Brennpunkt Deutschland (eBook)

Armut, Gewalt, Verwahrlosung - Neukölln ist erst der Anfang

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
256 Seiten
Quadriga (Verlag)
978-3-7517-1859-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Brennpunkt Deutschland -  Falko Liecke
Systemvoraussetzungen
18,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen

Der Berliner Bezirk Neukölln steht seit etlichen Jahren für Armut, Arbeitslosigkeit, Gewalt, Verwahrlosung, Selbstjustiz, Autoritätsverlust und Staatsverachtung. Doch seit der Corona-Pandemie haben sich die Zustände um ein Vielfaches verschlimmert. Denn nach Sonderausgaben in Milliardenhöhe bleibt kein Cent mehr für die Finanzierung sozialer Projekte. Falko Liecke arbeitet seit mehr als einem Jahrzehnt als Stadtrat für die Bereiche Jugend, Gesundheit und nun Soziales. Er kämpft seit 2009 gegen die soziale Misere an, wird jedoch massiv verbal und körperlich angefeindet: von gewaltbereiten Extremisten, Clan-Mitgliedern und dem linken Milieu. Keinem CDU-Mann wird so häufig die Rassismus-Keule um die Ohren gehauen wie Liecke. Und das nur, weil er die Missstände offen anspricht.

»Packend geschrieben, lebensnah, engagiert und kenntnisreich, mit klugen Konzepten und Lösungsansätzen - macht Spaß, das zu lesen, auch wenn der Inhalt so viel Sorge macht.« Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft

»Wer über die dramatischen Umstände in Berlin-Neukölln mit klaren Worten aus eigener beruflicher und persönlicher Erfahrung spricht, muss mutig sein. Dieses Buch ist mutig. Es geht unter die Haut und rüttelt wieder einmal auf. Der Gegenwind kommt in der Regel von allen Seiten; ungebremst. Das muss man aushalten können. Falko Liecke hält es aus, schreibt ehrlich, offen und vor allem lösungsorientiert mit viel Liebe für seinen Bezirk.« Seyran Ate?, Rechtsanwältin und Autorin




Falko Liecke (* 30. Januar 1973 in Berlin) ist ein deutscher Kommunalpolitiker, seit 2009 arbeitet er in diversen Funktionen im Berliner Brennpunktbezirk Neukölln: als Stadtrat für Bürgerdienste und Gesundheit bzw. Jugend und Gesundheit und stellvertretender Bezirksbürgermeister. Liecke ist ein führendes Mitglied der CDU Berlin und seit 2015 Kreisvorsitzender der CDU Neukölln; seit 2019 ist er auch stellvertretender Landesvorsitzender der Partei.

Falko Liecke (* 30. Januar 1973 in Berlin) ist ein deutscher Kommunalpolitiker, seit 2009 arbeitet er in diversen Funktionen im Berliner Brennpunktbezirk Neukölln: als Stadtrat für Bürgerdienste und Gesundheit bzw. Jugend und Gesundheit und stellvertretender Bezirksbürgermeister. Liecke ist ein führendes Mitglied der CDU Berlin und seit 2015 Kreisvorsitzender der CDU Neukölln; seit 2019 ist er auch stellvertretender Landesvorsitzender der Partei.

Raubzüge, Morde und Staatsverachtung


Im Morgengrauen geht es los. Drei Einsatzwagen der Berliner Polizei, zwei Dutzend Beamte und zwei Maler, die ihr Gesicht hinter Atemmasken verstecken, entfernen gegen sechs Uhr des 21. September 2018 das Wandbild des ersten Berliner Intensivtäters Nidal Rabih, der bundesweit als »Mahmoud« (nicht zu verwechseln mit Mahmoud Al-Zein) große Aufmerksamkeit erregt hat. Mit erst zehn Jahren wurde er das erste Mal auffällig, mit fünfzehn Jahren wurde er wegen gefährlicher Körperverletzung zu dreiundzwanzig Monaten Haft verurteilt. Raub, Gewalt und Haft prägen sein Leben. 2003 wurde nicht zuletzt seinetwegen die Intensivtäterabteilung der Berliner Staatsanwaltschaft gegründet.

