Frühe Aphasiebehandlung -  Simone Jehle,  Jürgen Steiner

Frühe Aphasiebehandlung (eBook)

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2021 | 1. Auflage
164 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-037625-0 (ISBN)
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Bei Aphasie ist ein sofortiger Behandlungsbeginn heute Standard. Dieser Band beleuchtet die Besonderheiten hinsichtlich der Symptomatik, Diagnostik und Therapie in der akuten Phase. Die drei Dimensionen Basisfunktionen für die Sprachverwendung, Sprachabruf und Dialog werden systematisch abgearbeitet, und die Leserin und der Leser erhalten konkrete Handlungsideen für ein optionales, informelles Assessment in der Diagnostik. Für die Akutphase der Aphasiebehandlung werden außerdem Eckpunkte der Qualität dargestellt, die der anspruchsvollen Vorgabe der interprofessionellen Abgestimmtheit bei gleichzeitiger Zeitnot gerecht werden.

Simone Jehle arbeitet als Logopädin an der Rheinburg-Klinik in Walzenhausen/Schweiz. Professor Dr. Jürgen Steiner leitet den Bachelorstudiengang Logopädie an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik Zürich und lehrt mit den Schwerpunkten Diagnostik, Kindersprache und neurogene Sprachstörungen.

Simone Jehle arbeitet als Logopädin an der Rheinburg-Klinik in Walzenhausen/Schweiz. Professor Dr. Jürgen Steiner leitet den Bachelorstudiengang Logopädie an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik Zürich und lehrt mit den Schwerpunkten Diagnostik, Kindersprache und neurogene Sprachstörungen.

2          Akute Aphasien – ein besonderes Arbeitsgebiet


Simone Jehle & Jürgen Steiner


Das Arbeitsgebiet akute Aphasie ist ein Teil des Arbeitsgebietes Aphasie. Allgemeines Wissen über Aphasie ist die Basis zum Verstehen und Handeln für Aphasietherapeuten in der Akutphase. Grundlagen der Ätiologie, Prognose, aphasische Symptome usw. sollen in diesem Buch nicht dargestellt werden. Hier liegen sehr gute Einführungen vor, die wir voraussetzen (vgl. stellvertretend Tesak 2006; Huber et al. 2013, Schneider et al. 2014).

Informationsbedarf

Die Einführungen zur Aphasie sowie jene Abschnitte der Lehrbücher, Lexika, Handbücher, Kompendien und Leitfäden für die Logopädie, die Aphasie zum Thema haben (vgl. stellvertretend Bartels & Siegmüller 2011; Grohnfeldt 2007; Grohnfeldt 2014), zeigen, dass die Besonderheiten der akuten Phase eher am Rande erwähnt werden. Dies gilt dann auch für die Leitlinien (vgl. Ziegler 2000).

Modelle und Konzepte für die jeweilige Phase der Fallbearbeitung (vgl. Steiner 2020) sowie Qualitätsvorstellungen, die für die postakute Phase wichtig sind, können nur bedingt für die Akutsituation angewandt werden. Tools für die Kontexterfassung, Diagnostik, Therapie und Beratung sowie Evaluation für die postakute Phase sind nur bedingt für die akute Phase relevant. Meier & Wiederkehr (2019) verweisen darauf, dass die Recherche zu Logopädie bezogenen Qualitätsvorstellungen oder Handlungsempfehlungen auf den Ebenen international, national und institutionell für die Akutphase der Aphasiebehandlung sehr bescheidene Ergebnisse zutage fördert.

Orientierung geben Nobis-Bosch et al. (2013). Hier werden die Phasen der Aphasiebehandlung sinnvoll eingeteilt in

•  sehr frühe Akutphase (Tag 0–4),

•  frühe Akutphase (Tag 5–14),

•  späte Akutphase (Tag 15–Woche 4 bzw. 6),

•  frühe Postakut-Phase (ab 5. bzw. 7. Woche),

•  späte Postakut-Phase (bis 1 Jahr).

