Mut zur Patchwork-Familie (eBook)
167 Seiten
Ernst Reinhardt Verlag
978-3-497-61428-8 (ISBN)
Inga Bethke-Brenken, Beratungslehrerin, Co-Leiterin der Abt. Lehrertraining im Hamburger Landesinstitut f. Lehrerbildung, Supervisorin, Paar-/Familientherapeutin, und Dr. Günter Brenken, Wirtschaftsing., Manager, Paar-/Familientherapeut, Supervisor, sind in der Paar- und Familienberatung tätig - und Patchwork-Eltern.
Inga Bethke-Brenken, Beratungslehrerin, Co-Leiterin der Abt. Lehrertraining im Hamburger Landesinstitut f. Lehrerbildung, Supervisorin, Paar-/Familientherapeutin, und Dr. Günter Brenken, Wirtschaftsing., Manager, Paar-/Familientherapeut, Supervisor, sind in der Paar- und Familienberatung tätig - und Patchwork-Eltern.
1 Patchwork-Familien, eine besondere Form der Familiengemeinschaft
1.1 Ja, wir werden es schaffen!
Wir starten mit einem Beispiel:
Sie – alleinerziehend – zwei Kinder – geschieden
Er – keine Kinder – geschieden
„Ich bin frisch verliebt, alles ist so aufregend, ich fühle mich energiegeladen wie in früheren Zeiten!“ schwärmt eine junge, alleinerziehende Mutter. Gleichzeitig ist sie verunsichert: „Was werden meine Kinder dazu sagen? Ob sie meinen neuen Freund mögen? Werden sie sich mit ihm anfreunden können? Werden sie ihn sogar als Vaterfigur akzeptieren?“ Mütterliche Sehnsüchte und Befürchtungen bestimmen die Startbereitschaft in die Familienkonstellation der Patchwork-Familie.
Der neue Partner weiß nicht so recht: „Ich bin vernarrt in diese Frau, aber werden mich die Kinder als Vater annehmen? Will ich überhaupt mit Kindern leben? Soll ich es wagen, mit Frau und Kindern zusammenzuziehen?“
Nicht nur Freude über die neue Liebe zueinander, sondern auch Skepsis begleitet dieses frisch verliebte Paar. Ihr Verhältnis ist sicherlich anders als das zu Beginn einer unbeschwerten, kinderlosen Paarbeziehung. In Patchwork-Familien spürt jeder Partner die problematische familiäre Vergangenheit des anderen mit der nervigen Trennung, mit den enttäuschten Kindern und mit dem „bösen“ Expartner bzw. außen lebenden Vater.
Und was wird der leibliche Vater denken, der als Expartner und Teil der Erstfamilie im Hintergrund bleibt? „Schön, dass meine Ex jemanden gefunden hat, das wird unseren Umgang mit den Kindern erleichtern!“ Es könnte aber auch anders sein: „Muss sie die Kinder noch durch einen neuen Lebensgefährten irritieren? Wird er überhaupt die ganze Familiensituation mittragen? Werde ich ihn als Konkurrenten in meiner Vaterrolle empfinden?“
Schließlich gehören noch Großeltern zur Familie: „Hoffentlich ist das eine Entlastung für unsere Tochter / Schwiegertochter und vielleicht auch für uns!“ Oder aber auch: „Nach den Wirren von Trennung und Scheidung wäre es besser, wenn erstmal Ruhe in der Familie einkehrt. Wieso konfrontiert die Mutter diese armen Kinder jetzt noch mit einem neuen Mann?“
Das sind unkalkulierbare Signale. Viele Alleinerziehende belassen es deswegen lieber bei ihrer Familienkonstellation als „Restfamilie“. Andere ziehen trotzdem die Gründung einer Patchwork-Familie vor. Ihnen mag es darum gehen, einen Partner zur Seite zu haben, der bei Schwierigkeiten und Tiefen in der Familie unterstützend wirkt, der Verlässlichkeit garantiert. Der ein Männervorbild sein könnte, der den Kindern zusammen mit der Partnerin ein Vorbild für Partnerschaft bietet und mit allen gemeinsame Freuden und Leiden teilt.
