Freiheit oder Macht (eBook)

Republikanische Kritik am Steuerstaat in England und den USA
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
261 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45071-1 (ISBN)

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Freiheit oder Macht -  Alexander Sell
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Nach dem Ende des Unabhängigkeitskriegs gegen die britische Kolonialmacht gerieten die Vereinigten Staaten in eine schwere Wirtschafts- und Finanzkrise. Der hoch verschuldete amerikanische Staat verfügte über keine eigene Steuerhoheit und war auf freiwillige Kontributionen der 13 souveränen Gründungsstaaten angewiesen. Um die Kreditfähigkeit und damit die Handlungsfähigkeit der jungen Republik herzustellen, wurde ein verfassungsgebender Konvent einberufen, der den amerikanischen Staaten im Jahr 1787 einen Verfassungsentwurf zur Ratifizierung vorlegte. Alexander Sell kann zeigen, dass die amerikanische Verfassungsdebatte Argumente aufnimmt, die bereits im englischen Bürgerkrieg und der Glorious Revolution diskutiert wurden. Im Zentrum dieser Debatten der Frühen Neuzeit stand die Sorge, wie bürgerliche Freiheit vor der Macht eines starken Zentralstaats geschützt werden könne.

Alexander Sell, Dr. phil., ist als Politikberater tätig.

Alexander Sell, Dr. phil., ist als Politikberater tätig.

Vorwort


Krieg kostet Geld. In der Frühen Neuzeit führte der technologische Fortschritt in der Waffentechnik zu einem kostspieligen Rüstungswettbewerb, der die europäischen Staaten einem erhöhten Modernisierungsdruck aussetzte. Insbesondere der erfolgreiche Unabhängigkeitskrieg der niederländischen Generalstaaten gegen das spanische Habsburgerreich hatte gezeigt, dass eine effiziente Steueradministration sowie ein funktionierender Kapitalmarkt entscheidende Vorteile in militärischen Auseinandersetzungen darstellen können. Der Historiker Charles Tilly hat diese Wechselwirkung zwischen Kriegsfinanzierung und frühneuzeitlicher Staatsbildung mit der Formel »war made states and states made war«1 zusammengefasst. Demzufolge mussten die europäischen Staaten der Frühen Neuzeit fortschrittliche finanz- und fiskalpolitische Institutionen einführen, um sich in einer konfliktreichen multipolaren Kontinentalordnung behaupten zu können.

Die politische Philosophie, die in der ideologischen Auseinandersetzungen in Englands Jahrhundert der Revolutionen aber auch in der amerikanischen Verfassungsdebatte zum Ausdruck kommt, muss vor diesem finanz- und militärhistorischen Hintergrund verstanden werden. Nicht zuletzt aufgrund der geographischen Insellage unterscheidet sich die Entwicklung in den angelsächsischen Staaten deutlich von zeitgenössischen kontinentaleuropäischen Nationen. Im Gegensatz zu den französischen Bourbonen, die den feudalistischen Personenverbandsstaat des Mittelalters in eine absolutistische Monarchie überführen konnten, scheiterten die englischen Stuarts in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit dem Versuch vom Niedergang der Aristokratie zu profitieren und die politische Macht in England auf die Krone zu vereinen. Die Exekution Charles I. nach dem englischen Bürgerkrieg hatte eine produktive staatstheoretische Debatte zur Folge, die eine ideologische Legitimierung einer neuen politischen Ordnung zum Ziel hatte und ihre prominentesten Beispiele in Thomas Hobbes Leviathan und John Lockes Two Treatises of Government findet.

Wie in anderen Ländern Europas erfolgte diese Diskussion auf der Grundlage einer intensivierten Rezeption antiker Autoren an den englischen Universitäten. Vor allem James Harrington (1611–1677) ist in diesem Kontext vom Historiker John Pocock als der zentrale Vermittler klassisch republikanischen Denkens im angelsächsischen Raum identifiziert worden. Harringtons The Commonwealth of Oceana ist als Versuch zu verstehen, den autokratisch regierenden Lordprotektor Oliver Cromwell nach dem Ende des Bürgerkriegs von den Vorteilen einer republikanischen Gesellschaftsordnung zu überzeugen. Der ideale Staatbürger dieser Republik sei der unabhängige Landbesitzer, der in einer Bürgermiliz militärisch organisiert sei und sich frei von wirtschaftlichen Interessen für sein Gemeinwesen einsetze. Da diese Charakterisierung vor allem auf den englischen Landadel zutrifft, kann Harringtons Oceana auch als Republik der englischen Gentry verstanden werden kann. Als wichtigsten Referenzautor zitiert Harrington in seinen Schriften Niccolò Machiavelli, den er aufgrund seiner Rezeption der politischen Theorie der Antike als »the only politician of later ages«2 bezeichnet.

Im Hinblick auf die skizzierten fiskalpolitischen Prozesse frühneuzeitlicher Staatsbildung ist zu bedenken, dass die Werke Harringtons und Machiavellis zu einem Zeitpunkt verfasst wurden, als die Konstituierung institutioneller Territorialstaaten mit einer effektiven Steueradministration noch im Entstehen begriffen war. In England erfolgte dieser Prozess vor allem in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, wobei die Gründung der Bank of England im Jahr 1693 in dieser Entwicklung einen Meilenstein markiert, weil sie nach dem Vorbild der Amsterdamer Wijsselbank als weltweit erste Notenbank dem englischen Staat die Aufnahme langfristiger Staatsschulden ermöglichte. Notwendige Voraussetzung für die Gründung der englischen Zentralbank und die Entstehung eines funktionierenden Finanzmarkts an der Londoner Börse war die Einführung der konstitutionellen Monarchie nach der Glorious Revolution von 1688. Erst die Unterwerfung des Monarchen unter das Common Law ermöglichte eine zuverlässige Sicherung von Eigentumsrechten und damit auch den Schutz von Bankeinlagen oder Aktiendepots vor willkürlicher Beschlagnahmung durch eine unkontrollierbare und unberechenbare Exekutive. Mit der Glorious Revolution wird insofern der Streit zwischen König und Parlament, der vor allem ein Streit über das Recht auf Steuererhebung war und die englische Innenpolitik im 17. Jahrhundert maßgeblich beherrscht hatte, endgültig zugunsten des Parlaments entschieden. Die Finanzmacht der Londoner City, die von ihren politischen Interessenvertretern im englischen House of Commons gegen den willkürlichen Zugriff des Monarchen durch das Prinzip des King in Parliament geschützt wurde, war letztlich Voraussetzung für den Aufstieg des englischen, beziehungsweise ab 1707 des britischen Königreichs zum weltumspannenden Imperium.

