Politik der Beherrschung - Dorothea Gädeke

Politik der Beherrschung (eBook)

Eine kritische Theorie externer Demokratieförderung
eBook Download: EPUB
2017 | 1., Originalausgabe
491 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-75444-3 (ISBN)
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Sollten wir in anderen Teilen der Welt Prozesse der Demokratisierung aktiv fördern? Mit dem Ende des Kalten Krieges schien sich die liberale Demokratie weltweit durchzusetzen. Etablierte Demokratien versuchten, diesen Prozess zu unterstützen. Doch seit Beginn des neuen Jahrtausends regt sich Widerstand, zunehmend wird der Vorwurf des Imperialismus erhoben. Dorothea Gädeke formuliert in ihrem originellen Buch erstmals normative Grundlagen und Grenzen externer Demokratieförderung. Sie entwickelt eine kritische republikanische Theorie der Gerechtigkeit und zeigt, warum die Praxis externer Demokratieförderung eine Politik der Beherrschung konstituiert und wie sie überwunden werden kann.



<p>Dorothea Gädeke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.</p>

Dorothea Gädeke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

252. Die ambivalente Universalisierung der Demokratie


Blickt man auf die weltweite Entwicklung der Demokratie in den vergangenen rund 25 Jahren, so lassen sich zwei gegenläufige Trends identifizieren: In den 1990er Jahren herrschte die Überzeugung vor, mit dem Ende des Kalten Krieges habe sich Demokratie als Regierungsform wie auch als Ideal endgültig als alternativlos erwiesen. Diese Überzeugung schlug sich praktisch im Aufstieg externer Demokratieförderung zu einem zentralen Handlungsfeld der Entwicklungspolitik westlicher Staaten und internationaler Geberorganisationen nieder (2.1.). Mit Beginn des neuen Jahrtausends geriet diese Praxis jedoch zunehmend unter Druck: Neben Zweifeln an der Wirksamkeit externer Demokratieförderung regte sich politischer Widerstand gegen die äußere Einflussnahme auf innenpolitische Belange, der Unterstützung von imperialismuskritischen Strömungen in der politischen Theorie erfuhr (2.2.). Diese Gegenbewegung wird in der politischen Praxis und der empirischen Forschung überwiegend als strategisch zu überwindender Angriff auf das Ideal der Demokratie zurückgewiesen. Ich charakterisiere das Nebeneinander von Universalisierung und scheinbar relativistischer Kritik dagegen als ambivalente Universalisierung der Demokratie, um deutlich zu machen, dass erst eine übergreifende Betrachtung beider gegenläufiger Trends in der Lage ist, die zwiespältige Rolle zu erkennen, die die Demokratie im Zuge ihrer Universalisierung spielt (2.3.).

2.1. Die dreifache Universalisierung der Demokratie


Spätestens seit dem Ende des Kalten Krieges, so das in der Politikwissenschaft vorherrschende Narrativ, hat die Demokratie endgültig ihren weltweiten Siegeszug angetreten. Bereits 1989 prognostizierte der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama das »Ende der Geschichte«; demnach überwinde die liberale Demokratie letztlich alle Unzulänglichkeiten alternativer Regierungsformen und bringe damit die historische Dialektik der Auseinan26dersetzungen zwischen verschiedenen Ideologien zu einem Ende.[1] Tatsächlich zeichnete sich im Laufe der 1990er Jahre in dreifacher Hinsicht eine Universalisierung der Demokratie ab: die formale Ausbreitung der Demokratie als Regierungsform wurde begleitet durch die normative Universalisierung der Demokratie als Ideal und die aktive Universalisierung der Demokratie durch die Außen- und Entwicklungspolitik.

