Das Pfauennetz - Rabe und Rose, Band 3 (eBook)

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2024 | 1. Auflage
544 Seiten
Panini (Verlag)
978-3-7569-9957-6 (ISBN)

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In Nade?ra hängt der Frieden stets am seidenen Faden. Das skrupellose Haus Indestor wurde zwar zerschlagen, doch noch immer durchdringt Dunkelheit die dreckigen Gassen und hell erleuchteten Gärten. Sie wird jedoch nur von jenen bemerkt, die wissen, wo sie hinschauen müssen. Derossi Vargo hat schon immer davon gewusst und Unvorstellbares geopfert, um sich eine mächtige Position inmitten des Adels zu sichern, indem er seinen eisernen Willen hinter einem samtenen Lächeln verbirgt. Aber wehe, jemand bedroht, was er sich aufgebaut hat. Grey Serrado weiß es ebenso gut. Trotz seiner vielen Verpflichtungen kämpft er für alle Schutzbedürftigen in der Stadt. Früher oder später wird ihm das jedoch mehr abverlangen, als er zu geben bereit ist. Ren, Tochter keines Clans, weiß es am besten. Sie ist gefangen in einem Knoten aus Lügen, hin- und hergerissen zwischen ihrer Herkunft und ihrer Maskerade als Adlige und verlässt sich auf ihre Gabe, um mithilfe der Muster zu überleben. Auf diese Weise entdeckt sie auch das Netz der Verderbnis, das ihre Stadt durchdringt. Nun müssen sie alle drei herausfinden, wie weit sich dieses Netz erstreckt. Letzten Endes wird es mehr als nur Messer erfordern, um sich daraus zu befreien ...

M. A. CARRICK ist das gemeinsame Pseudonym von Marie Brennan (Lady Trents Memoiren) und Alyc Helms (Missy Masters). Sie trafen sich bei einer archäologischen Ausgrabung in Wales und Irland, die auch eine Auszeit in Carrickmacross umfasste. Seit zwei Jahrzenten pflegen sie ihre Freundschaft mit Gesprächen über Anthropologie, Schreiben und Gaming. Beide leben in San Francisco, USA.

M. A. CARRICK ist das gemeinsame Pseudonym von Marie Brennan (Lady Trents Memoiren) und Alyc Helms (Missy Masters). Sie trafen sich bei einer archäologischen Ausgrabung in Wales und Irland, die auch eine Auszeit in Carrickmacross umfasste. Seit zwei Jahrzenten pflegen sie ihre Freundschaft mit Gesprächen über Anthropologie, Schreiben und Gaming. Beide leben in San Francisco, USA.

Prolog

Drei Arten von Geschäften wurden in den Attravi-Färbereien in Froschloch betrieben. Dazu gehörte die legitime Variante, die nach Urin und Stärke stank und von Aufsehern überwacht wurde, deren Gesichter rot gekocht und rau von den Dämpfen aus den Färbekesseln waren. Dann gab es noch die illegale Art, die den Gestank und die Nähe zum widerlichen Westkanal ausnutzte, um Aža, Salpeter, Mohn und andere verbotene Waren nach Nadežra zu schmuggeln.

Und zu guter Letzt waren da noch die Geschäfte, über die man lieber keine Fragen stellte.

Von der dritten Art erfuhr Vargo an dem Nachmittag, an dem ein Schnösel mit fremdländischem Akzent im Färberviertel auftauchte.

Sein Kopf war kahl rasiert wie bei einem Seuchenopfer, aber er trug ebenso feine Kleidung wie ein Mann von den Perlen, und sein Samtmantel war in einem derart dunklen Pflaumenblau gefärbt, dass man ihn beinahe für schwarz halten konnte. Der Blick, mit dem er Vargo bedachte, als er auf das Zeichen des Vorarbeiters hin vorwärtsstürmte, glich dem eines Moorgeiers und war finster und vollkommen emotionslos. »Das ist nicht der übliche Junge.«

»Jaršin hat Fieber gekriegt und ist nicht mehr aufgestanden«, erwiderte der Vorarbeiter und runzelte die Stirn, weil Vargos Vorgänger die Frechheit besessen hatte, auf diese Weise zu sterben. »Der hier ist aber in Ordnung. Er ist seit drei Monaten dabei und hat bisher weder geklaut noch ist er verduftet.«

Zumindest nicht, soweit der Vorarbeiter davon wusste. Vargo stand kerzengerade da und gab sich die größte Mühe, vertrauenswürdig zu erscheinen.

»Verstehe.« Die schwarzen Augen wurden zusammengekniffen und starrten ihn an. »Wie alt bist du?«

»Fast elf«, antwortete Vargo. Das war nicht ganz gelogen; viele Kinder aus den Elendsvierteln konnten ihr Alter nur raten.

