Die Alpen (eBook)

Geschichte einer Landschaft
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2020 | 1. Auflage
127 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-74829-5 (ISBN)

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Die Alpen - Hansjörg Küster
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Jahrtausende galten sie als unüberwindlich: Die Lage der Alpen zwischen dem früh zivilisierten Mittelmeer und dem sehr fruchtbaren, ebenso früh besiedelten Mitteleuropa machte aus ihnen lange Zeit einen Riegel, der überwunden werden musste, um die beiden Gebiete zu verbinden. Hansjörg Küster folgt der Geschichte der Alpen von ihrer Entstehung durch die Kollision der afrikanischen mit der europäischen Platte, ihrer Überformung durch die Eiszeitgletscher und der erstaunlich frühen Nutzung auch ihrer Hochlagen bis hin zu ihrer Erforschung und zum heutigen Tourismus. Die Alpen sind das erste Hochgebirge der Welt, das gut erschlossen wurde; hier wurde der Typ des Alpinen erstmals festgelegt. Doch diese Entwicklung hat auch Schattenseiten.

Hansjörg Küster ist Professor für Pflanzenökologie am Institut für Geobotanik der Leibniz Universität Hannover.

2. Geologie der Alpen


Jahrtausendelang machten sich die Menschen keine Gedanken darüber, wie die Alpen entstanden sind. Sie waren einfach da, man hatte sich mit dem dort vorhandenen Grund und Boden, mit Tälern und Bergen auseinanderzusetzen, und man musste jeden Tag um sein Überleben kämpfen. Das änderte sich im Zeitalter der Aufklärung, an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert. Damalige Erklärungen für die Entstehung der Berge wiesen aber in die Irre. Man fand Kalkstein mit Versteinerungen, also Überresten von Tieren, in großen Höhen. Kalk setzt sich im Wasser ab, das wusste man wohl. Kein Zweifel bestand darüber, dass es sich bei den Fossilien um Überreste von Meereslebewesen handelte. Wenn Überreste von Meerestieren und Kalkablagerungen in so großer Höhe gefunden werden, muss, so schloss man, der Wasserspiegel auf der Erde einmal viel höher gestanden haben als heute. Vielleicht war es ja die Sintflut des Alten Testaments. die die höchsten Alpenberge überflutete. Bald erschloss man aber, dass die Wassermenge auf unserem Planeten nicht ausreicht, um hohe Alpengipfel zu überdecken.

Klar war aber, dass der Kalk und seine Fossilien am Grund eines Meeres abgelagert worden sein mussten, und zwar eines relativ flachen Meeres, dessen Meeresspiegel auf etwa gleicher Höhe lag wie heute. In der Tiefsee ist das Calciumcarbonat, aus dem der Kalk besteht, wegen des erheblichen Wasserdrucks vollständig gelöst, es kann sich dort keine Kalkschicht am Gewässergrund bilden. Kalk setzte sich nur in einem Meer ab, das allenfalls wenige tausend Meter tief war, meist aber sogar wesentlich flacher. Diese Meere mögen der Nord- und Ostsee geähnelt haben, die tief liegende Teile der europäischen Kontinentalplatte überdecken. In solchen Meeresbecken lagerten sich im Lauf von Jahrtausenden mächtige Pakete von Kalk ab, deren Gewicht die unter ihnen liegenden Sedimentschichten allmählich zusammenpresste und zu Stein werden ließ. Dabei wurde das mit Wasser gefüllte Becken immer flacher und verlandete. Die Versteinerungen, die im Kalkstein gefunden werden, sind also als Überreste von Lebewesen der Flachmeere, nicht der Tiefsee, zu deuten, und ihre Lebensräume gingen allmählich durch Verlandung verloren: Sie starben aus.