Des Weiteren geben Nobis-Bosch et al. (2013) einen ausführlichen Überblick zu klinischen Grundlagen, zur ICF in der Rehabilitation bei akuter Aphasie sowie deren logopädische Diagnostik und Therapie. Das Ganze wird im Rahmen der Therapie durch konkrete Fallbeispiele aller Schweregrade praxisnah abgerundet. Leider wird die alltagswichtige Textebene komplett vernachlässigt. Diese ist im Klinikalltag insbesondere deshalb wichtig, da vermeintlich leichtaphasische Patienten Einwilligungen in invasive Behandlungen oder Diagnostiken selbst unterschreiben müssen, was nicht selten ein komplexes Textverständnis voraussetzt.

Die Intention dieses Buches ist, auf der Grundlage von Nobis-Bosch et al., die Sonderstellung der akuten Aphasie im Allgemeinen und im Besonderen in Diagnostik und Therapie, unter Berücksichtigung der Dreiteilung Basisfunktionen – Sprachabruf – Dialog, alltagsnah und realistisch darzustellen.

In Anlehnung an die Definition der Aphasie in Steiner (2016) lässt sich die Situation der akuten Aphasie wie folgt beschreiben: Aphasie verändert die Lebenssituation eines Betroffenen drastisch. Der plötzliche Eintritt verschiedener, teilweise weitreichender Probleme wird von den Betroffenen und Mitbetroffenen als bedrohlich erlebt. Der Verlust der Sprachfähigkeit ist ein Teil der Problematik. Er ist zu sehen im Gesamtkontext interagierender körperlicher, psychischer und sozialer Beeinträchtigungen.

Teil des Ganzen

Aphasietherapie in dieser akuten Phase ist Teil des Gesamtkontextes zur aktuellen Stabilisierung des Patienten und zur Vorbereitung weiterführender Maßnahmen. Die logopädische Intervention kann je nach Art und Ausmaß sehr unterschiedlich aussehen, je nachdem, auf welchen Ebenen welche Störfaktoren wie interagieren. Diese bilden die Hintergrundprämissen des Handelns. Mit Ebenen der Störfaktoren ist gemeint:

•  Basisfunktionen: Sprache abzurufen und mit Sprache zu handeln setzt eine größtenteils intakte Informationsverarbeitung bzw. Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit, (geteilte) Aufmerksamkeit, Konzentration und Gedächtnis einschließlich Kontrollfunktionen (exekutive Funktionen) voraus.

•  Sprachabruf: Unterschiedliche Elemente (Phonem, Graphem, Silbe, Lexem, Morphem u. a.) müssen für die Benutzung der Laut- und Schriftsprache in einem Prozess von Auswahl und Reihenfolge verarbeitetet werden. Störprozesse können in verschiedenen Modalitäten (Verstehens-, Hervorbringungs-, Nachahmungs- und Umformungsleistungen) unterschiedlich stark ausgeprägt sein.

•  Dialog: Für die Verständigung braucht es den automatisierten Umgang mit verschiedenen linguistischen Einheiten, um sich auf Wort-, Satz- und Textebene bewegen zu können. Für gelingende Gespräche braucht es darüber hinaus Organisation und Kooperation mit einem Gegenüber.

•  Begleitstörungen : Nach einem Ereignis, das eine Hirnschädigung verursacht, gibt es eine Hierarchie der Maßnahmen: Die Medizin nimmt den Auftrag wahr, den lebenserhaltenden Maßnahmen und der Verhinderung eines neuen Ereignisses (Schlaganfall) oberste Priorität einzuräumen. Für die Logopädie steht die Aphasietherapie im zweiten Rang, wenn eine routinemäßige Abklärung möglicher Schluckstörungen Hinweise auf eine Dysphagie liefert.

