Volk ohne Wagen (eBook)

Streitschrift für eine neue Mobilität
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
192 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-490428-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Volk ohne Wagen -  Stephan Rammler
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Der Mobilitäts- und Zukunftsforscher Stephan Rammler plädiert leidenschaftlich für eine andere Mobilität. Mit ?Volk ohne Wagen? legt er ein aktuelles Debattenbuch für die Autonation vor. Deutschland ist ein Autoland. Deutschland hat das Auto erfunden, perfektioniert und sich ökonomisch davon abhängig gemacht. Einerseits ist das Auto eines der technologisch hochwertigsten und intelligentesten Produkte der modernen Massenkultur. Andererseits ist es ein menschen-, gesellschafts- und zukunftsfeindliches Produkt - vergegenwärtigt man sich die bereits heute spürbaren Engpässe an Ressourcen, Raum und sauberer Luft. Stephan Rammler plädiert für einen geistigen und emotionalen Perspektivwechsel: Wir müssen uns verabschieden von der Automobilität wie wir sie kennen. Was sich zunächst nach Verzicht anhört, stellt sich als überraschende Bereicherung heraus - als ein Fortschritt in eine noch bessere Mobilität.

Stephan Rammler, geboren 1968, ist Professor für Transportation Design & Social Sciences an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig und Gründer des Instituts für Transportation Design. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Mobilitäts- und Zukunftsforschung, Verkehrs-, Energie- und Innovationspolitik, Fragen kultureller Transformation und zukunftsfähiger Umwelt- und Gesellschaftspolitik. 2016 erhielt er den »Zeit Wissen-Preis ?Mut zur Nachhaltigkeit?«.

Stephan Rammler, geboren 1968, ist Professor für Transportation Design & Social Sciences an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig und Gründer des Instituts für Transportation Design. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Mobilitäts- und Zukunftsforschung, Verkehrs-, Energie- und Innovationspolitik, Fragen kultureller Transformation und zukunftsfähiger Umwelt- und Gesellschaftspolitik. 2016 erhielt er den »Zeit Wissen-Preis ›Mut zur Nachhaltigkeit‹«.

wohltuend kämpferisch

Weitsichtige Ideen, ernüchterndes Fazit.

1. Anfahren –
Deutschland schaff(t)
das Auto ab!?


Zur Einleitung

»Dies ist kein grimmiges Plädoyer gegen das Auto, sondern ein Lehrstück vom Verwelken eines historischen Zukunftsentwurfes.« (Wolfgang Sachs, Die Liebe zum Automobil)

Deutschland schafft das Auto ab ist der Titel einer ziemlich ideologischen Lobpreisung des Autos, geschrieben von einem ehemaligen Berliner ADAC-Vorsitzenden. Es ist der Titel eines Buches, in dem im leidenschaftlichen Bemühen um die freie Fahrt für freie Bürger so viel Falsches über das Automobil geschrieben steht, dass wohl nicht einmal mehr das Gegenteil richtig wäre. Aber der Titel ist ganz wunderbar, nähmen wir ihn uns mit einem Ausrufezeichen versehen als einen guten Vorsatz. Stellen wir uns einmal vor, Deutschland würde das Auto abschaffen. Und? Stimmt, das ist kaum vorstellbar. In Deutschland wurde das Auto erfunden und perfektioniert, zu einer Designikone und zum international verehrten Symbol deutscher Ingenieurskunst, Innovationskraft und Verlässlichkeit. Jedenfalls bis Dieselgate. Die nächsten Monate und Jahre werden zeigen, ob und wie stark dieser Skandal der Gesamtmarke »Made in Germany« geschadet hat.

In Deutschland wurde der Motorwagen zum Wagen des Volkes, ja zu einer fast totalen Kultur der Auto-Mobilität, nach deren funktionalen Anforderungen ausgerichtet, wir nach dem Zweiten Weltkrieg unsere Verkehrssysteme, unsere Städte und Landschaften, unsere Leidenschaften und Gewohnheiten einem Radikalumbau unterzogen haben. Gleichzeitig haben wir begonnen, diese Mobilitätskultur zu exportieren. Nicht zuletzt deswegen fußt unsere Volkswirtschaft in ihrem Erfolg in weiten Teilen auf den Leistungen der Automobilindustrie, ihren Steuererträgen und den von ihr geschaffenen Arbeitsplätzen. Deutschland ist neben den USA das Autoland schlechthin, auch wegen der fehlenden Tempolimits auf den Autobahnen, die zur einem regelrechten Autobahntourismus aus allen Teilen der Welt geführt haben. Wie kann man da überhaupt auf die verrückte, undenkbare, vordergründig geradezu modernitätsfeindliche Idee kommen, das Auto abschaffen zu wollen? Ganz einfach, weil sich das Auto in seiner heutigen Form und Technologie durch seinen gigantischen Erfolg als globalisierte fossile Mobilitätsmaschine im Grunde bereits selbst abzuschaffen begonnen hat:

