Der Berg des Schweigens: Begegnung mit einem christlichen Meister -  Kyriacos C. Markides

Der Berg des Schweigens: Begegnung mit einem christlichen Meister (eBook)

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2020 | 1. Auflage
384 Seiten
Aquamarin Verlag
978-3-96861-018-4 (ISBN)
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Professor Markides lehrt Soziologie an einer amerikanischen Universität, als er eines Tages wieder in seine alte Heimat Zypern reist. Auf wundersamen Wegen lernt er dort einen Mönch vom heiligen Berg Athos kennen – und findet seinen Meister!
Ein einzigartiges Buch über die außergewöhnliche Begegnung eines intellektuellen Westlers mit einem Mönch der Orthodoxen Kirche, der auf dem Pfad des Herzens wandelt. Es entfaltet sich ein wahres Feuerwerk des Geistes, voller Spiritualität, mit wunderbaren Erlebnissen, außergewöhnlichen Heilungen, mitreißendem Humor und unbeschreiblich tiefer Weisheit und Menschlichkeit.
Erstmals wird in diesem Dialog zwischen Kyriacos Markides und seinem Meister Vater Maximos das innerste Geheimnis jener einzigartigen mystischen Welt enthüllt, die sich auf dem Athos Jahrhunderte lang weitgehend unbehelligt von der Außenwelt entfalten konnte.
Es drängt sich fast der Vergleich zwischen Tibet und dem Athos auf – zwei verborgene Welten, die ganz im Einklang mit dem Göttlichen leben. So könnte Vater Maximos auch ein erleuchteter tibetischer Lama sein; aber er ist ein erleuchteter christlicher Mönch!
Ein bewegender, zutiefst fesselnder Einblick in das innerste Herz des Christentums, der so noch nie enthüllt worden ist!



Kyriacos C. Markides ist international anerkannter Experte für das esoterische Christentum. Er hat mehrere Bücher über christliche Mystik verfasst, darunter Der Berg des Schweigens, Mit dem Löwen reiten und Der Magus von Strovolos, der erste Band einer Trilogie über Heiler und Mystiker. Dr. Markides ist Professor für Soziologie an der University of Maine, wo er mit seiner Frau Emily auch lebt.

2: Von Altvätern und Heílígen


V ater Maximos erzählte sehr gerne Geschichten über seinen spirituellen Meister, Altvater Paisios, den legendären Einsiedler und modernen Heiligen vom Athos. Ich erinnere mich gut, wie er mir bei meinem ersten Besuch, im Frühjahr 1991, während unserer Wanderung zu Altvater Paisios‘ Einsiedelei, die uns über Stunden durch zerklüftetes Gebirge führte, von einigen außergewöhnlichen Begebenheiten berichtete. »Vor gar nicht langer Zeit«, sagte Vater Maximos uns an jenem Tag, »war ich bei ihm, als Pilger in großer Zahl zu ihm kamen. Es war ein sehr anstrengender Tag für den alten Paisios. Irgendwann am Nachmittag verkündete er der letzten Besuchergruppe: ›Meine Lieben, es ist Zeit, dass ihr geht. Bis zum nächsten Kloster ist es ein sehr weiter Weg. Wenn ihr euch nicht beeilt, werdet ihr das Tor verschlossen finden.‹ Doch einer aus der Gruppe wollte ihn wegen eines persönlichen Problems dringend sprechen. ›Vater‹, sagte er, ›ich würde Sie gerne ein paar Minuten unter vier Augen sprechen.‹ Der alte Paisios winkte ab und sprach: ›Geh, mein Sohn. Geh mit den anderen. Es ist spät, und ich bin sehr müde.‹ ›Aber Vater, bitte!‹, bedrängte ihn der Mann. ›Ich muss Ihnen etwas sehr Wichtiges sagen.‹ ›Geh, mein Sohn. Du brauchst dir keinerlei Sorgen zu machen.‹ Der Mann bedrängte ihn, und der alte Paisios verlor anscheinend die Geduld. ›Um Himmels willen, geht, bevor das Kloster seine Pforten schließt.‹ ›Aber Vater, meine Frau ist schwer krank. Sie stirbt an Krebs.‹ Vater Paisios hielt einen Moment inne, legte seinen Arm um den Mann und sprach. ›Geh, mein Lieber, und sei ohne Sorge. Deiner Frau geht es gut.‹

»Dieser Mann wirkte sehr niedergeschlagen«, berichtete Vater Maximos weiter auf unserem Weg zur Einsiedelei des alten Paisios. »Schweren Herzens und mit dem Gefühl, er habe nichts erreicht, ging er mit den anderen ins Kloster zurück. Er glaubte, die viele hundert Kilometer weite Reise aus dem fernen Athen zum Berg Athos sei reine Zeitverschwendung gewesen. Er hatte gehört, Altvater Paisios sei ein heiliger Mann, durch dessen Gebete und Fürbitten oft Menschen von schweren Krankheiten geheilt würden. Jetzt war seine letzte Hoffnung geschwunden.

