Die letzten Gespräche in Saanen: Wo Liebe ist, kann Leid nicht sein (eBook)
192 Seiten
Aquamarin Verlag
978-3-96861-236-2 (ISBN)
Krishnamurti war der große Verkünder von radikaler Freiheit und wahrhaft allumfassender Liebe. Mit messerscharfer Analyse wies er die Menschen, die zu ihm kamen, auf ihren Egoismus, ihre Selbsttäuschung und ihre liebgewonnenen (aber schädlichen) Neigungen hin. Mit erschütternder Klarheit zeigte er ihnen auf, wie weit sie von einem wahrhaften Verständnis von Liebe entfernt waren.
Der vorliegende Band enthält Krishnamurtis letzte Vorträge und Gespräche in Saanen, die gleichsam als Vermächtnis für die Nachwelt gelten können. Umrahmt wird dieses Buch von beeindruckenden Bildern, die vielleicht mehr als alle Worte die Geistesgröße dieses wegweisenden Menschen zum Ausdruck bringen!
Die zweite Rede
am Mittwoch, 10. Juli
Können wir damit fortfahren, worüber wir neulich gesprochen haben? Ich meine, es ist wichtig, dass wir erkennen, dass hier kein Persönlichkeitskult getrieben wird. Die Person namens K. ist überhaupt nicht wichtig. Wichtig ist das, was er sagt, nicht wie er aussieht, noch was für eine Persönlichkeit er ist und der übrige Unsinn. Also sei hier bitte mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass die Person, die auf dem Podium sitzt und spricht, überhaupt nicht wichtig ist.
Neulich haben wir über die verschiedenen Formen des Konflikts und deren Ursache gesprochen. Warum der Mensch seit Menschheitsbeginn im Konflikt lebt und das Problem nie gelöst hat. In dieser langen Evolutionsphase sind wir immer noch, seit Jahrtausenden, im Konflikt miteinander – Konflikt zwischen Mann und Frau, Widersprüche zwischen Gruppen, Konflikte zwischen den Nationen, den Geschlechtern, den Religionen. Ich bin sicher, dass man sich dessen bewusst ist. Wer ist für den Terrorismus, die Brutalität, die erschreckende Grausamkeit, die ganzen abscheulichen Dinge, die in der Welt passieren, verantwortlich? Wie wir neulich feststellten, ist das hier eine Zusammenkunft, die nicht bloß dazu dient, dass Sie einen schönen Morgen im Zelt verbringen oder jemandem zuhören. Vielmehr ist das hier ein ernsthaftes Zusammentreffen, ein aktives, kooperatives, entschlossenes Beisammensein. Heute Morgen fragen wir, wer für das alles die Verantwortung trägt? Verantwortung setzt Umsicht und Aufmerksamkeit voraus, nicht nur dem gegenüber, was da draußen geschieht, was in der Welt vor sich geht, sondern auch dem gegenüber, was in uns allen abläuft. Wer ist dafür verantwortlich? Sind die Politiker dafür verantwortlich? Das heißt, sollten wir sie einfach machen lassen, was sie machen? Weil wir sie in der so genannten demokratischen Gesellschaftsordnung gewählt haben? In den totalitären Staaten werden sie nicht gewählt, da kommen sie an die Macht und herrschen über das Ganze. Wer ist also verantwortlich? Die Religionen, die Welt des Islam, die Christenheit, die Welt des Hinduismus, die Buddhisten usw.? Oder sind wir, ist ein jeder von uns dafür verantwortlich? Bitte denken Sie nach. Ist ein jeder von uns, der in dieser Welt, in dieser Umwelt, nicht nur in der schönen Schweiz, sondern irgendwo in der Welt, lebt – jeder von uns, Sie, die Sie dasitzen und der Sprecher hier – ist ein jeder von uns dafür verantwortlich?
