Der Gesang des Eises (eBook)
288 Seiten
O.W. Barth eBook (Verlag)
978-3-426-46404-5 (ISBN)
Annabelle Wimmer Bakic studierte klassische Archäologie, Kunstgeschichte und Germanistik und war viele Jahre in der Kunstszene tätig. Heute arbeitet sie als Schamanin mit eigenen Praxen in Prien am Chiemsee und München, hält national und international Seminare und bildet aus. Sie begründete die Disziplin der spirituellen Archäologie. Basierend auf der Verbindung von schamanischem Wissen und neuester neurologischer Forschung entwickelte sie darüber hinaus die schamanische Heiltherapie. https://www.annabelle.world/
Annabelle Wimmer Bakic studierte klassische Archäologie, Kunstgeschichte und Germanistik und war viele Jahre in der Kunstszene tätig. Heute arbeitet sie als Schamanin mit eigenen Praxen in Prien am Chiemsee und München, hält national und international Seminare und bildet aus. Sie begründete die Disziplin der spirituellen Archäologie. Basierend auf der Verbindung von schamanischem Wissen und neuester neurologischer Forschung entwickelte sie darüber hinaus die schamanische Heiltherapie. https://www.annabelle.world/
2
Trommeln aus einer anderen Welt
Lange habe ich nicht mehr an die Zeiten in Hetzenbichl auf dem Samerberg im Chiemgau gedacht, wo ich mit meinen Großeltern viele Wochenenden verbrachte. Ich streifte durch Wald und Flur, erkundete jeden Stein und jeden Grashalm und besuchte meine Freunde in der Natur. Ich fühlte mich mit allem verbunden. Alles war im Fluss, fühlte sich selbstverständlich an und zugleich bedeutungsvoll. Oft durfte ich in den Stall gehen und der Bäuerin beim Melken helfen. Dazu sang ich Lieder, die ich im Religionsunterricht gelernt hatte und leicht abwandelte, damit sie zu den Kühen passten. Die Bäuerin meinte, wenn ich für sie sänge, würden die Kühe ruhiger und gäben mehr Milch. Es war eine wundervolle Zeit.
Warum fallen mir diese Erlebnisse ausgerechnet jetzt ein? Was bedeutet das? Geht es um ein ursprünglicheres, naturverbundeneres Leben?
Ich frage Stefan um Rat. Zu meinem Erstaunen sagt er mit einem Schulterzucken: »Dann ziehen wir eben aufs Land, wenn das für dich wichtig ist. Von dort können wir schließlich auch arbeiten. Vielleicht wäre das eine schöne Abwechslung für uns zwei Städter.«
Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich darum geht, und sage nichts dazu. Die Bilder aus meiner Kindheit zeigen mir nicht allein das Glück, sondern eine große Zufriedenheit und tiefe Sinnhaftigkeit, die ich bei allem empfand. Es gab keine Trennung zwischen innen und außen, zwischen meiner eigenen und der äußeren Welt.
Aber nun bin ich erwachsen. Das Leben ist nicht mehr so einfach wie damals, und Geld muss ich auch verdienen. Vielleicht geht es bei meiner Sehnsucht auch nicht um Glück, sondern um den Sinn? Ich bin achtunddreißig Jahre alt und muss mir die Frage stellen, wofür ich stehe, wer ich bin und was mir wirklich wichtig ist.
Womöglich geht es um den Sinn meines Lebens. Das große, pathetische Wort lässt mich zurückschrecken. Gibt es den überhaupt, den Sinn des Lebens?
Auf der Suche nach mir selbst bin ich stets vorangeschritten. In vielem bin ich hinlänglich begabt, ich hätte es in einigen Bereichen weit bringen können. In der Archäologie wie in der Kunst, im Designstudium wie auch im Marketing habe ich mir in jeweils kurzer Zeit eine gute Position erarbeitet, doch nirgends hat es mich länger gehalten. Nirgends hat es sich für mich gelohnt zu bleiben. Es war alles so leicht, so selbstverständlich und wurde irgendwann beliebig. Wie ein Spiel, das nach einiger Zeit langweilig wird. Denn tief in mir drin ist, solange ich denken kann, immer etwas unbefriedigt und unerfüllt geblieben.
Und nun? Stehe ich schon wieder an einem Wendepunkt. Werfe ich erneut alles hin und wende mich etwas Neuem zu? Anders als in früheren Zeiten gibt es heute keinen Impuls von außen, keine Perspektive, die mir Kraft und Gewissheit gibt. Ich spüre, wie mich Unsicherheit beschleicht. Was ist, wenn ich mir etwas vormache und mich einfach in eine neue Herausforderung verrenne? Vielleicht habe ich nicht gerade einen Traumjob, aber ich habe eine gute Position. Das ist immerhin etwas.