»Das sollte reichen.« Der Mann übergab Vargo ein fest eingewickeltes Bündel, dessen Fäden mit Wachs versiegelt waren und unter die man einen Brief geschoben hatte. »Ostbrück, am Pomcaro-Kanal, Nummer einundsiebzig. Es ist von Balmana und Schiamori. Du gehst nicht, bevor er es anprobiert hat, verstanden?«

Nein, aber wer wurde aus den seltsamen Forderungen der Schnösel schon schlau? Da war es einfacher, nur zu nicken. Daher tat Vargo genau das, der Schnösel ging, und der Vorarbeiter schickte Vargo zum Oberufer.

Falls Vargo einen Zwischenstopp einlegte, würde niemand etwas davon mitbekommen.

* * *

Noch bevor er damit angefangen hatte, Schmuggelware für die Färbereien zu befördern, wusste Vargo, wozu man Dampf alles einsetzen konnte – das war eines der vielen Geheimnisse, die unter den Boten Nadežras geteilt wurden. Wie das Lesen.

Wenn das Überbringen einer Nachricht einen Mill wert war, konnte man sich eine Decira verdienen, indem man ihren Inhalt in Erfahrung brachte. Irgendwann würde irgendjemand ganz oben das ungenutzte Potenzial des Botennetzwerks erkennen, und dann wäre kein Geheimnis in Nadežra mehr sicher.

Aber vorerst interessierte sich Vargo nur für das heutige Geheimnis. Er kauerte in seiner Hütte auf dem Dach eines kleinen Ladens, hielt den Brief neben einen Luftauslass und wartete darauf, dass der Dampf das Wachs weit genug schmolz, damit er das Siegel öffnen konnte.

»Was glaubst du, wer das war, Peabody?«, fragte er die Flasche, die in der Innentasche seiner Jacke steckte. Er hatte sie letzten Monat einem Händler stibitzt und auf etwas Zrel gehofft, der ihn im Frühlingsregen wärmen konnte. Stattdessen bekam er eine junge Königspfauenspinne, die kaum größer als eine Erbse war und in einer kleinen Glaswelt mit Zweigen und Moos lebte. Auf lange Sicht besser als Zrel, auch wenn Vargo nun derjenige war, der die Wärme spendete.

Die Spinne konnte ihm natürlich nicht antworten, und aus dem Brief wurde er auch nicht wirklich schlau: Irgendein Händler wollte einen Schnösel als Kunden gewinnen und schickte ihm ein Zeichen seiner Anerkennung – bla, bla, bla. Vargo versiegelte den Brief wieder und machte sich an den Schnüren des Pakets zu schaffen.

Mit etwas Fingerspitzengefühl hatte er eine Ecke des mitternachtsfarbenen Samts gelöst, in dessen Stickerei onyxfarbene und rauchdunkle Topase eingearbeitet waren. Bevor er Jaršins Stelle in den Färbereien übernommen hatte, war Vargo Paketzusteller für eine Wäscherei in Fleischmarkt gewesen. Davor hatte er für einen Schneider in Westbrück gearbeitet. Wenn sie eins gemein hatten, dann die Tatsache, dass den Kunden einige verschwundene Edelsteine nicht auffielen … und falls doch, bekam nicht etwa der Bote deswegen Ärger.

»Du wirst heute Abend die besten Raupen von Nadežra schlemmen«, versprach Vargo Peabody. Er zückte sein kleines Messer und schnitt vorsichtig einen Teil der Stickerei ab, um sich seinen Anteil am Reichtum Nadežras zu verschaffen.

* * *

»Was sagtest du doch gleich, wo das herkommt?«

So etwas wie das Stadthaus, in dem Vargo nun stand, hatte er noch nie gesehen. An allen Wänden standen übervolle Bücherregale, in der Mitte ein Schreibtisch, auf dem sich beschriftete Papiere türmten, und auf dem Schieferboden lag spiralförmig genug Prismatium, dass sich Vargo davon bis zu seinem Todestag genug Haferbrei und Klöße hätte leisten können.

Der Schnösel schien erstaunt zu sein, überhaupt etwas zu erhalten, und wunderte sich noch mehr über Vargos Beharrlichkeit, nicht ohne Antwort wieder gehen zu wollen. »Balmana und Schiamori«, wiederholte Vargo.

»Und du bist dort … Lehrling?«

Beim skeptischen Blick des Schnösels straffte sich Vargo. Seine Hose war vielfach geflickt, seine Jacke formlos und merklich zu groß. Niemand mit auch nur etwas Verstand würde ihn für einen Schneiderlehrling halten. »Ich hoffe, das bald zu sein, Altan«, erwiderte er und gab sich die größte Mühe, sich den Elendsviertelakzent nicht anmerken zu lassen.

