Von dem Versuch, mich selbst zu zähmen, und dem Mut, es sein zu lassen (eBook)
176 Seiten
SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag
978-3-417-01002-2 (ISBN)
Christine Poppe (Jg. 1989) lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter im Großraum Hannover und befindet sich in der Ausbildung zur Trauma sensiblen Coachin. Als Kind mit Migrationshintergrund ist sie in einer Gemeinde mit sehr engen moralischen Vorstellungen aufgewachsen aus denen sie sich immer mehr herausschälte und zu einem Glauben an einen Gott fand, der sie hält ohne sie einzuengen. Auf Alltagsfreuden.com und ihrem Instagram teilt sie ihr Leben und ihren Glauben mit Menschen, denen es ähnlich geht. In ihrer Freizeit liest sie gern, macht Yoga, bloggt auf Alltagsfreuden.com und genießt die Zeit mit ihrer kleinen Familie und guten Freunden.
Christine Poppe (Jg. 1989) lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter im Großraum Hannover und befindet sich in der Ausbildung zur Trauma sensiblen Coachin. Als Kind mit Migrationshintergrund ist sie in einer Gemeinde mit sehr engen moralischen Vorstellungen aufgewachsen aus denen sie sich immer mehr herausschälte und zu einem Glauben an einen Gott fand, der sie hält ohne sie einzuengen. Auf Alltagsfreuden.com und ihrem Instagram teilt sie ihr Leben und ihren Glauben mit Menschen, denen es ähnlich geht. In ihrer Freizeit liest sie gern, macht Yoga, bloggt auf Alltagsfreuden.com und genießt die Zeit mit ihrer kleinen Familie und guten Freunden.
1. Kann sich ein Mensch ändern?
»Jetzt mal ganz ehrlich. Können Sie mir sagen, ich meine … ist es möglich, dass ein Mensch sich ändert?«
Mein Blick durchbohrte Camila, die christliche Beraterin, die mir gegenübersaß. Ich wollte es wirklich wissen. Alles hing davon ab.
Ich saß auf einem bequemen Sessel gegenüber dieser gelassenen und freundlichen Frau mit spanischem Akzent, die mir scheinbar wirklich helfen wollte. Und dabei so lebenslustig und unbekümmert wirkte. Wie konnte sie das nur sein? Ich fühlte mich gerade so gar nicht nach Leben.
Ihr Blick war offen, und sie schien meine Situation auf eine angenehme Weise nicht allzu ernst zu nehmen. Ich fragte mich, wie sie es schaffte, so locker und gelassen zu sein. So lebendig. Ihre kurzen, schwarzen Haare wirkten irgendwie frech, und wenn sie lachte, warf sie den Kopf zurück, und ihre Augen leuchteten. Wenn es ernster wurde, sah sie mich an mit einem Blick, der sagte: »Ja, ich verstehe. Das macht absolut Sinn, dass du so fühlst«, ohne dass sie dabei dramatisch wurde. Das gefiel mir.
Es war mein zweiter Termin bei Camila. Sie hatte mein Vertrauen bereits gewonnen, als ich das erste Mal bei ihr gewesen war – damals zusammen mit meinem Noch-Ehemann. Nachdem ich ausgezogen war, hatte er darauf bestanden, dass wir gemeinsam eine Therapie machten. Jahrelang hatte ich alles versucht, und jetzt, als ich die Reißleine gezogen hatte, wollte er mich nicht gehen lassen.
Als wir dann gemeinsam bei Camila saßen, war ich wütend und fühlte mich nicht gehört. Nicht zum ersten Mal in meinem Leben. Und nun sollten wir Camila erklären, was unser Auftrag an sie war. Es schien mir, dass nicht klar war, wie hoffnungslos die Situation und wie verzweifelt ich in dieser Beziehung war, und so tickte ich aus. Ich weiß gar nicht mehr, was genau ich sagte, ich erinnere mich nur, dass ich zum Ende meiner Rede schrie. Die Therapeutin sollte einfach verstehen, dass diese Beziehung völlig hoffnungslos war und ich in keinster Weise kooperativ sein würde. Ich wollte einfach nur die Trennung. Und ich wollte, dass mir eine Autoritätsperson bestätigte, dass ich diese Trennung vollziehen durfte. Es war mir egal, ob sie dabei feststellte, dass ich allein schuld am Scheitern dieser Ehe war. Hauptsache, ich musste nicht zurück in diese aussichtslose Situation.