» Aufbruch in die Patchwork-Familie
„Wir werden das schon schaffen“, sagen sich viele Alleinerziehende. „Den Streit und das Chaos in der Vergangenheit haben wir gut überstanden, jetzt trauen wir uns zu, wieder eine echte Familie zu werden.“ Aber ganz so einfach wird es nicht gehen. Es reicht nicht aus, wenn die Mutter denkt: „Ich bin ja schon erfahren und weiß, wie eine Familie funktioniert.“ Vielleicht sagt sich der neue Partner: „Ich hab ja schließlich auch in einer Familie gelebt – als Sohn meiner Eltern. Ich weiß, wie ich ein guter Familienvater werden kann.“ Doch die gesellschaftliche Realität ist erschreckend: Über die Hälfte der Patchwork-Paare trennen sich wieder. Unabhängig von dem Trennungsschmerz der Erwachsenen fühlen sich die betroffenen Kinder dann erneut einer Verunsicherung und weiteren Trennungserfahrung ausgesetzt.
Wieso scheitert die Mehrheit solcher neu zusammengesetzten Familien? Die meisten Paare meinen, dass das Leben in einer Patchwork-Familie dem in einer üblichen Erstfamilie entspreche. Vieles ist sicher gleich oder ähnlich: die Unterstützung der Kinder, deren Erziehung, die Verlässlichkeit der Eltern. Doch jetzt gelten besondere Bedingungen: Durch den plötzlichen Eintritt des Patchwork-Vaters in die Restfamilie entsteht eine völlig neue Situation. Die Kinder sind überrascht, sie befürchten eine Konkurrenz zum Vater. Der Partner der Mutter soll jetzt zu einer Familie gehören, die für sich inzwischen funktioniert. Wird er aufgenommen werden? Persönliche Initiative und Überzeugungsarbeit der Mutter werden erforderlich sein.
Der Prozess des Aufbaus einer üblichen, „normalen“ Familie zieht sich in der Regel über mehrere Jahre hin. Jetzt in der Patchwork-Familie passiert fast alles auf einmal: Es entfallen die Flitterwochen für das Paar, weil sie sofort als Eltern gefordert sind. Die Rollen in der Familie sind plötzlich unklar, es gibt Widerstände gegen mögliche Veränderungen: Darf der neue Vater, der Patchwork-Vater, überhaupt in die Erziehung eingreifen? Sehen die Großeltern jetzt die Enkel weiterhin regelmäßig? Und nicht zuletzt fragt sich der leibliche Vater, ob er in dieser neuen Familie noch gebraucht wird oder ob sich die Kinder ihm langsam entziehen werden.
Intensive Kontakte werden erforderlich: Mit den Kindern muss über die Rolle des neuen Partners der Mutter gesprochen werden. Inwieweit soll er auch eine Erzieherrolle übernehmen? Sie müssen Erfahrungen mit ihm sammeln: Welche besonderen Qualitäten bringt er mit? Wie soll der bisherige Kontakt zum leiblichen Vater weitergeführt werden? Wie lässt sich eine konfliktfreie Kommunikation zwischen den Expartnern ermöglichen? Wie viel Zeit bleibt dem Patchwork-Paar, seine Liebe zu pflegen?
» Es ist zu schaffen
Hier ein Beispiel für besondere Herausforderungen:
Wir haben eine Patchwork-Familie begleitet, die zu scheitern drohte. Anlass für unsere Beratung war, dass der älteste Sohn (11 Jahre alt) ständig nachts einnässte. Die ersten Beratungsgespräche fanden im Wohnzimmer der Familie statt. Anwesend waren die Mutter Helga, der Patchwork-Vater Helmut und der Sohn bzw. Klient Kai sowie das gemeinsame Baby der Patchwork-Eltern, Tochter Lena. Die Eltern erzählten unverblümt von Höhen und Tiefen ihres familiären Zusammenlebens. Kai trug dazu auch bei, insbesondere berichtete er über seine regelmäßigen, guten Kontakte zu seinem leiblichen Vater und seine interessanten Unternehmungen mit den neuen Eltern. Wir hatten das Gefühl, dass er seinen Patchwork-Vater als Freund und Helfer anerkennen konnte. Auffällig waren zwei Dinge:
1. Der Patchwork-Vater Helmut wurde bei Streit zwischen dem Paar häufiger von der Mutter für mehrere Tage in seine alte Wohnung verbannt.
2. Das Paar hatte in der engen Wohnung und mit dem ständig laufenden Fernseher nur sehr begrenzt Raum für den Austausch persönlicher Erlebnisse oder Aussprachen.