Herausforderung

Die Interventionsplanung der Aphasietherapie in der Akutphase erfolgt unter erschwerten Bedingungen. Gleichzeitig haben Entscheidungen ein hohes Gewicht, weil die Erstdiagnose und der Bericht zur Übergabe für eine eventuelle Weiterbehandlung die Weichen stellen. Die erschwerten Bedingungen zeigen sich durch

•  die fluktuierende, komplexe Symptomatik mit vielfältigen neuropsychologischen Begleit-Symptomen; als Standard-Begleitung kann von einem teils instabilen medizinischen Status, einer reduzierten Belastbarkeit und einer reduzierten Aufmerksamkeit ausgegangen werden;

•  die schwierige Logistik einer möglichst intensiv zu planenden Intervention vor dem Hintergrund einer variierenden und bzw. oder schwer einschätzbaren Belastbarkeit und täglich anfallenden medizinischen Untersuchungen mit Priorität;

•  die limitierte (Zeit-)Dauer des Aufenthaltes, die nur eine orientierende Erfassung von Kontext und Diagnostik als Grundlage für Therapieplanung und -umsetzung ermöglicht;

•  den Zeitdruck für das Gesamtteam, der den notwendigen interdisziplinären Austausch erschwert;

•  den durch Zeitmangel schwer einlösbaren Anspruch einer guten Übergabe an die Weiterbehandlung;

•  die sehr anspruchsvolle Situation, kompetent hinsichtlich kommunikativer Anpassung zu beraten oder auch Hinweise zur Aktivierung für die Mitbetroffenen zu geben, da diese schockbedingt in ihrer Aufnahmefähigkeit eingeschränkt sind;

•  die erhöhten Anforderungen hinsichtlich der Dokumentation, die seitens der Kostenträger mit den Kriterien eindeutig und umfassend versehen sind. Der Hintergrund ist, dass Veränderungen erkannt, kommuniziert und dokumentiert werden sollen – zumal Therapeutenwechsel im Kontext der Stroke Unit durch die Maßgabe der täglichen Behandlung die Normalität sind;

•  die Schwierigkeit, auch leichte Aphasien mit diskreter Problematik bei oft falscher Selbsteinschätzung des Patienten zu erkennen; gerade hier besteht die Gefahr, dass Betroffene durch das Netz fallen und eine notwendige Weiterbehandlung nicht initiiert oder verzögert wird. Dies gilt auch für passagere Aphasien mit vorübergehender Problematik. Erschwerend kommt hinzu, dass man aus Sicht der Akutphase gar nicht vorhersagen kann, welches Symptom passager sein wird.

Die erschwerten Bedingungen nehmen Einfluss auf das Bearbeiten der Situation durch die Therapeutin, auf das Zusammenarbeiten der Professionen und auf das Verarbeiten der Betroffenen.

Problem der nicht erkannten aphasische Symptomatik

Den zuletzt genannten Punkt möchten wir noch einmal hervorheben. Gerade Patienten, die leicht betroffen sind bzw. deren diskrete Symptomatik sich vor allem durch subjektives Klagen einer Leistungseinbuße zeigt, sollten sehr ernst genommen werden. Unter dem Druck vieler Behandlungstermine bei knapp zur Verfügung stehender Zeit werden solche Patienten aber teils nur oberflächlich untersucht und stellen dann erst beim Wiedereintritt ins Berufsleben fest, dass sie doch erhebliche Defizite haben. Ein Beispiel für solch ein schlecht zu erkennendes Defizit ist eine Störung des...

Erscheint lt. Verlag 1.6.2021
Mitarbeit Herausgeber (Serie): Jürgen Steiner
Zusatzinfo 3 Abb., 21 Tab.
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik
Schlagworte Aphasie • Logopädie • Praxiswissen Heilpädagogik
ISBN-10 3-17-037625-X / 317037625X
ISBN-13 978-3-17-037625-0 / 9783170376250
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