Aber den Gefallen tat Camila mir nicht. Von meinem Verhalten ließ sie sich weder einschüchtern noch hinreißen und gab mir gleichzeitig das Gefühl, ernst genommen zu werden. Sie schlug vor, die kommenden Sitzungen getrennt zu gestalten. Scheinbar konnte sie mit mir und allem, was ich mitbrachte, umgehen. Ich war ihr nicht zu viel. Zum ersten Mal in meinem Leben erlebte ich einen Menschen, der mich und meine Emotionen aushalten konnte und keine Erwartungen an mich hegte.
Und so saß ich ihr in meiner ersten Einzelstunde gegenüber und stellte die Frage, ob ein Mensch sich ändern kann.
Für mich war klar: Wenn nein, dann ist diese Therapie sinnlos. Denn dann würde sich der Mann, mit dem ich zu diesem Zeitpunkt verheiratet war, ja nicht ändern. Und ich würde es auch nicht tun. Dann könnten wir direkt die Flinte ins Korn werfen. Denn wir hätten aus meiner Sicht alles versucht – ohne Erfolg.
Für mich bestand der einzige Ausweg darin, dass einer von uns sich dem anderen anpasste, also so werden musste, wie der andere ihn haben wollte. Nur dann würde es klappen. Doch es widerstrebte mir völlig, mich noch mehr zu verändern. Nicht, weil es zu anstrengend gewesen wäre – vor Arbeit hatte ich mich nie gescheut –, sondern weil ich bereits alles Mögliche an mir geändert hatte und mir selbst dabei immer fremder geworden war. Ich hatte Dingen zugestimmt, die ich eigentlich nicht wollte, wie zum Beispiel ein Haus zu kaufen, weil ich glaubte, dass mein Mann dann glücklicher sein würde.
Es fing mit kleinen Dingen an: meiner Garderobe, mit wem wir uns trafen, ob wir überhaupt Leute trafen. Irgendwann war ich nur noch allein unterwegs. Und ich musste abends früher zu Hause sein, als mir lieb war. Langsam und für mich fast unmerklich veränderte sich auch das, was ich über mich dachte. Ich fing an zu glauben, nicht liebenswert zu sein und als Frau anders sein zu müssen. Ruhiger, zurückhaltender, am besten schüchtern bis unsicher. Ich sollte auch keine Meinung zu irgendwelchen Themen in der Welt oder zu anderen Menschen haben, mich anpassen und nirgendwo anecken. Keine Ansprüche stellen.
Stück für Stück passte ich mich an, wie ich nur konnte, und hoffte, dass er dadurch glücklicher werden, mich lieben würde. Doch es half nichts. Im Gegenteil. Und auch ich selbst wurde dadurch noch unglücklicher. Ich entfernte mich immer weiter von mir selbst und merkte es erst, als kaum noch etwas von mir übrig war.
Schließlich hat etwas in mir die Reißleine gezogen. Ich konnte mich nicht noch mehr verbiegen. Wirklich nicht. Sonst würde ich mich noch mehr verlieren, als ich es ohnehin schon getan hatte. Ich war an mein Äußerstes gegangen und wollte mir nicht ausmalen, was passieren würde, wenn ich noch weiter ginge. Und von meinem Mann konnte ich auch keine Veränderung fordern. Denn dann würde er sich ja genauso fühlen wie ich mich jetzt.
Und dann war da ja noch die Sache mit Gott …
»Du kannst den andern nicht ändern. Du musst an dir arbeiten«, hatte eine gut meinende Frau in der Gemeinde zu mir gesagt.
Genau das hatte ich versucht. Wirklich. Jahrelang hatte ich mich bemüht, dem zu entsprechen, was mein Mann wollte. Und was Gott nach der Meinung meines Umfelds wollte. Ich hatte meine Bedürfnisse verleugnet und mich angepasst. Wieso hatte es trotzdem nicht funktioniert? Weil ich etwas Grundlegendes falsch verstanden hatte. Es ging um Veränderung. Und es ging um mich. Aber anders, als ich immer gedacht hatte. Das wurde mir aber erst allmählich während meiner Therapie bei Camila klar.
Als ich Camila fragte, ob es möglich sei, sich zu ändern, reagierte sie etwas zögerlich: »Ja, grundsätzlich schon. Wenn man wirklich will und an sich arbeitet. Man kann aber nur sich selbst ändern. Nicht den Partner.«
Okay. Scheinbar sagen das alle. Und scheinbar funktioniert es für mich nicht. Denn für mich hatte dieser Ansatz bis dahin alles nur schlimmer gemacht. Je mehr ich mich bemüht hatte, umso mehr waren wir auseinandergedriftet und umso weniger wusste ich noch, wer ich war. Was hatte ich bloß falsch verstanden?
