Kartierte Nationalgeschichte
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Geschichtsatlanten haben das Geschichtsbild von Generationen von Schülern geprägt. Sylvia Schraut vergleicht Atlanten aus Deutschland,
Österreich, Großbritannien und den USA und untersucht deren Blick auf die Weltgeschichte. Sie bezieht dabei die Intentionen von
Herausgebern und Verlagen, die jeweiligen Schulsysteme und den Stand der Geschichtswissenschaft ebenso ein wie den Einfluss aktueller
politischer Geschehnisse und des Zeitgeists. Dabei zeigt sie, dass die nationalistischen Atlantenkonzepte des späten 19. Jahrhunderts
die Geschichtsatlanten bis in die 1960er-Jahre prägten.
Prof. Dr. Sylvia Schraut vertritt zurzeit die Professur für Geschichte der Neuzeit an der Universität der Bundeswehr München.
Inhalt
1. Einleitung . 11
2. Deutschland . 23
2.1. Die Entwicklung des Bildungssystems . . . . . 23
2.2. Geschichte als schulisches Unterrichtsfach . 33
2.3. Deutsche Geschichtsatlanten im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . 50
2.4. Friedrich Wilhelm Putzger und seine Nachfolger im Verlagshaus
Velhagen & Klasing . 62
2.5. Der Putzger im inhaltlichen Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
2.6. Deutschlandbilder – Preußens Auftrag in der Geschichte . . . . . 92
2.7. Politische Zäsuren und ihre Folgen für den Geschichtsatlas . 108
3. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
3.1. Die Entwicklung des österreichischen Bildungssystems . . . . . 152
3.2. Geschichte als schulisches Fach . . . . . . . . 161
3.3. Geschichtsatlanten in Österreich . . . . . . . . . . . . . . 174
3.4. Georg Jausz und seine Nachfolger im Verlagshaus Ed. Hölzel . . . . . . 188
3.5. Die Geschichtsatlanten des Hauses Ed. Hölzel im inhaltlichen Wandel . . . . . . . 196
3.6. Wo spielt Österreich? . . . . . . . . . . . . 221
3.7. Politische Zäsuren und ihre Folgen für den Geschichtsatlas . . . . . . . . 232
4. England . . . . . . . . . 260
4.1. Die Entwicklung des Bildungssystems in England . . . . . . . 260
4.2. Geschichtsunterricht als schulisches Fach . . . . . . . . . . . . . . . 266
4.3. Die Entwicklung der Geschichtsatlanten in England . . . . . . . . . 278
4.4. Ramsay Muir und der Verlag George Philip . . . . . . . . . . . . . . 288
4.5. Die Geschichtsatlanten Ramsay Muirs im inhaltlichen Wandel . . . . . 301
4.6. Das Empire in der Entwicklungsfolge von Großreichen . . . . . . . . . 319
4.7. Politische Zäsuren und ihre Folgen für den Geschichtsatlas . . . . . . . . 335
5. USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366
5.1. Die Entwicklung des amerikanischen Bildungssystems . . . . . . . . . 366
5.2. Geschichte als schulisches Fach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374
5.3. Zwischen Billigprodukten und Standardwerken: Geschichtsatlanten in den Vereinigten Staaten . . . . . . . . . 390
5.4. William Robert Shepherd und das Verlagshaus Henry Holt . . . . . . 398
5.5. Der Shepherd im inhaltlichen Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . 405
5.6. Amerikanische Geschichte im Geschichtsatlas . . . . . . . . . . . . . 427
5.7. Politische Zäsuren und ihre Folgen für den Geschichtsatlas . . . . . . . . 439
6. Geschichtsatlanten im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . 461
6.1. Die Entstehungsbedingungen der Geschichtsatlanten . . . . . . . . . . . . 461
6.2. Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Geschichtsatlanten 1860–1960 . . . . . . . . . . . . . . . . 470
6.3. Geschichtskartographische Wandlungen in der Zwischenkriegszeit . . 505
6.4. Ausblicke . . . . . . . . . . . . 513
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517
Verzeichnis der Karten und Schaubilder . . . . . . . . . . . . 519
Karten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519
Kartennachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . 525
Schaubilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527
Verzeichnis der Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529
Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . 533
Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533
Atlanten . . . . . . . . . . . . . . 533
Lehrpläne, didaktische Werke und Schulbücher . . . . . . . . 543
Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550
"Das materialreiche Werk ist grundlegend, methodisch vorbildhaft und bietet aufgrund seiner offenen Struktur zahllose Anknüpfungsmöglichkeiten für weitere Spezialbetrachtungen oder vergleichende Untersuchungen zu Geschichtsatlanten anderer Länder.", Zeitschrift für Geschichtsdidaktik, 01.10.2012