Hoffentlich stellen Sie sich diese Frage selber: Sind Sie für die Erschaffung dieser erschreckenden Welt, dieser gefährlichen, brutalen, abscheulichen Welt verantwortlich? Wenn Sie die verschiedenen Länder bereisen, sehen Sie das alles, die enorme Armut, Millionen armer Menschen, die verhungern und jene, die schrecklich reich sind, von Geburt her hohen Rang besitzen und für den Rest ihres Lebens ihre Reichtümer, Schlösser, Pensionen usw. behalten. Wer ist dafür verantwortlich? Sind wir dafür verantwortlich, dafür, dass wir diese Gesellschaft um uns herum geschaffen haben, die Kultur, die Religion, die Götter und alles Übrige hervorgebracht haben, was in den Bereich zeremonieller Wiederholungen und damit in den Bereich der Sinnesempfindungen und Gefühle gehört. Denn wir sind zornig, habgierig, gewalttätig, unordentlich, hasserfüllt, und wir beschränken unsere Zuneigung nur auf einige wenige Menschen. Hat also jeder von uns diese Gesellschaft hervorgebracht? Ist das so? Trägt ein jeder von uns dafür die Verantwortung? Sie sagen: »Tut mir leid, ich nicht.« Oder das Ganze interessiert Sie einfach nicht, solange Sie in einem bestimmten Land sicher sind, das durch seine Grenzen geschützt ist.
So kommen wir zu einer sehr ernsten Frage: Was ist Ordnung? Und was ist Unordnung? Bitte, wir sprechen darüber, wir gehen diese Frage gemeinsam durch. Sie sollen nicht akzeptieren oder stillschweigend hinnehmen, was der Sprecher sagt. Das wäre ganz sinnlos. Doch wir könnten gemeinsam auf eine lange Reise gehen, nicht nur intellektuell oder mit Worten, sondern in einem viel tieferen Sinn, um zu entdecken, warum die Gesellschaft, für die wir die Verantwortung tragen, solch schreckliche Unordnung und Grausamkeit hervorbringt. Unterscheiden wir uns denn von der Gesellschaft, von dem, was wir geschaffen haben? Muss nicht zuerst Ordnung in unserem Haus sein, – nicht nur rein äußerlich in Haus und Garten – sondern auch in der inneren Welt, in der wir alle leben, in der Welt der Psyche, im subjektiven Bereich? Herrscht dort Unordnung? Verstehen Sie meine Frage? Hoffentlich macht der Sprecher das deutlich. Solange jeder von uns in psychischer, subjektiver, innerer Ordnung lebt, wird alles, was wir tun, Unordnung hervorbringen. Die totalitären Staaten behaupten, dass man die Umwelt verändert, wenn man die Gesellschaft verändert, dass man die Menschheit verändern wird, das menschliche Gehirn umwandeln wird, wenn man Zwang ausübt, sie unter Druck setzt. Sie haben keinen Erfolg damit. Es gibt fortwährende Abweichung von dieser Meinung, Revolten und alles Übrige.
Wenn Sie erkennen, dass wir diese Unordnung geschaffen haben und die Gesellschaft diese Unordnung ist, in der wir leben, was sollen wir dann machen? Wo fangen Sie an? Möchten Sie die Gesellschaft ebenso verändern, wie es die sozialen Reformer, die Wohltäter versuchen oder wie jene Männer, die die Gesetze durch Terrorismus, durch Zwang ändern wollen? Oder schaffen Sie in Ihrem eigenen Haus, nämlich in Ihnen, Ordnung? Ist die Frage klar?
