Marienglas (eBook)

Kommissar Rau ermittelt im Giessen der Goldenen Zwanziger
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
348 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7693-5933-6 (ISBN)

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So hatte der Gerichtsmediziner Karl Wiesenholder sich seinen letzten Abend in Gießen nicht vorgestellt. Seine Abschiedsfeier auf dem Schiffenberg endet dramatisch. Offenbar wurde der Archäologe Arnd Lotner mit einer Fechtwaffe schwer verletzt. Doch von dem Historiker fehlt jede Spur. Weder die Studenten der schlagenden Verbindung "Scephenburgia", die das ehemalige Kloster als Pauklokal nutzen, noch die Mitglieder eines Geselligkeitsvereins wollen etwas mitbekommen haben. Als einziger Anhaltspunkt dient Kommissar Simon Rau ein Schriftstück aus der Renaissance, das er am Tatort entdeckt, die Handschrift eines alten Meisters. Der Besuch einer Auktion im Café Astoria, die Telefonistin Marlene Bellring und der Schweizer Sachverständige Urs Pfyn führen den Ermittler Jahrhunderte in der Kunstgeschichte zurück und in die Zeit, als der Schiffenberg noch Sitz von geistlichen Ordensrittern war.

Henrich Dörmer, Jahrgang 1973, Licher "Buhneplicker" mit Abitur an der Theo-Koch-Schule in Grünberg, ist ein waschechter Oberhesse. Mit "MARIENGLAS" veröffentlicht er seinen siebten regionalen Kriminalroman und den dritten Band im Gießen der Goldenen Zwanziger. Die historischen Romanhandlungen spielen sich regelmäßig rund um die kulturhistorischen Sehenswürdigkeiten seiner Heimat ab. Darüber hinaus sprechen die Protagonisten oftmals "Owwerhessisch Platt", aber auch die Sprache ihrer Zeit.

Prolog


27. April 1809

Die Mähne des Rappen tobte im Wind. Der Schweif schien zu fliegen, Schaumplacken stoben aus Maul und Nüstern, um sich augenblicklich in der beigefarbenen Wolke zu verlieren, die ihm und dem an seiner Seite dahin rasenden Schimmel folgte. Fast schien es, als wollten die beiden ihren noch langgezogenen Schatten endgültig entfliehen. Bald durchzog die Staubfahne fast das gesamte Tal, noch immer reichte der bräunliche Dunst zurück bis zu den südlichen Wallanlagen und verdeckte die Sicht auf Universität, Zeughaus und Stadtkirchturm. Allein, für einen Blick zurück war nicht die Zeit. Nur kurz verringerte der Reiter des pechschwarzen Rosses den Druck seiner Schenkel. Sofort verlangsamte sich die Geschwindigkeit der beiden Pferde, aber nur soviel, dass er, die Zügel sowohl des Rappen als auch des Schimmels in Händen haltend, das weiße Ross nah an sich heranziehen konnte. Wenngleich noch immer im Galopp, passte zwischen beide Tiere nun nicht mehr als eine Elle. Mit einer schnellen Bewegung kontrollierte er, dass sich der helle Mantel mit dem schwarzen Kreuz auf der linken Seite nicht im Riemenwerk verfangen hatte, dann stieg er aus dem Sattel und tat einen Satz hinüber auf den Schimmel, zum letzten Mal an diesem Morgen. Sofort entledigte er sich der Zügel des schwarzen Hengstes, den Anstieg hinauf zum Schiffenberg würde er mit nur einem Pferd schneller bewältigen. Das andere fiel bald zurück, es würde den Rest des wohlbekannten Weges im Schritt zurücklegen dürfen, um seinen Futterplatz zu finden.