Gemeinsam mit dem Leiter des örtlichen Polizeiabschnitts beobachte ich jetzt mit einiger Zufriedenheit, wie schnell das Konterfei des Mannes entfernt wird. Es dauert nur Minuten, und aus dem bundesweit bekannt gewordenen Sinnbild für die Glorifizierung eines Intensivtäters wird eine weiße Wand. Am Ende war der Polizeischutz unnötig. Aber es hätte auch anders ausgehen können, wie mir vom langgedienten und erfahrenen Abschnittsleiter zur Verabschiedung zugeraunt wird.

Zwölf Tage zuvor wurde Nidal Rabih vor den Augen seiner Kinder und seiner Frau in aller Öffentlichkeit mit acht Kugeln förmlich hingerichtet.

Dieser 9. September 2018 war einer solcher Tage, die man als Berliner nur draußen verbringen kann. Einer der schönsten Spätsommertage dieses Jahres mit 26 Grad, Sonnenschein und leichtem Luftzug über das weite und gut besuchte Tempelhofer Feld bis hinüber in die Neuköllner Oderstraße, die direkt an den Anita-Berber-Park grenzt. Hier war Nidal Rabih gerade auf dem Weg zum Eiswagen, um für seine beiden Kinder noch ein Eis zu kaufen.

Aus einer Seitenstraße kam plötzlich ein Mann auf ihn zugerannt. Als er nur noch zehn Meter von dem berüchtigten Intensivtäter Nidal Rabih entfernt war, eröffnete er das Feuer. Drei Schüsse trafen Nidal Rabih in den Rücken, andere in Fuß und Wade. Der Attentäter lief um ihn herum und feuerte weiter. Projektile schlugen in den Eiswagen ein, an dem wie durch ein Wunder gerade keine Kinder warteten. An diesem Tag war bisher Hochbetrieb gewesen. Nidal Rabih blieb noch zwei oder drei Sekunden stehen, dann brach er zusammen. Der Täter flüchtete in einem an der Oderstraße wartenden Golf VI, in dem mindestens zwei Komplizen warteten. Augenzeugen zufolge sollen weitere Beteiligte der Tat in einem in der Leinestraße wartenden Renault vom Tatort geflüchtet sein. Nidal Rabih starb kurze Zeit später in einem Berliner Krankenhaus.

Die Hintergründe der Tat sind noch immer weitgehend unbekannt. Es gibt Gerüchte über Kränkungen im engsten Familienkreis der Clans. Über Prügeleien auf Hochzeiten, unliebsame Geschäftsbeziehungen und Seitenwechsel zwischen den Fronten verfeindeter Familien. Einer Geschichte zufolge könnte der Mord an Nidal Rabih auf ein Ereignis zwei Tage vor der Tat zurückzuführen sein. Am 7. September soll Nidal Rabih auf der Hochzeit einer Neuköllner Großfamilie Vedat S. getroffen haben. Der Berliner mit türkischen Wurzeln ist in der Szene wohlbekannt und wurde bereits mehrfach verurteilt, unter anderem wegen des Überfalls auf das Pokerturnier im Berliner Hyatt-Hotel im März 2010 mit einer Beute von 244.000 Euro. Im Prozess um den Pokerraub hatte Vedat als Kronzeuge ausgesagt und damit seine Komplizen, insbesondere den Kopf des Überfalls, Mohammed »Momo« Abou-Chaker, schwer belastet. Zudem soll er im Juni 2018 fünfzehn Schüsse auf ein Restaurant von Arafat Abou-Chaker abgefeuert haben. Nidal Rabih, der sich seit Kurzem als enger Freund des Abou-Chaker-Clans und besonders des Clanbosses Arafat sah, muss das als Chance zur Profilierung im verstrickten Beziehungsgeflecht der Familien gesehen haben.

Dazu muss man wissen, dass Nidal Rabih aus einer kleinen Familie stammt, die im Machtkampf der Clans nur wenig zu sagen hat. Seine einzige Chance auf das große Geld, auf Anerkennung und einen kleinen Teil der Macht bestand darin, seine Dienste den großen Familien anzubieten. Er wollte Helfershelfer der Großen sein, nachdem seine Alleingänge ihm bisher nur lange Jahre im Knast eingebracht hatten. Bedingungslos zur Schau gestellte und bis hin zur Absurdität gesteigerte Loyalität war dazu sein Mittel der Wahl.

