Karma-Yoga und Bhakti-Yoga -  Swami Vivekananda

Karma-Yoga und Bhakti-Yoga (eBook)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
208 Seiten
Aquamarin Verlag
978-3-96861-233-1 (ISBN)
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Swami Vivekananda, der Meisterschüler von Indiens unsterblichem Heiligen Ramakrishna, hat wie kaum ein anderer die abendländische Welt auf den spirituellen Weg des Yoga geführt. Nach seinem Auftreten auf dem „1. Weltkongress der Religionen“ in Chicago war der Siegeszug des Yoga im Westen nicht mehr aufzuhalten.
Während viele Yogis einseitig einen bestimmten Pfad als den „besten“ oder gar als den „einzigen“ hervorhoben, legte Vivekananda stets großen Wert darauf, seinen Schülern die Notwendigkeit der Synthese klarzumachen. Alle Yoga-Disziplinen gehören zusammen und bilden eine Einheit!
Seine beiden Werke über „Karma-Yoga“, den Yoga der Werke, sowie über „Bhakti-Yoga“, den Weg der Hingabe, zählen zum Wertvollsten, was die östliche Weisheit dem Westen zu offerieren hat. Diese Texte sind von zeitloser Gültigkeit und enthalten Hinweise für den „Geistigen Pfad“, die jedem Suchenden eine wunderbare Hilfe auf seiner persönlichen Suche nach Selbstverwirklichung bieten können.
Ein unsterbliches Meisterwerk einer großen Seele!
Swami Vivekananda (1863 - 1902) war der bedeutendste Schüler des großen indischen Heiligen Ramakrishna. Nach dessen Ableben gründete er den Ramakrishna-Orden, den er bis kurz vor seinem Tode leitete. Zu Vortragsreisen in die USA, nach England, Frankreich und in die Schweiz eingeladen, gründete er zahlreiche Vedanta-Gesellschaften im Westen, die noch heute, von Lehrern des Ramakrishna-Ordens unterstützt, die authentischen Lehren des Vedanta im Abendland verbreiten.

II

»JEDER IST GROSS AN SEINEM EIGENEN PLATZ«

Nach der Samkhya-Philosophie besteht die Natur aus drei Kräften, die auf Sanskrit sattva, rajas und tamas heißen. In der physischen Welt manifestiert, sind diese drei das, was wir Gleichgewicht, Aktivität und Trägheit nennen. Tamas ist Dunkelheit und Tatenlosigkeit; Rajas ist Aktivität, die sich in Anziehung und Abstoßung ausdrückt; und Sattva ist das Gleichgewicht, der Ausgleich zwischen den beiden anderen.

In jedem Menschen sind diese drei Kräfte vorhanden. Manchmal überwiegt Tamas, die Trägheit. Wir werden faul, wollen uns nicht bewegen, sind untätig, irgendwelchen Gedanken oder gar völliger Gedankenlosigkeit verfallen. Zu anderen Zeiten herrscht die Tatkraft vor und wiederum zu anderen der ruhige Ausgleich zwischen diesen beiden. Nun hat bei den verschiedenen Menschen gewöhnlich eine dieser Kräfte ständig die Oberhand. Für den einen ist Untätigkeit, Unlust und Trägheit kennzeichnend, für einen anderen Tatendrang, Macht und Energieäußerung; und bei einem dritten finden wir Milde, Ruhe und Sanftmut, dank des Gleichgewichtes zwischen Tätigkeit und Untätigkeit. In allen Geschöpfen dieser Erde – sowohl in Tieren und Pflanzen als auch im Menschen – erkennen wir die mehr oder weniger typischen Manifestationen dieser drei so verschiedenen Kräfte.