Man muss generell mehrere geologische Prozesse voneinander unterscheiden: Nach der Sedimentation kam es zur Entstehung von Stein oder zur Lithogenese. Erst wenn die Ablagerungen aus Stein völlig hart geworden waren, konnten sie in die Höhe gehoben werden, so dass sie zum Gebirge wurden. Man nennt diesen Vorgang Orogenese. Im Fall der Alpen wurden die Berge um mehrere tausend Meter in die Höhe gedrückt. Das Rätsel, warum man Überreste von Meerestieren auf den Alpengipfeln findet, konnte also gelöst werden: Sie waren mit den im Meer abgelagerten und dann verhärteten Gesteinen in große Höhen gelangt.

Die Orogenese der Alpen wurde lange Zeit so erklärt, dass Sedimentation und Lithogenese zunächst in der Tethys, einem großen Meeresbecken zwischen Afrika und Mitteleuropa, stattgefunden hätten. Die abgelagerten Gesteinsmassen in der als Geosynklinale bezeichneten Senke hätten einen derart starken Druck auf den Untergrund ausgeübt, dass es schließlich zu einer Gegenbewegung der Erdoberfläche gekommen sei. Dabei seien schließlich in der Mitte der Senke die Gesteinsschichten so weit in die Höhe gehoben worden, dass daraus die Alpen entstanden. Das Molassemeer als Teil der Tethys, nördlich der Alpen gelegen, sei zugleich verlandet, und das Mittelmeer sei der Überrest der Tethys.

Diese Vorstellung ist insofern überholt, als man von der Vorstellung der Geosynklinale und dem Gegendruck, der zur Bildung der Alpen geführt haben soll, abgekommen ist. Es wurde klar, dass die Drift der Kontinentalschollen, also die Kontinentalverschiebung, als Ursache für die Bildung der Alpen angesehen werden muss.

Bis zum Erdzeitalter der Trias, vor etwa 200 Millionen Jahren, gab es einen Superkontinent Pangaea, der von einem Superozean Panthalassa umgeben war. Pangaea bedeutet wörtlich übersetzt «Allesland» und Panthalassa «Allesmeer». Zu Pangaea gehörten die Oberflächen aller heutigen Kontinente der Erde. Die Landmasse Pangaea umschloss eine große Meeresbucht, die Tethys genannt wird; in der griechischen Mythologie heißt die Schwester des Titanen Okeanos so, und Okeanos war mit Panthalassa gleichzusetzen. Dann begann Pangaea in Einzelteile zu zerbrechen. Und aus Panthalassa wurden mehrere Ozeane, die immer noch eine zusammenhängende Wassermasse bilden, aber sich in einzelne Wasserflächen unterteilen lassen.

Die aus Pangaea hervorgehenden Kontinentalplatten drifteten zeitweise auseinander, dann wieder aufeinander zu. Und dabei lagen sie für Millionen von Jahren im Bereich der Tropen mit einem heißen Klima, zu anderen Zeiten aber in den gemäßigten Zonen mit einem kühleren Klima. Das Leben, das sich auf diesen Kontinenten entwickelte, stand also zeitweise unter dem Einfluss eines wärmeren oder eines kühleren Klimas. Das heißt, dass mal diejenigen Organismen sich besser entwickeln konnten, die an ein kaltes Klima angepasst waren, dann wieder andere, die nur dort existieren können, wo es nie Frost gibt.

Abb. 1: Entstehung des Faltengebirges Alpen

Seit dem Ende des Jurazeitalters und dem Beginn der nachfolgenden Kreidezeit, seit etwa 135 Millionen Jahren, bewegt sich die afrikanische Kontinentalplatte auf Europa zu. Es kam zur Kollision, die beiden mächtigen Kontinentalplatten schoben sich übereinander, und dabei bildeten sich die Alpen und die anderen alpidischen Hochgebirge zwischen dem Westen Europas und dem Osten Asiens. Diese Kollision war keineswegs ein plötzlich auftretendes Ereignis wie der Zusammenstoß von zwei Kraftfahrzeugen, sondern nahm einen Zeitraum von mehr als 100 Millionen Jahren ein, und sie ist bis heute nicht abgeschlossen. Die einzelnen Teile des Gebirges, die durch das Übereinanderschieben der Schollen in die Höhe gedrückt wurden, bildeten Höhenzüge entlang der Kollisionsnaht. Deswegen verlaufen die Bergzüge der Alpen von Ost nach West. Besonders weit wurden die zentralen Teile der Alpen in die Höhe gehoben.

