Die Wiege der Legenden (eBook)
248 Seiten
tredition (Verlag)
978-3-384-00448-2 (ISBN)
Kapitel 1: Ursprung und Schöpfung
Das kosmische Meer Abzu und die Erschaffung von Sumer
In den Anfängen aller Zeiten, in der Stille des unendlichen Nichts, war das kosmische Meer Abzu. Ein grenzenloses und tiefes Gewässer, das in dunkler Harmonie schlummerte, fern von jeder Vorstellung, die das menschliche Bewusstsein zu formen vermag. Das Meer war nicht bloß Wasser; es war der Urstoff des Lebens, ein endloser Ozean voller Möglichkeiten und Geheimnisse. Ein Zentrum von Energie, aus dem alles entstehen sollte.
Eine ruhige Brise wehte über Abzu, brachte sanfte Wellen hervor, die in sanften Rhythmen tanzten und murmeln. Jedes Flüstern, jede Bewegung, ließ das Potenzial für etwas Größeres, etwas Erstaunliches, erkennen. Die Tiefen des Abzu verbargen nicht nur Dunkelheit, sondern auch ein sanftes Leuchten – den Keim des Lebens, den Funken des Ursprungs.
Dann, in einem Augenblick der reinen Magie oder vielleicht durch das Verlangen des Meeres selbst, begann sich das Zentrum von Abzu zu wölben, sich zu heben. Ein zartes Pochen, das Herz des Universums, setzte ein, und mit ihm begann die Transformation. Von den dunkelsten Tiefen des Abzu stieg das Land auf, seine ersten Konturen bildend, die sanften Hügel und weiten Ebenen, die später Sumer werden sollten.
Es war, als hätte die Erde selbst Atem geholt, ein tiefer, kraftvoller Zug, der die Landmassen formte und gestaltete. Mit jeder Welle, die sich zurückzog, wurde mehr von diesem fruchtbaren Boden enthüllt, reich an Nährstoffen und bereit, das Leben zu beherbergen.
Die Erschaffung von Sumer aus dem kosmischen Meer war nicht nur ein Akt der physischen Formung. Es war ein Tanz von Licht und Schatten, von Materie und Energie. Ein göttliches Schauspiel, das den Anfang einer neuen Ära markierte, die Ära der Menschheit und ihrer unendlichen Möglichkeiten.
Während das Land sich formte und aus den Fluten des Abzu erhob, entstanden auch die ersten Flüsse, die später als Euphrat und Tigris bekannt werden sollten. Sie schlängelten sich wie Silberbänder durch das frisch geformte Land, glitzernd in der schwachen Dämmerung, die den Anbruch eines neuen Tages ankündigte.
Es waren diese Flüsse, die das Herz von Sumer ernährten, ihm Leben und Fruchtbarkeit schenkten. Der reiche Schlamm, den sie von den Bergen mitbrachten, bedeckte das Land, machte es fruchtbar und gab den ersten Pflanzen und Bäumen, die dort wuchsen, Nahrung. Wie Adern durchzogen sie die Landschaft und trugen die Lebenskraft des Abzu zu jedem Winkel von Sumer.
Doch Abzu selbst blieb nicht unbemerkt. Aus seiner Tiefe, aus dem Kern seiner Energie, erwachten die ersten Gottheiten. Tiamat, die Göttin des Salzwassers, und Apsu, der Gott des Süßwassers, entstiegen als Erste dem Abzu und betrachteten mit Staunen die Welt, die sich vor ihnen ausbreitete. Ihre Existenz, geprägt von der Dualität von Salz und Süßwasser, spiegelte die Balance wider, die das neu entstandene Sumer benötigte.
Doch es waren nicht nur die Götter, die in dieser frühen Ära erwachten. Mit ihnen kamen auch die ersten Mythen, Geschichten, die das tiefe Verständnis der sumerischen Bevölkerung für die Welt um sie herum widerspiegelten. In den Schatten der frisch entstandenen Berge und Täler lauschten die Menschen den Liedern des Windes, den Flüstern des Wassers und den Erzählungen der Götter.
Diese Geschichten, geboren aus dem Herzen von Abzu, erzählten von Heldentaten, von Kämpfen und Siegen, von Liebe und Verrat. Sie legten den Grundstein für die reiche Kultur und Tradition von Sumer, die in den kommenden Jahrhunderten weiter wachsen und gedeihen sollte.
Die Götter, die aus dem Herzen des Abzu geboren wurden, begannen bald, ihren eigenen Platz in der sich entfaltenden Welt von Sumer zu suchen. Enki, der Gott der Weisheit und des Wassers, schritt über die ausgedehnten Ebenen und fühlte die Pulsationen des Lebens unter seinen Füßen. Er verstand die Sprache des Wassers und schuf Kanäle und Teiche, die die Städte von Sumer nährten.
Die Morgenröte brachte auch die Entstehung der ersten sumerischen Städte mit sich. Eridu, die heilige Stadt, wurde an den Ufern eines der vielen von Enki geschaffenen Teiche erbaut und galt als Verbindung zwischen Himmel und Erde. In den Tiefen dieser Stadt pulsierte das Herz von Sumer, und ihre Tempel und Zikkurats erklommen den Himmel, als wären sie Finger, die danach strebten, die Götter selbst zu berühren.
