Kinder der Ungleichheit (eBook)

Wie sich die Gesellschaft ihrer Zukunft beraubt
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
303 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-44890-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kinder der Ungleichheit -  Carolin Butterwegge,  Christoph Butterwegge
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Wie nie zuvor ist die junge Generation sozial tief zerrissen: Hinsichtlich Gesundheit, Bildung, Wohnen, Freizeit und Teilhabe verschärfen sich die Unterschiede. Während Kinder aus wohlhabenden, reichen und hyperreichen Familien materielle Sicherheit genießen und eine Führungsposition in der globalisierten Wirtschaftswelt erreichen können, bleiben diese Chancen den Gleichaltrigen aus sozial benachteiligten Familien versagt. Die Sozialwissenschaftlerin Carolin Butterwegge und der Ungleichheitsforscher Christoph Butterwegge leisten mit ihrem ersten gemeinsamen Buch einen Beitrag zur Beendigung dieser Entwicklung. Sie zeigen das Spektrum der Kinderungleichheit, ergründen die Ursachen und schlagen Gegenmaßnahmen vor. Denn wenn ein Großteil der »Generation Corona« abgehängt wird, geht es mit der ganzen Gesellschaft bergab.

Dr. Carolin Butterwegge arbeitet als Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Universität zu Köln. Sie hat ihre Doktorarbeit über die Armut von Kindern mit Migrationshintergrund geschrieben.

Dr. Carolin Butterwegge arbeitet als Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Universität zu Köln. Sie hat ihre Doktorarbeit über die Armut von Kindern mit Migrationshintergrund geschrieben. Prof. Dr. Christoph Butterwegge lehrte bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. Er beschäftigt sich seit über einem Vierteljahrhundert mit der Kinderarmut und hat dazu sowohl Forschungsprojekte durchgeführt wie auch mehrere Bücher veröffentlicht.

1Was heißt überhaupt »ungleich«, »arm« oder »reich«?


Einführung

Politik, Wissenschaft und Medien entwerfen, formen und beeinflussen unser Bild von der sozialen Ungleichheit. Dabei handelt es sich um einen Begriff, der auf einer gesellschaftlichen Zuschreibung beruht. Wahrnehmung und Bewertung dessen, was Ungleichheit ist, werden nicht bloß von den ökonomischen Rahmenbedingungen und den herrschenden Wertvorstellungen bestimmt. Sie hängen auch stark vom Erfahrungshorizont, von der gesellschaftlichen Stellung sowie dem weltanschaulichen, religiösen und politischen Standort des jeweiligen Betrachters ab. Ein junger Migrant, der seit geraumer Zeit in einer Großstadt als Getränkelieferant, Fahrradkurier oder Paketbote arbeitet, und eine Auszubildende im Gartenbaubereich, die einer grün-alternativen Bürgerinitiative angehört, denken über soziale Ungleichheit höchstwahrscheinlich anders als eine pensionierte Grundschullehrerin auf dem Land, die regelmäßig zur Kirche geht und seit ihrer Jugend eine konservative Partei wählt, oder als ein renommierter Chefarzt, der Schatzmeister im örtlichen Tennisclub ist. Dasselbe gilt für einen Industriearbeiter, der gewerkschaftlich organisiert, Betriebsrat und Funktionär einer linken Partei ist, sowie einen Immobilienmakler, der mit seiner Familie in einer »bevorzugten Wohngegend« lebt und mehrere Mietshäuser besitzt. »Armut« und »Reichtum« gelten manchen Kommentatoren sogar als Kampfbegriffe, die man tunlichst vermeiden sollte, sind aber zur Analyse der Gesellschaft unverzichtbar.

