Mielke, Macht und Meisterschaft (eBook)

Dynamo Dresden im Visier der Stasi

(Autor)

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2013 | 1. Auflage
304 Seiten
Links, Ch (Verlag)
978-3-86284-263-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mielke, Macht und Meisterschaft - Ingolf Pleil
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Zehn Tage im Januar 1981 erschütterten die DDR-Fußballwelt. Kurz vor der Abreise der Nationalmannschaft nach Südamerika wurden Gerd Weber, Peter Kotte und Matthias Müller verhaftet. Auslöser war der Bericht eines Inoffiziellen Mitarbeiters des Staatssicherheitsdienstes, dass die drei Spieler der SG Dynamo Dresden »bei einem der nächsten Spiele in der BRD bleiben« würden und beim 1. FC Köln unter Vertrag kämen. Die Folgen waren Arrest, Verhöre, Spielsperren, gezielt gestreute Gerüchte. Die Hintergründe aber blieben im Dunkeln.
Jahrzehnte später hat Ingolf Pleil das Aktenmaterial gesichtet, Zeitzeugen befragt und die Ereignisse um Dy­na­mo Dresden umfassend rekonstruiert. Seine Recherchen decken die enge Verknüpfung von Politik, Fußball und Geheimdienst in der DDR auf und zeigen, wie der national und international erfolgreiche Fußballclub Dynamo Dresden in den siebziger und achtziger Jahren durch die Stasi infiltriert wurde. Die Verstrickungen von Spielern, Trainern, Medizinern und Funktionären sorgten auch nach der Wende noch für Turbulenzen rund um den legendären Verein, über dessen Entwicklung bis in die Gegenwart hinein Pleil berichtet.

Ingolf Pleil, Jahrgang 1968, aufgewachsen in Radeberg, nach dem Abitur 1987 Volontariat bei den "Sächsischen Neuesten Nachrichten", Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee; seit 1990 Redakteur im Bereich Landespolitik bei den "Dresdner Neuesten Nachrichten"; Journalistik-Fernstudium an der Freien Universität Berlin, an der er im Jahre 2000 für seine Arbeit über Dynamo Dresden und die Stasi mit dem Fritz-Eberhard-Preis ausgezeichnet wurde.

Die »Bearbeitung« des Fußballclubs durch das MfS


Die Stasi wirbt um geheime Zuträger


»Natürlich konnte der Kandidat auch die Bereitschaft zur Mitarbeit verweigern – zumeist war das eine Frage des Mutes, der Standfestigkeit und der persönlichen Lebensumstände«, stellte Joachim Gauck fest.21 Einer habe bei seiner Ablehnung den Evangelisten Matthäus 16,26 zitiert: »Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?«

Bei Dynamo Dresden klangen die Ablehnungen in den Ohren der MfS-Leute vielleicht weniger bibelfest, aber sie bekamen auch dort welche zu hören. Nach eigenem Bekunden lehnte beispielsweise der Spieler Gerd Heidler eine Zusammenarbeit ab. Aus jugendlicher Opposition habe er das Ansinnen des MfS zurückgewiesen, sagt er. »Reine Gefühlssache« sei dies seinerzeit gewesen. Nach seiner Erinnerung war er damals 20, 21 Jahre alt. Im Verein war er bei einem Gespräch praktisch beiläufig gefragt worden, »ob ich nicht ein bisschen rumhorchen« könne. Heidler wusste zunächst »gar nicht richtig, was die wollen«. In diesem Klima der Ungewissheit wurden die Gespräche offensichtlich gern belassen. Schließlich wurde der Versuch mit dem Hinweis, dass es nicht gelinge, »den IM-Vorlauf von seinem falschen Standpunkt abzubringen«, zu den Akten gelegt.22 Ähnlich waren die Umstände auch bei Spielern, die erfolgreich geworben worden sind.

Etwas anders stellt sich offenbar die Situation bei Matthias Müller dar. Anlass für Müllers Kontaktierung und die Registrierung als IM-Vorlauf durch die Stasi war das Europacupspiel in Liverpool im Frühjahr 1976 »und die damit verbundene Gefahr einer Kontaktierung der jüngeren Spieler durch feindliche Kräfte«23. Die Umstände einer zurückliegenden Republikflucht dienten als Anlass. Zum ersten Kontaktgespräch mit der Stasi suchte der MfS-Offizier Wiedner den damals 21-jährigen Müller in seiner Wohnung auf. Müllers Äußerungen wurden von Wiedner so gedeutet, dass er notierte: »Im ersten Kontaktgespräch erklärte sich der Kandidat bereit, das MfS bei der Durchführung seiner Aufgaben zu unterstützen.«24 Es wurde eine Vorlauf-Akte angelegt und ein weiterer Treff im Rat des Bezirkes geplant.