Nachdem wir mit Kai ein paar Maßnahmen zur Kontrolle seiner Einnässzeiten verabredet hatten, besprachen wir ab der dritten Sitzung die oben genannten Auffälligkeiten von Kai allein mit dem Paar. Wir erörterten Lösungsmöglichkeiten für weniger Streit und besseres Miteinander-Reden der Eltern. Wir deuteten an, dass Kai in der neuen Familiensituation sicherlich gestärkt würde, wenn er sie beide in ihrer Partnerschaft konfliktfreier erleben könnte. Dann wäre die Gefahr gebannt, dass alte Trennungsängste wieder aufleben. Das Paar schlug vor, dass es sich einmal wöchentlich zu einem gemeinsamen Abend in der benachbarten Pizzeria treffen könnte, um ungestört Zeit allein für sich zu verbringen. Kai würde voraussichtlich bereit sein, an diesen Abenden auf das Baby aufzupassen.
Der Erfolg zeigte sich bald: In der sechsten Sitzung (also zehn Wochen später) berichteten die Erwachsenen übereinstimmend, dass Kai inzwischen nicht mehr einnässte. Sie selbst könnten geduldiger miteinander reden und sich abstimmen. Die Treffen in der Pizzeria wären reine Erholung. Nach zwei weiteren Beratungssitzungen erfuhren wir, dass die Patchwork-Eltern inzwischen in der Familie deutlich gelassener und vertrauensvoller zusammenlebten. Sie teilten uns ihren mutigen Entschluss mit, heiraten zu wollen.
Wir haben bewusst ein Beispiel für die Weiterentwicklung der Partnerschaft gewählt: Der nachts einnässende Sohn reagierte erstaunlich schnell auf die veränderte Familienatmosphäre, auf die harmonischere Partnerschaft, er spürte plötzlich eine neue für ihn notwendige Nestwärme.
Sie sehen, Probleme lassen sich lösen. Dafür brauchen alle Beteiligten Geduld. Voneinander Lernen ist angesagt, insbesondere werden auch die Eltern von den Kindern lernen.
» Die Patchwork-Familie: Personen und Begriffe
Wir wollen uns schließlich noch mit dem Begriff Stieffamilie, Stiefmutter, Stiefvater auseinandersetzen. Die Vorsilbe „Stief-“ ist belastet. Ob sie einmal einen positiven und vertrauten Beiklang annimmt oder ein weniger belastender Begriff sich durchsetzen wird, ist offen. „Stief-“ ist verwandt mit dem englischen „step“, was beraubt, verwaist, abgestumpft bedeutet, es wird in unserer Gesellschaft mit „vernachlässigt“ übersetzt. Auseinandersetzungen, Verlust, Trauer scheinen eine Stieffamilie zu prägen (Krähenbühl et al. 2007, 86 f). Negative Assoziationen wie böse, lieblos, ungerecht, hart, falsch werden verstärkt durch das grausame Bild der Stiefmutter in Märchen, in denen Flucht als einziger Ausweg erscheint:
■ Schneewittchen hatte es nach dem Tod ihrer Mutter mit einer Stiefmutter zu tun, die ihr nach dem Leben trachtete.
■ Aschenputtels Mutter verstarb sehr früh, sie wurde von Stiefmutter und Stiefschwestern unwürdig behandelt.
■ Hänsel und Gretel werden von beiden Eltern, nicht nur von der bösen Stiefmutter allein, in...
Erscheint lt. Verlag | 2.12.2020 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Familie / Erziehung |
Schlagworte | Alleinerziehende • Alleinerziehende Mutter • Alleinerziehender Vater • Beratung • Ehe • Eltern-Kind-Beziehung • Entwicklung • Familie • Familienberatung • Familienform • Familiengemeinschaft • Familienkonstellation • Familienratgeber • Familientherapeut • Familientherapeutin • Geschwister • Halbgeschwister • Konflikt • Konfliktbewältigung • Konflikttraining • leibliche • leibliche Eltern • neue Familie • Paar • Paartherapie • Partner • Partnerschaft • Patchwork-Eltern • Patchworkfamilien • Ratgeber • RESTFAMILIE • Stiefgeschwister • Stiefmutter • Stiefvater |
ISBN-10 | 3-497-61428-9 / 3497614289 |
ISBN-13 | 978-3-497-61428-8 / 9783497614288 |
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