Vergiss Ägypten (eBook)
220 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1197-2 (ISBN)
Barbara Frischmuth, 1941 in Altaussee (Steiermark) geboren, studierte Türkisch, Ungarisch und Orientalistik und ist seitdem freie Schriftstellerin. Seit über 25 Jahren lebt sie wieder in Altaussee.
Nach ihrem von der Kritik hochgelobten Debüt »Die Klosterschule« und dem Roman »Das Verschwinden des Schattens in der Sonne« wurde sie vor allem mit der zauberhaften und verspielten Sternwieser-Trilogie bekannt, der die Demeter-Trilogie folgte. Neben weiteren Romanen wie »Die Schrift des Freundes«, »Der Sommer, in dem Anna verschwunden war«, »Vergiss Ägypten«, »Woher wir kommen« und »Verschüttete Milch« veröffentlichte sie u. a. Erzählungen und Essays. »Der unwiderstehliche Garten« war das vierte ihrer literarischen Gartenbücher.
Meinen Fragenkatalog kennen Sie ja schon, sagte Winifred L.: Woher und warum sind Sie gekommen? An welcher Universität haben Sie etwas vor oder bereits hinter sich gebracht? Werden Sie über dieses Land etwas schreiben?
Wann immer ich in Kairo beruflich zu tun hatte, machte Winifred L. ein Radio-Interview für einen kleinen englischsprachigen Kairoer Sender mit mir. Zum ersten Mal 1981. Wir hatten einander also im Abstand von Jahren älter werden sehen. Jedes Mal war ich wieder überrascht, wir gut sie sich hielt und wie lebhaft und unermüdlich sie noch immer ihrem Beruf nachging. Im Gegensatz zu mir, die ich an diesem Spätnachmittag auf der Terrasse des Florestan wer weiß was dafür gegeben hätte, mich einfach aufs Bett legen zu können, um die versäumte Siesta nachzuholen.
Meine Antworten fielen daher kürzer aus als die letzten Male, so dass ich, nachdem sie zwar ihr Aufnahmegerät abgestellt, aber keinerlei Anstalten zu gehen gemacht hatte, den Spieß umdrehte und sie auszufragen begann. Sie war von Natur aus gesprächig, nahm sich jedoch bei Interviews professionell zurück, umso bereitwilliger spielte sie nun selbst die Rolle der Befragten.
Ich trank noch eine Tasse Tee, in der Hoffnung, dadurch etwas aufnahmefähiger zu werden und mir nicht immer das Gähnen verbeißen zu müssen. Dennoch glitt ich manchmal in jenen halbbewussten Zustand ab, bei dem man nicht mehr Herr über seine Gedanken ist, die sich auf eine träumerische Art verselbständigen. Und erst jetzt, da ich mich an Winifreds Abbas-Geschichte genauer zu erinnern versuche, wird mir klar, wie wenig ich mich auf diese Erinnerung verlassen kann. Beziehungsweise, wie sehr ich es in meiner Müdigkeit verabsäumt hatte, einzuhaken und nachzufragen, vor allem an den Stellen, die mir heute unglaubwürdig erscheinen.
Winifred L. war Engländerin und hatte seinerzeit in London Kunstgeschichte mit Schwerpunkt Islamische Kunst studiert.
Sie war rasch in Fahrt gekommen, und ich wollte sie nicht unterbrechen, dabei hätte ich sie sogleich fragen müssen, warum sie sich ausgerechnet für islamische Kunst interessiert hatte.
Ziemlich bald erhielt sie ein Stipendium für die amerikanische Universität in Kairo, wo sie ihren späteren Mann kennenlernte, einen Alexandriner alter Schule, wie sie betonte, der dann in den Golfstaaten das Fernsehen aufbaute. Diesen Ausdruck alte Schule bekam ich öfter zu hören, wenn Europäerinnen unseres Alters ihre ägyptischen Männer zu charakterisieren versuchten, und es bedeutete immer, dass diese wohlgeraten, wohlerzogen und wohlhabend waren.