Während die Zeit verging und sich die Sterne über Sumer drehten, füllte sich das Land mit mehr als nur Bauwerken und Flüssen. Es füllte sich mit Geschichten, Liedern und Poesie, die den Atem des Abzu in jeder Silbe trugen. Die Menschen fanden in diesen Erzählungen Trost und Weisheit, lernten aus den Fehlern und Triumphen ihrer Vorfahren und webten ihre eigenen Geschichten in das immer wachsende Tapestry von Sumer ein.
Und so, während die Flüsse unaufhörlich in den Abzu zurückflossen und die Götter von ihren himmlischen Throne aus zusahen, wuchs und gedieh Sumer. Aus dem kosmischen Meer Abzu war eine Zivilisation entstanden, die in ihrer Pracht und ihrem Erbe unübertroffen war, ein leuchtendes Juwel inmitten der endlosen Dünen und Flüsse des Alten Orients.
Die Menschen von Sumer, geprägt von der majestätischen Präsenz des Abzu und der ständigen Anleitung ihrer Götter, blickten mit Hoffnung und Ehrfurcht in die Zukunft, bereit, die nächste Seite in der Geschichte ihres großen Reiches zu schreiben.
Enlil, der Luftgott und seine Rolle in der Schöpfung
In den Anfängen, als die ersten Klänge der Schöpfung durch die unendlichen Weiten des Abzu hallten, ergriff eine Macht von unvergleichlicher Energie Gestalt – Enlil, der mächtige Gott der Luft. Ein Sturm zog auf, und mit einem gewaltigen Windstoß trat Enlil hervor, ein Wesen, das ebenso leicht und flüchtig wie mächtig und unumgänglich war. Sein Atem war der Wind, der durch die Dünen fegte, und die Lufträume waren seine Domäne.
Sein Kommen war kein stiller, sanfter Windhauch, sondern eine ungestüme, energiegeladene Brise, die die noch jungen Landschaften von Sumer formte und gestaltete. Mit jedem Atemzug bewegte Enlil Berge, formte Täler und erweckte die Himmel zum Leben. Wo immer er ging, war Veränderung, Wachstum und Bewegung.
Der junge Gott betrachtete die von Abzu und Enki geschaffene Welt und sah eine Erde, die nach Balance und Harmonie suchte. Er spürte den tiefen Wunsch der Erde, sich zu erheben und sich mit dem Himmel zu verbinden. So begann er, die Lüfte zu nutzen, um den Himmel und die Erde näher zusammenzubringen. Mit seinen mächtigen Sturmböen stieß er die Wolken hoch hinauf, wo sie sich sammelten und den Himmel dunkler färbten. Und mit sanfteren, liebevolleren Winden liebkoste er die Erde und nährte sie.
Die ersten Menschen spürten seine Anwesenheit in jedem Windhauch und sahen in ihm einen Vermittler zwischen den Welten – ein Bindeglied zwischen den unergründlichen Tiefen des Abzu und den endlosen Höhen des Himmels. Sie sangen Lieder zu seiner Ehre und bauten Tempel auf den höchsten Gipfeln, um ihm näher zu sein. In ihrer Einfachheit und ihrem Glauben verstanden sie intuitiv die zentrale Rolle, die Enlil in der großen Schöpfungsgeschichte von Sumer spielte.
Während die Sonne ihren goldenen Pfad über den Himmel zog, war es Enlil, der ihre Wärme mit seinen Winden in jede Ecke Sumers trug. Aber Enlils Macht war nicht nur darauf beschränkt, die lebensspendenden Strahlen der Sonne zu verteilen. Er war auch ein Hüter des Gleichgewichts, und so wie er das Licht verbreitete, brachte er auch die notwendige Kühle, um die Welt im Gleichgewicht zu halten.
In der Mitte eines glühend heißen Tages konnte man Enlil als eine erfrischende Brise erleben, die über die trockenen Felder strich und den Arbeitern Erleichterung verschaffte. Und in den kalten Nächten, wenn die Dunkelheit das Land ergriff, war es sein Atem, der den Bauern Hoffnung gab, dass die Wärme bald zurückkehren würde.
Geschichten über Enlil wurden am Lagerfeuer und in prachtvollen Tempeln gleichermaßen erzählt. Eine solche Geschichte sprach von einem Jahr, in dem Sumer von einer schrecklichen Dürre heimgesucht wurde. Als die Flüsse austrockneten und die Ernte verdorrte, wandten sich die Menschen in ihrer Verzweiflung an Enlil. Mit zusammengelegten Händen und Tränen in den Augen baten sie den Luftgott um Gnade. Und Enlil, dessen Herz von den Gebeten seines Volkes bewegt wurde, ließ mächtige Stürme über das Land ziehen. Diese Stürme brachten nicht nur den dringend benötigten Regen, sondern auch eine Erneuerung des Glaubens und der Hingabe an den Gott, der über sie wachte.
Aber Enlil war nicht nur ein Gott der äußeren Welt. Er war auch ein Gott der inneren Welt, der Herzen und Gedanken. Er verstand das Flüstern der Seelen und die...
Erscheint lt. Verlag | 18.8.2023 |
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Verlagsort | Ahrensburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Märchen / Sagen |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Adapa • Akkad • akkadien • Aratta • Enki • Eridu • Gilgamesch • Götter • Huluppu • Innanna • Mesopotamien • Schöpfungsmythen • Sintflut • Sumer • Sumerer • Zweistromland |
ISBN-10 | 3-384-00448-5 / 3384004485 |
ISBN-13 | 978-3-384-00448-2 / 9783384004482 |
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Größe: 1,7 MB
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