Die Überzeugungskraft einer republikanischen Begründung politischer Ordnungsmodelle blieb von dieser realgeschichtlichen Entwicklung nicht unberührt. Im Kontext der Glorious Revolution lässt sich ebenso wie in der amerikanischen Verfassungsdebatte nachweisen, wie das republikanische Ideal des tugendhaften und wirtschaftlich unabhängigen Staatsbürgers zunehmend in Konflikt gerät zur Herausbildung zentralisierter Fiskalstaaten mit einer professionellen Administration, schuldenbasierter Staatsfinanzierung und der Institution eines stehenden Heeres. Vor dem Hintergrund der strategischen und sicherheitspolitischen Bedeutung wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit mutet die republikanische Warnung vor den negativen moralischen Folgen von Luxus und Kommerz zunehmend anachronistisch an und nimmt in einigen Fällen den Charakter einer nostalgischen Verklärung vorkapitalistischer Agrargesellschaften an. Mit anderen Worten: Der von Machiavelli und Harrington vermittelte klassische Republikanismus wird nach der Glorious Revolution ebenso wie nach der Ratifizierung der amerikanischen Verfassung zur politischen Ideologie englischer, britischer beziehungsweiser amerikanischer Modernisierungsverlierer.

Der Konflikt zwischen der Sorge um den Erhalt bürgerlicher Freiheiten und der sicherheitspolitisch begründeten Notwendigkeit staatlicher Machtkonzentration ist ein zentrales Motiv republikanischer Staatstheorie. Die Freiheit der Bürger in einem republikanischen Gemeinwesen, so Machiavelli in den Discorsi, sei Voraussetzung für die Entfaltung einer gesellschaftlichen Dynamik, die schließlich zur zivilisatorischen Größe – zur grandezza – eines Gemeinwesen führe. Doch mit zunehmendem Wohlstand und imperialer Machtentfaltung gingen die bürgerlichen Tugenden verloren, die ursprünglich den Ausweg aus Armut und Machtlosigkeit eröffnet hatten. Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler hat diesen Gedanken in seiner Antrittsvorlesung an der Berliner Humboldt-Universität aufgegriffen und dem Begriff der staatsbürgerlichen Tugend einen dialektischen, beziehungsweise autokatalytischen Charakter zugeschrieben:

»Diese Dialektik der Tugend hat zur Folge, dass im Rahmen des Tugenddiskurses nicht die Perspektive eines kontinuierlichen Fortschritts ausgebildet werden kann, denn die qua Tugend erreichte politische Stabilität gefährdet durch ihre Beständigkeit ihre Voraussetzungen. Tugend als politische Größe ist vermittelst ihrer positiven Folgen autokatalytisch.«3

Damit die zur Stabilisierung eines republikanischen Gemeinwesens notwendigen bürgerlichen Tugenden nicht mit dem Erreichen von Wohlstand und Sicherheit verloren gehen, müsse eine gut arrangierte republikanische Verfassung deshalb die »Stabilisierung eines submaximalen Zustandes«4 zum Ziel haben. Dieses dialektische Spannungsverhältnis von bürgerlicher Freiheit und staatlicher Macht kommt im Kontext der Glorious Revolution in England sowie in der amerikanischen Verfassungsdebatte im Konflikt zwischen den Befürwortern einer frugalen Agrarrepublik auf der einen und den Parteigängern eines zentralisierten Fiskalstaats auf der anderen Seite zum Ausdruck. Während bei englischen Tories und amerikanischen Anti-Föderalisten die Sorge um den Erhalt bürgerlicher Freiheit im Vordergrund steht, weisen englische Whigs und amerikanische Föderalisten auf die Bedrohung der Republik durch außenpolitische Konkurrenten hin, woraus sie die Notwendigkeit der Konstituierung eines zahlungskräftigen und militärisch handlungsfähigen Zentralstaats ableiten. Nur ein starker Staat könne die Freiheit eines Gemeinwesens gegen äußere Bedrohungen verteidigen,...

Erscheint lt. Verlag 9.2.2022
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Politische Theorie
Schlagworte Amerikanischer Unabhängigkeitskrieg • Bundesstaat • Demokratie • England • Finanzkrise • Fiskalismus • Freiheit • Frühe Neuzeit • Gemeinwesen • Geschichte • Glorious Revolution • Großbritannien • Kontributionen • Machiavelli • Macht • Republik • republikanisches Denken • Republikanismus • Republiken • Revolution • Revolutionen • Staat • Staatsform • Staatstheorie • Steuer • Steuerhoheit • Steuerstaat • USA • Vereinigte Staaten • Verfassung • Verfassungsdebatte • Wirtschaftskrise • Zentralstaat
ISBN-10 3-593-45071-2 / 3593450712
ISBN-13 978-3-593-45071-1 / 9783593450711
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