Ich weiß nicht mehr, warum Winifred L. von Nasser zu erzählen, besser gesagt, zu schwärmen begann. Wahrscheinlich war ich für ein paar Sekunden von der Müdigkeit vollkommen übermannt worden und erst beim Stichwort Nasser wieder erwacht. Nasser muss ein gutaussehender, charismatischer Mann gewesen sein, so gut aussehend und so charismatisch, dass Winifred L., als sie einmal mit dem Fernsehteam ihres Mannes bei ihm war, gar nicht hatte aufstehen können, als Nasser sich an sie wandte, so weich waren ihre Knie bei seinem Anblick geworden. Später hat ihr Mann Nasser davon erzählt, und der soll sich sehr darüber amüsiert haben.
Sie hatte auch Sadat gekannt, der, wie sie sagte, mithilfe der Religiösen die Kommunisten vertreiben wollte.
Unter ihm ist Ägypten viel unfreier geworden. Sogar den Alkohol hat er verbieten lassen, obwohl er selbst sich immer, wenn er abends nach Hause kam, eine Wasserpfeife und einen Whisky genehmigte. Und seine Frau Dschihan, die Liz Taylor des Nahen Ostens, habe immer alles bekommen, was sie bekommen wollte, und getan, was sie tun wollte. Und seit Sadat ermordet wurde, versuche eben Mubarak das Land zusammenzuhalten und zu stabilisieren. Winifred war, genau wie Katrin, der Meinung, dass Mubaraks Sohn sein geeignetster Nachfolger wäre.
Der hat wenigstens alles von der Pike auf gelernt und ist allem Anschein nach das geringere Übel.
Winifred L.s Stimme grub sich in meinen Kopf ein. Sie sprach schnell und bestimmt, und ich war froh, dass der Strom ihres Erzählens nicht abriss und ich gar nicht mehr zu fragen brauchte.
Mein Mann, sagte sie, war der Sohn eines Ägypters und einer Türkin. Die Türken haben in Ägypten, das ja lange zum Osmanischen Reich gehörte, immer als äußerst vornehm gegolten, und es hat meinen Schwiegervater große Anstrengung gekostet, bei seinen zukünftigen Schwiegereltern überhaupt vorgelassen zu werden. Dennoch wurde diese Türkin seine Frau. Sie haben zeitlebens französisch miteinander gesprochen.
Meine spätere Schwiegermutter, fuhr sie mit einem sarkastischen Lächeln fort, hat die Ägypter immer für faul und schmutzig gehalten, bis auf ihren Mann natürlich und die besseren Kreise von Alexandrien, in denen sie verkehrten.
Winifred L. hatte ihrem Mann, der schon vor Jahren gestorben war, was sie noch immer heftig zu betrauern schien, drei Kinder geboren. Mein ältester Sohn lebt seit zwanzig Jahren in Dubai. Seine Frau hat einen chinesischen Vater und eine philippinische Mutter. Meine drei Enkel haben einen ausgesprochen asiatischen Charakter. Sie sind sehr ehrgeizig und weinen nie, wenn sie sich die Knie blutig schlagen.
Meine Tochter hinwiederum hat Germanistik studiert, arbeitete fürs deutsche Fernsehen und war auch mit einem Deutschen verheiratet, lebt aber mittlerweile wieder in Kairo, wo sie für die Berichterstattung aus der arabischen Welt zuständig ist. Sie ist zwischendurch sogar einmal für sechs Wochen im Irak stationiert gewesen, eine riskante Mission, aber sie hat sie mit Bravour hinter sich gebracht.
Mein jüngster Sohn ist erst achtzehn und hat im Gegensatz zu seinen älteren Geschwistern ein ausgesprochen ägyptisches Temperament. Ein bequemer kleiner Pascha eben, der gar nicht nach Europa will.
Ich versuchte, mir die Kinder von Winifred L. vorzustellen, in denen sich so viele Herkünfte spiegelten, aber wie sollte mir das gelingen, ohne einer Klischeevorstellung nach der anderen aufzusitzen. In Wirklichkeit würden ihre Kinder und Enkelkinder ohnehin ganz anders aussehen, als ich sie mir aus den wenigen Worten, mit denen sie sie mir beschrieben hatte, zusammenreimen konnte.
Während ich noch diesen mir unbekannten Kindern und Enkelkindern nachhing, hörte ich Winifred L. sagen, dass sie sich noch immer für Malerei, Musik und Literatur interessiere.