»Was genau bedeutet dieser Satz? Ist diese Ehe nun zu retten oder nicht?« Ich wollte es wissen, also ließ ich mich auf den Prozess ein und hoffte, dass es helfen würde. Und es half auch. Kurzzeitig.
Am Ende haben wir uns doch getrennt. Die Veränderungen, die wir versucht hatten umzusetzen, blieben nicht langfristig bestehen.
Was wir nicht ändern können
Ein paar Jahre später saß ich in einem Vorlesungssaal mit vierzig anderen Studenten und hörte mir eine Vorlesung zu Differentieller Psychologie an. Dabei lernte ich: Den Kern unserer Persönlichkeit können wir nicht ändern. Das, was wir sind, das, was uns ausmacht, unsere ausgeprägten Persönlichkeitsmerkmale, unsere Werte und unsere Geschichte, sind so tief in uns verankert, dass es nicht möglich ist, diese zu ändern.
Inzwischen denke ich, dass Gott uns nicht so einmalig geschaffen hat, nur damit wir uns verbiegen. Ich glaube, der Zweck unserer Existenz ist, dass wir immer mehr von dem ablegen, was uns davon abhält, authentisch und echt wir selbst zu sein und damit die Auswirkung auf unser Umfeld zu haben, für die Gott uns geschaffen hat. Deswegen fühlen wir uns auch nur geliebt, wenn wir so, wie wir sind, gesehen und angenommen werden. Ich bin überzeugt: So hat Gott sich das vorgestellt!
Deswegen müssen wir nicht an uns arbeiten, um so zu werden, wie der andere es sich wünscht. Wir dürfen erkennen, dass wir so, wie wir sind, von Gott geschaffen wurden, um in dieser Zeit, in der Familie, in die wir geboren wurden, in dem Kontext, in dem wir stehen, mit unseren Gaben und unseren Ecken und Kanten in die Welt zu bringen, was wir zu geben haben. Damit wir sie verändern. Nicht, damit wir uns ihr anpassen.
Weil dein Herz es wert ist zu heilen
Was können wir tun, und worin liegt die Hoffnung für eine gelingende Partnerschaft, ja für ein gelingendes Leben? Ich denke, wir können zuallererst anfangen hinzusehen. Können uns sehen. Den anderen sehen. Hinter das oberflächliche Verhalten blicken. Unsere Verletzungen anschauen. Sie annehmen und heilen lassen, sodass sich das daraus resultierende dysfunktionale Verhalten langsam ändern kann.
Meiner Erfahrung nach braucht es extrem viel Energie, wenn wir versuchen, ein Verhalten zu ändern, das aus einer Wunde stammt, ohne sie vorher heilen zu lassen. Und es führt letztlich nicht zum Ziel. Denn wenn diese Wunde nicht richtig heilt, dann reißt sie ständig wieder auf, eitert und führt immer dann, wenn wir uns nicht mehr unter Kontrolle haben, zu einem Verhalten, das uns von uns selbst und von anderen entfernt. Manche glauben, der richtige Weg sei es, zu lernen sich zu kontrollieren. Aber das funktioniert nur so lange, wie deine Kraft dafür ausreicht. Und für mich passt es auch nicht zu Jesu Aussage: »Die Last, die ich euch auflege, ist leicht« (vgl. Matthäus 11,30). Ich denke, Jesus möchte nicht, dass wir mit viel Anstrengung unsere Wunden und ihre Auswirkungen verbergen, sondern er wünscht sich, dass unsere Verletzungen in einem liebevollen, weichen, warmen Licht zum Vorschein kommen und dort heilen können.
Für mich war es so wertvoll, diese Wunden heilen zu lassen. Und ich bin überzeugt davon, dass Heilung nicht nur wichtig ist, damit unsere Ehen bestehen bleiben oder (wieder) besser werden. Nein, sie ist wichtig,...
Erscheint lt. Verlag | 1.3.2024 |
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Verlagsort | Witten |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Lebenshilfe / Lebensführung |
Schlagworte | Christliche Ehe • christliche Moral • Dekonstruktion • Enge • Frausein • Freischwimmen • Fundament • gesundes Selbstbild • Glaube • Ideale • Identität • Mannsein • Rollenbild • Scheidung |
ISBN-10 | 3-417-01002-0 / 3417010020 |
ISBN-13 | 978-3-417-01002-2 / 9783417010022 |
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