6.4. Ausblicke Ein erstarrtes Medium: Geschichtsatlanten zwischen 1945 und 1960 Der Erste Weltkrieg hatte die politische Landschaft Europas und der Welt in zuvor kaum vorstellbaren Maß verändert. Doch es hatte lange gedauert, bis die Entwickler der Geschichtsatlanten in der Zwischenkriegszeit auf die politischen und gesellschaftlichen Veränderungsprozesse reagierten. Erst nach fünf bis zehn Jahren fanden zumindest das Kriegsgeschehen und seine territorialen Folgen Eingang in die Atlanten. Rund zehn Jahre waren verstrichen, bis die aktuellen sozial-, kultur- und geopolitischen Moden in die Geschichtsatlanten einzogen. Die Anpassungs- und Veränderungsprozesse in einem Medium, das nicht nur Modifikationen im Text, sondern die Entwicklung neuer Karteninhalte und Darstellungsweisen erforderte, benötigten offensichtlich viel Zeit. Vermutlich spielten auch Wirtschaftlichkeitsüberlegungen der Verlage eine gewisse Rolle. Mit ähnlichen, zum Teil radikaleren politischen und gesellschaftlichen Wandlungsprozessen sahen sich die Atlantenkonzeptionisten angesichts des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs konfrontiert. Doch der Wandel der Atlanten in der Zwischenkriegszeit mutet geradezu rasch an, wenn dieser mit den Veränderungsprozessen verglichen wird, die sich in den Geschichtsatlanten nach dem Zweiten Weltkrieg beobachten lassen. Die durch das Dritte Reich ausgelösten weltpolitischen Krisen, der radikale Krieg mit seinen territorialen Veränderungen, in der Nachkriegszeit der Verlust nationaler Selbstgewissheiten, der sich abzeichnende Zusammenbruch der kolonialen Reiche wie der Kalte Krieg und die durch ihn erzwungenen Neuorientierungen haben sich zumindest nicht stimulierend auf die Geschichtsatlanten ausgewirkt. Der Geschichtsatlas, interpretiert als spezifisches Genre national orientierter Geschichtsbetrachtung, zeigte rund 80 Jahre nach seiner Entstehung offenbar Krisenerscheinungen oder versank doch zumindest, angesichts der großen Anforderung, dem Wandel Genüge zu tun, in Erstarrung. Mit Ramsay Muir und Willam R. Shepherd waren die ›Väter‹ des englischen und amerikanischen Geschichtsatlas verstorben, ohne dass sich Nachfolger abzeichneten, die mit ähnlichem Engagement profilbildend auf die Nachkriegsatlanten einwirken wollten. Und so überdauerten die 1911 entworfenen und in den 1920er-Jahren aktualisierten Geschichtsatlanten die ersten 15 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg, bestenfalls in der Zeitgeschichte leicht aktualisiert, ohne die Entwicklung ab dem Ersten Weltkrieg grundsätzlich deutend zu beleuchten oder gar den historischen Ansatz der Atlanten zu hinterfragen. Auch der österreichische Hölzel schaffte es nach dem Zweiten Weltkrieg, in einem Land mit rigider staatlicher schulischer Richtlinienkompetenz, sein 1935 entworfenes geopolitisches Geschichtskonzept ohne nennenswerte Änderungen einer weiteren Generation von Schülern als adäquate kartographische Aufbereitung der Geschichte zu präsentieren. Selbst in der jungen Bundesrepublik, deren Schulbücher der staatlich verordneten Entnazifizierung unterworfen waren, dauerte es neun Jahre, bis 1954 der erste ›gebleichte‹ Putzger erschien. Mit seinen ausländischen Konkurrenten teilte er die Schwierigkeiten, sich mit der Zeitgeschichte auseinanderzusetzen oder gar das eigene nationale Geschichtsbild grundsätzlich infrage zu stellen. So spiegeln sich insgesamt in den Geschichtsatlanten der Nachkriegsära deutlich die Schwierigkeiten der zeitgenössischen Geschichtswissenschaft wie der staatlichen Lehrplanentwickler, dem Primat der national orientierten Politikgeschichte andere geschichtswissenschaftliche Perspektiven entgegenzusetzen. Ob die in den Nachkriegsjahren sich andeutende, doch mehrheitlich erst Ende der 1960er-Jahre und in den 1970er-Jahren entfaltende Sozial- und Kulturgeschichte Themen bearbeiten würde, die sich überhaupt in Geschichtsaltanten einbringen ließen, war rund 15 Jahre nach Kriegsende noch nicht abzusehen. Dass sich auch später die Konzeptionisten von Geschichtsatlanten schwer damit taten, die enge Bindung von politischer Nationalgeschichte und Geschichtskartographie zu lösen, zeigen indes die Geschichtsatlanten, die bis zum Ende des 20. Jahrhunderts publiziert wurden. Ein Resümee Welche Erkenntnisse sind abschließend aus dem Vergleich der gewählten Geschichtsaltanten zu gewinnen? Es scheint durchaus ertragreich, in die Analyse neben den Einzelkarten das Gesamtkonzept der Kartenfolgen, die Intentionen der Herausgeber und der Verlage, die gesetzlichen Rahmenbedingungen der Schulsysteme, den