Gut genug genügt (eBook)

Zehn zeitlose Weisheiten für eine gelassene Erziehung
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
116 Seiten
Ernst Reinhardt Verlag
978-3-497-61477-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Gut genug genügt -  Maria Kurz-Adam
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Erziehungsfragen sind nie ausdiskutiert. Eltern machen sich Sorgen um die Entwicklung Ihres Kindes oder haben Angst, in der Erziehung zu scheitern - und sie suchen Antworten: Wie kann ich mein Kind trösten? Wie gehe ich mit der Angst / der Wut meines Kindes um? Meist lassen sich solche Fragen nicht allgemeingültig beantworten - die zehn klassischen 'Weisheiten' in diesem Buch können aber dabei helfen, die Eltern-Kind-Beziehung besser zu verstehen und einen individuellen Weg zu finden. Sie sollen entlasten und Gelassenheit vermitteln - etwas, das in der heutigen Zeit oft zu kurz kommt. Ein leicht zu lesendes Buch, das Mut macht!

Dr. Maria Kurz-Adam, Dipl.-Psychologin, über 30 Jahre lang wissenschaftliche und praktische Arbeit in der Kinder- und Jugendhilfe, u. a. Wissenschaftl. Referentin (DJI), Prof. f. Psychologie, Leiterin des Stadtjugendamtes München, Mitherausgeberin der Zeitschrift "unsere Jugend", Autorin mehrerer Bücher.

Dr. Maria Kurz-Adam, Dipl.-Psychologin, über 30 Jahre lang wissenschaftliche und praktische Arbeit in der Kinder- und Jugendhilfe, u. a. Wissenschaftl. Referentin (DJI), Prof. f. Psychologie, Leiterin des Stadtjugendamtes München, Mitherausgeberin der Zeitschrift "unsere Jugend", Autorin mehrerer Bücher.

Was für ein Kind möchten Sie?

(Bruno Bettelheim)

Zwischen den Jahren 1948 und 1952 hat sich an der Universität Chicago zweimal im Monat in den Abendstunden eine Reihe von Müttern zusammengefunden, um sich über Fragen der Erziehung ihrer kleinen Kinder auszutauschen. Es waren moderne Mütter, junge Frauen, deren Männer, aus dem Krieg zurückgekehrt, ihr Studium an der Universität aufnahmen. Die jungen Familien lebten in kleinen Siedlungen in enger Nachbarschaft zusammen. Die Mütter kannten sich zumeist gut, halfen sich gegenseitig aus, sie interessierten sich füreinander und dafür, das Richtige für die Zukunft ihrer Kinder zu tun. Sie wollten nicht mehr den althergebrachten Traditionen ihrer Eltern folgen, sie lasen Fachbücher der Kinderpsychologie und Erziehungsratgeber, sie stellten sich und anderen Fragen, welchen Ratschlägen sie folgen sollten. Das Interesse für die Kinderpsychologie war in den USA das Kennzeichen der aufstrebenden Familien der Mittelschicht.

Die Gesprächsrunden entstanden aus dem Bedürfnis der Mütter und – der wenigen teilnehmenden – Väter, ganz konkrete Erziehungssituationen in ihrem Alltag mit den Theorien, die in den universitären Vorlesungen zur Kinderpsychologie vermittelt wurden, in Beziehung zu bringen. In den Gesprächen ging es um „normale“ Kinder in modernen Familien. Fragen des Alltags wie etwa Eifersucht und Streit zwischen den Geschwistern, der Zeitpunkt und die Methoden der Sauberkeitserziehung, die Dauer des Stillens, Umgang mit Zorn und Wut, die richtige Form der Berührung, das Aufstellen von Verboten und Grenzen wurden zum Gegenstand der Diskussionen. Die Mütter kamen zusammen, um den berühmten Assistenzprofessor, der diese Gesprächsrunden ins Leben gerufen hatte, um Rat zu fragen und die Meinung und die Erfahrungen anderer Frauen, die in ähnlicher Situation waren, zu hören.