Ungleichheit ist das Kardinalproblem unserer Gesellschaft


Jene sozioökonomische Ungleichheit, die von den benachteiligten Menschen oftmals als soziale Ungerechtigkeit empfunden wird und fast zwangsläufig politische Ungleichheit nach sich zieht,1 manifestiert sich im Gegensatz von Arm und Reich. Ausgangspunkt und Kristallisationskern der Ungleichheit ist die Tatsache, dass sich der Reichtum in den Händen weniger befindet. Diese Tatsache wird noch immer weitgehend tabuisiert. Zwar sind Armut und Reichtum zwei Seiten einer Medaille. Aber wenn die Massenmedien, die etablierten Parteien und die politisch Verantwortlichen hierzulande das Thema der (wachsenden) Ungleichheit überhaupt zur Kenntnis nehmen, konzentriert sich das Interesse vorwiegend auf die Armut. Hier den Reichtum auszublenden, ist realitätsverzerrend, wenn nicht gar ein bewusstes ideologisches Ablenkungsmanöver. Warum? Ganz einfach: Armut lässt sich als individuelles Problem abtun, dem auf karitativem Wege begegnet werden kann, materielle Ungleichheit hingegen nicht. Denn sie ist ein gesellschaftliches Problem, das in der Sozialstruktur (von Klassen und Schichten) wurzelt.

In anderer Hinsicht ähneln sich sozioökonomische Ungleichheit und Armut als deren bedrückendster Teil. Zwar hat die Ungleichheit zwischen den Ländern zuletzt abgenommen, innerhalb der Länder des globalen Nordens wie des globalen Südens ist sie aber gewachsen. Wie dargelegt, bilden Armut und Reichtum den harten Kern der sozioökonomischen Ungleichheit. Auf diesen Gegensatz darf sie jedoch nicht reduziert werden, will man sämtliche Dimensionen ihrer Wirksamkeit erfassen. Denn es gibt kaum einen Lebensbereich, in dem sich die Ungleichheit nicht dauerhaft bemerkbar macht. Neben der finanziellen Lage von Haushalten, Familien und Einzelpersonen prägt die zunehmende Ungleichheit auch deren Gesundheit, Bildungs- und Ausbildungsniveau, Wohnsituation und Wohnumfeld sowie Freizeitverhalten und Mobilität.

Jede/r versteht unter der Ungleichheit etwas anderes. Schließlich sind die Menschen weder biologisch noch sozial gleich, unterscheiden sich vielmehr nach Alter, Geschlecht, Gewicht, Körperbau, Größe, Haut-, Haar- und Augenfarbe voneinander, aber auch bezüglich ihrer genetischen Dispositionen, Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie im Hinblick darauf, wo sie wohnen (Stadt oder Land), in welchem Haushaltstyp und in welcher Familienform sie leben, welchen Beruf sie ausüben, ob sie Hobbys haben (und wenn ja, welche/s) sowie ob sie regelmäßig Sport treiben (und wenn ja, welchen). Es handelt sich hierbei um spezifische Ausprägungen der Ungleichheit, die entweder schicksalhaft vorbestimmt, naturbedingt oder selbstgewählt sind.

Der österreichische Historiker Walter Scheidel differenziert zwischen absoluter und relativer Ungleichheit. Letztere bezieht er auf den Anteil, den die jeweiligen Teile der Bevölkerung an den Gesamtressourcen haben, absolute Ungleichheit dagegen auf die unterschiedlichen Mengen an Ressourcen, welche die jeweiligen Bevölkerungsteile besitzen. Ein relatives Ungleichheitsmaß wie etwa der Gini-Koeffizient lenkt Scheidel zufolge von der Kluft ab, die zwischen den Einkommen wie zwischen den Vermögen unablässig wächst.2 Ein Koeffizient von 0 bedeutet Gleichverteilung (alle Personen besitzen gleich viel oder gleich wenig), 1 extreme Ungleichverteilung (einer Person gehört alles). Somit zeigt sich darin nur ein Mittelwert, nicht der jeweilige Anteil der Armen oder der Reichen in einem Land. Laut Scheidel sind zudem Haushaltserhebungen, aus denen diese Messgrößen abgeleitet werden, als gängige Methode wenig geeignet, um auch die höchsten Einkommen zu erfassen. Tatsächlich muss stärker auf die Entwicklung der Pole des Verteilungsspektrums geblickt werden, was sich deshalb als besonders schwierig erweist, weil gerade die Allerreichsten hinsichtlich ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse wenig auskunftsfreudig sind.