Noch immer wachsen die Berge als Folgen der Kollision der Kontinentalschollen jährlich um Millimeterbeträge in die Höhe. Es kann dabei zu Erdbeben kommen. In einigen alpidischen Gebirgen treten sie häufig auf und richten erhebliche Schäden an, etwa im Himalaja und im Apennin. In den Alpen und ihrer Umgebung kommt es seltener zu Erdbeben, aber auch sie können viele Menschenleben fordern und schwere Zerstörungen anrichten, beispielsweise das Basler Erdbeben von 1356.

Je mehr die Gipfel eines Gebirges in die Höhe geschoben werden, desto stärker ist auch die Erosion, der Abtrag der Berge. Wasser dringt in Gesteinsklüfte ein. Wenn es im Winter zu Eis gefriert, dehnt es sich aus und erweitert die Kluft. Wasser hat bei vier Grad über null seine größte Dichte, beansprucht also am wenigsten Raum. Sowohl bei Erwärmung als auch bei Abkühlung dehnt es sich aus. Sich erwärmendes Wasser kann aus der Gesteinsritze entweichen, das harte Eis aber nicht: Es drückt die angrenzenden Gesteinsmassen auseinander. In Klüften, die durch Einwirkung des Eises entstanden sind, dringen Wurzeln ein. Sie werden im Lauf der Zeit dicker, und dabei sprengen sie die Klüfte weiter auf. Schließlich bricht ein kleiner Stein, manchmal auch ein größerer Felsen oder bei einem Bergsturz sogar ein Teil eines Berges ab, und eine Steinlawine oder Mure donnert zu Tal. Heruntergefallene Steine werden vom Wasser aufgenommen und im fließenden Wasser bewegt. Dabei werden sie rund geschliffen, sie werden zu Kieselsteinen oder Schotter.

All das lässt sich in den Alpen beobachten: Ihre Aufwölbung fand also zur gleichen Zeit statt wie der Abtrag der Gesteinsschichten, und es ist schwer zu sagen, ob zu bestimmten Zeiten die Aufwölbung oder der Abtrag des Gebirges einen größeren Umfang hatte. Je weiter ein Gebirgsstock in die Höhe gehoben wird, desto stärker wirkt die Erosion ein. Da die Zentralalpen besonders weit in die Höhe gehoben wurden, sind deckende Kalkschichten aus der Jura- und Kreidezeit dort bereits abgetragen, während sie in den nördlichen und südlichen Kalkalpen noch vorhanden sind.

Abb. 2: Verkarstete Kalksteinwand am Pragelpass zwischen den Schweizer Kantonen Schwyz und Glarus

In den Kalkgebirgen kommt es noch zu einer weiteren Form von Erosion, die damit zusammenhängt, dass Kalk und Kreide sich ganz allmählich in Wasser auflösen. Dann verkarsten Gebirge. Unter besonderen Bedingungen, vielleicht als der Untergrund gefroren...

Erscheint lt. Verlag 14.5.2020
Reihe/Serie Beck'sche Reihe
Beck'sche Reihe
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Regional- / Landesgeschichte
Reisen Reiseführer Europa
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Naturwissenschaften Geowissenschaften Geografie / Kartografie
Sozialwissenschaften Soziologie
Schlagworte Alpen • Berge • Eiszeitgletscher • Europa • Gebirge • Geografie • Geschichte • Mitteleuropa • Mittelmeer • Tektonik • Tourismus
ISBN-10 3-406-74829-5 / 3406748295
ISBN-13 978-3-406-74829-5 / 9783406748295
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