Evidenzbasierte Förderung bei Lernschwierigkeiten in der Grundschule (eBook)
156 Seiten
Ernst Reinhardt Verlag
978-3-497-61497-4 (ISBN)
Prof. Dr. Jan Kuhl ist Professor für Unterrichtsentwicklungsforschung mit dem Schwerpunkt Inklusion an der TU Dortmund.Dr. Armin Vossen, Neuss, arbeitet als Sonderpädagoge an einem Berufskolleg in NRW und unterrichtet dort SchülerInnen mit und ohne Förderbedarf. Dr. Nils Hartung ist Förderschullehrer und Stufenleiter an der Mosaikschule in Marburg und arbeitet langjährig als Dozent in der LehrerInnenausbildung.Dr. Claudia Wittich ist Akademische Rätin im Fachgebiet Unterrichtsentwicklungsforschung mit dem Schwerpunkt Inklusion an der TU Dortmund.
Prof. Dr. Jan Kuhl ist Professor für Unterrichtsentwicklungsforschung mit dem Schwerpunkt Inklusion an der TU Dortmund.Dr. Armin Vossen, Neuss, arbeitet als Sonderpädagoge an einem Berufskolleg in NRW und unterrichtet dort SchülerInnen mit und ohne Förderbedarf. Dr. Nils Hartung ist Förderschullehrer und Stufenleiter an der Mosaikschule in Marburg und arbeitet langjährig als Dozent in der LehrerInnenausbildung.Dr. Claudia Wittich ist Akademische Rätin im Fachgebiet Unterrichtsentwicklungsforschung mit dem Schwerpunkt Inklusion an der TU Dortmund.
2Response-to-Intervention als Rahmenmodell schulischer Lernförderung |
von Armin Vossen & Ana Krizan |
Nachdem im ersten Kapitel die Grundlagen der evidenzbasierten Förderung bei Lernschwierigkeiten in der inklusiven Schulpraxis beschrieben und erörtert wurden, wird in diesem Kapitel der Response-to-Intervention-Ansatz (RTI) vorgestellt. Dieses Modell nimmt die Herausforderungen und Erfahrungen zum gemeinsamen Lernen auf und verknüpft sie mit den Ergebnissen aus dem ersten Kapitel. |
2.1Erfahrungswerte zum gemeinsamen Unterricht in Deutschland |
Seit nun mehr als 35 Jahren werden in deutschen Schulen Erfahrungswerte zur gemeinsamen Beschulung von SchülerInnen mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf gesammelt (Feuser / Meyer 1987; Preuss-Lausitz 1991; Wocken et al. 1988). Von Anfang an stellte sich die Frage, wie die notwendigen zusätzlichen Ressourcen für den Gemeinsamen Unterricht zugewiesen werden sollten. |
Etikettierungs-Ressourcen-Dilemma | Dazu wird ein Vorgehen eingesetzt, das zum Etikettierungs-Ressourcen-Dilemma (Kornmann 1994; Probst / Euker 2013; Wocken 1996) führt: Je höher die Anzahl an SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf an einer Schule, desto mehr personelle Ressourcen werden dieser Schule zugewiesen. Hieraus entsteht ein hoher Anreiz, sonderpädagogischen Förderbedarf überprüfen und feststellen zu lassen, um die knappen personellen Ressourcen aufzustocken und die gewinnbringende Zusammenarbeit von Sonderpädagogik und Allgemeinpädagogik zu sichern. Einige Bundesländer haben diese Zuteilungsart heute abgeändert (z. B. NRW) und andere Bedingungen eingeführt. Auch sie ermöglichen aber weiterhin die Zusammenarbeit von Sonderpädagogik und Allgemeinpädagogik. |
Gleichzeitig wurde und wird bis heute zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs verlangt, dass die gezeigten Schwierigkeiten über einen längeren Zeitraum bestehen (s. Kap. 1.1). Dies führt zwangsläufig dazu, dass auf ein Scheitern von SchülerInnen gewartet werden muss, bevor ein Verfahren zur Überprüfung sonderpädagogischen Förderbedarfs eingeleitet werden kann (s. Kap. 1.2). |
