3. Die ersten drei Wochen und das erste Mal Malaria
Doch nun zurück zu den ersten Wochen in Togo. Was wir am Abend unserer Ankunft in Lomé noch nicht gesehen hatten, war die Umgebung des mehrstöckigen Hauses, in dem wir die erste Woche verbrachten. Wir wurden von den restlichen Mitgliedern der Partnerorganisation herzlich empfangen und sogleich bildeten wir eine Menschenkette, sodass wir das Gepäck, was vom Dach des Kleinbusses abgeladen wurde, von einer Person entgegennahmen und an die nächste weiterreichten. Wir verteilten uns auf die Zimmer und recht schnell gab es dann auch schon Abendessen, bestehend aus dicken Spaghetti und einer Soße mit Gemüse und Fisch. Naiv, wie wir waren, und weil wir keine Haken in der Decke gefunden hatten, beschlossen wir, nachts zunächst auf die Mückennetze zu verzichten. Ich teilte mir ein Zimmer, das mit einem großen Bett ausgestattet war, mit zwei anderen Mitfreiwilligen. Zudem befand sich eine große Matte im Zimmer. Hinter einer spiegelnden Schiebetür verbarg sich ein Bad, mit Waschbecken, Toilette sowie einem fest an der Wand angebrachten Duschkopf.
Zum Frühstück gab es längliche Brote, von der Form ähnlich wie ein Baguette, und Margarine sowie Marmelade zum Bestreichen. Während es morgens heißes Wasser mit wahlweise einem Teebeutel oder Kakaopulver sowie Kondensmilch gab, hatten wir mittags und abends Wassersäckchen, sogenannte Sachets, aus denen wir tranken. Jedes Säckchen enthielt einen halben Liter Wasser. Um daraus zu trinken, bissen wir in eine der Ecken des Sachets und tranken dann aus der entstandenen Öffnung. An das Essen mussten wir uns im Bezug auf Schärfe und den ständigen Fischgeschmack zunächst gewöhnen, es war jedoch gut, reichhaltig und lecker. Gegessen wurde im Hof des Hauses auf großen Matten, was eine sehr schöne Erfahrung und gute Vorbereitung auf den Alltag in Balanka war.
Die Straße rund um das gemietete Haus in Lomé war nicht geteert und wir wurden von den Kindern aus den umliegenden Häusern neugierig angestarrt, sobald wir auf dem Hof der Unterkunft waren oder durch das Tor auf die Straße traten. Wir nutzten die Freizeit, um ersten Kontakt zu ihnen auf der Straße zu knüpfen, und spielten Spiele wie Käsekästchen oder Klatschspiele. Eine neue Erfahrung war für mich dabei, dass ich die Wege im Haus tatsächlich bewusst erlernen musste, um mich orientieren zu können und einzelne Stufen im Treppenhaus nicht zu übersehen. Auch bei Kartenspielen am Abend hielt ich mich meist im Hintergrund, da ich die Spielkarten in der Dämmerung farblich nicht mehr unterscheiden konnte. Es mag nach Kleinigkeiten klingen, für mich war es jedoch erschreckend, zu realisieren, wie wenig ich nur noch sehe. Während mein Gehirn in der mir vertrauten Umgebung aus Erinnerungen und den visuellen Wahrnehmungen ein meist recht stimmiges Bild zusammensetzt, welches von mir visuell als »scharfes« Bild wahrgenommen wird, wirkte hier alles auf einmal sehr vage, sehr verschwommen auf mich. Aber auch an dieser Stelle war mir mein Freund eine große Hilfe sowie ein Buch, welches er mir vor dem Abflug geschenkt hatte. Es war die Biographie eines fast blinden Mannes, welcher spannende Höhen und Tiefen in seinem Leben überwunden hat.
In der Woche in Lomé hatten wir uns um unser Arbeitsvisum bemüht, wobei mir, da die Schrift der Formulare oft sehr klein und meine Lupe zu schwach war, andere Freiwillige zugeflüstert hatten, was dort stand, damit ich die Formulare ohne weitere Probleme bzw. Verzögerungen ausfüllen konnte. Die Partnerorganisation hatte sich zudem um Telefonkarten für uns gekümmert, welche wir während des Jahres an zahlreichen Ständen in ganz Togo nach Bedarf aufladen konnten. Und weil man in Togo mit Euros nicht weit kommt, wurde zugleich das erste Geld in die Währung CFA
(*22) umgetauscht. Diese Währung ist in insgesamt acht Ländern in Westafrika gültig (u. a. Benin, Togo und Côte d’Ivoire), ein Euro entsprach ungefähr dem Wert von 650 CFA.
Mit den Handykarten und unserem ersten Guthaben waren wir nicht mehr auf den meist überlasteten Hotspot, den uns einer der Mitarbeiter der Partnerorganisation zuvor teils zur Verfügung gestellt hatte, angewiesen und ich konnte erstmals in Ruhe mit Erdin, meinen Freundinnen und Familie schreiben. Telefonieren war schwierig, da wir so viele Menschen an einem Ort waren und man sich schlecht zurückziehen konnte. Dennoch schickte Erdin mir lange Sprachnachrichten über seine Dienstreise und aus seinem Alltag, die mir immer ein Lächeln auf die Lippen zauberten. Nur langsam wurde uns bewusst, dass wir uns nun wohl tatsächlich ein Jahr lang nicht sehen würden. Und doch hatte ich, obwohl wir uns lediglich drei Mal vor meinem Abflug überhaupt in Person gesehen hatten, ein unglaublich großes Vertrauen in unsere Beziehung und empfand schon damals eine Liebe für ihn, wie ich es noch nie für eine Person verspürt habe.