Doch Zweifel nagen an mir. Was, wenn mein Leben morgen plötzlich zu Ende wäre? Wäre ich zufrieden mit meiner Wahl? Nein. Das alles wäre nicht genug. Ich hätte das Gefühl, das Wesentliche verpasst und an mir selbst vorbeigelebt zu haben, womöglich, ohne es überhaupt zu bemerken. Aber wohin soll es gehen? Wohin kann ich mich wenden, um eine Antwort auf meine Fragen zu finden?
Eines Abends im Februar, einige Wochen nach der Geburt unserer zweiten Tochter, sitzen Stefan und ich beim Essen. Er spürt, wie unzufrieden ich bin. Ich bin ein Mensch der Tat und bringe die Dinge gern voran, doch nun weiß ich nicht weiter. Das macht mich fertig.
Mein Mann schaut mich an und sagt: »Wir brauchen eine Perspektive für dich. Nichtstun ist keine Lösung. Dann lieber den nächsten Schritt gehen, egal wohin, auch wenn nicht klar ist, ob es Sinn ergibt. Das ewige Herumsitzen zu Hause ist nicht gut für dich, es schlägt dir aufs Gemüt. Überleg, ob du morgen nicht mal rausgehst, in der Stadt einen Kaffee trinkst, unter Leute kommst oder mal wieder eine Ausstellung besuchst. Mach etwas Schönes für dich, ich nehme mir frei und pass auf die Kinder auf.«
Es ist ein wunderbares Angebot, das ich gern annehme. Ich beschließe, einen Tag Ferien vom eigenen Ich zu machen.
Am nächsten Morgen schlage ich nach dem Frühstück zu Fuß den Weg ins Stadtzentrum ein. Auf eine Ausstellung habe ich keine Lust. Lieber will ich ein wenig schlendern und gucken, die Leute beobachten und mich ohne Ziel dem Strom überlassen. Ich genieße die ruhigen Isarauen, dann die urbane Atmosphäre mit den bunten Angeboten und Annehmlichkeiten der Stadt, gehe in ein Café und bummele durch die Fußgängerzone. Am Nachmittag komme ich an einer Buchhandlung vorbei und gehe, einem Impuls folgend, hinein. Ich spaziere an den Regalreihen entlang und suche mir den Roman einer amerikanischen Schriftstellerin aus, die über den Kunstmarkt schreibt. Für Stefan nehme ich eine Familiengeschichte aus Afrika mit.
Auf dem Weg zur Kasse komme ich an der Rubrik Lebenshilfe vorbei. Hier bin ich noch nie stehen geblieben, schließlich wusste ich mir immer selbst zu helfen. Nun riskiere ich doch einen Blick. Doch schon die Umschläge der Bücher und ihre Titel schrecken mich ab. Alles kommt mir so banal vor, so simpel. Da fällt mein Blick auf einen Band, auf dem ein etwas wild aussehender Mann in indigener Tracht abgebildet ist. Interessiert betrachte ich das Gesicht … es zieht mich in seinen Bann, und ich greife nach dem Buch. Es handelt sich um eine Sammlung von Interviews mit Schamanen weltweit.
Ich stutze. Was ist noch mal ein Schamane? Ich erinnere mich, davon schon einmal gehört zu haben. Ein Schamane ist so etwas wie ein Medizinmann, aber der Typ auf dem Umschlag sieht Gott sei Dank nicht so aus, wie ich mir einen Medizinmann vorstelle. Ich schlage das Buch auf und lese ein paar Sätze aus einem der Interviews. Hört sich nicht schlecht an. Altes Wissen für eine neue Zeit. Ich beschließe, das Buch zu kaufen. Auch, weil es mir unangenehm ist, vor dieser Auslage zu stehen. Es könnte jemand, den ich kenne, vorbeikommen und sich fragen, ob ich ein Problem habe.
Ich gehe nach Hause, mache mir einen Tee und ziehe mich ins Schlafzimmer zurück, um dem Gewusel im Wohnzimmer zu entkommen. Auf dem Bett liegend, schaue ich aus dem Fenster. Es hat angefangen zu schneien. Dicke Flocken sinken langsam vom Himmel herab, jede von ihnen ein Unikat. Schnee habe ich schon immer geliebt. Das Schweben der Flocken bringt sein eigenes Zeitsystem mit sich. Es hilft mir, zur Ruhe zu kommen, den Alltag loszulassen und mein Umfeld zu vergessen.
Irgendwann reiße ich mich von dem Anblick los und schlage das Buch auf. Die interviewten Schamanen kommen aus allen Teilen der Welt, offenbar gibt es sie überall. Ich starte mit der Einführung, die erklären will, was Schamanen sind und warum ihr altes Wissen für das Heute wichtig ist. Der Text überzeugt mich nicht, auch da er merkwürdig unklar bleibt.
