Der Reisebegleiter für den letzten Weg (eBook)
208 Seiten
Irisiana (Verlag)
978-3-641-33038-5 (ISBN)
Dieser Ratgeber versteht sich als Begleiter auf der letzten aller Reisen und richtet sich an Betroffene und deren Angehörige. Professor Dr. Dr. med. Berend Feddersen informiert unter anderem über Themen wie Palliativmedizin, Schmerztherapie und Symptome der Sterbephase, Maßnahmen abseits der medizinischen Betreuung sowie die Einbindung von Kindern. Menschen erzählen berührend von ihrem letzten Weg, wie sie die verbleibende Zeit gestalten möchten und was ihnen hilft. Angehörige, die einen Sterbenden begleitet haben, berichten von ihren Erfahrungen und liefern wertvolle Unterstützung. Diese Neuauflage bietet aktuelle Infos zum Advance Care Planning und dem Ehegattennotvertretungsgesetz, zur Beihilfe und Assistenz zum Suizid, Möglichkeiten außerhalb der assistierten Sterbehilfe, sowie Ratschläge zum Umgang mit einem geäußerten Sterbewunsch.
Professor Dr. Dr. Berend Feddersen ist Oberarzt und Leiter des Ambulanten Palliative-Care-Teams der Universität München am Klinikum Großhadern. Feddersen ist aktives Mitglied bei der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie, der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin und der European Association of Palliative Care. Seine Interessensschwerpunkte liegen im Bereich der Versorgungsforschung in der Spezialisierten Ambulanten Palliativen Versorgung (SAPV) und der Erforschung neurophysiologischer Grundlagen von Symptomen in der Sterbephase.
Vom richtigen Zeitpunkt
Die Frage nach dem Wann stellt sich im Laufe einer schweren Erkrankung immer wieder: Wann werde ich gesund? Wann werde ich wissen, ob es für mich keine Heilung mehr gibt? Wann werden die Therapien keine Verbesserungen mehr bringen? Ab wann kommt man auf eine Palliativstation? Wann sollte man sich ein Hospiz ansehen? Wann muss ich mit meiner Familie reden, wenn ich zu Hause sterben möchte? Wann darf ich überhaupt denken: Ich sterbe? Und: Wann werde ich sterben?
Abfahrtszeit: unbekannt
So häufig die Frage nach dem Wann gestellt wird, so oft wird entgegnet, wie unbeantwortbar sie sei. Schließlich kennt man doch die Geschichten von den Totgesagten, die ihre düstere Prognose um Monate oder sogar Jahre überlebten! Und hört man nicht umgekehrt immer wieder davon, »wie schnell es plötzlich ging«, wo noch niemand damit gerechnet hatte?
Prof. Feddersen wird permanent konfrontiert mit dem bangen »Wie lange noch?« – von Betroffenen ebenso wie von Angehörigen: »Die meisten Mediziner antworten darauf: ›Das können wir nicht genau prognostizieren, das ist zu individuell und zu unterschiedlich.‹ Natürlich ist diese Aussage grundsätzlich richtig; es ist schwer, das genau vorherzusagen! Trotzdem finde ich persönlich das nicht ganz fair, denn als Arzt entwickelt man ein gewisses Gespür dafür, wie es um den Erkrankten steht, und warum sollte man das nicht mit dem oder der Betroffenen und den Angehörigen teilen? Man kann es ja entsprechend vorsichtig formulieren, indem man einen gewissen Zeitraum angibt: ›nur noch wenige Tage‹, ›einige Tage bis Wochen‹ oder ›Wochen bis Monate‹, je nach Situation. Das ist zwar immer noch eine sehr vage Aussage – und doch können Patientinnen und Patienten damit sehr viel mehr anfangen.«
Wie lange noch?