Abschlussbericht des MfS zur missglückten Anwerbung des Spielers Gerd Heidler, 11. Oktober 1974

Generell erfolgten die Kontakte außerhalb der Bezirksverwaltung des Ministeriums. »Die Firma« hatte ihren Dresdner Sitz in der Bautzener Straße. Heidler: »Das kannten wir damals gar nicht.« Keiner der befragten Spieler oder Trainer gibt an, jemals den Bürokomplex des Ministeriums in Dresden betreten zu haben.

Heidler und Müller sind der Ansicht, dass irgendwann einmal mit jedem Gespräche geführt worden sind, um ihn für eine MfS-Mitarbeit zu werben. Dieser Sachverhalt wird von anderen Spielern (Häfner, Dörner) so nicht bestätigt. Wobei sich heute sicher nicht jedes Gespräch aus dieser Zeit rekonstruieren und dahingehend überprüfen lässt. Aus Heidlers und Müllers Angaben geht hervor, dass die Stasi das Thema Mitarbeit spätestens beim zweiten oder dritten Treff deutlich ansprach. In beiden Fällen genügte es offenbar, geradeheraus die Mitarbeit abzulehnen. Nach eigenem Bekunden ist auf keinen daraufhin Druck ausgeübt worden. Gaucks These, dass ein solches Verhalten etwas mit Mut, Standfestigkeit und den persönlichen Lebensumständen zu tun hatte, findet sich in den Aussagen der beiden Spieler wieder. »Sicherlich sind sie auf die Leute zugegangen, die gerade vielleicht ein Problem hatten, ob das jetzt familiär war, … oder was weiß ich«, erinnert sich Heidler. »Das Beste war schon, man hatte eine reine Weste und konnte keine Anhaltspunkte bieten … Da hatten sie dann Schwierigkeiten und haben es gelassen.«

Im »Abschlußbericht« zum IM-Vorlauf notiert Führungsoffizier Wiedner, Müller habe im zweiten Gespräch in seiner Wohnung zum Ausdruck gebracht, dass er sich nicht für geeignet hält, das MfS dauernd zu unterstützen. Er sei jedoch bereit, so Wiedner in seinem Bericht, bei Starts im nichtsozialistischen Ausland das MfS bei der Sicherung der Mannschaft zu unterstützen. Um solche Passagen eindeutig bewerten oder mit den heutigen Aussagen vergleichen zu können, fehlt eine wichtige Voraussetzung. Es ist in den wiedergegebenen Äußerungen nicht feststellbar, was der jeweilige Gegenüber dem MfS-Mitarbeiter wörtlich sagte. Es lässt sich deshalb nicht klären, welche Formulierungen der Stasi-Mitarbeiter möglicherweise in seinem Sinne interpretierte oder als unpassend wegließ.

Dekonspiration als Gegengift


Es hat sich in den Akten kein Beispiel gefunden, bei dem der MfS-Offizier Aspekte der politischen Einstellung oder die Prägung durch das Elternhaus, wie sie Müller heute benennt, als Ablehnungsgrund notierte. Zum einen hätten sich Spieler damals mit solchen Äußerungen wohl eher ein Eigentor geschossen. Zum anderen war offenbar auch den MfS-Mitarbeitern daran gelegen, möglichst Gründe für das Scheitern einer Anwerbung zu benennen, die ihnen nicht selbst als Fehler ausgelegt werden konnten. Auf diese Weise finden sich in den Akten Argumente, die der Kandidat, ohne sich zu gefährden, vorgetragen haben konnte, die aber gleichzeitig für den Mitarbeiter nicht kompromittierend waren, weil sie sich seinem Einflussbereich entzogen. So wird in Müllers Akten25 festgehalten, er hätte Angst davor geäußert, dass seine Mannschaftskameraden durch Zufall von einer Mitarbeit erfahren könnten, er habe aber nicht über die zugesicherte »unbedingte Einhaltung der Konspiration« reden wollen. Das Gespräch wurde abgebrochen, zum nächsten Treff erschien der Kandidat nicht. Es könne also eingeschätzt werden, stellte Wiedner daraufhin fest, dass der Kandidat nicht gewillt sei, mit dem MfS inoffiziell zusammenzuarbeiten. Als Ursache wurde vermutet, dass er nach dem ersten Kontaktgespräch mit einer dritten Person über die Zusammenarbeit gesprochen und die ihn negativ beeinflusst habe. Damit sei Wiedner ganz aus dem Schneider, durch die Dekonspiration würde der IM-Vorlauf für die Stasi uninteressant.