Meine beste Freundin fragte mich in dieser ersten Woche, wie es denn in Togo sei, ob ich Kinderarbeit und Armut wahrgenommen hätte. Darauf fiel es mir unglaublich schwer, zu antworten. Weil ich noch viel zu sehr dabei war, selbst zu lernen, alles um mich herum richtig einzuordnen. Und so konnte ich ihr darauf keine Antwort geben, sondern nur versuchen, ihr das zu beschreiben, was die Partnerorganisation erklärt hatte. Laut ihnen seinen die Kinder, die am Straßenrand Waren verkauften, meist Schulkinder die sich in den Som mer ferien etwas dazuverdienen würden.
Wir besuchten in der ersten Woche den Grand Marché, einen riesigen Markt auf dem man wirklich alles findet, ein Voodoo-Festival an der Grenze zum Nachbarland Benin und einen Privatstrand mit hohem Wellengang, wo das Schwimmen nahezu unmöglich war. Auch ein Besuch am »Lac du Togo« und in Togoville, wo damals der Vertrag mit der Deutschen Kolonialmacht unterzeichnet wurde, war sehr interessant. Wir bekamen an diesem Tag alle T-Shirts mit dem Logo der Partnerorganisation und fuhren mit dem Kleinbus der Partnerorganisation in die Nähe des »Lac du Togo«. Dort stiegen wir dann in ein längliches Boot aus Holz und wurden von dem Fahrer mit einem langen Holzstock, den er ähnlich wie die Gondoliere in Venedig immer wieder ins Wasser stieß, über den See gefahren. Mehrfach kamen wir unterwegs an markierten Stellen vorbei, an denen einzelne Stränge unter Wasser führten, welche dem Fischfang dienten.
Am anderen Ufer angekommen, wurde uns zunächst erklärt, dass bereits der Papst Johannes Paul II Togoville besucht hatte. Kurz hinter dem Holzsteg kamen wir, nachdem wir an einigen Ziegen vorbei einen schmalen Weg entlang gegangen waren, zu mehreren kleineren, runden Häusern. Wir sahen die Statuen zweier Männer, welche den König M’Lapa II von Togoville
(*23) sowie den deutschen »Afrikaforscher«
(*24) Gustav Nachtigal darstellen, während sie im Jahr 1884 den sogenannten »Protektionsvertrag« schlossen, der zugleich den Grundstein für die wirtschaftliche und körperliche Ausbeutung der Einwohner Togos durch Deutschland bis in das Jahr 1914 legte
(*25).
Zudem besuchten wir die etwas oberhalb gelegene »Notre Dame du Lac Togo«, eine gelb-weiß gestrichene Kathedrale, und den Marienschrein, welcher sich daneben befand. Vorbei an einigen hölzernen Verkaufsständen und einem Brunnen ging es dann auf einer geraden Lehmstraße zum Denkmal der togolesisch-deutschen Freundschaft. Dies stellt zwei Frauen, welche sich an der Hand halten und diese nach oben strecken, auf dem Rücken eines Vogels dar. Laut der Partnerorganisation soll eine der Frauen »europäische« und die andere »afrikanische« Gesichtszüge haben. Wir wurden aufgefordert, zu erraten, welche der Frauen wohl Togolesin und welche Deutsche sei, eine Aufgabe, bei der ich mich nicht beteiligen konnte, denn selbst jetzt kann ich auf den damals von mir gemachten Bildern noch nicht erkennen, welche Frau wohl welcher Nationalität angehört. Aber das mag auch einfach daran liegen, dass mir aufgrund meiner Sehbeeinträchtigung der Kontrast bei den Holzstatuen zu gering ist, um mehr als nur die Umrisse zu erkennen. Etwas, was mich in dieser ersten Woche in Togo ein wenig schockierte, als ich feststellte, dass ich mit erschöpften Augen die Bilder auf dem Handy nur noch verschwommen sah. Das ging so weit, dass ich eine Mitfreiwillige fragte, ob die Bilder auf meinem Handy auch für sie verschwommen erscheinen würden, da ich annahm, dass vielleicht einfach die Handkamera meines Smartphones beschädigt worden sei.
Aber zurück zum Geschehen vor dem Denkmal. Wir machten ein Gruppenfoto davor und gingen den Weg zurück. Es wurde erwähnt, dass hier die Religion »Voodoo« noch sehr verbreitet ist. An einem der Stände kaufte eine der Mitarbeitenden der Partnerorganisation eine frische Kokosnuss und Zuckerrohr. Das helle Innere des Zuckerrohrs wurde, unter den interessierten Blicken von uns Freiwilligen, mit einer Machete von der dunklen Schale getrennt und in kleine, ca. 5 cm lange Stücke geschnitten. Die Kokosnuss war außen grün und wurde ebenfalls von einem Teil der dicken, noch weicheren Schale befreit. Dann wurde eine Art Kappe abgeschnitten und die Kokosnuss unter uns Freiwilligen herumgegeben. Das Kokoswasser war erfrischend und gestärkt gingen wir zum Steg zurück. Auf der Überfahrt wurde dann auch die Plastiktüte mit dem Zuckerrohr geöffnet und herumgereicht. Das helle Innere des Zuckerrohrs war süß und sehr faserig, sodass es fast eine Art natürlicher Kaugummi war.
Wieder auf der anderen Seite angekommen, sprangen wir nacheinander aus dem Boot und liefen den steilen, mit Bäumen bewachsenen Hang...