Luise Ganschor stellt sich dieselbe Frage. Immer mal wieder, seit dem Tag im Herbst 2013, als eine Ärztin der 25-Jährigen nach eigentlich überstandener Krebserkrankung mitteilte, dass Lungenmetastasen entdeckt wurden: »Ich konnte in dem Moment gar nicht weinen, so groß war der Schock. Ich habe die Ärztin gleich gefragt, wie man sterben muss. Es war mein erster Gedanke: ›Wie stirbt man daran? Wie schnell?‹ Man weiß ja, dass die Ärzte einem keine Prognose geben können, aber man will eben einfach eine hören! Man will wissen, wovon sie reden: von ein paar Wochen, von einem Jahr, von fünf Jahren?«
Luises Ärztin klärt sie auf, dass niemand direkt an den Metastasen sterben würde. Man könne sich das eher so vorstellen, als würde man einen Marathon nach dem anderen rennen und wäre davon irgendwann so müde und kaputt, dass man sich ins Bett legt. »Sie meinte auch, dass das Gehirn irgendwann nicht mehr mit so viel Sauerstoff versorgt würde, sodass man träge würde und einfach einschliefe.« Für Luise eine sehr beruhigende Erklärung: »Für manche mag das schlimm klingen, aber ich war erleichtert, zu erfahren, dass ich nicht ersticke. Woher hätte ich das denn wissen sollen?«
»JE WEITER DIE ERKRANKUNG FORTGESCHRITTEN UND JE NÄHER DAS ENDE IST, UMSO GENAUER WISSEN PATIENTEN, WO SIE STEHEN.«
Prof. Berend Feddersen
Luise würde es begrüßen, solche Informationen automatisch zu erfahren: »Ich bin ein Mensch, der die Ärzte ausfragt, ich will alles wissen. Aber es gibt Patienten und Patientinnen, die trauen sich das nicht, und daher wissen sie vieles nicht. Das wäre mir wichtig, dass diese Art der Aufklärung einfach von allein kommt.«
Prof. Feddersen glaubt, manche Kollegen hätten schlicht Angst, etwas Verkehrtes zu sagen und damit falsche Hoffnungen bei den Schwersterkrankten zu wecken. Für ihn erzeugt das aber das genaue Gegenteil: »Mit dem Satz ›Das kann man nicht sagen!‹ lässt man alles offen, und plötzlich stehen eher unrealistische Hoffnungen im Raum.« Er selbst spielt daher manchmal den Ball an die Patientinnen und Patienten zurück: »Wenn ich spüre, eine Person ist ehrlich zu sich, stelle ich ihr die Gegenfrage: ›Was glauben Sie denn? Wie ist Ihr Gefühl?‹« Meist bekommt der Mediziner dann erstaunlich präzise Angaben, die sich nicht selten mit seiner persönlichen Annahme decken: »Da höre ich Antworten wie: ›Ich glaube, meinen Geburtstag in zwei Wochen erlebe ich noch, danach wird es nicht mehr lang gehen.‹ Manchmal sind die Aussagen verwischter; das hängt auch davon ab, wer sich noch mit im Raum befindet. Im Großen und Ganzen haben die Patientinnen und Patienten selbst das beste Gefühl, wie lange es noch dauert. Und meist trifft das erstaunlich präzise zu.«
Hinterm Zeithorizont geht’s weiter
Greta Rose, die ihre schwer krebskranke Freundin Steffi sehr eng begleitet hat, stellte ihr häufig die Fragen: »Hat sich etwas in deiner Wahrnehmung verändert? Spürst du irgendwas?«, doch Steffi entgegnete jedes Mal überzeugt und konsequent: »Nein.«
Steffi, die 33-jährige Mutter eines kleinen Sohnes, ist an Darmkrebs erkrankt. Da der Krebs während der Schwangerschaft nicht entdeckt und erst nach der Geburt diagnostiziert wurde, ist er bereits weit fortgeschritten. Ihr Zeitfenster scheint daher extrem begrenzt zu sein. Und doch überlebt Steffi ihre Prognose um viele Monate. Bis sie ihrer Freundin Greta schließlich an einem Donnerstag im Januar 2014, eineinhalb Jahre nach ihrer Diagnose, eröffnet: »Mein Herz sagt mir, dass ich sterben muss.«
Greta ist heute noch überrascht: »Das war eineinhalb Wochen, bevor sie starb! Ich glaube, sie hat das vorher gar nicht wahrnehmen wollen und einfach ausgeblendet. Erst ganz kurz vor ihrem Tod wurde es wirklich für sie. Vorher war sie nicht in der Lage, es zu akzeptieren, sie hat es vor diesem Tag überhaupt nicht fühlen können, weil sie es einfach nicht wollte! Wer will schon als junge Frau und junge Mama akzeptieren, dass man stirbt? Doch als sie das schließlich realisiert hatte, ging alles ganz schnell. Zwei Tage später stellte sie den Eilantrag fürs Hospiz, ohne dass ich etwas unternehmen musste. Und ich hatte doch vorher immer auf sie eingeredet und zu ihr gesagt: ›Lass uns den Antrag stellen, das wird sonst ganz schön knapp!‹«
Weichenstellungen
Warum erkennt mancher Mensch in dem Moment, wenn er die Diagnose erfährt, dass er daran sterben wird? Warum wollen andere dies auf ihrem Sterbebett noch nicht wahrhaben? Liegt der Schlüssel in der Persönlichkeit? In den Lebensumständen? Sind es religiöse Aspekte?