Entwicklungstand der Geschichtswissenschaft und den Einfluss des aktuellen politischen Geschehens wie auch kulturelle Phänomene des allerdings nicht immer leicht zu erfassenden Zeitgeistes einzubeziehen. Dass ein Geschichtsatlas nur auf dem Niveau Geschichtsverläufe abbilden kann, auf dem die zeitgenössische Geschichtswissenschaft Deutungen liefert, bedarf keiner weiteren Erläuterungen. Im konkreten Fall zeigt sich am deutschen und österreichischen Beispiel die notwendig große Aufmerksamkeit, die den staatlichen Vorgaben in Ländern mit staatlicher Richtlinienkompetenz in schulischen Bildungsfragen jenseits des Stands der Wissenschaft geschenkt werden muss. Doch das Medium des Geschichtsatlas scheint weitaus mehr als das textorientierte Lehrbuch Interpretationsspielraum für die Autoren eröffnet zu haben bzw. zu eröffnen. Im Interesse ihres erhofften Verkaufserfolgs orientierten sich die Verlage nicht nur an den staatlichen Richtlinien und dem geschichtswissenschaftlichen Forschungsstand, sondern, auf diesen aufbauend, wohl vor allem am Geschichtsbild der Kaufentscheider, mithin der Lehrerschaft. Dies mag zumindest mit erklä- ren, warum sich die lehrplangemäß demokratisierten Umarbeitungen der deutschen und österreichischen Geschichtsatlanten nach dem Ersten Weltkrieg, 1923 und 1930, in ihrem vorsichtigen Zugriff auf die europäische Nachkriegsordnung nicht durchsetzen konnten und die Verlage mit dezidiert geopolitischen Atlanten nachrüsteten. Im Fall Englands und der USA konzipierten nicht Schulmänner, sondern Universitätshistoriker im frühen 20. Jahrhundert Geschichtsatlanten, die in ihrem Niveau das schulisch Geforderte und wohl auch den üblichen universitären Lehrbedarf weit übertrafen. Von staatlichen Vorgaben unbehelligt, schrieben Ramsay Muir und William R. Shepherd ihre Geschichtsinterpretation den Atlanten mehr oder weniger deutlich ein. Sie ergänzten ihre Geschichtsatlanten in der Zwischenkriegszeit durch ihre Sicht der Wirkungen des Ersten Weltkriegs, ohne dass diese ihren Zugriff auf die kartographisch inszenierte Weltgeschichte grundsätzlich beeinflusst hätte. Frei von staatlichen Vorgaben und ohne Notwendigkeit, auf politische Systemwechsel reagieren zu müssen, setzten die angloamerikanischen Verlage vor allem auf Kontinuität. Und so blieben die 1911 erstmals veröffentlichten Atlanten und ihre Geschichtsinterpretationen ohne nennenswerte Veränderung über ein halbes Jahrhundert hinweg das Kartenmaterial, aus dem mehrere Schülergenerationen ihre kartographisch unterstützten Vorstellungen von geschichtlichen Entwicklungen in Raum und Zeit bezogen. Jenseits der aufgezeigten Unterschiede gilt jedoch ein Phänomen für alle gewählten Beispiele gleichermaßen: die erstaunlich geringe fachwissenschaftliche und schulpolitische Aufmerksamkeit, die durchgängig den Geschichtsatlanten in ihrem ideologischen Gehalt hier wie dort entgegengebracht wurde. Man mag die mangelnde Kartenlesekompetenz der Gutachter und Kommentatoren oder schlicht behördliches bzw. wissenschaftliches Desinteresse dafür verantwortlich machen, dass kartographisch umgesetzte nationalchauvinistische Geschichtsbilder unhinterfragt in langer Linie die Atlanten prägen konnten. Wenn allerdings der Geschichtsatlas »nicht nur ein Jahrhundert europäische Geschichte kommentierend begleitet«, wie 1985 in der Festschrift des Putzger zu lesen war, wenn der Geschichtsatlas »in einem durchaus ernst zu nehmenden Sinne selbst Geschichte« macht »und das Geschichtsbild von Generationen von Schülern vielfach beeinflußt«, dann verdient dieses Medium nicht nur in der historischen Analyse, sondern auch in der Gegenwart entsprechende Aufmerksamkeit.
Erscheint lt. Verlag | 11.4.2011 |
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Zusatzinfo | zahlreiche farbige Karten + Grafiken |
Verlagsort | Frankfurt |
Sprache | deutsch |
Maße | 152 x 228 mm |
Gewicht | 1115 g |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Allgemeines / Lexika |
Sozialwissenschaften ► Pädagogik ► Allgemeines / Lexika | |
Schlagworte | 19. Jahrhundert • 20. Jahrhundert • Deutschland • Deutschland, Geschichte; Atlas • Geschichtsatlas • Geschichtsatlas (Sekundärliteratur) • Geschichtsunterricht • Großbritannien • Großbritannien, Geschichte; Atlas • Karten • Nationalgeschichte • Nationalismus • Österreich • Österreich, Geschichte; Atlas • USA • USA, Geschichte; Atlas • Weltgeschichte • Zeitgeschichte nach 1945 |
ISBN-10 | 3-593-39427-8 / 3593394278 |
ISBN-13 | 978-3-593-39427-5 / 9783593394275 |
Zustand | Neuware |
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