Motorrad-Fahrtechnik (eBook)
224 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7504-8887-8 (ISBN)
Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich etwas von dem, was ich mir an Wissen und Können bei der Motorrad-Fahrtechnik erarbeitet habe, weitergeben möchte. Ich will mithelfen, Unfälle zu vermeiden. Ich will meinen Teil dazu beitragen, dass Menschen, die Spaß am Leben und am Motorradfahren haben, nicht plötzlich im Krankenhaus aufwachen und merken, dass sie querschnittgelähmt sind. Oder gar nicht mehr aufwachen. Ich will zeigen, wie Motorradfahren mehr Spaß machen und zugleich sicherer sein kann. Ich habe sehr viele Stunden im Sattel unterschiedlichster Maschinen zugebracht. Es waren Supersportler dabei, naked Bikes, Reiseenduros und echte Enduros. Es gab Zeiten, in denen ich mich nicht entscheiden konnte, welche Art Motorrad am meisten Spaß macht. Dann standen mehrere in meiner Garage. Neben vielen Reisen habe ich auch immer wieder die unterschiedlichsten Trainings mitgemacht. Es waren Renntrainings auf der Nürburgring-Nordschleife dabei, Enduro-Trainings in Motocross-Gruben und Offroad-Touren in Spanien, Sardinen, Korsika und der Türkei. Das Allerwichtigste war aber, dass ich jede einzelne Fahrt als ein kleines Training angesehen habe. Egal, ob es um eine Besorgung ging oder um die Runde auf der Hausstrecke. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Buches besitze ich eine B-Trainer-Lizenz des Deutschen Olympischen Sportbundes. Dadurch sind mir die Grundlagen der Didaktik, der pädagogischen Methodik und der Sportwissenschaft bekannt, was mir beim Schreiben sehr geholfen hat.
Kapitel 1
Fahrphysik und technische Grundlagen
Lass uns mit der Fahrphysik und den technischen Grundlagen beginnen, weil diese Dinge die Basis für souveränes und sicheres Motorradfahren sind. Wenn Du verstanden hast, warum etwas so funktioniert, wie es das tut, kannst Du gezielt gewünschte Effekte erreichen und unerwünschte vermeiden.
Wenn Du weißt, wie der Lenkimpuls funktioniert oder was der Kammsche Kreis aussagt, wirst Du effektiver lenken und bremsen als ohne dieses Wissen. Du wirst Hindernissen sicherer ausweichen, schneller zum Stehen kommen oder einen Sturz vermeiden können, der ohne dieses Wissen geschehen wäre.
Wenn Dir klar ist, welche Faktoren Deine Schräglage beeinflussen, wirst Du die vorhandene Schräglagenfreiheit viel leichter nutzen können, um eine Kurve doch noch zu packen.
Außerdem werden wir in diesem Kapitel die Funktionsweise der Federung und der Dämpfung besprechen, wir werden intensiv auf die Theorie des Bremsens eingehen, und wir werden untersuchen, welchen Einfluss die Reifen auf das souveräne und sichere Motorradfahren haben.
Warum bleibt ein Motorrad aufrecht?
Wieso fällt ein Motorrad nicht einfach um? Schließlich hat es als Einspurfahrzeug nur zwei relativ kleine Aufstandsflächen. Jeder weiß, dass beispielsweise ein Hocker mindestens drei Beine haben muss, wenn er alleine stehen bleiben soll.
Du hast natürlich sofort eine Antwort parat: Wenn das Motorrad stillsteht, fällt es um, sobald es nicht mehr festgehalten wird. Das ändert sich, wenn es sich in Fahrt befindet. Wir alle kennen diesen Effekt mehr oder weniger bewusst vom Radfahren. Aber jeder, der je auf einem Fahrrad saß, weiß auch, dass das nur ab einer gewissen Mindestgeschwindigkeit gilt. Das sehr langsame Radfahren ist im Vergleich zum etwas schnelleren Tempo nicht so einfach.
