ihres Lebens haben sie sich mit Fragen nach dem ökologischen Zustand der Welt, nach den Folgen unserer Lebens- und Wirtschaftsweise beschäftigt, um unseren Planeten zu bewahren und der Menschheit eine Zukunft zu geben - doch passiert ist wenig, zu wenig. Ihr Appell: Es muss dringend etwas geschehen, und zwar JETZT. Gemeinsam zeigen sie auf, welche Maßnahmen nötig sind, um zu verhindern, dass unsere Erde über den Kipp-Punkt treibt, hinter dem das Ökosystem rettungslos aus dem Gleichgewicht gerät.

Zu den Autor*innen des Bandes zählen: Franz Alt, Thilo Bode, Bärbel Höhn, Hannes Jaenicke, Dirk Roßmann, Christine von Weizsäcker, Ernst Ulrich von Weizsäcker u. a.

Vorwort der Herausgeberin

Wer auf dem Gipfel des Mont Ventoux in der Provence steht, soll gleichzeitig die Alpen, das Mittelmeer und die Pyrenäen sehen können. Vom Gipfel des Mont Ventoux aus beschrieb der italienische Dichter Francesco Petrarca im 14. Jahrhundert die Welt, die sich vor ihm erstreckte. Er fand sie schön, und er erfuhr im Anblick dieses Naturschönen auch sich selbst neu. Petrarcas Schilderung gilt als Zeugnis jenes kulturhistorischen Moments, als Philosophen, Wissenschaftler und Künstler in Europa den Blick vom Himmel abwandten und begannen, die Natur zu erforschen. Und das bedeutete, die Natur von der menschlichen Kultur zu unterscheiden, um sie zu vermessen, zu gestalten und zu beherrschen. Heute ist umstritten, ob Petrarca den Gipfel wirklich erklommen hat oder ob seine Schilderung Fiktion ist. Als Fiktion, könnte man mit einer Portion Zynismus sagen, scheint sich jedenfalls eine der wirkmächtigsten Ideen zu erweisen, deren Aufkommen Petrarcas Brief an der Schwelle zur Neuzeit bezeugt: die Idee vom Menschen als Krone der Schöpfung. Sollten wir je die Krone der Schöpfung gewesen sein, so sind wir heute, fast 700 Jahre später, zu ihrem Bulldozer geworden. Auch wenn längst nicht alle diese Erkenntnis teilen: Je länger uns Umweltaktivisten und zunehmend die Natur selbst den Spiegel vorhalten, desto schwieriger wird es zu leugnen, wie viel Natur, wie viel Naturschönes wir durch unsere Lebensweise täglich zerstören, und wie maßlos diese Zerstörung um sich greift.

Wir erleben derzeit einen Bewusstseinswandel, der ähnlich radikal zu werden scheint wie der Beginn von Renaissance und Humanismus, als die Grundlagen für unsere moderne, wissenschaftsbasierte Lebensweise entstanden. Vor gut einem halben Jahrhundert lenkten Rachel Carsons Buch Der stumme Frühling (1962) und Dennis Meadows’ Bericht DieGrenzen des Wachstums (Club of Rome, 1972) die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit zum ersten Mal auf ein Phänomen, das seither von Wissenschaftlern auf vielfältige Weise beschrieben wird: Wir Menschen sind mit unserer industrialisierten Lebensweise zu einem geologischen Faktor geworden, zu einer Naturgewalt, deren Einflüsse das Gesicht der Erde in kurzer Zeit dramatisch verändern. Vom Klima über das Artensterben bis zur Versauerung der Meere. Mit dem Schlagwort »Anthropozän« (Paul Crutzen) ist dieser Umstand noch relativ freundlich beschrieben. Die Welt brennt, das sieht man, während ich dies schreibe, am 18. Juli 2022, möglicherweise sogar vom Gipfel des Mont Ventoux aus, da die Menschen an der Atlantikküste zu Zehntausenden ihre Wohnungen und Häuser verlassen müssen, um sich in einem wieder einmal viel zu heißen Sommer vor den Flammen in Sicherheit zu bringen.1