Auf der Hochzeit eskalierte die Situation. Man kann nur spekulieren, unter welchen Drogen Nidal Rabih zu diesem Zeitpunkt stand, Tilidin war fast sicher dabei. Er schlug vor den Augen der Familie auf Vedat ein, demütigte und beschimpfte ihn als Verräter. Auch Schusswaffen sollen erhoben, aber nicht genutzt worden sein. Selbst die Schlichtungsversuche angesehener Clanbosse wurden wüst ausgeschlagen. In den Augen der Clans war dieser Abend eine Kränkung der Familienehre, die nicht hingenommen werden konnte. Nidal Rabih könnte damit sein Schicksal besiegelt haben, das sich zwei Tage später erfüllte, wenn die Geschichte denn stimmt.

Ob die Begegnung auf der Hochzeit wirklich der Auslöser des Mordauftrags war, darf aber genauso gut bezweifelt werden. Denn bereits einige Tage zuvor wurden Schüsse auf ein Wettbüro in Britz abgegeben, in dem sich Rabih regelmäßig aufhielt. Es gab Verletzte, Rabih war nicht darunter. Auch aus einem Café an der Sonnenallee musste er fliehen, als ein Trupp von dreißig Personen den Laden zerlegte. Nachdem er in filmreifen Szenen vor den Verfolgern floh, fuhr er seinen Porsche zu Schrott und entkam zu Fuß. Im Clan-Milieu hieß es bereits: »Wenn er so weitermacht, ist er bald tot.«

Zurück zum Tempelhofer Feld. Das Graffito, das kurz nach der Tat als heroisierendes Andenken von Unbekannten am Tatort angebracht wurde und tagelang zu sehen war, wurde weithin als Provokation empfunden. Als Machtdemonstration und als Verherrlichung eines kriminellen Lebensstils. Auch deshalb habe ich mich als Jugendstadtrat darum gekümmert, das Wandbild in unmittelbarer Nähe zu zwei meiner Jugendklubs entfernen zu lassen. Vorbilder wie Nidal Rabih sind das Letzte, was die Jugendlichen in Neukölln brauchen. Für mich war das auch ein sehr wichtiges Signal an die Neuköllnerinnen und Neuköllner, dass der Staat solche Wallfahrtsorte nicht unwidersprochen hinnimmt und klare Kante zeigt.

Mit zehn Tagen hat mir das alles aber viel zu lange gedauert. Die Berliner Verwaltung kommt an ihre Grenzen, wenn ein illegales Graffito an der Rückwand eines an einen Imbissbetreiber verpachteten Gebäudes steht, dessen Grundfläche zum von der landeseigenen Gesellschaft Grün Berlin bewirtschafteten Tempelhofer Feld gehört, die Rückseite aber auf öffentliches Straßenland zeigt und die Fachaufsicht führende Senatsverwaltung für Wirtschaft kein überragendes Interesse an einer Beseitigung des Bildes zu erkennen vermag. Angesichts dieser grotesken Situation war ich kurz davor, selbst einen Eimer Farbe zu besorgen und das Ding zu entfernen. Auf Anraten des mir vertrauten Polizeiführers habe ich davon abgesehen und noch ein wenig gewartet. Das Graffito wurde letztlich entfernt, nur darauf kommt es an.

Anders als der im Prolog geschilderte Vorfall am Campus Rütli im August 2020 vermuten lässt, sind es nicht die Al-Zeins, die in Neukölln den Ton angeben. Es sind nicht die Miris, die mit aufsehenerregenden Raubzügen, Morden und Schießereien auf offener Straße auf sich aufmerksam machen. Es sind auch nicht die Abou-Chakers oder Chahrours, die einen offenen Herrschaftsanspruch auf ganze Straßenzüge – mehr als nur 4 Blocks – geltend machen. Die kriminellen Teile dieser Familien sind clever genug, ihre dreckigen Geschäfte meist unter dem Radar der Öffentlichkeit zu halten. Arafat, das Oberhaupt des Abou-Chaker-Clans, stand lediglich wegen Differenzen mit seinem ehemaligen Geschäftspartner und wegen Steuervergehen vor Gericht. Anders zahlreiche Angehörige des Remmo-Clans, die wegen Mordes, brutalen Raubs oder einer geklauten Goldmünze vor Gericht standen.

