Wie wollen wir sterben?
DVA (Verlag)
978-3-421-04419-8 (ISBN)
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Die Würde des Menschen muss auch und gerade bei unheilbar kranken und alten Menschen respektiert und bewahrt bleiben. Viel zu oft allerdings setzen sich Ärzte über den Willen ihrer Patienten hinweg, tun alles, was medizinisch und technisch möglich ist, und tragen so eher zur qualvollen Sterbeverzögerung als zur sinnvollen Lebensverlängerung bei. Aber Lebensverlängerung, so de Ridder, darf nie zum Selbstzweck werden. Ein leidenschaftliches Plädoyer für Selbstbestimmung und Fürsorge am Lebensende.
Der medizinische Fortschritt der letzten Jahrzehnte hilft zahllosen Patienten, verschafft Heilung oder zumindest Linderung, rettet und verlängert Leben. Gleichzeitig hat Hochleistungsmedizin, wie sie in unseren Krankenhäusern praktiziert wird, aber auch ihre Schattenseiten. Michael de Ridder, seit über dreißig Jahren an verschiedenen Kliniken in Hamburg und Berlin als Internist, Rettungs- und Intensivmediziner tätig, plädiert dafür, Sterben wieder als Teil des Lebens wahrzunehmen und anzuerkennen. Er richtet sich damit nicht zuletzt an die eigene Zunft. Vielfach verstehen sich Ärzte in einer medizinisch-technischen Krankenhauswelt, in der alles möglich scheint, ausschließlich als Heilende. Was aber, wenn eine Heilung nicht mehr möglich ist? Wenn ein Patient »austherapiert« ist, wie es im Fachjargon heißt? Statt Todkranke um jeden Preis am Leben zu erhalten, müssen Mediziner lernen, in aussichtslosen Situationen ein friedliches Sterben zu ermöglichen. Gerade hier, so de Ridder, sind Ärzte gefragt, als Begleiter, als Fürsorger.
Michael de Ridder ist seit mehr als dreißig Jahren im ärztlichen Beruf tätig, zuletzt als Chefarzt der Rettungsstelle eines Berliner Krankenhauses und als Geschäftsführer des von ihm mitbegründeten Vivantes Hospiz. Als Vorsitzender einer Stiftung für Palliativmedizin befasst er sich seit vielen Jahren kritisch mit dem Fortschritt in der Medizin und Fragen der Gesundheitspolitik und erörtert dies immer wieder in den Medien, unter anderem in »Die Zeit«, »Frankfurter Allgemeine Zeitung« und »Cicero«. Für sein medizinisches Wirken wurde er vielfach ausgezeichnet.
Es war in der Fr�hzeit meiner �tlichen Ausbildung: Gerade hatte ich als junger Stationsarzt einer internistischen Station die Oberarztvisite beendet, als mir der Aufnahmearzt telefonisch einen alleinstehenden 64-j�igen Patienten im Endstadium einer Tumorerkrankung ank�ndigte: "Tu den am besten in ein Einzelzimmer, der stirbt sowieso bald." Der Krankentransport �bergab mir einen blassen, h�stelnden und vom Tode gezeichneten Mann, der mich aus gro�n Augen eines ausgezehrten Gesichts anschaute. �er ein freies Einzelzimmer jedoch verf�gte ich nicht und auf eine andere Station auszuweichen, war wegen fehlender Betten nicht m�glich. Aber war da nicht noch ein freies Bett im einzigen Sechsbettzimmer meiner Station? Ich z�gerte. Konnte ich den f�nf Patienten dieses Zimmers einen zu Tode Erkrankten wirklich zumuten? Ich erschrak vor meiner eigenen Frage und begriff in diesem Moment: Das Sterben geh�rt ins Leben - unter Menschen! Und nicht in die Verlassenheit eines Einzelzimmers. Eine halbe Stunde lang sprach ich mit den anderen Patienten, deren anf�liche Beklommenheit und Bedenken ich schlie�ich zerstreuen konnte. "Stell dir vor, du h�est Krebs im Endstadium wie er", sagte einer von ihnen in die Runde, und zu mir gewandt: "Wir nehmen den, Herr Doktor, er kriegt einen Fensterplatz!" Die anderen nickten zustimmend. Nie wieder habe ich �nliches erlebt: Die Patienten des Sechsbettzimmers organisierten untereinander f�r den Todkranken eine 24-Stunden-Sitzwache, sie sa�n an seinem Bett, f�tterten und wuschen ihn und lasen ihm aus der Zeitung vor. F�nf Tage sp�r starb er, in ihrer aller Anwesenheit. Einer seiner Mitpatienten sagte bei der Entlassung zu mir: "Diese f�nf Tage meines Lebens waren wichtig, ich werde sie nie vergessen." Ich verga�diese Episode bald und erinnerte mich an sie erst Jahre sp�r wieder. Im Nachhinein will es mir scheinen, als spielte sie eine Schl�sselrolle in meinem �tlichen Werdegang. Der war weniger davon gepr�, mir m�glichst rasch eine klassische Medizinerkarriere als Internist zurechtzuzimmern, z�gig die Beherrschung apparativer Verfahren, wie Gastroskopie oder Echokardiografie anzueignen, an wissenschaftlichen Studien teilzunehmen und mich nach M�glichkeit um eine Promotionsstelle bei einem �tlichen "Meinungsbildner" mit der Aussicht zu bem�hen, in Zukunft selbst auf den B�hnen der Medizin als Halbgott aufzutreten. So wichtig es mir w�end meiner ersten Berufsjahre zweifellos war, die klinische Medizin sowie apparative diagnostische und