Am Beginn dieses Buchs stand der Arbeitstitel Umweltpioniere mit der Idee, einige Aktivisten der ersten und zweiten Stunde nach ihren Erfahrungen zu befragen. Inzwischen hat das Buch sich von diesem anfänglichen Titel emanzipiert, und zu den frühen Umweltpionieren ist mit Jakob Blasel von Fridays for Future auch ein Aktivist der jüngsten Generation dazugekommen. Die meisten hier versammelten Autorinnen eroberten neues, bis dahin völlig unbekanntes Terrain auf der Landkarte politischer und gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Durch ihre Arbeit wurden Welt und Natur zur Umwelt, beharrlich sorgten sie dafür, dass wir unseren Blick auf das richten, was sich in den vergangenen Jahrzehnten im Schatten unserer technischen Eroberungen an Kollateralschäden so angehäuft hat. Und natürlich haben sie es nicht dabei belassen, unsere Sinne zu schärfen, sondern auch auf unterschiedlichste Weise dazu beigetragen, Lösungen zu entwickeln, zu verbreiten und politisch durchzusetzen.

Seither hat sich viel getan: Private Unternehmer haben im Verein mit Lokalpolitik und Umweltverbänden Flüsse gerettet, Wälder und Böden geschützt und für die Einrichtung und Erhaltung von Naturschutzgebieten gekämpft. Viele von ihnen haben vor Gericht für mehr Umweltschutz gestritten, manche als Wissenschaftlerinnen an technischen Ökoinnovationen mitgewirkt, andere vor allem PR- und Lobbyarbeit für die Umwelt geleistet. Die Grünen haben auf dem langen Weg von der außerparlamentarischen Opposition zur Regierungspartei – nicht allein, aber als maßgeblicher Treiber – Erfolge wie den Atomausstieg und die Durchsetzung erneuerbarer Energien erstritten. Unterdessen haben Organisationen wie Greenpeace eine Tradition mehr oder weniger legaler Guerilla-Aktionen begründet, die von Gruppierungen wie Extinction Rebellion und Ende Gelände fortgeführt wird.

So weit, so bekannt. Warum also ein Buch, warum das, was viele unserer Autorinnen seit 30 Jahren sagen und schreiben, hier noch einmal aufschreiben?

Weil die CO2-Emissionen unvermindert steigen, die Plastikberge unvermindert wachsen und Tag für Tag unzählige Arten von unserem Planeten verschwinden. Weil wir heute nicht etwa weniger, sondern deutlich mehr Verpackungsmüll anhäufen als in den 1990er-Jahren und zu Beginn des Jahrtausends und weil derzeit, angesichts des Kriegs in der Ukraine, selbst die beschlossenen Ausstiege aus Kohle und Atomenergie wieder infrage stehen. Weil wir nach 50 Jahren Die Grenzen des Wachstums immer noch nicht anders können, als unseren gigantischen Energiehunger panisch irgendwie zu stillen, jetzt, da wir plötzlich auf das billige Gas aus Russland verzichten müssen – um nicht einen Systemkollaps zu riskieren, den wir natürlich auf keinen Fall riskieren dürfen. Wie die beiden Schneiden einer Schere gehen das wachsende Wissen um die Umweltprobleme und die ungebremste Umweltzerstörung in zwei verschiedene Richtungen auseinander, und es drängt sich der Verdacht auf, dass dies nicht nur bei der Schere in ihrer Konstruktion begründet liegt. Die Frage, wie wir aus diesem Dilemma herauskommen, ist nach einem halben Jahrhundert noch kaum wirklich beantwortet.

Deshalb haben wir in diesem Buch die Stimmen verschiedener Vorreiter der Umweltbewegung versammelt: Wissenschaftlerinnen wie Ernst Ulrich von Weizsäcker, Helga Kromp-Kolb, Christine von Weizsäcker, Christof Schenck, Michael Braungart und Franz Josef Radermacher kommen zu Wort, Aktivisten wie Thilo Bode, Hannes Jaenicke, Franz Alt und Elisabeth Stern von den Schweizer KlimaSeniorinnen, Vertreter von Naturschutzorganisationen wie Hubert Weiger, Unternehmer wie Dirk Roßmann, der Autor Claus-Peter Hutter und nicht zuletzt Politikerinnen wie Bärbel Höhn, Klaus Töpfer und Alexander Van der Bellen. Die vier Töchter von Josef Göppel haben, nachdem dieser im April 2022 überraschend verstarb, die Aufgabe übernommen, einen Beitrag nicht nur in seinem Angedenken, sondern auch in seinem Sinne zu verfassen. Sie alle haben wir gebeten, auf die vergangenen Jahrzehnte zurückzuschauen. Weil wir wissen wollten, was wir von ihnen lernen können: Wo lohnt es sich zu kämpfen und wie? Welche Ideen zur Lösung bestimmter Probleme gab es schon, welche wurden vergessen, welche werden zu wenig gehört? Wie geht es ihnen nach Jahrzehnten des Engagements: Sind sie hoffnungsvoll, optimistisch, enttäuscht, resigniert, verzweifelt?