Hast Du schon mal einem Kind das Fahrradfahren beigebracht? Wenn ja, weißt Du, dass es zuerst seine Angst vorm Hinfallen überwinden muss. Üblicherweise erreicht man das, indem man dem Kind bei den ersten Fahrversuchen hinterher läuft und dabei sein Fahrrädchen am Gepäckträger oder am hinteren Sattelende festhält. Man darf das Kind nicht direkt berühren. Es darf die haltende Hand nicht spüren, sonst verlässt es sich zu sehr darauf. Zunächst ist es sehr vorsichtig. Aber wenn es ein paar Mal beim Straucheln gehalten wurde, fasst es Vertrauen und tritt kräftiger in die Pedale. Sobald das klappt, hält man es zunächst nur für kurze Augenblicke nicht mehr fest, dann nach und nach immer länger. Man muss das Kind jeweils anschließend darüber informieren und es loben und ermutigen. Würde man ihm nicht sagen, dass es gerade ein Stück alleine gefahren ist, würde es beim nächsten Straucheln erschrecken. Wenn es aber weiß, dass es etwas Neues geschafft hat, ist es auf seine Leistung stolz. Es gewinnt mehr und mehr Selbstvertrauen und plötzlich fährt es allein. Das funktioniert nahezu spontan.
Das Kind kann jetzt eine kurze Strecke geradeaus fahren. Aber in diesem Stadium kann es noch keine Kurven und noch nicht langsam fahren, denn beides erfordert ein besonderes Gleichgewichtstraining.
Mache Dir bewusst, dass Du nicht nur auf einem Fahrrad oder Motorrad Gleichgewichtsarbeit leisten musst, sondern auch Deinen Körper ständig ausbalancierst. Du musst mit permanenter Muskelaktivität dafür sorgen, dass sich der Schwerpunkt Deines Körpers immer über den Aufstandsflächen Deiner Füße befindet. Nach aktuellem Stand der Wissenschaft gehen wir und unsere entwicklungsgeschichtlichen Vorfahren seit über 3 Millionen Jahren aufrecht. Zeit genug, um uns körperlich und geistig darauf einzustellen. Die dafür nötigen Organe wie das Gleichgewichtsorgan im Innenohr und die Sensoren an den Muskel- und Sehnenansätzen, welche die Stellung des Körpers im Raum erfassen, sind von Geburt an vorhanden, wenn auch noch nicht sofort hundertprozentig einsatzfähig. Sie stellen sozusagen die Hardware dar. Die nötige Software zur Verarbeitung der Informationen hat das Gehirn ebenfalls mitbekommen. Aber dieses Programm muss durch Übung zuerst aktiviert und kalibriert werden.
Nur weil wir diese Fähigkeit besitzen, können wir nach einiger Übung auf einem Bein stehen, einen Gegenstand balancieren oder andere artistische Kunststücke machen. Wie zum Beispiel Motorrad fahren.
Beim sehr langsamen Fahrrad- oder Motorradfahren kippt das Gefährt ständig von einer Seite auf die andere. Das muss durch aktive Lenkbewegungen und Gewichtsverlagerung ausgeglichen werden. Durch das eingelenkte Vorderrad fährt man eine kleine Kurve, und nach der Korrektur durch Lenker und Gewichtsverlagerung eine nächste kleine Kurve in die andere Richtung. Die Geradeausfahrt mit einem Einspurfahrzeug ist eine ständige Abfolge solcher wechselnder Kurven, eine Slalomfahrt. Es ist nicht möglich, mit einem derartigen Fahrzeug auf einer geraden Linie zu fahren.
Mit beginnender Fahrt bis zu ca. 20 km/h befindet sich ein Motorrad in der instabilen Phase. Bei zunehmender Geschwindigkeit werden die Kurvenausschläge immer geringer. Bis zu ca. 40 km/h spricht man von der teilstabilen Phase. Ab ca. 40 km/h beginnt die selbststabile Phase. Die Übergänge zwischen den einzelnen Phasen sind fließend. Je höher die Geschwindigkeit wird, desto größer wird die Stabilität. Ursächlich für die zunehmende Stabilität sind die Kreiselkräfte, die von den rotierenden Rädern erzeugt werden.
Die Kreiselkräfte entstehen dadurch, dass sich die beschleunigte Masse nicht in gerader Richtung weiter bewegen kann, sondern auf eine Kreisbahn gezwungen ist. Um das besser verstehen zu können, stelle Dir das Reifenventil eines Rades vor. Nimm an, Du hättest es ausgebaut in der Hand. Du würdest kräftig ausholen, Deinen Arm schwingen und das Ventil loslassen. Was würde passieren? Das Ventil würde geradeaus wegfliegen. Stelle Dir jetzt vor, das Ventil wäre wieder am Rad montiert und Du würdest es mit der gleichen Kraft beschleunigen. Jetzt könnte es sich nicht mehr in gerader Linie bewegen, sondern wäre auf eine Kreisbahn rund um die Radachse gezwungen.