Wiedners Vorgesetzte gaben sich damit jedoch noch nicht zufrieden, die Ablage (Archivierung) des IM-Vorlaufs wurde zunächst abgelehnt. Der MfS-Mann Gutte musste sich der Sache annehmen. »Unter Legende« wurde Müller im Stadion kontaktiert, von dem »freundschaftlichen Gespräch« war schon die Rede. Eine Dekonspiration konnte nicht festgestellt werden, schrieb Gutte daraufhin. Womöglich hatte sich Wiedner tatsächlich nur dieser Vermutung bedient, um die Ablage des widerborstigen Kandidaten zu erreichen. Nach seinen Aufzeichnungen vom 29. Mai 1979 gelang es Gutte, Müller eine Schweigeverpflichtung abzunehmen, »die er (Müller – d. A.) bereitwillig unterschrieb«. Doch weitere Treffversuche blieben auch für Gutte erfolglos: Müllers Bedenken würden seine moralischen Schwächen zeigen und widerspiegelten seine ablehnende Haltung zum MfS. So griff auch Gutte schließlich zum Argument Dekonspiration: »Bei weiteren Versuchen der Aktivierung besteht die Möglichkeit einer negativen Beeinflussung seines physischen und psychischen Zustandes, was im Gefüge der Oberligamannschaft zu Diskrepanzen führen kann und damit eine Dekonspiration zur Folge haben kann.«26 Am 20. August 1979 wurde der Vorgang abgelegt, mehr als drei Jahre hatte sich die Stasi inzwischen mit Müller befasst. Gutte schlug vor, Müller weiter in einer Operativen Personenkontrolle (OPK) zu bearbeiten. Mit Beschluss vom 10. Januar 198027 geschah das auch. Obwohl Müller nicht zu einer Zusammenarbeit bereit war, sind in der IM-Vorlauf-Akte insgesamt 95 Seiten über ihn zusammengetragen worden.

Jörg Stübner wollte nur Fußballer sein


Nicht alle Spieler konnten in Zeitzeugen-Interviews befragt werden. So stützen sich die folgenden Ausführungen zu den Motiven, nicht mit der Stasi zu arbeiten und zu den spürbaren Folgen dieser Entscheidung, vor allem auf die Angaben in den Stasi-Akten selbst. Ob mit den Notizen des jeweiligen Führungsoffiziers die Beweggründe umfassend dargestellt sind, muss aus den bereits genannten Gründen offenbleiben.

1984 soll der »talentierte und perspektivvolle« Spieler Jörg Stübner kontaktiert worden sein. Wie meistens in solchen Fällen notierte die Stasi, der Spieler sei im Rahmen der Aufklärung der NSW-Reisekader bekannt geworden. Bei der Kontaktierung im Dienstzimmer des Kaderoffiziers der SGD erklärte Stübner zwar eine grundsätzliche Zustimmung zur Unterstützung des MfS, notierte Oberleutnant Schlage, doch er wolle sich eine Zusammenarbeit zunächst noch mal überlegen. Es liege ihm nicht, über Personen zu berichten. Ungeachtet der offenen Situation bat Schlage Stübner zum nächsten Treff bereits in eine konspirative Wohnung (IMK/W »Speer«). Sein Vorgesetzter, Hauptmann Rainer Krahl, notierte auf dem Bericht: »Vor der Registrierung als IM-Vorlauf ist ein weiteres Kontaktgespräch mit dem Ziel der eindeutigen Klärung der Bereitschaft zur Zusammenarbeit zu führen.«28 Zu diesem Gespräch kam es wenige Tage später. Stübner hatte sich inzwischen durchgerungen, die Mitarbeit abzulehnen. »Gut einstudiert«, so Lothar Schlage, brachte er seine Argumente vor: Er sei zu jung; möchte nur Fußballer sein und ungestört Fußball spielen; bei der Geheimdienstarbeit entdeckt zu werden, würde ihn...

Erscheint lt. Verlag 17.12.2013
Reihe/Serie Politik & Zeitgeschichte
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Zeitgeschichte ab 1945
Sachbuch/Ratgeber Sport
Geisteswissenschaften Geschichte
Sozialwissenschaften Pädagogik
Schlagworte DDR • DDR-Fußball • Dresden • Dynamo Dresden • Erich Mielke • Fussball • Fußball • Fußballclub Dynamo Dresden • Gerd Weber • Inoffizielle Mitarbeiter • Matthias Müller • Peter Kotte • SG Dynamo Dresden • Staatssicherheitsdienst • Stasi
ISBN-10 3-86284-263-0 / 3862842630
ISBN-13 978-3-86284-263-6 / 9783862842636
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