Es schien zu funktionieren, da der Schnösel nur geistesabwesend nickte und sagte: »Es gibt keinen derart undurchdringlichen Schatten, keine so ausgeprägte Unwissenheit und keine so immense Sünde, dass Lumens Licht nicht für Enthüllung und Erlösung sorgen könnte. Allerdings sollte man danach streben, sich in diesem Leben zu verbessern.«

Sein Geplapper verstummte, als er die letzte Kordel gelöst hatte und sich mitternachtsfarbener Samt aus dem Paket ergoss. Vargo hatte nur eine Ecke gesehen; das Ganze erinnerte an den Dežera im Sternenlicht einer Sommernacht und floss förmlich durch die behandschuhten Hände des Schnösels. Beinahe wünschte sich Vargo, er wäre tatsächlich der Lehrling eines Handwerkers, der etwas so Wunderschönes anfertigen konnte.

Noch viel mehr wünschte er sich jedoch, die kritische Miene aus dem Gesicht des Schnösels prügeln zu können. »Du solltest deinen potenziellen Herren mitteilen, dass derart geschnittene Umhänge seit fast einem Jahrzehnt aus der Mode sind.« Der Mann hob ihn ins Licht, um die Stickerei genauer in Augenschein nehmen zu können. »Und der Versuch, numinatrische Figuren einzuarbeiten, ist schlampig und mangelhaft ausgeführt. Diese Linien hier – sie sind absolut unnötig.«

Blödmann. Vargo machte ein dummes Gesicht. »Ich soll erst gehen, wenn Ihr ihn anprobiert habt.«

Der Schnösel starrte ihn an, als könnte ein böser Blick ausreichen, um seinen ungebetenen Besucher aus dem Haus zu schaffen. Dann seufzte er, als Vargo so felsenfest wie die Spitze stehen blieb. »Na gut.«

Er schwang sich den Umhang wie eine vraszenianische Schleiertänzerin um die Schulter und fummelte an den beiden Hälften der glatten Emailleschnalle herum, bis er sie endlich geschlossen hatte. Das Licht fing sich in den zahlreichen Edelsteinen, als sich der Stoff legte, und sie blitzten und blinkten und erschienen Vargo wie ein Meteoritenschauer. »Würdest du jetzt endlich …«

Weiter kam der Schnösel nicht. Röchelnd fasste sich der Mann an den Kragen, als wäre jemand auf den herabhängenden Saum getreten. Sein kreidebleiches Gesicht lief in einem widerlichen Purpur an und er fiel auf die Knie. Die Edelsteine leuchteten wie Sterne.

»Was hast du getan?«, stieß der Schnösel heiser hervor. Er packte Vargos Handgelenk, bevor Vargo Reißaus nehmen konnte, und hatte für jemanden, der inmitten von Büchern lebte, einen erstaunlich festen Griff. »Nimm ihn ab. Zieh ihn von mir runter!«

Vargo gab sich die größte Mühe, doch die Schnallenhälften schienen miteinander verschmolzen zu sein und verbrannten ihm die Finger, als er sie öffnen wollte. »Sollen wir ihn abschneiden?«, fragte er, wobei ihm die Panik die Kehle zuschnürte. Er hatte das getan. Er hatte irgendein Numinat in der Stickerei verändert und nun würde der Mann Ninat in die Arme fallen.

»Was willst du abschneiden, meinen Kopf?«, fauchte der Mann.

»Nein, den Umhang!« Als Vargo sein Messer unter den Kragen schob, fühlte sich der Samt jedoch auf einmal wie verwobener Stahl an. Das Einzige, was er aufschnitt, war die Haut am Hals des Schnösels.

Der Umhang drückte dem Mann nicht den Hals zu, denn dann hätte er nicht mehr genug Luft bekommen, um mit Vargo zu schimpfen. Aber irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht; der pflaumenfarbene Ton seiner Wangen verwandelte sich zunehmend in den grauer Asche. Etwas sehr Gefährliches und Verzweifeltes zeichnete sich in den Augen des Mannes ab. »Ich habe eine Idee – aber dafür brauche ich deine Hilfe. Mach dein Hemd auf.«

Zu jeder anderen Zeit hätte Vargo entgegnet, dass er sich seinen Handschuh in...

Erscheint lt. Verlag 29.11.2024
Reihe/Serie Rabe und Rose
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Astounding-Award • Crawford Award • Dunkle Magie • episch • Fantasy • Locus-Award • magisch • Unterwelt • World Fantasy Award
ISBN-10 3-7569-9957-2 / 3756999572
ISBN-13 978-3-7569-9957-6 / 9783756999576
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