Du kannst dir vorstellen, wie überrascht er war und wie sehr er sich freute, als er nach Hause kam und dort seine Frau wohlauf und bei erstaunlich gutem Aussehen vorfand«, fuhr Vater Maximos fort, während wir der Einsiedelei immer näher kamen. »Seine Frau behauptete, als sie noch ans Bett gefesselt gewesen sei, habe kalter Schweiß ihren Körper überkommen. Und nach reichlichem Schwitzen habe sie sich vollständig geheilt gefühlt. Später bestätigte ihr Arzt, dass ihr Krebs auf mysteriöse Weise buchstäblich fortgespült worden sei. Ihr Mann fragte, wann das Schwitzen und die Veränderungen in ihrem Körper eingesetzt hätten, und sie antwortete, das sei etwa um vier Uhr am Freitagnachmittag gewesen. Als ihr Mann dies hörte, lief ihm ein Schauder über den Rücken. Um eben jene Zeit hatte Altvater Paisios ihm versichert, seiner Frau gehe es gut.«

Vater Maximos atmete tief durch und blieb einen Augenblick stehen, die Augen auf das Meer unter ihm gerichtet. Dann sagte er, auf dem Athos seien solche Phänomene nichts Erstaunliches mehr, sondern gehörten zum Alltag der Mönche und Eremiten, die sich dort einem Leben des immerwährenden Gebets und der Kontemplation verschrieben hätten.

»Wenn Menschen ihren Egoismus vollkommen ausgelöscht haben und den Zustand der Theosis oder Vereinigung mit Gott erreichen«, erklärte Vater Maximos, als wir vor Altvater Paisios‘ Tor angelangt waren, »dann entsprechen alle ihre Wünsche dem Wunsch Gottes und werden erfüllt. Es gibt kaum noch eine Trennung zwischen dem Ich des Einzelnen und Gott, zwischen dem Willen des vervollkommneten, christifizierten (also Christus ähnlich gewordenen) Menschen und dem Willen Gottes. Das ist der Zustand der Heiligkeit, der Zustand, den Altvater Paisios durch sein lebenslanges asketisches Ringen erreicht hat. Er hat sich zu einem solchen Grad von egoistischen Leidenschaften befreit«, erklärte Vater Maximos, »dass er zu einem reinen Gefäß wurde, durch das sich die Segnungen und Energien des Heiligen Geistes ergießen.« Noch bevor Altvater Paisios uns das Tor öffnete, fügte Vater Maximos rasch hinzu, dass auch ein »christifizierter« Mensch im Zustand der Einheit mit Gott eine persönliche Identität beibehält. In der mystischen Tradition des Christentums bedeutet die höchste und endgültige Entwicklungsstufe der Theosis (siehe Glossar ab Seite 363 nicht die Auslöschung der persönlichen Individualität.

Ich erinnere mich noch sehr lebhaft daran, wie ich Vater Maximos zum ersten Mal begegnet bin. Es war im Frühjahr 1991 auf jener schicksalhaften Pilgerreise zum Agion Oros, zum Heiligen Berg. In sein Priestergewand gekleidet und mit einem breiten, freundlichen Lächeln auf dem runden Gesicht, wartete er mit drei weiteren Mönchen am Eingang zu Vatopedi, dem unzugänglichen uralten Kloster am Osthang des Berges Athos, auf unsere Ankunft. Bei der Begegnung mit ihm überkam mich jenes unheimliche Gefühl, das uns oft befällt, wenn wir einen völlig Fremden kennenlernen und sofort »Busenfreunde« werden. Doch ich konnte nicht ahnen, welch tiefgreifenden Einfluss diese scheinbar zufällige Begegnung spirituell wie beruflich auf mein künftiges Leben haben sollte.