Karma-Yoga befasst sich ganz besonders mit diesen drei Faktoren. Indem es uns lehrt, was sie sind und wie wir sie anzuwenden haben, wird uns geholfen, unsere Arbeit besser zu verrichten. Die Stufen der menschlichen Gesellschaft sind verschieden. Wir alle kennen unsere Sittengesetze, wir alle wissen von Pflichten, doch müssen wir gleichzeitig erfahren, dass in den verschiedenen Ländern die Vorstellungen von dem, was anständig ist, stark voneinander abweichen. Was in dem einen Land als sittlich gilt, kann in dem anderen als völlig anstößig betrachtet werden. Zum Beispiel dürfen in manchen Ländern Verwandte untereinander heiraten. In anderen ist dies streng verpönt. In dem einen Land darf ein Mann sich ohne weiteres mit seiner Schwägerin vermählen; im nächsten verstößt das gegen strengste Gesetze. In einem Land darf man nur einmal heiraten, in einem anderen so oft man will. Auch auf allen anderen Sittengebieten kommen wir immer wieder zu der Feststellung, dass sich die Regeln je nach Land stark voneinander unterscheiden. Dennoch haben wir das Empfinden, es müsse eine universell gültige Norm geben.

Ebenso steht es mit der Pflicht. Der Begriff von Pflicht wandelt sich gewaltig innerhalb der verschiedenen Nationen. In diesem Land wird man, wenn ein Mensch gewisse Dinge zu tun unterlässt, behaupten, er handele falsch, während man in jenem, wo er diese Dinge tut, sagen wird, er verstoße gegen seine Pflicht. Auch die einzelnen Gesellschaftsklassen haben ihre voneinander abweichenden Begriffe von Pflicht. Trotzdem wissen wir, dass es einen überall gültigen Begriff von Pflicht geben muss. Zwei Meinungen stehen nun einander gegenüber: Die des Unwissenden, der glaubt, es gäbe nur eine einzige Art der Wahrheit und alles andere sei falsch, und die des Weisen, der zugibt, dass Pflichten und Sitten der geistigen Stufe, auf der wir stehen, und den verschiedenen Gesellschaftsschichten, in denen wir leben, angepasst sein und sich deshalb weitgehend voneinander unterscheiden müssen. Immer wieder muss darauf hingewiesen werden, wie wichtig die Erkenntnis ist, dass Pflicht und Sitte je nach Land und Lebensstatus verschiedene Formen annehmen. Die Pflicht des einen braucht nicht unbedingt die Pflicht des anderen zu sein.

Alle großen Meister haben gelehrt: »Widersetze dich nicht dem Übel«, und stimmten überein, dass Nicht-Widerstreben das höchste Ideal sei. Doch ist uns allen sehr wohl bewusst, wie rasch das ganze soziale Gefüge zerfallen müsste, käme heute eine gewisse Anzahl von uns auf den Gedanken, diesen Lehrsatz in die Praxis umzusetzen. Verbrecher würden unseren Besitz und unser Leben in ihre Gewalt bringen und mit uns tun, was ihnen gefällt. Räumte man auch nur einen einzigen Tag diesem Prinzip des Nichtwiderstrebens ein, es müsste zu Unheil und Chaos führen. Dennoch empfinden wir in den Tiefen unseres Herzens instinktiv die Wahrheit des Lehrsatzes: »Widersetze dich nicht dem Übel.« Die inneren Vorbedingungen zu seiner Ausführung zu erlangen, scheint uns das höchste Ideal zu sein. Aber ausschließlich diese Doktrin zu lehren, hieße, einen großen Teil der Menschheit zum Untergang zu verurteilen. Überdies würde diese Lehre dem Menschen das lähmende Gefühl einflößen, alles, was er tue, sei falsch, und ihn bei seinen sämtlichen Handlungen in Gewissenszweifel stürzen sowie seine Tatkraft schwächen. Solche Selbstmissachtung hätte mehr Übel zur Folge, als irgendeine andere Schwäche verursachen könnte. Dem Menschen, der beginnt, sich selbst zu verachten, hat sich das Tor zum Niedergang bereits aufgetan. Das Gleiche gilt auch für ganze Nationen.

Eine unserer erhabensten Pflichten besteht darin, uns selbst zu achten. Wollen wir vorwärtskommen, so müssen wir vor allem an uns selbst glauben und somit an Gott; denn wer nicht an sich selbst glaubt, kann auch niemals an Gott glauben.

Die einzige Alternative, die uns verbleibt, ist: Anzuerkennen, dass Pflicht und Sitte unter verschiedenen Lebensbedingungen verschieden gewandet sein müssen. Es ist nicht so, dass derjenige, der dem Übel widerstrebt, etwas tut, das an sich immer und überall falsch ist, sondern dass es, je nach den Umständen, denen er unterworfen ist, sogar seine heilige Pflicht sein kann, sich mit aller Kraft gegen das Übel zu wehren.