Formal betrachtet nahm die Zahl demokratisch regierter Länder stark zu, seit mit dem Sturz der portugiesischen Diktatur 1974 die dritte Welle der Demokratisierung[2] einsetzte. Im Vergleich zu den beiden kurzen und regional begrenzten Demokratisierungswellen im 19. Jahrhundert bzw. unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg erfasste diese dritte Welle nicht nur mehr Staaten in kürzerer Zeit, sondern zugleich erstmals alle Regionen der Welt. Auf Demokratisierungen in Griechenland und Spanien folgten demokratische Transitionen in einer Reihe von lateinamerikanischen und asiatischen Staaten sowie, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, in Osteuropa. Zwar kam es nicht in allen ehemaligen Ostblock-Staaten zur nachhaltigen Etablierung demokratischer Systeme. Die sogenannten Farbrevolutionen in Georgien, der Ukraine und Kirgistan, die zu Beginn des neuen Jahrtausends gegen Korruption und für Bürgerrechte eintraten, gaben der Demokratisierungseuphorie jedoch neuen Auftrieb.[3] Zudem zeigten die Ereignisse in Osteuropa auch in anderen Teilen der Welt Wirkung. Die Diskreditierung von Ein-Parteien-Systemen, verstärkt durch ökonomische Stagnation, führte in der Mehrheit der Subsahara-Staaten zu Mehrparteien-Wahlen; auch die kommunistischen Regime in Äthiopien, Mosambik und Angola konnten sich nicht länger an der Macht halten.[4]

Weltweit betrachtet kehrte sich zwischen 1974 und 2004 das numerische Kräfteverhältnis von Demokratien zu Autokratien um: Waren 1973 dem Ranking von Freedom House zufolge noch 46 % aller Staaten unfrei und lediglich 29 % frei, wurden 2003 46 % als 27frei und nur 25 % als unfrei eingestuft.[5] Plattner bezeichnet daher die frühen 1990er Jahre als »demokratischen Moment«, der sich als »Welt mit einem dominanten Prinzip politischer Legitimität, Demokratie«, auszeichne.[6] Zwar warf eine Weltregion in dieser Hinsicht lange Zweifel auf: Während in der nichtislamischen Welt 2005 bereits drei Viertel aller Staaten als demokratisch galten, waren dies in der islamischen Welt nach wie vor lediglich ein Viertel.[7] Mit den Massenprotesten im Iran 2009 und dem arabischen Frühling 2011 erreichte die Demokratisierungswelle jedoch auch diese Region der Erde.[8] Huntingtons Optimismus, es sehe so aus, »als habe die Bewegung hin zur Demokratie den Charakter einer nahezu unaufhaltsamen globalen Strömung angenommen, die von einem Triumph zum nächsten eilt«,[9] schien sich damit zu bestätigen.

Parallel zur Feststellung einer formalen Universalisierung der Demokratie als Regierungsform zeichnete sich innerhalb der Politikwissenschaft der Konsens ab, Demokratie habe sich auch normativ als einziges ernst zu nehmendes Modell legitimer politischer Ordnung erwiesen. Zum Teil wird dies empirisch anhand entsprechender Umfragewerte globaler Messinstrumente wie dem World Values Survey und den regionalen Barometern nachgewiesen. Sie zeigen, dass Demokratie trotz regional variierender Muster weltweit Zustimmung als beste Regierungsform findet; in keinem Land der Welt genießen autoritäre Herrschaftsformen mehr Wertschätzung als demokratische.[10] Die Zustimmungsraten in Regionen mit jungen Demokratien liegen dabei mit 82 % in Osteuropa,[11] 70 % in Subsahara-Afrika[12] und 86 % in der arabischen Welt[13] nicht wesentlich unter den mit um die 90 % hohen Werten in den etablierten Demokratien Westeuropas und Nordamerikas.[14]