Kurz nachdem der Reiter den Waldrand erreicht hatte, verfiel er in Trab, den schnelleren Galopp ließen die tiefhängenden Äste und die schmale, immer stärker ansteigende Schneise nicht zu. Zumindest verhinderte das mit zartem Grün geschmückte Gehölz des Forstgartens, dass der Reiter mit dem strähnigen Haar unter der Kapuze weiter von der Morgensonne geblendet wurde. Zu gern hätte er seinem wackeren Ross eine Rast am Hirtenbrunnen gegönnt, dem erquickenden Quellbrunnen, der an einen anderen Postillion erinnerte, wenn auch an einen, dem weiland ein viel vergnüglicherer Botendienst vergönnt gewesen war: als Postillion d'amour zwischen den Augustinern auf dem Berg und den Cellaner-Chorfrauen hier unten, wo heute nicht einmal mehr ein Stein an sie erinnerte. Doch ein Halt, so kurz vor dem Ziel, hätte die Mühen der letzten anderthalb Stunden ad absurdum geführt, wäre der wilde Ritt vom Marburger Schlossberg durchs Lahntal hindurch bis hierhin bar jeden Sinnes gewesen. Indes schlug ein herunterhängender Ast dem Reiter die Gedanken an die Vergangenheit sprichwörtlich aus dem Kopf, der bis hierhin mit Basaltsteinen gepflasterte Weg verengte sich nun zu einem Pfad, der Anstieg geriet so steil, dass mehr als Schritt dem Pferd beim besten Willen nicht länger möglich war. Nach einer knappen Meile verdunkelte sich der Wald, auch wenn sich die frühlingshafte Lichte der Bäume nicht geändert hatte. Vielmehr waren es die wie eine Felswand anmutenden, dunklen Fundamente der Propstei. Der Schimmel hob den Kopf und blubberte leise, es war ihm anzumerken, dass er über die Ankunft genauso erleichtert war wie sein Reiter, der ihm dankbar den Hals tätschelte.

Der Bote erreichte den Innenhof des Ordens über das sogenannte Eselstor, unmittelbar rechts des westlichen Chors der Basilika und links von Pferdestall und Brauhaus gelegen. Sogleich saß er in einer schwungvollen Bewegung ab und sah sich um. Direkt vor ihm trottete ein betagter Kaltblüter, dessen Trense an einer Holzstange befestigt war, auf einer nur wenige Meter messenden Kreisbahn, um auf diese Weise das Wasser des Brunnens daneben, ein großes Holzfass ruhte auf dessen Sandsteinfassung, aus großer Tiefe nach oben zu pumpen. Das ältliche Tier schien bis zu diesem Zeitpunkt das einzige Lebewesen auf dem Hof zu sein. Der Schimmel des Reiters begrüßte ihn mit einem kurzen Schnauben.

«Welch trügerisches Bild!», seufzte er in sich hinein, als er den Blick über das ovale Rund des durch Ringmauer und Gebäude vollständig geschlossenen Innenhofes schweifen ließ. Südlich der altehrwürdigen Basilika, im Schatten des darauf thronenden achteckigen Turmes und ziemlich genau in der Mitte des Hofes befand sich ein Lustgarten. Auf acht symmetrisch angelegten und mit Buchsbaumhecken fein säuberlich voneinander getrennten Quadraten begrüßten rote Rosen, rosa Gerbera und Tulpen in mannigfaltiger Farbenpracht die morgendliche Frühlingssonne. Dahinter, direkt an der östlichen Ringmauer nahe der Scheune, leuchtete ein wahres Meer rötlicher und gelber Pfirsichblüten und ein rosafarbener Hauch umgab einige Aprikosenbäume. Der Blick des Mannes wanderte weiter in südlicher Richtung über die in einem Rechteck angeordneten Stallungen, an deren Außenseite sich der Hopfengarten anschloss, gefolgt von kleineren Wirtschaftsgebäuden. Die Südseite wurde vom Herz der Kommende komplettiert, der Komturei. Es war eines der beiden ältesten Gebäude, die die altvorderen Ordensbrüder des hiesigen Konvents auf dem Hochplateau hatten errichten lassen. Seit dem Jahr 1493 schmückte das sandsteinerne Wappen des Erbauers, Komtur Ludwig von Nordeck zu Rabenau den Bau mit seinen beiden aus massivem Basaltstein errichteten Untergeschossen, dem eine Etage aus Fachwerk und darüber das weithin sichtbare und steile Schieferdach folgte. Rechts davon schloss sich ein in ähnlichem Stil errichtetes, zweigeschossiges Gebäude an, das unter anderem einen Gesellschaftssaal beherbergte. Die Westseite schließlich wurde dominiert von der Propstei, die sich über eine Länge von gut zwanzig Metern erstreckte. Auch dieses Gebäude war in den unteren beiden Geschossen aus festem Basaltstein, das zweite Obergeschoss in Fachwerkbauweise errichtet worden, die Fensterrahmen waren hier mit Holzverschlägen ausgekleidet. Dieses Stockwerk wurde schon seit Langem als Fruchtspeicher genutzt. Der markante Erker an der zum Innenhof weisenden Längsseite deutete auf den Sitz des Propstes hin, wenngleich bekannt war, dass dieser markante Vorbau bis noch vor einigen Jahrzehnten einen Zwilling besessen und die Türmchen sowohl des vergangenen, als auch des noch bestehenden bis hinauf zum hohen Dachfirst gereicht hatten.