Diese „eskalationsorientierte Ausrichtung“ (Huber et al. 2013, 80) wird daher auch als Wait-to-fail-Ansatz (Ennemoser 2014; Huber et al. 2013; Huber / Grosche 2012; Kuhl et al. 2012b) betitelt und ist aus zweierlei Gesichtspunkten als kritisch zu bewerten. Erstens wird durch diesen Ansatz die Schülerschaft in zwei Gruppen geteilt, die RegelschülerInnen einerseits und die FörderschülerInnen andererseits. Eine solche Beschränkung auf zwei Gruppen widerspricht dem Inklusionsgedanken (Hinz 2002) und beschreibt die Schülerschaft nur unzureichend. Lernschwierigkeiten können vielmehr auf einem Kontinuum verortet werden, das die Leistung aller SchülerInnen abbildet (Kuhl / Hecht 2014). Zweitens bleibt die präventive Arbeit der allgemeinen Pädagogik und Sonderpädagogik dabei gänzlich unberücksichtigt (s. Kap. 1.2), obwohl bekannt ist, dass frühzeitige Prävention von Lernschwierigkeiten äußerst positiv wirken kann (Huber et al. 2013; Huber / Grosche 2012). | Wait-to-fail-Ansatz |
Aus den beschriebenen Gesichtspunkten lassen sich Kriterien ableiten, die für den Einsatz eines Interventionsmodells von Bedeutung sind. Das Präventionsmodell sollte |
■mehrstufig angelegt sein, damit Schweregrade von Lernschwierigkeiten abgebildet werden können, |
■die Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams fördern, |
■ermöglichen, individuelle Lernwege abzubilden und entsprechend passgenaue Förderung anzubieten, |
■wissenschaftlich fundierte Fördermethoden präferieren (s. Kap. 1). |
2.2Das Response-to-Intervention Modell |
Ein Modell mit drei Förderebenen, das die oben genannten Kriterien weitreichend erfüllt, ist das aus den USA stammende Response-to-Intervention-Modell (RTI-Modell, s. Abb. 1). |
Abb. 1: Förderebenen des RTI-Modells |
Ebenen des RTI-Modells | Auf Förderebene I ist ein qualitativ hochwertiger Unterricht gefordert, der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt (Burns / Gibbons 2008; Fletcher / Vaughn 2009; Hartmann / Müller 2009; Jimerson et al. 2007). Es sind also Maßnahmen gemeint, die Bestandteil des Regelunterrichts sind und allen Kindern (100% der Schülerschaft; Grosche / Volpe 2013) zu Gute kommen sowie potentiellen Risiken ohne konkreten Anlass vorbeugen (Kuhl et al. 2012b). |
Die Förderebene II ist als Maßnahme für SchülerInnen definiert, die von Lern- und Entwicklungsverzögerungen bedroht sind (Kretschmann 2007b). Dies trifft auf ca. 15% der Schülerschaft zu (Grosche / Volpe 2013). SchülerInnen, für die eine sekundäre Prävention angezeigt ist, fallen, unabhängig ihres kognitiven Leistungspotentials, in einem begrenzten Inhaltsbereich durch Lernschwierigkeiten auf. Hier liegt also ein konkreter Anlass für die Durchführung einer spezifischen, zeitlich und inhaltlich begrenzten Förderung im auffälligen Inhaltsbereich als Ergänzung zum Regelunterricht vor. Das heißt deutlich: Kognitive Einschränkungen (z. B. bezüglich der Intelligenz- oder Arbeitsgedächtnisleistung) können zusätzlich zur festgestellten inhaltsspezifischen Lernverzögerung vorliegen, müssen es aber nicht zwangsläufig. Die Förderung wird üblicherweise in kleinen Fördergruppen (Ennemoser 2014) oder als innere Differenzierung (mehrere Schwierigkeitsgrade einer Aufgabe innerhalb eines Unterrichts für alle) oder äußere Differenzierung (Bildung einer separaten Gruppe, die getrennt von der Klasse gefördert wird) umgesetzt (Hartmann / Müller 2009). |