28Normativ argumentierende Autor_innen halten dagegen nicht die faktische Zustimmung für entscheidend; ihnen zufolge gibt es vielmehr gute Gründe, Demokratie für wünschenswert zu erachten. Instrumentelle Argumente betonen die Bedeutung der Demokratie als Mittel zur Verwirklichung bestimmter Ziele. Das in akademischer und politischer Hinsicht wirkmächtigste Argument basiert auf dem Theorem des Demokratischen Friedens, dem zufolge demokratische Regime keine Kriege gegeneinander führen und somit ein Mittel zur Befriedung der zwischenstaatlichen Beziehungen sind.[15] Verstärkt wird diese These durch die Annahme, auch freier Handel, wie er von liberalen Demokratien propagiert wird, befördere Frieden.[16] Zweitens wird argumentiert, das auf Wettbewerb und Verantwortlichkeit ausgelegte demokratische System generiere insgesamt bessere Regierungsleistungen, da es Korruption und Selbstgefälligkeit der Machthabenden behindere und innovative Ideen hervorbringe.[17] Drittens seien Demokratien die besten Garanten von innerstaatlichem Frieden und Menschenrechten.[18] Viertens verhinderten Demokratien nicht nur effektiver als andere Systeme Hungerkatastrophen,[19] sondern böten auch darüber hinaus die besten Bedingungen für ökonomische Entwicklung.[20] Damit erscheint Demokratisierung als zentrales Instrument zur Beseitigung der wesentlichen politischen Probleme dieser Welt.[21]

Über den instrumentell begründeten Wert der Demokratie hinaus wird ihr in der politischen Philosophie auch intrinsische Bedeutung zugeschrieben. Zwar spielen philosophische Argumente im politikwissenschaftlichen Narrativ zur Universalisierung der Demokratie eine untergeordnete Rolle; sie artikulieren jedoch den 29normativen Hintergrund, der häufig implizit als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Zwei Kernargumente lassen sich unterscheiden: Das erste sieht in Demokratie einen unmittelbaren Ausdruck des Grundprinzips moralischer Gleichheit. Demnach müssen politische Einfluss- und Partizipationsmöglichkeiten grundsätzlich allen Mitgliedern eines politischen Gemeinwesens in gleichem Maße offenstehen, da ihre moralische Gleichheit anderenfalls in politischer Hinsicht verletzt werde.[22] Das zweite Argument stützt sich dagegen auf den Wert der Freiheit. Demnach sichert Demokratie Teilhabe am politischen und sozialen Leben, was wiederum in sich oder als notwendiger Bestandteil individueller menschlicher Autonomie wertgeschätzt wird.[23]

Derartige Begründungen des universellen Wertes der Demokratie werden auch in völkerrechtlichen Debatten aufgegriffen. So suchen Slaughter und Tesón normative Erwägungen mit der Forschung zum demokratischen Frieden zu verbinden, um eine auf Demokratie fußende liberale Völkerrechtstheorie zu entwerfen. Sie ist auf die schrittweise Ausweitung einer liberalen »Zone des Rechts«[24] und eine Beschränkung der Rechte nicht-demokratischer Regime[25] sowie Interventionsbefugnisse liberaler Staaten[26] ausgerichtet. Während Slaughter und Tesón das geltende Völkerrecht in dieser Hinsicht für moralisch unzureichend halten, argumentiert Franck auf rechtsdogmatischem Wege, es sei gerade mit Blick auf eine Norm demokratischen Regierens bereits in Veränderung begriffen.[27] Anhand der Entwicklung des Rechts auf kollektive Selbstbestimmung von der Neuordnung Europas nach dem ersten Weltkrieg über die Kodifizierung in den Menschenrechtspakten bis hin zu entsprechenden Resolutionen der Generalversammlung[28] und der Menschenrechtskommission[29] der Vereinten Nationen zeigt er, 30dass sich ein emergierendes Recht auf demokratisches Regieren, d. h. auf...

Erscheint lt. Verlag 12.12.2017
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Demokratie • Demokratisierung • Gerechtigkeit • Imperialismus • Republikanismus • STW 2234 • STW2234 • suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2234 • Theorie
ISBN-10 3-518-75444-0 / 3518754440
ISBN-13 978-3-518-75444-3 / 9783518754443
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