Natürlich bin ich vorsichtig. Auch weil die Clans schnell mit teuren Anwälten zur Stelle sind, denen es eine einfache Übung geworden ist, leichtfertige Schreiber zum Schweigen zu bringen. Ich schreibe daher nicht alles, was ich weiß. Ich wäge ab, was für das Verständnis der Bedrohung durch große Teile dieser Familien unbedingt notwendig ist und was ich noch verantworten kann. Wo ich konkretes Wissen nicht aus öffentlichen Quellen nachweisen kann und mich daher angreifbar machen würde, verfälsche ich personenbezogene Daten und bestimmte wiedererkennbare Umstände. Nie jedoch den Kern der Geschichte, nie die Aspekte, die für die Schlussfolgerungen entscheidend sind.

Heißt Noah im Kapitel zum Kinderschutz in Clans wirklich Noah? Natürlich nicht. Der Name ist aber auch nicht wichtig. Wichtig ist, dass etliche Jungen wie er unter ihren kriminellen Familien leiden und nie eine echte Chance bekommen, es besser zu machen als ihre Versagerbrüder. Die Geschichte ist auch ohne den echten Namen wahr, und sie reicht aus, um sich ein Bild zu machen.

Öffentlich tritt in Neukölln vor allem eine Familie auf, deren Machtzentrum im beschaulichen Buckow, weit südlich der pulsierenden Innenstadt Neuköllns liegt. In eher dörflichem Charakter hält sich dort immer mal wieder, gegenüber der über siebenhundert Jahre alten Dorfkirche, Issa Remmo auf, das Oberhaupt des Clans. Der Erwerb der dort gelegenen Residenz, einer eher schlecht gepflegten Stadtvilla, ist eng mit dem ersten öffentlich bekannt gewordenen Mord im Neuköllner Clanmilieu verknüpft. Denn schon sechzehn Monate vor den Schüssen auf Nidal Rabih wurde ein Mann auf offener Straße in Neukölln regelrecht hingerichtet.

Der 17. Mai 2017 ist ein sehr warmer und sonniger Frühlingstag, der den nahenden...

Erscheint lt. Verlag 25.2.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Abhängig • Alkohol • Angst • Arbeitslose • Armut • Ausländerfeind • Ausstieg • Autorität • Bahnhof • Bedrohung • Bildungsmisere • Brandanschlag • Buschkowski • Clan-Mitglieder • Corona • Drogen • Extremisten • Fehlentwicklung • Frauenhäuser • Gericht • Geringverdiener • Gesellschaft • Gewalt • Islamismus • Jugendliche • Kopftuch • Krieg • Linksextremismus • Mieten • Mord • Morddrohungen • Mut • Nazis • Pandemie • Perspektive • Politiker • Psychisch krank • Rassismus • Raub • Schüler • Schulsystem • Selbstjustiz • Sozialarbeiter • Spritzen • spziale Projekte • Staatskassen • Staatsverachtung • Steuerausfälle • Suchthilfe • Suchtkrank • Unterdrückung • verurteilt • Verwahrlosung
ISBN-10 3-7517-1859-1 / 3751718591
ISBN-13 978-3-7517-1859-2 / 9783751718592
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Ohne DRM)

Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopier­schutz. Eine Weiter­gabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persön­lichen Nutzung erwerben.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Wie aktivistische Wissenschaft Race, Gender und Identität über alles …

von Helen Pluckrose; James Lindsay

eBook Download (2022)
C.H.Beck (Verlag)
16,99
Wie aktivistische Wissenschaft Race, Gender und Identität über alles …

von Helen Pluckrose; James Lindsay

eBook Download (2022)
C.H.Beck (Verlag)
16,99
Die globalen Krisen und die Illusionen des Westens

von Carlo Masala

eBook Download (2022)
Verlag C.H.Beck
12,99