Einer der sich hieraus ergebenden Effekte ist die Fliehkraft. Sie wirkt radial nach außen, also in der Ebene, in der sich auch das aufrecht stehende Motorrad befindet. Das verleiht uns einerseits Stabilität. Da die Fliehkräfte mit zunehmender Geschwindigkeit immer größer werden, wird unser Balancespielchen mit steigendem Tempo immer einfacher und das Motorrad wird stabil aufrecht gehalten. Andererseits bewirkt es, dass das Lenken erschwert wird.
Ein anderer Effekt ist die Kreiselpräzession. Sie leistet einen weiteren Beitrag zur Fahrstabilität. Sie ist ebenfalls umso wirkungsvoller, je schneller sich der Kreisel dreht, beziehungsweise das Motorrad fährt. Dieser Effekt ist nicht einfach zu erklären. Ich will deshalb nur seine Wirkung beschreiben und ableiten, was das für das Motorradfahren bedeutet:
Eine Kraft, die auf einen rotierenden Kreisel senkrecht zur Drehebene einwirkt, macht sich um 90° in Drehrichtung versetzt bemerkbar.
Schau Dir zur Verdeutlichung die Fotos unten an:
Links siehst Du den Versuchsaufbau: Ein Körner ist mit der Spitze nach oben senkrecht in einen Schraubstock gespannt. Der Deckel eines Torten-Containers wird zentriert auf die Körner-Spitze gesetzt. Mit einer auf den Mittelpunkt des Deckels aufgesetzten Bohrmaschine wird dieser in eine schnelle Rotation gebracht.
Auf dem Foto rechts ist der rotierende Container-Deckel mit einem Uhren-Ziffernblatt und einem Pfeil gekennzeichnet. Der Pfeil zeigt die Rotationsrichtung.
Wenn Du den rotierenden Deckel auf 12 Uhr kurz und kräftig von oben anpustest, neigt er sich bei 3 Uhr nach unten. Wenn Du ihn bei 6 Uhr anpustest, neigt er sich bei 9 Uhr nach unten.
Jetzt lass uns das auf das Vorderrad eines fahrenden Motorrades übersetzen: Wir schauen uns das Rad von rechts an. Die Oberseite des Rades sei 12 Uhr, die Unterseite 6 Uhr, die Vorderseite 3 Uhr und die Seite, die in Richtung Motor schaut, sei 9 Uhr. Die Laufrichtung des Rades wäre also im Uhrzeigersinn. Kippt das Motorrad auf die rechte Seite (im Schaubild die Drehung 1 an der Z-Achse), entspricht das einer Krafteinwirkung nach rechts, die bei 12 Uhr am größten ist. Die Wirkung dieser Kraft setzt um 90° versetzt bei 3 Uhr ein, an der Vorderseite des Vorderrades. Wenn an dieser Stelle eine Kraft nach rechts drückt, dreht sich das Rad in der Lenkachse nach rechts (im Schaubild die Drehung 2 an der Y-Achse).
Kippt das Motorrad auf eine Seite, lenkt das Vorderrad also aufgrund der Kreiselkräfte in dieselbe Richtung ein.
Genau das passiert auch beim Geradeausfahrt-Slalom: Das Motorrad kippt auf eine Seite, das Vorderrad lenkt in dieselbe Richtung und es wird eine kleine Kurve eingeleitet. Dadurch entsteht eine Fliehkraft in Richtung der Kurvenaußenseite, die das Motorrad wieder aufrichtet und es auf die andere Seite kippen lässt. Das Vorderrad dreht sich wieder in Richtung der Kippung und der Vorgang wiederholt sich. Diese Kräfte gleichen sich gegenseitig aus, sodass das System selbststabilisierend ist. Je...
Erscheint lt. Verlag | 12.3.2020 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Sport |
ISBN-10 | 3-7504-8887-8 / 3750488878 |
ISBN-13 | 978-3-7504-8887-8 / 9783750488878 |
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