  • Weil die dunklen Blüten seiner Ausbreitung – die Emissionen, der riesige Flächen-, Material- und Energieverbrauch, die zerschnittenen Landschaften, die unwirtlichen Städte und durch Unfälle und Emissionen verlorenen Menschenleben – seinen unbestreitbaren Nutzen in den Schatten zu stellen beginnen.

  • Weil der stetig wachsende Erdölhunger der globalen Autoflotte seit einhundert Jahren dazu beiträgt, ganze Weltregionen, allem voran den Nahen und Mittleren Osten, zu destabilisieren und in Kriege zu stürzen und damit einen nicht geringen Anteil auch an der aktuellen Flüchtlingskrise hat.

  • Weil die Klimawende ohne eine Mobilitätswende, die auch den Verkehrsbereich schnell und umfassend de-karbonisiert, unmöglich sein wird.

  • Weil in den immer dichter besiedelten urbanisierten Regionen Asiens und Lateinamerikas kaum mehr Platz für einen weiteren Zuwachs der privaten Automobilität ist und deren Volkswirtschaften schon heute durch den andauernden Stau und die Gesundheitskosten der fossilen Mobilität in ihrer Entwicklung massiv behindert werden.

  • Weil Automobilität betriebs- wie volkswirtschaftlich unglaublich unrentabel ist. Oder kennen Sie Unternehmen, die ihre Produktionsanlagen 23 Stunden am Tag stillstehen lassen und sie dann auch noch äußerst ineffizient nutzen? Mit einem durchschnittlichen Auslastungsgrad von 1,6 Personen pro Fahrzeug und den entsprechenden Ruhezeiten verfahren wir aber bis heute mit unserer Autoflotte genau auf diese Weise.

  • Weil die bisherige Automobilkultur angesichts der digitaltechnischen Möglichkeiten und der heute realisierbaren Nutzungsintelligenz den sich entwickelnden kollaborativen Konsumweisen des 21. Jahrhunderts schon längst nicht mehr gerecht wird und im Grunde eine Beleidigung für unsere technologische wie ökonomische Vernunft darstellt.

  • Weil die neuen Player aus dem Silicon Valley genau das schon längst begriffen haben und dabei sind, ihre neuen Vorstellungen von Automobilität mit Macht, Kapital und Einfallsreichtum schnell voranzubringen. Dabei setzen sie darauf, gesamthafte, in sich geschlossene »digitale Ökosysteme« zu konzipieren und die Abwicklung der Mobilität darin als einen zentralen Lebensaspekt zu verankern. Sie werden damit nicht nur zu einer gefährlichen Konkurrenz der etablierten Autobauer, sondern hantieren dabei auch mit wenig demokratischen und freiheitlichen Zukunftsvorstellungen und Technikkonzepten, denen es dringend eine europäische Variante entgegenzustellen gilt.

  • Weil die Autoindustrie in einer Branchen- und Organisationskrise steckt, die sich vor allem in mangelnder Innovationsgeschwindigkeit, Überkapazitäten und geringer Profitabilität zum Ausdruck bringt. Insbesondere die italienische Fiat, die französische PSA und die deutsche Opel AG sind hiervon in Europa betroffen. Kurz- und mittelfristig ist eine weitere weltweite und dynamische Marktbereinigung zu erwarten. Für welche zusätzlichen Schwierigkeiten für die global sehr arbeitsteilig arbeitende Autoindustrie – allein BMW produziert in 31 Werken in 14 verschiedenen Ländern, das größte davon im U.S.-amerikanischen Spartanburg – der zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Buches zu erwartende Protektionismus des neuen U.S.-amerikanischen Präsidenten führen wird, bleibt abzuwarten.