Bei der Ungleichheit, um die es hier geht, handelt es sich um eine anhaltende, wenn nicht gar dauerhafte Ungleichverteilung von materiellen Ressourcen (ökonomische Ungleichheit), gesellschaftlicher Anerkennung (soziale Ungleichheit) sowie von (Zugangs-)Rechten und Repräsentation (politische Ungleichheit) zwischen großen Personengruppen, Klassen und Schichten. Dabei beruht diese Ungleichverteilung nicht auf persönlichen (Leistungs-)Unterschieden zwischen den Angehörigen dieser Gruppen und Schichten, ist vielmehr den bestehenden Herrschaftsverhältnissen geschuldet. Was normalerweise »soziale Ungleichheit« genannt wird, müsste eigentlich sozialökonomische oder sozioökonomische Ungleichheit heißen. Denn gemeint ist eine Form der Ungleichheit, die im Bereich der Wirtschaft entsteht, auf einer Fehlallokation materieller Ressourcen (Einkommen, Vermögen) beruht und sich entscheidend auf die sozialen Beziehungen der von ihr Betroffenen auswirkt.

Von Wohnungslosigkeit, Straßenkindern und der Existenz absoluter Armut


»Armut« und »Reichtum« sind in allen gesellschaftlichen Verteilungskonflikten heftig umkämpfte Begriffe, die von gegensätzlichen Interessen geprägt sind und deshalb ganz unterschiedlich verstanden werden. Sie bezeichnen die Pole eines sozioökonomischen Spektrums, das sich von größter Not und schrecklichem Elend auf der einen Seite bis zu unvorstellbarem Luxus auf der anderen Seite erstreckt. Darüber, was Armut und Reichtum oder ökonomische und soziale Ungleichheit bedeuten, wird auch in Zukunft gestritten. Entscheidend hierfür sind nicht zuletzt der Wohlstand der Gesellschaft, in der man lebt, und die Verhältnisse, nach denen Reichtum und Armut verteilt sind.

Aus diesen Gründen existiert weder eine allgemein verbindliche Definition von Armut noch von Reichtum, denn in beiden Fällen handelt es sich um normative, von den gesellschaftlichen Verhältnissen abhängige Bestimmungen, nicht um rein deskriptive. Durch die Unterscheidung zwischen absoluter, extremer oder existenzieller Armut einerseits sowie relativer Armut andererseits lässt sich das Problem zwar nicht lösen, aber leichter bewältigen.3

Von absoluter, existenzieller oder extremer Armut ist betroffen, wer seine Grundbedürfnisse nicht zu befriedigen vermag, also die zum Überleben notwendigen Nahrungsmittel, sicheres Trinkwasser, eine den klimatischen Bedingungen angemessene Kleidung, eine medizinische Basisversorgung und/oder eine Wohnung entbehrt. Laut den Angaben der Weltbank, die eine Internationale Armutsgrenze (International Poverty Line, IPL) festgelegt hat, ist eine Person arm, die mit weniger als 1,90 US-Dollar (kaufkraftbereinigt, d. h. bezogen auf das Preisniveau der Vereinigten ...

Erscheint lt. Verlag 18.8.2021
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte ALG II • Arbeitslosengeld II • Arbeitslosigkeit • Armut • Bildungsgerechtigkeit • Erben • Generation Corona • Gesundheit • Hartz IV • Kinderarmut • kindergrundsicherung • Niedriglohnsektor • Reichtum • Schule • Soziale Gerechtigkeit • soziale gerechtigkeit in deutschland • Soziale Grundsicherung • Soziale Sicherung • Soziale Spaltung • Spaltung der Gesellschaft • Steuerprivilegien • Umverteilung • Wohnen
ISBN-10 3-593-44890-4 / 3593448904
ISBN-13 978-3-593-44890-9 / 9783593448909
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