therapeutische Fertigkeiten zu erlernen, so sah ich doch bald die f�r mich bedeutenderen und fesselnderen Herausforderungen des Arztberufs, von dem ich erst sp�begriff, dass er tats�lich zu meinem Traumberuf geworden war, im Unterholz der Medizin und auf ihren Brachfl�en; mich zog es dorthin, wo die �zteschaft offenbar kapituliert hatte, ideenlos geblieben war und wirklicher Versorgungsmangel herrschte. Wie konnte es sein, dass in einem zivilisierten und medizinisch hoch ger�steten Land wie dem unsrigen, das sich gern das Etikett "Sozialstaat" anheftet, zahllose chronisch Kranke und Pflegebed�rftige �tlich und pflegerisch in einem Ausma�unterversorgt waren (und sind), das schlie�ich den Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages auf den Plan rief? Wie war es m�glich, dass gleichzeitig in der deutschen Kardiologie eine geradezu groteske, Milliardenbetr� verschlingende �erversorgung (Herzkatheter!) nachzuweisen war und immer noch ist? Welches Selbstverst�nis hatte eine �zteschaft, die kranke Drogenabh�ige in der Vor-Methadon-�a praktisch ohne jede medizinische Versorgung lie� weil die Medizin das Ziel ihrer Behandlung, Drogenfreiheit n�ich, zur Voraussetzung f�r eine Behandlung machte, ein ebenso absurdes wie inhumanes Vorgehen? Wie konnte in dem Land, das den Entdecker des Morphiums zu seinen B�rgern z�te, die Unterversorgung Schwerstkranker mit Schmerzmitteln ein so besch�ndes Ausma�annehmen? Warum �berlie�man eine der heikelsten Herausforderungen, der sich die Intensivmedizin regelm�g zu stellen hat, das Gespr� mit den Angeh�rigen eines Hirntoten, um ihre Zustimmung zu einer Organentnahme einzuholen, so �beraus h�ig gerade den j�ngsten und unerfahrensten Assistenten, mit dem Erfolg, dass allzu oft die Zustimmung versagt wurde? Kam es nicht einer Tortur gleich, dass die Medizin Patienten im zutreffend diagnostizierten permanenten vegetativen Status (sogenanntes Wachkoma) zu einem unter Umst�en jahrzehntelangen Leben verurteilte, das sie von jeglicher Teilhabe ausschloss; ein Leben in der Verbannung? Schlie�ich, in welcher Verfassung befinden sich �zteschaft und Medizin, wenn die Zeitschrift LANCET, das international bedeutendste und geachtetste Medizinjournal, vor wenigen Jahren anl�lich der Aufdeckung der Bestechlichkeit des Herausgebers einer angesehenen medizinischen Fachzeitschrift einen Leitartikel mit den Worten �berschreibt: "Just how tainted has medicine become?" (Wie verdorben eigentlich ist die Medizin geworden?)2 Hier taten sich die Fragen und Probleme auf, die mir nahegingen und mich angesichts der Zugeh�rigkeit zu einer Profession, die wie keine zweite die Flagge der Ethik vor sich hertrug, herausforderten. Ein Spektrum sehr unterschiedlicher Fragen zwar, die jedoch eines miteinander verbindet: Sie alle verweisen auf Grunds�liches; sie ber�hren sozusagen das Mark der �tlichen Profession, die Prinzipien und das Koordinatensystem ihres Handelns. Und eben dies, das Interesse an den ethischen Grundlagen �tlichen Handelns war es, was ich mir neben meiner "Pflicht", der praktischen Arbeit als Internist, Intensiv- und Notfallmediziner, zur "K�r" erkoren hatte. Ins Fadenkreuz meines Interesses geriet mit der Zeit, unmerklich fast, das Lebensende. Sterben - in all seinen Formen und Extremen, in seiner ganzen Grausamkeit, Abgr�ndigkeit und Unberechenbarkeit war und ist Teil meines seit Jahrzehnten zu bew�igenden Alltags. Mehr noch: Die langen Jahre, die ich als Arzt auf Intensivstationen verbrachte, die zahllosen Notarztwageneins�e w�end 15 Jahren, die Leitung einer Rettungsstelle sowie die au�rklinische Behandlung und Betreuung manch anderer Schwerstkranker hatten das Sterben im Lauf der Zeit zur zentralen Erfahrung meines �tlichen Daseins werden lassen. Es schien mir eng und immer enger mit meinem Leben verbunden; ja auf gewisse Weise hatten wir, das Sterben und ich, wenn nicht Freundschaft geschlossen, so uns doch einander zugewandt, eine Erfahrung, die f�r mich zu einer tiefen Bereicherung dadurch wurde, dass ich am Sterben anderer teilhaben durfte. F�r diese Erfahrung bin ich sehr dankbar. Sie ist Herzst�ck und roter Faden dieses Buches. "Wir tun, was wir k�nnen" - Vom Auftrag der Medizin am Lebensende Wiederbelebung - "Sie sollen das Herz massieren, nicht streicheln!"
Erscheint lt. Verlag | 16.3.2010 |
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Sprache | deutsch |
Maße | 135 x 215 mm |
Gewicht | 535 g |
Einbandart | gebunden |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Allgemeinmedizin | |
Schlagworte | Medizin • Sterbehilfe • Sterben |
ISBN-10 | 3-421-04419-8 / 3421044198 |
ISBN-13 | 978-3-421-04419-8 / 9783421044198 |
Zustand | Neuware |
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