Bravado

Inhaltsverzeichnis
PROLOG 7
NAMIBIA 14
SAMBIA 17
MALAWI 33
TANSANIA 59
UGANDA 110
KENIA 134
ÄTHIOPIEN 163
SUDAN 214
ÄGYPTEN 245
DEUTSCHLAND 270

Am späten Nachmittag setzte ich mich in einen Minibus und setzte mich ab. Vom Ortsausgang ging ich zu Fuß weiter in den Wald. Auf dem Weg machten mir einige Menschen seltsame Handzeichen, andere meinten, ich solle den Bus nehmen. Aber ich spielte mal wieder den Taubstummen, winkte ab und lief weiter. Das Risiko war wohlkalkuliert. Fünf Kilometer gab ich mir, bevor ich umkehren würde. Wenn mich bis dahin niemand mitnehme, wäre ich im Hotel am Stadtrand eingekehrt. Doch der Erfolg machte alle derartig lästigen Gedanken überflüssig. Man konnte die Hand kaum noch vor Augen sehen, als ein Auto sogar für mich ein paar Meter zurücksetzte, um mich bei Kilometer viereinhalb einzusammeln. Jetzt sitze ich fünfundzwanzig Kilometer vor den Toren von Addis und bin schon mitten in der Provinz. Im stockfinsteren Wald ging es steil bergauf, sobald das Ortsschild von Äthiopiens Metropole passiert war. Man nennt die grüne Lunge der Hauptstadt Entoto. Die Luft wird dünner. Nadelbäume säumen den Weg, ihre schemenhaften Wipfel sind auch jetzt sehr schön anzuschauen. In dieser würdigen Umgebung trainiert also Kenenisa Bekele, der einzig legitime Nachfolger Haile Gebreselassies. Zwar ist er noch etwas schneller, hat dafür aber nur halb so viel Charisma wie Strahlemann Haile. In der Zeitung habe ich gelesen, dass Bekele hier beim Laufen einen Löwen gesehen haben will und sich daraufhin in Trainingsbestzeit aus dem Staub machte. Die Gewohnheit ist ein Hund. Ich muss essen, ich muss schlafen. Doch ich muss nicht wissen, wann, wie und wo ich schließlich ankomme. Nur beim Transport kann ich an Vorhersagbarkeit sparen. Ein Milchbauer, der hier gerade sein Imperium mit dem weißen Modegetränk gründet, hat mich reizenderweise mitgenommen. Er war fünfzehn Jahre in Kiew bei den Kommunisten zur Ausbildung. Wir sind alle gleich, meint er noch heute, zwanzig Jahre nach dem endgültigen Scheitern der Utopie von der Gleichheit der Menschen. Der feine Herr bestand darauf, mir das Hotelzimmer zu zahlen, sogar mit Fernseher drin. Der schicke Röhrenapparat ist aber mehr Qual als Freude. Der einzige Sender, der zu empfangen ist, hat sich entschlossen, Propaganda nicht in homöopathischen Dosen, sondern als Adrenalinspritze ins Herz der Bevölkerung einzusetzen. Es sind fünfhundert Kilometer bis Bahir Dar. Morgen geht es los. Die Straße hat mich wieder.