  • Schließlich weil auch die chinesischen Regierungskader begriffen haben, dass die fossile Automobilität keine nachhaltige Entwicklungsperspektive für ihr Milliardenvolk sein wird. Sie haben deswegen angekündigt, in großem Maßstab Elektromobilität zu fördern und im Zweifel zu erzwingen, mit dem sehr durchsetzungskräftigen politischen Instrument kontinuierlich ansteigender Anteile von Nullemissionsfahrzeugen an den Flottenverkäufen der Hersteller, die im Jahr mehr als eine halbe Million Kfz in China absetzen. Insbesondere für die deutschen Hersteller ist diese Ansage aufgrund der hohen Absatzzahlen in China ein Fanal, welches die Konzerne womöglich effektiver aufgeschreckt hat als hierzulande die jahrelange und mühsame politische Debatte zur Förderung der Elektromobilität.

Das Automobil, angetrieben durch die Verbrennung von Erdölderivaten, vom Fahrer oder der Fahrerin selbst gesteuert und im massenhaften Privatbesitz – so kann man das heute global vorherrschende Mobilitätsleitbild zugespitzt formulieren – ist also ein im Kern menschen-, gesellschafts- und zukunftsfeindliches Relikt des 20. Jahrhunderts. Es ist auch ein Produkt, das unseren enormen Fähigkeiten nicht mehr gerecht wird. Denn Deutschland steht im weltweiten Vergleich betrachtet noch immer an der Spitze der Nachhaltigkeitstechnik und ist ein globaler Vorreiter der Befürworter der Klimawende und des Ausstiegs aus der fossilen Kohlenstoffökonomie. Diesen Widerspruch gilt es in den nächsten Jahren aufzulösen, um glaubwürdig zu bleiben und konkurrenzfähig zugleich. Es sollte uns beschämen und peinlich sein, wenn wir in zehn Jahren noch an derselben Stelle stehen, trotz des Pariser Aufbruchs in der Klimapolitik, trotz der rasanten Entwicklung umweltfreundlicher Techniken und digitaler Kompetenz, trotz der Feinstaubproblematik, die auch in Deutschland jährlich immer noch tausende Menschenleben fordert.

Seit dem Jahr 1886, als Benz seinen Motorwagen mit der Reichpatentnummer 37435 angemeldet hat, bis heute sind weltweit schätzungsweise fast zwei Milliarden Autos gebaut, genutzt und wieder verschrottet worden. Sie hinterließen ihre Spuren in einem Maße wie es kaum eine Technologie zuvor getan hatte. In Verbindung mit über viele Jahrzehnte extrem billigen fossilen Treibstoffen hat das Automobil die Mobilität moderner Gesellschaften gewissermaßen monopolisiert und zu einer Monokultur werden lassen, aus der wir heute nur schwer wieder einen Ausweg zu finden scheinen. Aber ein Ausweg ist nötig. So viel mindestens sollte heute klarwerden. Dabei könnten wir versuchen, uns gedanklich aus der Rolle der Getriebenen und Gezwungenen zu befreien und einen intellektuellen, aber auch emotionalen Perspektivenwechsel anstreben. Denn bei allem Nachdenken über neue Mobilitätskonzepte geht es eben nicht allein darum, Probleme zu lösen und Krisen zu mildern oder abzuwenden, sondern positiv formuliert um die Verwirklichung der riesigen Entwicklungschancen einer nachhaltigen Mobilitätskultur. Mit anderen Worten: Den Ausstieg aus der uns so gut bekannten und für unverzichtbar gehaltenen Form der Automobilität könnten wir angesichts der faszinierenden Vielfalt an Konzepten und Technologien, die in Zukunft möglich sein werden, statt als einen Verzicht eher als eine Bereicherung empfinden, als ein Fortschritt in eine noch bessere Mobilitätswelt.

Dieses Buch hat drei Schwerpunkte, die man mit Geschichte, Gegenwart und Zukunft überschreiben könnte: Nach einem zugespitzten real- wie alternativgeschichtlichen Blick in die Geschichte der Automobilkultur und die Hintergründe der Entstehung der heutigen Situation im ersten Teil werden im zweiten Schwerpunkt kritische Schlaglichter auf einige ausgewählte...

Erscheint lt. Verlag 27.7.2017
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Auto • Automobilindustrie • Automobilität • Elektromotor • Emissionen • Energieverbrauch • Erdölderivate • Fahrrad • Klimawende • Lebensstil • Lungenärzte • Massenkultur • Materialverbrauch • Mobilitätskultur • Mobilitätswende • Nachhaltigkeit • ölreiche Länder • Raumüberwindung • Stau • Treibstoff • Verkehr • VW
ISBN-10 3-10-490428-6 / 3104904286
ISBN-13 978-3-10-490428-3 / 9783104904283
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