Im Grunde bin ich nie von der Kunst, nämlich der wahren Kunst, losgekommen. Denn wenn ich etwas hasse, dann ist es das Vulgäre, das Obszöne und das Pornographische. Als ich neulich mit meiner Tochter in Deutschland war, bin ich aus der Frankfurter Oper hinausgegangen, weil in Pelléas und Mélisande plötzlich dreißig splitternackte Frauen auf der Bühne standen.
Ich musste an ein Gespräch von vor Jahren denken, bei dem sie sich über die Schamlosigkeit europäischer Touristinnen in dem Hotel in Hurghada empört hatte, in dem sie mit einem ihrer Enkel auf Badeurlaub gewesen war. Diese Frauen verführen Kellner und Hausboys und gaukeln den armen Kerlen ein Leben vor, an dem sie in Wirklichkeit nie teilhaben können. Selbst wenn sie sich tatsächlich in einen dieser Burschen verlieben und ihn nachkommen lassen, ist von vorneherein abzusehen, wie es enden wird. Sie hatte mir damals auch von einer deutschen Architektin erzählt, die sie persönlich kannte und die sich den jungen Mann, mit dem sie in Ägypten eine Liebesaffäre hatte, nachkommen ließ. Nur zu Besuch natürlich. Damit er sehen sollte, wie man in Europa lebt. Er hatte es missverstanden und gedacht, sie würde – doppelt so alt wie er – etwas für ihn tun wollen, da er ihr doch den Urlaub versüßt hatte. Als er dann erfuhr, dass er wirklich nur zu Besuch hatte kommen dürfen, versuchte er, eine ihrer Freundinnen anzubaggern, was ihm die Architektin als himmelschreiende Undankbarkeit ausgelegt hatte, worauf sie ihn früher zurückschickte, als ausgemacht war.
Die Müdigkeit hatte mich weiter in die Erinnerung zurücksinken lassen, als der Gegenwart guttat. Ich fuhr auf, als Winifred L. mich plötzlich und mit aller Bestimmtheit fragte: Sind Sie nicht auch dieser Meinung? Zum Glück wartete sie meine Antwort nicht ab. Ich verstehe all die jungen Ausländerinnen nicht, die heutzutage Ägypter heiraten und sich ständig über ihre Männer beklagen. Dabei haben sie alle mindestens drei bis vier Kinder von ihnen. Ich hätte als junge Frau ziemlich bald gewusst, ob ein Mann zu mir passt oder nicht, und wenn nicht, wäre ich wieder gegangen. Sie doch auch?
Ich zuckte die Achseln. Ich sei mir nicht sicher, ob man das immer so rasch herausfinden könnte.
Jedenfalls lässt es sich in Kairo ganz gut leben, vor allem, wenn man halbe Tage im Gezira-Club herumsitzt, einen Chauffeur, ein Kindermädchen und einen Koch hat. Darum bleiben sie auch alle, fügte sie noch hinzu, während sie ihr Aufnahmegerät in die dafür vorgesehene Tasche packte und sich die Jacke überzog.
Zum Abschied stellte ich ihr eine letzte Frage, nämlich ob sie es je bereut hätte, in Kairo geblieben zu sein, mit allem, was das für sie bedeutet haben mochte.
Sie sah mich an, als hätte sie diese Frage nicht erwartet, und schüttelte den Kopf. My god, keineswegs, sagte sie mit der ihr eigenen Bestimmtheit, oder sehe ich etwa so aus?
Ich hatte den Eindruck, dass sie mir gerne genauer erklärt hätte, warum sie es nicht bereute, aber in diesem Augenblick bemerkte sie die Besitzerin des Hotels, die sie seit langem kannte und mit der sie sich wohl ein wenig unterhalten wollte, denn...
Erscheint lt. Verlag | 10.6.2016 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Sachbuch/Ratgeber | |
Reisen | |
Schlagworte | Ägypten • Frauen • Kultur • Orient • Reiseliteratur • Roman • Selbstfindung • Tradition |
ISBN-10 | 3-8412-1197-6 / 3841211976 |
ISBN-13 | 978-3-8412-1197-2 / 9783841211972 |
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Größe: 2,4 MB
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