Was werden wir morgen essen? Fragen zur Zukunft der Ernährung (eBook)

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2024 | 1. Auflage
164 Seiten
tredition (Verlag)
978-3-384-36617-7 (ISBN)

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Was werden wir morgen essen? Fragen zur Zukunft der Ernährung -  Symposion Dürnstein
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Dieser Tagungsband dokumentiert das Symposium Dürnstein 2024 zum Thema WAS WERDEN WIR MORGEN ESSEN? Fragen zur Zukunft der Ernährung, das vom 14. bis 16. März in Dürnstein in Niederösterreich stattfand. Er enthält Vorträge und Diskussionsrunden dieser Veranstaltung. Das Symposion Dürnstein ist ein transdisziplinärer Gedankenaustausch, bei dem sich Menschen mit unterschiedlichen Ansichten, Haltungen, Religionen und Weltanschauungen zum Austausch und Diskurs treffen. Das 13. Symposion Dürnstein widmete sich der Frage nach der Zukunft unserer Ernährung. Die Frage nach der Ernährung von morgen ist drängend - nicht nur aus medizinischen oder demographischen Gründen, sondern vor allem wegen einer unheilvollen Mischung aus wirtschaftlichen, agrarischen und klimatischen Ursachen. Im Auftrag von Weltbank und UNO haben über 400 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler 2008 den Weltagrarbericht erstellt, eine schonungslose und deshalb höchst unbequeme Analyse des planetaren Status quo. Das Ergebnis: Die industrielle Landwirtschaft strebt nach hohen Gewinnen und beutet dafür die natürlichen Ressourcen aus. Die Übernutzung des Bodens führt unter anderem zur Zerstörung des Humus - jener relativ dünnen Schicht, in der Milliarden von Bodenorganismen das Wachstum der Pflanzen ermöglichen. Durch die drastischen Eingriffe in die natürlichen Kreisläufe - Stichwort Mineraldünger und Pestizide - ist bereits im Jahr 2023 rund ein Fünftel der europäischen Tier- und Pflanzenwelt unmittelbar vom Aussterben bedroht. Die meisten dieser Arten dienen nicht unmittelbar der menschlichen Ernährung und sind für den Menschen oft lästige Insekten - aber für die Aufrechterhaltung der Lebenskette, als Bestäuber und Nahrung für andere Tiere unverzichtbar. Das Artensterben zerstört die natürliche Nahrungskette und damit die Lebensgrundlage des Menschen. Agrarwüsten und Saatgut- und Düngemittelkonglomerate sind nicht geeignet, das Überleben der Menschheit zu sichern, so der Weltagrarbericht. Ernährungssicherheit für die Weltgemeinschaft können nur kleine Bauern sichern, die Agroforstwirtschaft betreiben, also eine Mischwirtschaft mit Bäumen, Feldern. Tieren in kleinen Einheiten.

GUNTHER HIRSCHFELDER

WAS WERDEN WIR ESSEN? FRAGEN ZUR ZUKUNFT DER ERNÄHRUNG

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts stehen Tier und Fleisch im Zentrum polarisierender Debatten – und konsensuelle Lösungen scheinen noch immer in weiter Ferne. Während Akteurinnen und Akteure des Tier- und Umweltschutzes für freiwillige Beschränkungen beim Fleischkonsum plädieren, regt sich anderorts Sorge angesichts der kontinuierlich teurer werdenden Fleischprodukte: Als „Döner-Schock“ titulierte etwa das deutsche Nachrichtenportal „Focus online“ den markanten Preisanstieg des Imbissgerichts, das zudem „weniger Fleisch“ enthalten sollte, auf „bis zu 10 Euro“; insbesondere die Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes von sieben auf 19 Prozent übte hierauf neben den gestiegenen Einkaufspreisen Einfluss aus. Die Leitthemen des gegenwärtigen Ernährungsdiskurses – Umwelt, Gesundheit und Tierethik – spielen in dem paradigmatischen Bericht keine Rolle. Stattdessen wird eine andere Logik ins Feld geführt:

Die Döner-Mahlzeit vom Imbiss ist in Deutschland sehr beliebt. Denn die Preise lagen in der Vergangenheit konstant bei gut fünf Euro. Den Schüler-Döner gab es wiederum für unter vier Euro. Im Gegenzug erhielten die Kunden eine sättigende und erschwingliche Mahlzeit. Von diesen Preisen sind die Betriebe heute weit entfernt (Mitsis 2024).