Beim Lesen der Bhagavad-Gita mögen wohl viele in den westlichen Ländern mit höchstem Staunen dem zweiten Kapitel gefolgt sein, worin Sri Krishna den jungen Arjuna einen Heuchler und Feigling nennt, weil er sich weigert, zu kämpfen oder auch nur Widerstand zu leisten, sondern einwendet, unter seinen Gegnern befänden sich Freunde und Verwandte, und zur Rechtfertigung seines Verhaltens den Satz einwirft, Nichtwiderstreben sei das höchste Ideal der Liebe.

Hier ist der Augenblick, einen wichtigen Satz auszusprechen, den man sich nicht tief genug einprägen kann: Stets und überall berühren sich die Extreme, in ihrer Wirkung unterscheiden sie sich nicht voneinander. Sind die Lichtwellen zu lang für unser Auge, so sehen wir sie nicht; sind sie zu kurz, nehmen wir sie auch nicht auf. Ist ein Ton zu tief für unser Ohr, so hören wir ihn nicht; ist er zu hoch, bleibt er uns gleicherweise unvernehmbar. Ebenso wenig können wir unterscheiden, ob eine Tat aus Stärke oder aus Schwäche geschieht. Der eine leistet keinen Widerstand, weil er schwach, träge und unfähig dazu ist; ein anderer hätte wohl Mut und Kraft, den drohenden Schlag abzuwehren, doch überwindet er sich, tut es nicht und segnet noch dazu seine Feinde. Wer sich aus Schwäche nicht widersetzt, begeht eine Sünde und kann aus seinem Nichtwiderstreben keinen Nutzen ziehen; des anderen Sünde wäre es gewesen, hätte er Widerstand geleistet. Buddha gab seinen Thron auf und verzichtete auf weltliche Würden – das war Entsagung. Aber bei der Armut des Bettlers kann man nicht von Entsagung sprechen, da er nichts aufzugeben hatte. Deshalb müssen wir uns stets genau erforschen, ehe wir von Nichtwiderstreben und höchster Liebe sprechen. Seien wir wach, seien wir ehrlich und fragen wir uns, ob wir über die Kraft verfügen, die der Widerstand erfordert. Dann erst, wenn wir sie haben und auf sie verzichten und nicht widerstreben, vollziehen wir die große Liebestat. Sind wir aber unfähig zur Abwehr und versuchen trotzdem, uns in den Irrglauben zu hüllen, wir handelten aus Motiven höchster Liebe, dann begehen wir im Gegensatz dazu die große Sünde der Unehrlichkeit. Arjuna wurde zum Feigling angesichts des mächtigen gegnerischen Heeres. Seine sich selbst täuschende Liebe verführte ihn, seiner Pflicht gegen König und Land nicht nachzukommen. Das war der Grund, warum Sri Krishna ihn einen Heuchler nannte. »Du sprichst wie ein Weiser, aber deine Taten verraten dich und zeigen dich als Feigling. Deshalb stehe auf und kämpfe!«

Das ist der zentrale Gedanke des Karma-Yoga. Ein Karma-Yogi ist derjenige, der begriffen hat, dass Nichtwiderstreben das höchste Ideal ist, der auch weiß, dass Nichtwiderstreben die größte Macht offenbart, wenn man sie wirklich besitzt, und der ebenfalls erfasst hat, dass das, was man den Widerstand gegen das Übel nennt, nur ein Schritt ist auf dem Weg zur Manifestation dieser höchsten Macht, nämlich des Nichtwiderstrebens. Doch solange man dieses höchste Ideal noch nicht erreicht hat, ist es Pflicht und Gebot, sich dem Übel zu widersetzen. Möge der Mensch wirken, kämpfen und sich mit voller Kraft verteidigen. Dann erst, wenn er in sich die Kraft zum Widerstand hat, wird Nichtwiderstreben zur Tugend.

Ich begegnete einmal in meiner Heimat...

Erscheint lt. Verlag 29.1.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Esoterik / Spiritualität
Geisteswissenschaften Religion / Theologie Hinduismus
ISBN-10 3-96861-233-7 / 3968612337
ISBN-13 978-3-96861-233-1 / 9783968612331
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