Wie soll also ich oder wie sollen Sie Ordnung in Ihrem Haus schaffen? Das ist der einzige Ort, wo ich beginnen kann, – nicht bei äußeren Reformen, Gesetzesänderungen oder indem wir die Vereinten Nationen schaffen. Wenn ich hier etwas abweichen darf: Wir wurden im letzten und in diesem Jahr eingeladen, vor den Vereinten Nationen zu sprechen. Nachdem K. gesprochen hatte, stand einer ihrer Mächtigen auf und sagte: »Endlich, nach vierzigjähriger Arbeit in dieser Institution, bin ich nach harter Arbeit zu dem Schluss gekommen, dass wir einander nicht töten dürfen.« Nach 40 Jahren! Und wir verbleiben in der Hoffnung, dass da draußen etwas geschehen möge, etwas, das uns zwingen, das uns nötigen, überreden, antreiben wird. Wir sind vom Äußeren, von den äußeren Herausforderungen, den Kriegen usw. abhängig. Was sollen wir also machen? Es ist nicht gut, wenn man sich kleinen Kommunen anschließt, einem Guru nachfolgt. Das ist völlige Verantwortungslosigkeit. Wenn man sich jemandem hingibt, der sich selber als erleuchtet bezeichnet, wird Sie das dahin führen, wo es immer hinführt, gewöhnlich zur Kasse! Was sollen wir also machen, um innere Ordnung herbeizuführen? Ordnung bedeutet Konfliktlosigkeit, nicht wahr? In sich selber konfliktlos, ganz ohne Widerstreit zu sein. Wir haben neulich über die Frage gesprochen, was die Ursache des Widerstreites ist. Bände sind damit gefüllt worden. Psychologen, Psychiater, Therapeuten usw. haben das in Worten erläutert. Millionen von Worten sind ausgeschüttet worden, und doch bleiben wir alle im Widerstreit. Wo Geist und Gehirn in Unordnung sind, die im Wesentlichen den Widerstreit ausmacht, kann dieses Gehirn niemals ordentlich, einfach und klar sein. Das sollte man selbstverständlich als Gesetz hinnehmen, – wie das Gesetz der Schwerkraft, das Gesetz des Sonnenaufganges im Osten und des Sonnenunterganges im Westen. Wo subjektiver oder innerer Widerstreit herrscht, muss Unordnung sein. Schauen Sie das bitte sorgfältig an.
Was ist Unordnung im Wesentlichen? Nicht, was ist Ordnung; denn ein Geist, der in Unordnung geraten ist, kann sich eine Ordnung ersinnen und kann dann behaupten: das ist Ordnung. Ein Gehirn, das in Illusion befangen ist, wie das bei den meisten Menschen so ist, – wird sich aus der Verwirrung heraus seine eigene Ordnung schaffen, nicht wahr? Was ist also eigentlich Unordnung? Warum sagen wir, dass wir Ordnung brauchen, befinden uns dann aber in Unordnung? Warum trennen wir die beiden von einander? Wir sagen, dass wir um unsere Unordnung wissen, was einfach ist. Und dann suchen wir in dieser Verwirrung nach Ordnung. Die Politiker wissen um die Unordnung und versuchen, Ordnung zu schaffen. Ist das klar? Natürlich. Nicht nur die Politiker wissen das, sondern jeder von uns weiß es, dass unser Leben in Unordnung ist. Wenn man von neun bis fünf ins Büro geht – was für ein Dasein führen Sie! – und kämpft, ringt ehrgeizig, habgierig und aggressiv ist, auf der Leiter nach oben klettert, dann nach Hause kommt und der eigenen Frau, dem eigenen Mann gegenüber, oder wer immer es ist, sehr zahm und nachgiebig ist, dann ist das Unordnung. Und das Gehirn ist dauernd um Ordnung bemüht, weil es eigentlich in solcher Unordnung nicht leben kann; denn es kann nicht klar, gut, genau, in höchstem Sinne gekonnt arbeiten, solange Unordnung vorherrscht. Deshalb suchen wir alle nach etwas Ordnung. Deshalb fragen wir: Warum sind wir so gespalten, indem wir nach Ordnung verlangen und dann in Unordnung leben? Ich weiß nicht, ob Sie dem hier folgen. Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf. Es ist ganz einfach.
Wir leben in Unordnung. Das ist bestimmt so. Warum bemühen wir uns um Ordnung? Wir wollen sehen, ob wir die Unordnung bereinigen können. Wenn Sie sie beseitigen können, dann haben Sie Ordnung. Dann gibt es diesen Konflikt zwischen...
Erscheint lt. Verlag | 8.2.2021 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Esoterik / Spiritualität |
Geisteswissenschaften ► Religion / Theologie ► Hinduismus | |
ISBN-10 | 3-96861-236-1 / 3968612361 |
ISBN-13 | 978-3-96861-236-2 / 9783968612362 |
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