Gleich bei der ersten Begegnung spürte ich, dass Vater Maximos ungewöhnlich war, dass er trotz seines jungen Alters (damals zweiunddreißig) über außerordentliche spirituelle Weisheit verfügte. Bald darauf erfuhr ich, dass Vater Maximos bei anderen Mönchen als »Altvater« gilt (Gerontas auf Griechisch oder Starez auf Russisch, wovon der im Deutschen gelegentlich gebrauchte Begriff »Starze« abgeleitet ist). Ein Altvater ist jemand, der – wie Altvater Paisios – in dem Ruf steht, mit göttlichem Charisma begnadet zu sein. Ein solcher Altvater (bei einer Nonne spricht man von »Mutter«) kann ungeachtet seines Alters für andere in ihrem Bemühen, sich mit Gott zu vereinen, ein spiritueller Führer sein. Zu erfahren, dass es nicht nur in den östlichen Religionen, sondern auch im Christentum ein lebendiges System der Schülerschaft bzw. »Altvaterschaft« gibt, war eine wichtige Entdeckung für mich.

Ich war seelisch und intellektuell bereit, von ihm zu lernen, eine Haltung, die ich mir während meiner langjährigen Verbindung zu den Mystikern und Heilern Zyperns zu eigen gemacht hatte. Am wichtigsten aber war, dass Vater Maximos die Bereitschaft zeigte, mich unter seine Fittiche zu nehmen und auch angesichts meiner Begrenzungen bei meinen weiteren Erkundungsreisen ins Herz des mystischen Christentums mein Mentor und wichtigster »Informant« zu sein.

Ich schmiedete erste Pläne für eine Rückkehr zum Athos und einen längeren Aufenthalt während meines für das Frühjahr 1997 vorgesehenen Sabbat-Semesters. Mehrere Briefe von Vater Maximos bestärkten mich in diesem Vorhaben. Darin bekräftigte er seine Bereitschaft, mir bei meiner Forschung zu helfen, und bekundete seine Sorge um mein geistliches Wohl. In einem dieser Briefe aus dem Jahr 1992 erwähnte er beiläufig, er sei nun »leider Gottes« zum Protos [»Ersten«] des Heiligen Berges gewählt worden, eine im jährlichen Wechsel vergebene Führungsposition. Es war ein Zeichen der hohen Wertschätzung, die Vater Maximos unter seinen Mönchsbrüdern genoss. Die Position des Protos war außerdem ein Hinweis auf den außergewöhnlichen Status des Berges Athos als autonome christliche Theokratie am Rande Europas, als ein Reservat des untergegangenen Weltreichs Byzanz.

Diese Autonomie zu wahren, war nicht immer leicht. Die Verantwortung muss schwer auf Vater Maximos gelastet haben, auch wenn er sie nur kurze Zeit tragen sollte. Wenn ich an die zusätzliche Bürde seiner neuen Position dachte, erinnerte ich mich an ein Gespräch mit ihm, als er uns einmal zu einer Klosterführung mitnahm, um uns einige unschätzbare Kostbarkeiten religiöser Kunst zu zeigen. Damals erklärte er, wie wichtig es sei, dass der Berg Athos autonom blieb, um den wahren mönchischen Geist aufrechterhalten zu können. »Die Schließung der Klöster«, erklärte er im Hinblick auf Entwicklungen im Westen nach der Reformation, »war, als ob man dem Christentum das Herz herausgerissen hätte.« Er meinte, in den Klöstern sei die religiöse Erfahrung systematisch gepflegt und damit lebendiges Zeugnis von der Existenz Gottes abgelegt worden. Durch die Schließung der Klöster habe sich der Westen auf der Suche nach Gott schließlich nur noch auf den Intellekt verlassen. Doch der Weg zur Erkenntnis Gottes, betonte Vater Maximos wiederholt, führe weder über die Philosophie noch über die experimentelle Naturwissenschaft, sondern über systematische Methoden geistlicher Praxis, die uns für die Gnade des Heiligen Geistes öffnen könnten. Nur dann können wir eine Ahnung vom Göttlichen erlangen, unmittelbares empirisches Wissen über den Schöpfer. Andernfalls, so fuhr er fort, »bleiben wir auf der Ebene reiner Glaubenssätze und Ideologien stecken«. Laut Vater Maximos war der Erhalt der athonitischen Mystik von allerhöchster Wichtigkeit für den Fortbestand des Christentums.

Die Klöster zu erhalten, erforderte geschickte Diplomatie und kluges Vorgehen aufseiten der Mönche. Dies war eine der wichtigsten Aufgaben des Protos und seiner Berater. So manche Anekdote über die fortwährenden Kämpfe der Mönche, die Abgeschiedenheit des Berges Athos und seine Unabhängigkeit von äußeren Eindringlingen zu wahren, die ich während meines ersten Besuches dort gehört habe, werde ich nie...

Erscheint lt. Verlag 19.11.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Esoterik / Spiritualität
ISBN-10 3-96861-018-0 / 3968610180
ISBN-13 978-3-96861-018-4 / 9783968610184
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