Ihre Berichte und Bilanzen fallen so unterschiedlich aus wie ihre Tätigkeiten: Von kleinen, keineswegs unbedeutenden Ideen und Innovationen bis zu großen Lösungsvorschlägen, die das 1,5-Grad-Ziel und die Wiederherstellung des globalen ökologischen Gleichgewichts im Blick haben. Sie berichten von Rückschritten, Zweifeln und Frust, aber auch Erfolgen und Hoffnungen. Dabei fällt auf, dass viele von ihnen in ihrer Haltung ambivalent sind: verzweifelt und zugleich auch optimistisch. Für uns aber ist in einer Zeit, in der es »alternativlos« zu sein scheint, den Umweltschutz angesichts von Pandemie und Krieg hintanzustellen, vor allem eines wichtig: dass sie uns daran erinnern, was alles möglich ist. Die Autorinnen und Autoren in diesem Buch haben sich über Jahrzehnte für die Umwelt engagiert. Sie haben beharrlich für ein wachsendes gesellschaftliches Bewusstsein geworben und gleichzeitig nach Lösungen gesucht. Dabei sind sie in das noch weitgehend unerschlossene Terrain von »Umwelt-« und »Naturschutz« vorgedrungen: hier haben sie ganz unterschiedliche Wege freigeschlagen – was uns in die komfortable Lage versetzt, ihnen folgen und diese Wege beschreiten zu können. Ihre Erfahrung, ihr Wissen ist ein Vermächtnis, das es uns heute ermöglicht, zu handeln, ohne dass wir dafür das Rad neu erfinden müssten. Es lohnt sich also, ihnen zuzuhören.

Der französische Anthropologe Philippe Descola weist darauf hin, dass die »geräumige Wohnung mit ihren zwei übereinanderliegenden Etagen, in der wir es uns seit einigen Jahrhunderten bequem gemacht haben, […] Mängel zu zeigen« beginnt.2 Gemeint ist die Unterscheidung von Natur und Kultur, die, wie er ausführt, für die meisten Menschen in der nicht-europäischen oder nicht-europäisierten Welt sinnlos ist.3 Es handle sich, so Descola, bei dieser Unterscheidung, mit der wir im Laufe der Jahrhunderte nahezu alles Nichtmenschliche zu unserer Verfügungsmasse gemacht haben, um einen »historischen Zufall«. Heute, an der wiederum historischen Wende des begonnenen Anthropozän, stehen wir vor der Möglichkeit, die Spaltung von Mensch und Natur zu überwinden und zu einem neuen, weniger zerstörerischen Einklang mit unserer Umwelt zu finden. Wir leben jedoch, wie Donna Haraway schreibt, im Zeitalter des Herumeierns.4 Es ist an der Zeit, zu handeln. Folgen wir den von den Autorinnen und...

Erscheint lt. Verlag 26.10.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2022 • Ahrtal • Biodiversität • CO2 • CO2-Neutralität • Die Welt ist noch zu retten • eBooks • Energiemix • Erderwärmung • Erneuerbare Energien • Extinction Rebellion • extremwetter • Flut • Flutkatastrophe • Fridays For Future • Generationenkonflikt • Hochwasser • Klimakatastrophe • Klimawandel • klimawandel auswirkungen • klimawandel stoppen • Klimaziele • letzte Generation • Nachhaltigkeit • Neuerscheinung • Pariser Abkommen • Polkappen • Raubbau • Umweltkatastrophen • Umweltschutz • Utopien für Realisten • Wetterextreme • Wirtschaft
ISBN-10 3-641-29580-7 / 3641295807
ISBN-13 978-3-641-29580-6 / 9783641295806
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