Dr. Pia Heußner, die als Psycho-Onkologin am Klinikum Großhadern schwer erkrankte und sterbende Patienten betreute, hat beobachtet, dass es manchmal nur eines Moments bedarf: »Wenn der richtige Mensch zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort das richtige Gespräch führt, wird vielleicht nur durch eine einzige Begegnung unendlich viel gefördert und in Gang gesetzt. Dass man es in gewisser Weise akzeptieren kann, dass der Lauf der Dinge so ist: Das Leben endet tödlich für jedes Lebewesen. Letztlich ist es ein Weg, den wir alle gehen werden, manche haben länger und manche kürzer dafür Zeit. Vielleicht laufen die einen einfach ein bisschen schneller? Vielleicht brauchen die einen einfach 90 Jahre, und die anderen sind schon nach 25 Jahren angekommen.«
Für Luise Ganschor ist so eine Begegnung im Leipziger Gewandhaus im November 2013. Initiiert von der Klasse K12B der Medizinischen Berufsfachschule des Universitätsklinikums Leipzig findet ein kostenloses Schminken und Fotografieren für Krebspatientinnen statt. Die Schüler hatten im Ethikunterricht das Buch »Nana … der Tod trägt Pink« kennengelernt. Inspiriert durch Nanas Idee und dem von ihr initiierten gemeinnützigen Verein »Nana – Recover your Smile e. V.« wollen sie dies auch Patientinnen in Leipzig ermöglichen. Luise und ihre Mutter Beate gehören zu den Ersten, die an diesem Tag fotografiert werden, mal vor der riesigen Fensterfront mit Blick auf den Augustusplatz, mal auf einer der zahllosen Treppen im Foyer des 1980er-Jahre-Baus.
EINBLICKE
Prof. Berend Feddersen: Der schwebende Elefant
»Oft sagt ein Sterbender, wenn wir unter uns sind: ›Sagen Sie bloß meiner Frau nicht, wie es um mich steht: Ich werde bald sterben.‹ Und die Ehefrau, die uns nach draußen begleitet, flüstert uns zu: ›Mein Mann stirbt bald, bitte sprechen Sie es nicht an!‹ Für uns ist das immer, als ob ein großer, unübersehbarer Elefant im Raum schweben würde. Daher sagen wir in so einer Situation: ›Und jetzt gehen wir nochmal zurück und sprechen alle gemeinsam darüber, über diesen Elefanten im Raum.‹«
Mehrere Fotografen haben ihre Sets aufgebaut, die Stimmung ist heiter, aus allen Ecken dringt fröhliches Geplapper. Das Team aus München ist an diesem Tag ebenfalls dabei, sie möchten sehen, wie Nanas Idee weiterlebt, auch wenn die...
Erscheint lt. Verlag | 13.11.2024 |
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Zusatzinfo | 20 farbige Fotografien |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Lebenshilfe / Lebensführung |
Schlagworte | 2024 • Abschied, Tod und Trauer • Angehörige • Angehörige von Schwerkranken • begleiteter Suizid • Begleitung Sterbender • eBooks • ehegattennotvertretungsgesetz • Gesundheit • gesundheitliche vorsorgeplanung • hilfe bei sterben tod und trauer • Hospiz • Neuerscheinung • Palliativ Care • Palliative Begleitung • Palliative Care • Palliativmedizin • rechtslage assistierter suizid • Sterbebegleitung • Sterbewunsch • suizidassistenz • Tod |
ISBN-10 | 3-641-33038-6 / 3641330386 |
ISBN-13 | 978-3-641-33038-5 / 9783641330385 |
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Größe: 18,2 MB
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