Bruno Bettelheim hatte das Konzentrationslager und den Krieg überlebt und war nun Professor an der Universität Chicago. Auch seine Vorlesungen gaben den Anstoß zu den Gesprächsrunden. Bettelheim wurde 1903 in Wien geboren, drei Jahre nach Erscheinen von Sigmund Freuds Traumdeutung. Die Psychoanalyse hatte ihn schon früh fasziniert, in den Vorlesungen des berühmten Professors Freud an der Wiener Universität lernte er, wie das Unbewusste auf die menschliche Zivilisation Einfluss nimmt und wie die andauernde und gewaltsame Unterdrückung der Bedürfnisse schon in früher Kindheit das Ich deformieren und sogar zerstören kann. 1938, im Jahr des faschistischen „Anschlusses“ Österreichs, wurde Bettelheim als Jude im Konzentrationslager der Nazis interniert. 1939 konnte er durch den persönlichen Einsatz von Eleanor Roosevelt in die USA emigrieren und setzte dort als Kinderpsychologe seine Arbeit fort. Er wurde Assistenzprofessor und später ordentlicher Professor an der Universität in Chicago und Leiter der berühmten Orthogenic School, einer an die Universität angegliederten Einrichtung, die Kinder mit schwersten psychischen Erkrankungen stationär behandelt hat.

Berühmtheit erlangte Bettelheim nicht allein als Ratgeber in der Kindererziehung und Autor zahlreicher Bestseller, sondern auch mit seinem Konzept des therapeutischen Milieus, das heute für nahezu jede Einrichtung, die sich der Therapie und Erziehung von Kindern mit schweren psychischen Erkrankungen oder mit traumatischen Erfahrungen annimmt, eine Selbstverständlichkeit ist. Bettelheims Überzeugung war es, dass es nicht allein die Personen oder die einzelnen therapeutischen Interventionen sind, die in der Beziehung zu Kindern eine bedeutsame Wirkung haben, sondern dass die gesamte Gestaltung der Umgebung der Kinder, die Anordnung der Räume, die Abläufe der festen Zeiten, die Zubereitung des Essens, die Zeit des Wachseins und des Schlafens, aber auch die kleinen Geschehnisse in den Zwischenzeiten – die Unterhaltung eines Kindes mit einer Erzieherin zwischen Tür und Angel, die Frage nach einer Süßigkeit in der Küche, die träumerischen Pausen nach der Therapiestunde im Garten – so sensibel geformt sein müssen, dass sie heilend wirken können.

Bruno Bettelheim hat sich 1990 das Leben genommen. Seine Person ist heute nicht unumstritten. Ehemalige Patientinnen und Patienten beschuldigten ihn nach seinem Tod schwer, sie berichteten von Gewalttätigkeiten, seiner Unbeherrschtheit und seiner Unberechenbarkeit als Leiter der Orthogenic School. Die Kluft zwischen dem Anspruch einer schönen und überzeugenden Theorie, wie Kinder aufwachsen sollen und dem zuweilen grauen Alltag von Erziehung hat wohl auch ihm als Person zu schaffen gemacht.

In dem Buch „Gespräche mit Müttern“, das seine Vorgehensweise als Erziehungsberater vielleicht am eindrücklichsten sichtbar macht, ist von den späteren Problemen seiner Leitungsarbeit nichts zu spüren. Die Gespräche wurden mit der Erlaubnis der Teilnehmenden über längere Zeit aufgezeichnet und schriftlich wiedergegeben. Es gibt keine Erläuterungen in den Texten, die Lesenden folgen dem Fluss der Dialoge, den Gedanken, den Pausen, dem Nachfragen, den Antworten, dem Zögern, der Skepsis, der Einsicht und dem Lachen der Teilnehmenden. Jede Frage, die eine Mutter und zuweilen einer der teilnehmenden Väter stellt, wird ernstgenommen, sei sie auch noch so alltäglich und auf den ersten Blick trivial. Ist es schädlich, wenn ich meinem Kind zu früh die Flasche entziehe? Wie gehe ich mit der Eifersucht eines Geschwisterkindes um? Warum braucht mein Kind plötzlich wieder eine Windel?

Die Texte sind in fünf Kapitel gegliedert, deren Überschriften schon ein wenig über die Vorgehensweise und die Ergebnisse der Gespräche verraten. „Warum würde ich das tun?“, fragt etwa das erste Kapitel. Wir erfahren, dass es darum gehen wird, sich in die Welt des Kindes hineinzuversetzen, statt auf das Kind herabzublicken. „Kampfesmüde“ heißt das letzte Kapitel des Buches, das den täglichen Stress, in dem die jungen Eltern, vor allem die Mütter, mit ihren kleinen Kindern stehen, in den Blick nimmt und sich ganz an das Leben der Mütter wendet. „Was für ein Kind möchten Sie?“ ist die Frage, auf die die Gespräche im vierten Kapitel wieder und wieder eine Antwort suchen – eine Frage, die wie ein roter Faden das ganze Buch durchzieht.