Der Bote entschied sich, zunächst in der Komturei nach dem Empfänger seiner Nachricht zu suchen. Schließlich wurden die Ämter des Propstes und die des Komturs dieser Kommende seit Jahrhunderten in Personalunion geführt. Somit war der Sitz des Obersten des Deutschen Ordens auf dem Schiffenberg derjenige, der einen unverstellten Blick gen Süden ermöglichte, über Garbenteich, Watzenborn und Grüninger Warte weit hinein in die Wetterau und über Leihgestern, den südlichen Ausläufern Gießens und dem zur Kommende gehörenden Neuhof bis bin zu Taunus und Westerwald.

Eiligen Schrittes trat er ein und spähte um die Ecke in die Räume des Erdgeschosses. In der spärlich beleuchteten Küche war niemand, das Frühstück war bereits vor über einer Stunde eingenommen worden. Ohne Umschweife machte er kehrt und nahm die Treppe ins nächste Stockwerk. Aus dem hier befindlichen Hospital vernahm er zumindest eine Stimme. Er wusste sie zuzuordnen, es war die von Johanna, diejenige, die nicht mit der Bezeichnung Schwester angesprochen werden wollte. Schließlich sei sie keine Angehörige des Ordens, bloß eine einfach Frau aus Hausen, wie sie regelmäßig betonte. Wahrhaftig kannte er aber keine andere, die ihr Handwerk im Umgang mit Kranken und Siechenden besser verstand als sie.

«Drei Löffel noch, zumindest die», hörte er sie zu jemandem sagen, noch ehe er eingetreten war. Dann sah er sie. Die Frau mit dem dunklen Arbeitskleid und der grauen Schürze saß am Rand von einem der insgesamt sechs Betten und hielt einem Mädchen im Alter von vielleicht zwölf, dreizehn Jahren einen Löffel vors rot glühende Gesicht, bis sich endlich der Mund öffnete und die grünliche Flüssigkeit aufnahm.

«So ist's gut, die Kapuzinerkresse wird dir die Entzündung aus dem Rachen treiben, glaub mir», sprach sie dem Mädchen aufmunternd zu, das mühsam aber vertrauensvoll nickte. Von dem zweiten belegten Krankenlager am anderen Ende des Saales war ein leises Stöhnen zu vernehmen, was aber allem Anschein nach nicht in Zusammenhang mit dem gerade Gesagten stand. Nur flüchtig sah Johanna zu der Gestalt hinüber, von der unter der weißen Bettdecke nur ein ausgemergelt wirkendes Haupt mit schütterem, weißen Haar und einer mit tiefen Falten durchzogenen, pergamentfarbenen Haut hervorlugte. Ruhig tauchte sie den Löffel wieder in die Schale und hielt ihn erneut dem Mädchen mit den schweißnassen Haaren hin.

«Ist einige Monate her, dass wir uns gesehen haben, Trappier von Westwich», wandte sie sich dem Ankömmling zu und wartete, bis das Mädchen den heißen Aufguss schluckte.

«Zweifelsohne, das ist wahr. Umso mehr freue ich mich, dich zu sehen. Bist du doch regelmäßig die erste und die letzte, die ich hier auf dem Schiffenberg zu Gesicht...

Erscheint lt. Verlag 30.10.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Historische Kriminalromane
Schlagworte Gießen • Hessen • Kunstkrimi • Mittelhessen • Zwanzigerjahre
ISBN-10 3-7693-5933-X / 376935933X
ISBN-13 978-3-7693-5933-6 / 9783769359336
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