Zumindest seitens der Verbraucherinnen und Verbraucher ist die Bewertung des Fleisches ambivalent: Die stille Mehrheit konsumiert zwar gerne günstiges Fleisch in üppigen Mengen, hält sich mit öffentlichen Äußerungen jedoch eher zurück. Demgegenüber weisen öffentliche Debatten um die vermeintlich richtige Ernährung wie auch die Leitlinien europäischer Politik eine deutliche Tendenz zu einer kritischen Perspektive auf – denn Fleisch, einst Metapher für Wohlstand, Gesundheit und Fortschritt, ist seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend krisenhaft besetzt (Hirschfelder 2024, 15f.)

Der gedeckte Tisch als Bühne

Weit über ihre Stofflichkeit hinaus sind Tier und Fleisch tradierte Wertigkeiten und Symboliken inhärent. Menschen essen kultur- und ortsunabhängig ihr ganzes Leben lang – die Ernährung wird deshalb auch als „soziales Totalphänomen“ bezeichnet. Wie wir essen, ist eng in ein kulturelles Bedeutungsgewebe verflochten und Resultat eines tradierten historischen Prozesses (Hirschfelder 2022, 7–23). Lebensmittel sind nicht allein auf ihre Sättigungsfunktion zu reduzieren, sondern fungieren auch als Symbole: für Weltanschauungen und die Positionierung des Selbst. Der gedeckte Tisch stellt eine Bühne dar, auf der wir zeigen, wer wir sind oder gerne sein möchten. Blickt man in die Vergangenheit, galt das für das proteinreiche, energiedichte und damit exponierte Fleisch in besonderem Maße. Zunächst übten wir Menschen uns in der Jagd, später domestizierten und züchteten wir Tiere, das heißt, wir veränderten sie zugunsten besserer Nutzbarkeit. Viehhaltung diente neben der Verarbeitung von Fell, Leder und Knochen vornehmlich der Milch- und Fleischgewinnung (Winterberg/Hirschfelder 2020, 28). So spiegelt die Tierproduktion auch landwirtschaftliches Wissen der jeweiligen Epoche, technologische Innovationen und gesellschaftliche Diskurse wider: Ob Großställe und Käfighaltung als progressiv gefeiert oder als Tierquälerei kritisiert werden, ist also abhängig von der Bewertung der Konsumierenden wie auch der Politik, die in historischer Perspektive Effizienz und Tierwohl unterschiedlich gewichtete.

Als unverzichtbare Proteinquelle, die eine hohe soziale und religiöse Symbolkraft besaß, kam Fleisch in allen Kulturen eine erhebliche gesellschaftliche Bedeutung zu. Sein Konsum hatte Prestige- und Statusfunktionen; als Kraftquelle war Fleisch daher zumeist männlich konnotiert (Ebd., 29). Um nachvollziehen zu können, wie künftige Politiken ausgestaltet sein müssen, um die drängenden Nachhaltigkeitsziele mehrheitsfähig zu erreichen, soll zunächst ein kursorischer Blick in die Geschichte geworfen werden.

Fleischgeschichte im Spiegel des Zivilisationsprozesses

Gegenwärtige Diskussionen kreisen oftmals um die Frage, ob Fleisch überhaupt einen elementaren Bestandteil der menschlichen Ernährung bildet – diese Frage ist historisch betrachtet eindeutig zu beantworten: Insbesondere für die Entwicklung der frühen Hominide war der Zugang zu amino- und fettsäurehaltigen Nahrungsmitteln von hoher Relevanz. Zwar stützte sich ihre Ernährung überwiegend auf eine pflanzliche Basis, doch präferierten sie das Fleisch aller jag- und fangbaren Tiere – inklusive Insekten und Reptilien, Fischen, Schalenweich- und Krustentieren. Unsere Vorfahren erschlossen sich erst im Laufe der Zeit weitere Proteinquellen, die das Hirnvolumen von etwa 500 auf 1.300 cm3 anwachsen ließen (Mann 2007, 102-107). Das heutige Niveau erreichten der homo sapiens neanderthalensis und der zeitgleich auftretende moderne Mensch homo sapiens sapiens vor etwa 50.000 Jahren im Mesolithikum. Nun weitete sich das Beutespektrum auch auf große Säuger aus: Höhlenbär, Wollnashorn und vor allem Mammut rückten an die Spitze des Speiseplans und konnten mithilfe künstlich erzeugten Feuers gegart werden (Winterberg/Hirschfelder 2020, 29).