Die folgende Textpassage entstammt dem zweiten Kapitel „Ihr Problem – oder unseres?“ und ist überschrieben mit „Freie Wahlen“. An der Diskussion waren Mütter und Väter beteiligt, die sich und Bruno Bettelheim die Frage gestellt haben, wann der richtige Zeitpunkt gekommen sei, ein Kind zu entwöhnen – von der Flasche, von der Windel, letztlich von all den Gewohnheiten und Ritualen eines Kleinkindes – und ob und wann es schädlich sei, diese Entwöhnung zu beginnen.

„Vater: Ich habe eine Frage. Wir haben zwei Söhne, einen von einundzwanzig Monaten und einen Säugling, der gerade vier Monate alt ist. Es ist die Frage entstanden, wann der Größere nicht mehr seine Flasche bekommen sollte. […]

Dr. B.: Damit schneiden Sie ein Problem an, das ich letztes Mal zu erläutern versucht habe, nämlich was für ein Kind Sie haben wollen. Sie haben mir die Frage gestellt, und Sie erwarten, daß ich Ihnen eine Antwort gebe, doch die Antwort wäre weder richtig noch falsch, weil es sie nicht gibt. Es hängt ganz davon ab, was für ein Kind Sie wollen.

Vater: Was soll ich denn tun? Offensichtlich muß ich doch eine Entscheidung treffen?

Dr. B.: Nicht eine Entscheidung, mein Lieber. Mit Kindern wird man, wie überall im Leben, ständig vor Entscheidungen gestellt, und was unter anderem das Erziehen heute so schwer macht, ist der Glaube an die Fachleute. Dadurch ist die Vorstellung entstanden, man könnte Entscheidungen umgehen und die Verantwortung für das, was man tut, vermeiden – nach meiner Ansicht eine vollkommen falsche Vorstellung. Sie sprechen vom Stillen und von der Entwöhnung von der Flasche. Es gibt jedoch, wie Sie wissen, Kulturen, in denen man zwischen vier und sechs Monaten mit dem Stillen aufhört und es gibt andere Kulturen, in denen das Kind bis zu vier Jahren und noch länger gestillt wird. Daran, daß in beiden Kulturen die Kinder aufwachsen und als Erwachsene den Anforderungen ihrer Kultur gerecht werden, sehen Sie, daß beides gleichermaßen möglich ist. […]

Mutter: Aber ich verstehe, was er denkt, weil alle zu mir kommen und zu mir sagen ‚Ihre Tochter ist ja noch nicht sauber!‘ und sie finden es furchtbar, obwohl ich für mich sagen muß, daß ich mir nichts daraus gemacht habe, und sie ist noch nicht sauber. Deshalb weiß ich, was er meint. Die Leute finden es ziemlich schrecklich, wenn ein Kind in einem bestimmten Alter nicht mit den Babygewohnheiten aufgehört hat.

Dr. B.: Das meine ich, wenn ich sage, daß man sich entscheiden muß, wofür oder für wen man sein Kind erzieht. Habe ich das nicht zu Anfang gesagt?

Vater: Ja, das sagten Sie.

Dr. B.: Denn das ist das Problem. Erziehen Sie Ihr Kind für die Nachbarn? Das ist eine Sache. Wenn Sie Ihr Kind erziehen, damit es in der Schule hervorragende Noten bekommt, selbst auf Kosten des Glücks, dann ist das eine andere Sache. Dann müssen Sie anders vorgehen. Wenn Sie möchten, dass Ihr Kind Sie haßt, dann müssen Sie so verfahren, und wenn Sie möchten, daß Ihr Kind Sie liebt, dann müssen Sie anders verfahren. Eine bestimmte Methode gibt es nicht. Deshalb konnte ich Ihre Frage nicht beantworten; denn ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, welches der richtige Zeitpunkt ist, um dem Kind die Flasche zu entziehen oder das Kind von der Flasche zu entwöhnen oder wie Sie es nennen...

Erscheint lt. Verlag 26.5.2021
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Familie / Erziehung
Schlagworte Akzeptanz • Alice Miller • Anna Freud • Bruno Bettelheim • Donald Winnicott • Eltern • Elternberatung • Elternbildung • Eltern-Kind-Beziehung • Elternratgeber • Entwicklung • Erziehung • Erziehungsberatung • Erziehungshilfe • Erziehungspsychologie • Erziehungsratgeber • Erziehungsstil • Familienhilfe • Frühförderung • Frühpädagogik • HANS ZULLINGER • Helm Stierlin • Janusz Korczak • JEROME SALINGER • Kinderpsychologie • Lebensberatung • LEONHARD SEIF • Pädagogik • Pestalozzi • Psychologischer Ratgeber
ISBN-10 3-497-61477-7 / 3497614777
ISBN-13 978-3-497-61477-6 / 9783497614776
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