Trotzdem lese ich weiter, stoße auf ein Gespräch mit einem Schamanen aus dem Regenwald, der unter anderem über bewusstseinserweiternde Substanzen spricht. Das schreckt mich ab. Arbeiten Schamanen so?
Ich erinnere mich an eine Erfahrung mit Mitte zwanzig. Ich war mit Freundinnen in Amsterdam, und wir teilten uns einen Haschkeks, der es in sich hatte. Ich litt unter starken Halluzinationen und erlebte eine schreckliche Nacht voller Albträume. Danach wusste ich: Das ist nichts für mich. Seitdem habe ich von Drogen die Finger gelassen.
Ich blättere weiter und stelle fest, dass es vor allem Männer sind, die interviewt werden. Gibt es keine Frauen, die als Schamanen arbeiten?
Schließlich komme ich zu einem Interview mit einem grönländischen Schamanen. Das Bild von ihm gefällt mir, er sieht nett aus. Außerdem finde ich Grönland aufregend, dort war ich noch nie. Vielleicht ist es ein bisschen wie Island? Dort war ich schon mal, und die raue, ursprüngliche Landschaft hat mich sehr beeindruckt.
Ich fange an zu lesen. Das Interview ist zunächst leicht und unkompliziert, wird jedoch zunehmend komplex, und ich tauche immer tiefer ein. Mich fasziniert, wie dieser Grönländer mit dem klingenden Namen Ankaara auf die Fragen antwortet. Es ist eine gelungene Mischung aus modernen Ansichten und einer fremden, sehr alten Kultur, die immer wieder zwischen den Zeilen durchleuchtet. Er spricht über die Landschaft seiner Kindheit und die Schönheit dieser unberührten Wildnis. Ich spüre seine tiefe und bedingungslose Verbindung zu diesem Land, das eine eigene Sprache zu sprechen scheint und dem Schamanen sein Wissen preisgibt. Alles wirkt erhaben, ist voller Bedeutung. In mir entsteht das Bild einer auratischen Welt. Selbst der kleinste Stein hat seinen ganz eigenen Glanz. Dieser Schamane empfindet die grönländische Wildnis als Teil seines Selbst und zugleich als Teil von etwas viel Größerem. Ich spüre, dass mir die Tränen kommen. Erst wenige, dann immer mehr. Unaufhaltsam.
Was ist denn los mit mir?
Ankaara spricht von den wichtigen Plätzen der Inuit und von jahrtausendealtem Wissen. Die Plätze erscheinen vor meinem inneren Auge, ich sehe Hügelketten und Bergspitzen, Täler und Fjorde, ein weites Land aus Eis und Schnee. Und ich sehe Stellen, an denen der Ozean durch die Eisdecke bricht, tiefblaues Meerwasser, das zwischen schneebedeckten Eisplatten hindurchdringt. Ankaara, der Schamane, erzählt von Ritualen, von der Kommunikation mit der Natur und den Geistern. Ich stelle mir vor, wie er diese Rituale vorbereitet, wie er an bestimmten Stellen Steine aufeinanderschichtet. Die Bilder in meinem Kopf erinnern mich an mich selbst, wie ich als...
Erscheint lt. Verlag | 1.2.2022 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Esoterik / Spiritualität |
Schlagworte | Abenteuer Frau • Altes Wissen • Ankaara • Annabelle Wimmer Bakic • Arktis • Autobiografien Frauen • Biografien Frauen • Das heilende Bewusstsein • Energie-Medizin • Erfahrungeberichte • Erfahrungen und wahre Geschichten • Erfahrungsbericht • erzählte Spiritualität • Ganzheitliche Heilung • geschenkbuch spirituell • Grönland Schamanen • heiliges Wissen • Initiation • Initiationsritus • Leben mit den Schamanen • Lebensbilder • Lebensgeschichten Frauen • Lebensreise • Mittlerin der Welten • Naturverbundenheit • poetische spiritualität • Prophezeiung • Reiseberichte Frauen • Schamanen Bücher • Schamanin • schamanische Heiltherapie • schamanische Rituale • schamanisches Heilwissen • Schamanismus • Selbstfindung Frau • Sinnsuche • Sinnsuche Frau • Sinnsuche Grönland • spirituelle Biografie • spirituelle Bücher • Spirituelles Erwachen • spirituelles Geschenk • starke frauen biografien • Wahre GEschichte • wahre geschichten bücher • Weisheit |
ISBN-10 | 3-426-46404-7 / 3426464047 |
ISBN-13 | 978-3-426-46404-5 / 9783426464045 |
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