Gleichwohl war das Überleben der Gattung Mensch erst mit einer weiteren revolutionären Änderung gesichert: Als das Ende der letzten Eiszeit anbrach und die Kälte wich, entwickelten sich im Zuge der Neolithischen Revolution vor gut 12.000 Jahren in Vorderasien – und mit zeitlichem Abstand auch in Europa – Ackerbau und Sesshaftwerdung; darüber hinaus begann man, Wildtiere zu domestizieren. Jene Faktoren führten zu einer Stabilisierung der Nahrungsaufnahme, und Tiere, etwa Ziege, Schaf, Rind, Schwein und Geflügel, zogen in den Nahbereich des Menschen, der sie vor Raubtieren schützte (Hirschfelder 2021, 169f.). Da Dung maßgeblich für das Gelingen des frühen Ackerbaus war und Leder, Wolle oder Fell einen deutlichen Gewinn an Lebensqualität bedeuteten, handelte es sich um ein Verhältnis von wechselseitigem Nutzen. In den neolithischen Kulturen, zuvorderst den frühen Hochkulturen der Sumerer, der Assyrer und im klassischen Ägypten, avancierten Nutztiere zur wichtigen Kriegsbeute und zu Statussymbolen; ferner waren sie in den Kosmos der Gottheiten integriert. Infolge der Domestizierung des Pferdes um 3.500 v. Chr. in den Steppen Asiens entstand ein Kräftedreieck zwischen Tier, Versorgung und Machtpolitik bzw. Krieg – denn das Pferd war ein Mehrnutzungstier, welches zum einen Milch, Fleisch, Leder und Dung lieferte, zum anderen aber als Kriegsgerät fungierte.

Im Römischen Reich erreichten die Nutzbarmachung des Tieres und die politische Inwertsetzung von Fleisch seit dem Ende des ersten vorchristlichen Jahrtausends eine neue Dimension: Diese Ökonomisierung galt für das gesamte Herrschaftsgebiet und prägte den europäischen, nordafrikanischen und vorderasiatischen Raum nachhaltig – doch konnte sich die Mehrheitsbevölkerung der Vormoderne selbst im strikt organisierten Römischen Reich keiner durchgehend ausreichenden Kalorienversorgung gewiss sein. Für den Mittelmeerraum betrug der durchschnittliche Fleischkonsum immerhin ca. 20 Kilogramm pro Kopf und Jahr – das Tier war nun endgültig zum Nutztier geworden. In Nord- und Mitteleuropa verdankte die keltische und germanische Bevölkerung ihren höheren Fleischverzehr einer günstigeren Boden-Mensch-Relation (Winterberg/ Hirschfelder 2020, 30).

Fleisch als Basis und Achillesverse der vormodernen Ernährung

Das Mittelalter fiel im Vergleich zur strategischen Landwirtschaft und Fleischpolitik des Römischen Reiches in Anarchie zurück: Um 400 n. Chr. markierte die Völkerwanderung das Ende der Antike; nördlich der Alpen erodierten staatliche Strukturen. Im Klimapessimum des nasskalten Frühmittelalters gab es zumindest in fruchtvollen Jahren für einen Teil der Bevölkerung Fleisch im Überfluss, womöglich bis zu 100 Kilogramm pro Kopf und Jahr. Insbesondere beim Adel galt eine üppige Nahrungsaufnahme als Zeichen von hohem gesellschaftlichem Rang. Die Mahlzeiten waren gekennzeichnet von umfangreichen Mengen, primär an simpel zubereitetem Fleisch (Hirschfelder 2005, 106). Hinsichtlich der Qualität der Produkte bestanden im frühen Mittelalter kaum soziale Unterschiede; aufgrund einer fehlenden geregelten Vorratswirtschaft und der Abwesenheit eines politischen Gestaltungswillens in Fragen der Landwirtschaft sanken Lebensstandard und -erwartung markant. Nach einem langen halben Jahrhundert erfuhren Wirtschaft und Fleischkonsum sodann einen tiefgreifenden Wandel, als das hochmittelalterliche Klimaoptimum eine Expansion der Getreidewirtschaft ermöglichte. Hiermit war eine entscheidende Basis für die seit dem 11. Jahrhundert wellenartig einsetzenden Städtegründungen geschaffen. Zwar nahmen sich die Territorien kaum Themen der Tierhaltung an – lediglich im Bereich...

Erscheint lt. Verlag 24.9.2024
Reihe/Serie Tagungsband zum Symposion Dürnstein
Verlagsort Ahrensburg
Sprache deutsch
Themenwelt Naturwissenschaften Geowissenschaften Geografie / Kartografie
Schlagworte Biodiversität • Bionik und Ernährung • Boden • Ernährung • Ernährungssicherheit • Humus • Klimawandel • Landwirtschaft • Lebensmittelsicherheit • nachhaltige Landwirtschaft • Nachhaltiges Ernährungssystem • "neue Lebensmittel" • Slow Food • Versorgungssicherheit
ISBN-10 3-384-36617-4 / 3384366174
ISBN-13 978-3-384-36617-7 / 9783384366177
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