Auf Förderebene III handelt es sich klassischerweise um die Förderung von SchülerInnen mit bereits manifesten Lernschwierigkeiten oder sogar bereits festgestelltem sonderpädagogischen Förderbedarf (Kretschmann 2007b; Kuhl / Hecht 2014), was ca. 5% der Schülerschaft betrifft (Grosche / Volpe 2013). Oftmals liegt bei SchülerInnen, die auf Ebene III gefördert werden, eine Kombination mehrerer Lernschwierigkeiten vor, die die bisherige Lernentwicklung gehemmt haben (Ennemoser 2014; Huber / Grosche 2012). Die zusätzlichen Risiken erfordern eine differenzierte diagnostische Betrachtung, da sie eine direkt förderbezogene Funktion erfüllen (s. Kap. 1.2). Die Förderung wird z. B. in intensiven sonderpädagogischen Kontexten als Einzelförderung durchgeführt. Auch kann bei vorliegendem Förderbedarf „Lernen“ oder „geistige Entwicklung“ von den Lernzielen der allgemeinen Schule abgewichen werden. In beiden Fällen orientieren sich die Förderinhalte an den Curricula des jeweiligen Bildungsgangs, sofern das Bundesland entsprechende aufgestellt hat. Ein weiteres mögliches Vorgehen auf dieser Förderebene ist der Einsatz eines multiprofessionellen Problemlöseteams (Huber et al. 2013; Huber / Grosche 2012) (z. B. SchulsozialarbeiterInnen, SonderpädagogenInnen, externe TherapeutenInnen), das den aktuellen Entwicklungsstand diskutiert und die weitere individualisierte Förderung plant. Insbesondere hier ist der Einbezug von unterschiedlichen Expertisen auf Seite der Förderkräfte sinnvoll. |
Die Zusammenarbeit unterschiedlicher Professionen kann dann gewinnbringend gestaltet werden, wenn Rollenklarheit besteht sowie Aufgaben und Ziele des Teams bzw. der Sitzung transparent sind. Im Rahmen einer konstituierenden Teamsitzung können Absprachen getroffen werden, wer auf welcher Förderebene wofür verantwortlich ist. Anschließend kann für weitere RTI-Team-Sitzungen eine Mustertagesordnung erarbeitet werden. Dazu empfiehlt es sich, eine Zielvorgabe vor oder zu Beginn einer Sitzung gemeinsam zu definieren (z. B. Planung der nächsten Screeningerhebung) und über verschiedene Vorgehensweisen bzw. Perspektiven in den Austausch zu kommen. Abschließend wird das Ergebnis in einem Beschluss schriftlich festgehalten und weiteren Mitgliedern des Klassenteams (die nicht alle Mitglieder des RTI-Teams sein müssen) zur Verfügung gestellt. Nach der abgesprochenen... |
Erscheint lt. Verlag | 12.7.2021 |
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Co-Autor | Markus Gebhardt, Teresa Hecht, Rebecca Hüninghake, Anke Hußmann, Ria-Friederike Kirchhof, Ana Križan, Sarah Schulze, Michael Schurig, Nils Euker |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Pädagogik ► Sonder-, Heil- und Förderpädagogik |
Schlagworte | Deutschunterricht • Diagnostik • EMPIRISCHEN ERKENNTNISSEN • FÖRDERMETHODE • Förderung • Forschungsstand • Grundschule • Inklusion • Inklusive Schule • Lernförderung • Lernschwierigkeiten • Mathe • Mathematik • Prävention • Schüler • Schülerin • Schulpsychologie • Sonderpädagogik • UNTERRICHTSENTWICKLUNGSFORSCHUNG • Unterrichtsmethode |
ISBN-10 | 3-497-61497-1 / 3497614971 |
ISBN-13 | 978-3-497-61497-4 / 9783497614974 |
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